Zweitens. Da hilft ein Blick in die Geschäftsverteilung der Bundesregierung. Die Federführung für die Aushandlung solcher Abkommen für die Rückführung liegt im Bundesinnenministerium im Verbund mit dem Bundeskanzleramt. Deswegen sind de Maizière und Altmaier gemeinsam in die Maghrebstaaten gefahren, um genau das zu verhandeln. Das wissen Sie besser als ich. Mit Verlaub, das Ergebnis ist nicht tragfähig für das, was wir an Rückführungen nach abgeschlossenen Verfahren haben werden. Wenn wir die derzeitigen Regeln für die Rückführung bei denen, die hier sind, anwenden, werden wir einige Jahre brauchen, um das am Ende hinzubekommen.
Das hat mit der Frage der sicheren Herkunftsstaaten nichts zu tun. Denn das hat praktisch keine Auswirkungen auf die jetzt laufenden Verfahren. Da geht es um etwas anderes. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Ich kann es nicht zulassen, dass das Unvermögen des Bundesinnenministers – ich nenne es so – nicht mit in die Betrachtung einbezogen wird. Denn da gibt es eine Schwachstelle in all den Verfahren und Prozessen.
Zweitens. Ich teile ausdrücklich Ihre Bemerkung zu Frau Wagenknecht. Trotzdem ermahne ich uns wechselseitig auch zu ein bisschen Demut.
Danke. Frau Kollegin Wissler, das Stichwort steht auf meinem Zettel. Ich hätte das jetzt aufgerufen.
Die Kollegen Sarrazin, Gauland – den bezeichne ich jetzt nicht als Kollegen –, Herr Hohmann, Herr Kappel und Herr Irmer fallen immer wieder einmal durch Bemerkungen auf, die völlig daneben sind. Über das Problem der Auseinandersetzung könnten wir jetzt intensiver diskutieren; ebenso wie man die Bemerkung von Frau Wagenknecht einzuordnen hat.
Mir geht es um etwas ganz anderes: Wenn es um Abschottung, Abgrenzung und Ausgrenzung geht, fangen die Grenzverletzungen schon viel früher an als bei den Rechtspopulisten. Abgrenzung und Ausgrenzung beginnen in der Mitte der Gesellschaft. Es gibt keine politische Kraft in diesem Land, die davon nicht betroffen wäre.
Damit komme ich zu der zentralen inhaltlichen Bemerkung und richte den Blick nach vorne. Wir haben in unserem Antrag ausdrücklich formuliert, dass die Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten auch intern ein symbolischer Akt ist. Soeben ist hier zu Recht die Einstufung der Westbalkanstaaten zum Thema gemacht worden. An der Stelle will ich ausdrücklich korrigieren: Für die Westbalkanstaaten war die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten kein symbolischer Akt. Der Herr Ministerpräsident und andere haben zu Recht darauf hingewiesen. Die Flüchtlingszahlen aus diesen Ländern sind drastisch gesunken. Sie sind drastisch gesunken, weil eine Anerkennung nach Art. 16a Grundgesetz nahezu aussichtslos ist. Wenn es am Ende zu Abschiebungen kommt, können sogar Wiedereinreisesperren verhängt werden, damit diese Personen nicht zurückkommen können.
Das hat im Übrigen teilweise dramatische individuelle Folgen. Ich habe gestern den halben Tag damit verbracht, mit der Ausländerbehörde darüber zu verhandeln, einen kosovarischen Jungen hierzubehalten. Das war mit der Ausländerbehörde nicht verhandlungsfähig. Für den Jungen steht eine Operation an. Er hat die Zusage eines Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen, dass er hier operiert wird, weil es nach allgemeiner Einschätzung keine Möglichkeiten gibt, ihn im Kosovo zu operieren. Am Ende hat man im konkreten Fall eine Vereinbarung hinbekommen, dass die Familie heute „freiwillig“ ausreist, damit sie möglicherweise in einigen Wochen für die OP nach Deutschland zurückkehren kann. Insofern ist das an dieser Stelle kein symbolischer Akt, sondern hat eine reale Wirkung. Es ist eine Wirkung, die mit Blick auf mein Zitat von Willy Brandt und die Frage, was wir erreichen wollen, ausdrücklich gewollt war, nämlich Flüchtlingszahlen aus diesen Ländern zu reduzieren.
Deshalb ist am Ende die Antwort auf diese Form der Migration – nicht nur aus dem Westbalkan, sondern auch aus Teilen des Maghreb – ein Einwanderungsgesetz, das Arbeitsmigration nach klaren Regeln zulässt und ermöglicht. Das ist bitter notwendig. Das ist der entscheidende Punkt, an dem sich die Union hier wie in Berlin so schwertut und den sie endlich in ihren Reihen lösen muss.
Das hat natürlich auch etwas mit der Flüchtlingsdebatte zu tun, weil es dabei um die Entlastung von Asylverfahren geht. Viele von denen, die nach Art. 16a GG, Asylrecht, hier nichts zu suchen haben, verbinden sehr wohl ihre persönliche Hoffnung damit, über die Möglichkeit der legalen Zuwanderung eine Chance auf ein bisschen mehr soziale und öffentliche Sicherheit zu erhalten und einen Job zu bekommen.
Wir haben das in Berlin für Teile des Westbalkans jetzt über eine Hilfskrücke geregelt. Über die Arbeitsverordnung klären wir jetzt, wie die Leute kommen können. Aber Sie auf der Unionsseite müssen sich redlich machen, dass wir das Thema Einwanderungsgesetz mit einer politischen
Das wird noch einmal eine schwierige Debatte werden. An der Stelle muss endlich etwas passieren. Diesen Teil der Redlichkeit in der Flüchtlings- und Migrationspolitik müssen Sie als Union insgesamt erst noch hinbekommen. Sie tun sich damit entschieden zu schwer. Aber es ist ein Teil der Lösung unserer Probleme.
Ich will zum Schluss kommen und der FDP noch ausdrücklich für diese Aktuelle Stunde danken – einschließlich der Ausführungen von Kollegen Rentsch am Beginn der zweiten Runde. Genau das wäre richtig gewesen: Es wäre richtig gewesen, dass die Landesregierung, statt eine Regierungserklärung abzugeben, über deren Defizite am Dienstag intensiv gesprochen wurde, in einer Regierungserklärung diese die Menschen beschäftigende, nicht einfache Entwicklung hier zum Thema macht.
Ich habe übrigens gar kein Problem damit, wenn Regierungen hier in einer Regierungserklärung sagen: Wir sind noch nicht entschieden, weil es Debatten und unterschiedliche Gesichtspunkte gibt. – Aber ich sage Ihnen: Diese Form von staatsautoritärer Politiksteuerung – dass Ihre Konflikte innerhalb der Regierung nur noch in geschlossenen Räumen und Zirkeln verhandelt werden, dass es keinen Raum mehr für Debatten im öffentlichen Bereich gibt, wo doch die Debatte ansonsten im öffentlichen Raum stattfindet, dieser Raum aber hier von Ihnen ausdrücklich ausgenommen wird – halte ich für einen Fehler und für eine Schwächung unserer demokratischen und politischen Kultur. Seien Sie an dieser Stelle mutig.
Das sage ich, obwohl ich weiß, dass am Ende die Standpunkte der Opposition noch schwieriger zu transportieren sind, wenn Sie solche Debatten führen. Aber mit Blick auf das Gesamte wäre das ein echter Fortschritt. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Als Nächste hat sich Frau Kollegin Öztürk zu Wort gemeldet. Ich erinnere daran, Sie haben fünf Minuten.
Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Ministerpräsident, ich möchte Sie ausdrücklich direkt ansprechen, weil auch Sie mich in der Debatte angesprochen haben. Ja, das Thema bewegt und berührt mich ganz besonders, weil ich glaube, dass wir als eine vielfältige Gesellschaft mit unterschiedlichen Ethnien, religiösen Zugehörigkeiten und politischen und sexuellen Orientierungen in Zukunft in Deutschland friedlich miteinander leben müssen und wollen. Deshalb ist es wichtig, dass wir in den Debatten, wie wir sie heute führen, nicht Personen unter den Pauschalverdacht stellen, sie wollten nach Deutschland kommen, um Deutschland auszuhöhlen und den Rechtsstaat Deutschland in ihrem Interesse auszunutzen. Genau das wird den Personen unterstellt, die aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern zu uns kommen: dass sie eigentlich gar kein Recht haben, zu
kommen. Wenn sie kommen, dann angeblich nur, weil sie unsere gut funktionierende Rechtsstaatlichkeit und den Sozialstaat ausnutzen wollen. – Meine Damen und Herren, das ist ein falsches Signal.
Herr Ministerpräsident, wenn Sie damit argumentieren, dass 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind, suggerieren Sie damit, dass diese 65 Millionen auf dem Weg nach Deutschland sind. Genau damit schüren Sie Ängste bei den Menschen, die irritiert sind und nicht wissen, wie sie mit der aktuellen Unsicherheit umgehen sollen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in dieser Debatte darüber im Klaren sind, wie die Diskussion in den letzten 20 Jahren gelaufen ist. In den letzten 20 Jahren wurde schon häufiger von Menschenrechtsorganisationen und von internationalen Einrichtungen wie den Vereinten Nationen angemahnt, dass die Zahl der Menschen, die auf der Flucht sind, in den nächsten Jahren steigen wird und dass wir uns in Europa und in Deutschland Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit diesen Flüchtlingen umgehen wollen.
Unsere Antwort darauf war das Dublin-Verfahren. Es war schon früh klar, dass das Dublin-Verfahren nicht funktioniert. Das heißt, wenn ein Flüchtling nicht vom Himmel fällt, hat er gar keine Möglichkeit, legal zu uns zu kommen. Allein schon deshalb hat man in den letzten Jahren das Dublin-Verfahren kritisiert. Es ist von vielen Menschenrechtsorganisationen in Deutschland wie Pro Asyl und Amnesty International kritisiert worden, dass es Gründe gibt, warum beim aktuellen Asylrecht die Anerkennungsquote der Asylbewerber mancher Länder sehr gering ist. Die Gründe dafür sind nicht, dass die Menschen unberechtigt hierhergekommen sind, sondern dass wir Kriterien wie geschlechterspezifische Verfolgung, sexuelle Orientierung oder auch die freie Meinungsäußerung als Gründe für Verfolgung gar nicht in unserem Asylrecht etabliert haben. Deshalb hat man in den letzten Jahren immer wieder gefordert, wir müssen das Asylrecht und die Kriterien erweitern. Stattdessen verschärfen wir das Asylrecht.
Herr Ministerpräsident Bouffier, diese Kritik müssen Sie sich schon anhören. Sie sind in diesem Geschäft schon ein alter Hase. Sie waren eine lange Zeit als Innenminister tätig und kennen die Einzelfälle, bei denen es eine schwierige Entscheidungssituation gab. Sie wissen ganz genau, dass viele Schicksale durch das Raster fallen, weil wir unsere Gesetze so gemacht haben, wie wir sie gemacht haben.
Wenn Sie von einer Rückführung oder von einer Rückführungsvereinbarung sprechen, dann müssen wir nochmals zur Kenntnis nehmen, dass wir – beispielsweise mit solchen Ländern wie Syrien – noch sehr lange Rückführungsabkommen hatten, obwohl diese Länder schon längst instabil waren; und trotzdem haben wir Menschen dorthin abgeschoben.
Deswegen warne ich vor diesen Rückführungsabkommen mit Ländern wie eben der Türkei oder den Maghrebländern, die diese Menschen nicht nach den internationalen Menschenrechtsstandards aufnehmen, sondern sie in ihren Ländern weiterhin Repressalien aussetzen.
Hier wird ständig suggeriert, dass, wenn z. B. Abschiebungen nicht stattfinden, der Rechtsstaat in Deutschland versagen würde und Menschen, die zurückzuführen sind, nicht zurückgeführt würden. Auch das ist Quatsch – leider muss
ich das so salopp sagen. Denn immer kann es bei Menschen, auch wenn sie nicht als asylberechtigt anerkannt sind, zielstaatsbezogene Abschiebehindernisse geben. Auch das haben wir im Petitionsausschuss oder in der Härtefallkommission immer gemeinsam miteinander ausbaldowert: warum einer, auch wenn er nach dem Asylrecht kein Bleiberecht erhält, trotzdem nicht abgeschoben wird. Denn internationales oder europäisches Recht sagt, es ist nicht zumutbar, diese Menschen in dieses Zielland abzuschieben, weil sie dort einer besonderen Härte ausgesetzt wären. Das kann man doch nicht alles vom Tisch wischen. Das alles sind rechtsstaatliche Kriterien, die wir miteinander austarieren.
Jetzt aber in das gleiche Horn zu blasen und so zu tun, als ob die Menschen, die eigentlich abgeschoben werden müssten, nicht abgeschoben würden, weil hier die Politik versage – damit fördert man gerade Leute wie die der AfD oder die, die AfD wählen. Meine Damen und Herren, davor aber warne ich.
Deshalb bleibe ich dabei: Es ist verlogen, wenn man auf der einen Seite in Deutschland den Kampf gegen die Scharia ausruft – was ich richtig finde –, auf der anderen Seite aber keine Skrupel davor hat, Frauen oder Menschen in Maghrebstaaten abzuschieben, die teilweise die Scharia in ihrer Verfassung verankert haben.
Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, müssen wir uns sehr genau Gedanken darüber machen und sehen, dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer ein Fehler ist. Definieren Sie lieber Länder, die unsicher sind – damit die Asylverfahren zu diesen Ländern schneller bearbeitet werden. Alles andere ist ein Trugschluss. Kehren Sie bitte zur Vernunft zurück, und machen Sie eine Politik, mit der alle Menschen in Deutschland auch leben können. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In dieser Debatte wird doch zwischen dem einen Teil der Großen Koalition in Berlin und dem anderen Teil der Großen Koalition Berlin etwas widersprüchlich argumentiert.
Entweder bringt die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer in der Praxis überhaupt nichts, weil trotzdem eine individuelle Prüfung erfolgt und weil damit das Grundrecht auf Asyl eben nicht beschnitten wird; so hat Herr Schäfer-Gümbel argumentiert: dass das mitnichten eine Einschränkung sei.