Protocol of the Session on April 21, 2016

Was wir brauchen, ist eine breite Bewegung gegen rechts. Es gibt einen bundesweiten Aufruf „Aufstehen gegen Rassismus“, der von zahlreichen Organisationen sowie von 20.000 Einzelpersonen unterschrieben wurde. Zu den Erst

unterzeichnern gehören unter anderem die SPD-Bundesministerin Manuela Schwesig und die Parteivorsitzenden der LINKEN und der GRÜNEN, prominente Gewerkschafter, Vertreter von Religionsgemeinschaften, Kulturschaffende und Antifa-Gruppen. In diesem Aufruf heißt es – ich komme zum Schluss –:

Wir stehen auf gegen den Rassismus von Pegida, AfD, NPD & Co. … Wir wenden uns gegen Obergrenzen und Grenzschließungen … Wir stehen für eine offene und gerechte Gesellschaft. Wir lassen nicht zu, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden.

(Beifall bei der LINKEN, bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Frau Kollegin Wissler, auf gehts.

Am kommenden Wochenende findet dazu eine bundesweite Aktionskonferenz in Frankfurt statt. Jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen und mitzudiskutieren, wie man der Gefahr von rechts etwas entgegensetzen kann. Ich denke, eine breite gesellschaftliche Bewegung ist dringend nötig; denn nicht nur die Geschichte des NSU hat gezeigt, dass auf Geheimdienste und Sicherheitsbehörden leider kein Verlass im Kampf gegen rechts ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollegin Wissler. – Das Wort hat Abg. Jürgen Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle beobachten mit großer Sorge die wachsende Zahl rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Straftaten in Deutschland. Wir müssen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dafür sorgen, dass Straftäter gefasst werden. Wir müssen aber auch denjenigen entgegentreten, die mit dumpfen Parolen, mit Hass und Gewalt den Boden für diese kriminellen Handlungen bereiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der LINKEN)

Deshalb ist es gut, dass sich Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus engagieren. Es ist gut, wenn sich die Zivilgesellschaft in dieser Frage engagiert. Auch der Aufruf „Aufstehen gegen Rassismus“ ist ein guter Beitrag dazu, wie ich meine.

Es muss uns allen aber darum gehen, das Entstehen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus an den Wurzeln anzupacken. Wer Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit schürt, muss auf den entschiedenen Widerstand der Demokratinnen und Demokraten treffen. Wer Muslime unter Generalverdacht stellt, wer Muslime mit islamistischen Extremisten und Terroristen gleichsetzt, wer eine Glaubensge

meinschaft und eine Religion als Ganzes diskreditiert, befördert Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Genau das tun aber die Rechtspopulisten von der AfD.

Die Freiheit des Glaubens, die Freiheit des Gewissens, die Freiheit des religiösen, weltanschaulichen Bekenntnisses ist Verfassungsgrundsatz und wird in Art. 4 des Grundgesetzes garantiert. Nicht diejenigen, die diesen Verfassungsgrundsatz leben, sind Verfassungsfeinde, sondern diejenigen, die Muslimen in Deutschland das Recht auf freie Religionsausübung absprechen. Das sind die Verfassungsfeinde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Gauland argumentiert, dass der Islam keine Religion ist. Wenn Frau von Storch sagt: „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist“, ist diese Aussage schlichtweg unerträglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

4 Millionen Muslime in Deutschland werden ausgegrenzt, sollen Verfassungsfeinde sein und sind nach Auffassung der AfD nicht Mitglieder unserer freiheitlichen Gesellschaft. Meine Damen und Herren, solche Thesen sind schlichtweg unerträglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wir leben gern in einer freien und offenen Gesellschaft. Die Errungenschaften, die uns letztlich unsere Verfassung, unser Grundgesetz, garantiert, verteidigen wir. Das Zusammenleben hat sich in den letzten Jahren an vielen Punkten verändert. Unsere Gesellschaft ist bunter, offener und toleranter geworden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtspopulisten mit ihrer Ideologie diese Uhr wieder zurückdrehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wenn ich beispielsweise lese, dass die AfD-Landtagsfraktion in Thüringen alle Homosexuellen im Lande zählen lassen will, frage ich mich: Wer ist hier eigentlich Verfassungsfeind?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass sich diese Partei nicht schämt, in einem Land solche Forderungen zu stellen, in dem Homosexuelle schon einmal registriert wurden und in dem Homosexuelle schon einmal einen Rosa Winkel tragen mussten, ist schlichtweg unerträglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos)

Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, wie sie die AfD in ihrem Programm beschreibt. Wir wollen uns nicht

vorschreiben lassen, wie wir leben oder wie wir lieben. Das ist Angelegenheit jedes Einzelnen. Der Glaube ist Privatsache. Da mischt sich der Staat nicht ein.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist Verfassungsauftrag. Das Frauenbild der AfD dagegen ist von vorgestern und stellt viele gesellschaftspolitische und von Frauen hart erkämpfte Errungenschaften zur Disposition. Das wollen wir alles nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Wenn man das Programm der AfD liest, kommt man zu dem Schluss, das Integrationsproblem haben die Damen und Herren der AfD. Die Führungsriege der AfD braucht dringend einen Integrationskurs, und zwar einen Integrationskurs für eine freie und offene Gesellschaft, in der wir leben wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Natürlich müssen wir in einer komplexen Gesellschaft auch über Probleme reden, über Probleme, die mit der Zuwanderung verbunden sind. Natürlich müssen wir Fehlentwicklungen diskutieren. Natürlich müssen sie auch benannt werden. Natürlich muss sich jeder, der in unserem Land lebt, an unsere Gesetze und an unsere Verfassung halten. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Aber darum geht es der AfD im Kern nicht. Der AfD geht es nicht um Lösungen möglicher Probleme oder um das Beheben von Fehlentwicklungen. Der AfD und ihrem Spitzenpersonal geht es um die öffentliche Wirkung, um die Schlagzeile und darum, Hass und Gewalt zu säen. Sie setzt gezielt auf Provokation und bespielt das Thema Islam ganz bewusst. Frau von Storch, die stellvertretende Vorsitzende, analysiert ganz kühl – das ist in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen –:

„Asyl und Euro sind verbraucht, bringen nichts Neues“ … der Islam und seine Bekämpfung, ein Thema, das laut Storch bestens für die „Außenkommunikation“ geeignet sei.

Das ist die perfide Strategie der AfD. In unserem Land gegen Muslime zu hetzen, ist eine gezielte Provokation, der wir uns alle entgegenstellen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Die AfD ist ein geistiger Brandstifter. Sie vergiftet das Klima in unserem Land, und deshalb ist es wichtig, dass Politiker und die Zivilgesellschaft gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit aufstehen und Flagge zeigen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, ich habe keine Wortmeldung mehr vorliegen.

(Wortmeldung des Abg. René Rock (FDP))

Na ja, bis auf Herrn Kollegen Rock, Seligenstadt. Der Kollege René Rock, FDP, Seligenstadt, hat jetzt trotzdem das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, es gibt keinen Dissens in der Bewertung von Extremismus, Rassismus und Verfassungsfeinden. Es gibt keinen Dissens in diesem Haus bei der Frage, wie politische Gruppierungen mit religiösen Gruppierungen und Minderheiten umgehen, mit der Diskriminierung, die sich immer wieder in einigen Programmen findet. Es gibt in diesem Hause, glaube ich, auch keinen Dissens bei der Frage, wie Äußerungen des Führungspersonals der AfD eingeschätzt werden. Auch bei uns, den Freien Demokraten, gibt es große Bedenken in Bezug auf die Fragen: Was wird in den Gremien der AfD geäußert, und steht diese Partei überhaupt auf dem Boden des Grundgesetzes? Auch die Behörden in Deutschland müssen ein Auge darauf haben, welche Entwicklung diese Partei macht, weil einem angst und bange werden kann, wenn man hört, was dort geäußert wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir sollten auch eines nicht vergessen: Wir leben in einem Land, das in einer Zeit großer Herausforderungen Unglaubliches geleistet hat. Wir leben auch in einem Land, in dem Bürgerinnen und Bürger gezeigt haben, welches gesellschaftliche Engagement in diesem Land möglich ist. Ich glaube, viele, die in der Politik aktiv sind, haben sich verwundert die Augen gerieben, als Hunderte von Bürgerinnen und Bürgern, Tausende in Hessen, aufgestanden sind und Hilfe geleistet haben. Das ist Deutschland, auch das ist unser Land. Darum sollten wir nicht nur einseitig die Menschen betrachten, die in diesem Land Dinge äußern, die aus meiner Sicht nicht in die Mitte der Gesellschaft gehören, sondern an den Rand, wo sie auch sind und bleiben müssen.

Darum glaube ich, dass es auch wichtig ist, sich mit den Ursachen dieses Erstarkens der AfD auseinanderzusetzen. Eine Ursache des Erstarkens ist womöglich auch, dass Menschen in unserem Lande Angst haben. Wir haben nicht 10 oder 15 % der Wählerinnen und Wähler in Hessen, die plötzlich rechtsradikal sind. Wir haben nicht 10 oder 15 % der Wählerinnen und Wähler in Hessen, die urplötzlich islamfeindlich geworden sind oder homosexuelle Menschen verfolgen wollen, sondern es gibt Menschen, die in unserem Land Angst haben. Es gibt eine Partei, und es gibt Gruppierungen, die die Angst dieser Menschen ausnutzen und versuchen, ihr ein Ventil zu geben. Es ist die Aufgabe der demokratischen Parteien, diese Menschen für unser System zurückzugewinnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Zurückgewinnen dieser Menschen für unser System besteht auf der einen Seite in dem, was wir auch heute machen, zu verdeutlichen, was die Parteien, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, von denen unterscheidet, die radikale Parolen verbreiten und versuchen, die Ängste der Menschen auszunutzen. Aber es ist auch unsere Aufgabe, den Menschen Lösungen aufzuzeigen und bei diesen Vertrauen auszulösen, die sich jetzt vielleicht abgewendet haben. Es sind aus allen Parteien Wählerinnen und Wähler gewechselt – mal mehr, mal weniger. Aber das heißt für

uns alle: Wir müssen wieder mehr Vertrauen erzeugen. Das gilt natürlich an erster Stelle – das meine ich jetzt nicht als politischen Diskurs – für die Bundesregierung, die klarmachen muss, dass die Probleme gelöst werden.

Mittlerweile ist da einige Beruhigung zu erkennen, aber wir sind noch lange nicht auf einem wirklich guten Weg. Darum ist es richtig, heute an den Äußerungen der AfD, an dem, was sie verbreitet, Kritik zu üben und über die Angst, dass Rassismus und Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft Boden gutmachen könnten, zu diskutieren. Aber unsere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, sind einfach, die Menschen wieder zurückzugewinnen.

Wir wissen auch, dass die AfD aus dem politischen Spektrum eigentlich schon fast verschwunden war und es erst durch eine Krise, die in unserem Land ausgelöst worden ist und viele positive Begleitumstände gezeigt hat, geschafft hat, wieder auf die politische Bühne zurückzukehren. Ich glaube nicht, dass wir uns der Hoffnung hingeben können, dass sie allein durch die Bewältigung dieser Krise wieder verschwinden wird. Wir müssen als demokratische Parteien versuchen, diese Menschen, die wir momentan verloren haben, wieder zurückzugewinnen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)