Protocol of the Session on March 10, 2016

Um kurz auf den Antrag der LINKEN einzugehen: Wenn man ihn überfliegt, wird jedem Fachpolitiker im Sozialbereich klar, dass alle sozialen Standards, die hier einmal geschaffen wurden, gefallen sind – ich brauche nur von den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu sprechen. Ich hoffe, die Standards sind nicht dauerhaft gefallen. Wenn wir uns die Betreuung der Minderjährigen anschauen, dann sehen wir auch Fälle, in denen minderjährige Flüchtlinge einfach weg sind – um es einmal vorsichtig auszudrücken. Das sind Themen, die ich mir vor drei Jahren, wenn wir das damals diskutiert hätten, so nicht hätte vorstellen können.

(Beifall bei der FDP)

Wir alle wissen, dass das Problem faktisch nicht einfach zu lösen ist. Ich habe einmal einen Brief an den Minister geschrieben – das ist kein Vorwurf an die Landesregierung –, als ich mich über den Landrat aufgeregt habe. Ich habe jetzt das Briefeschreiben eingestellt. Wir alle müssen in dieser Situation bereit sein, das, was an Ressourcen da ist, einzusetzen und Stück für Stück aufzubauen, um die Situation zu bewältigen.

Aber gerade bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen haben wir keinen Fortschritt erzielt. Aus meiner Sicht waren wir da schon einmal weiter. Wenn ich lesen muss, dass es im BAMF immer noch nicht möglich ist, mehr Anträge abzuarbeiten, als dort auflaufen, dann ärgern einen solche Dinge einfach. Das kann man nach einem halben Jahr vor Ort nur schwer erklären. Ich glaube, viele hier im Raum teilen das.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt ist meine Redezeit zu Ende.

In der Tat. Ich wollte gerade darauf hinweisen.

Ich bin leider am Ende. Das ist schade, weil man zu dem Thema noch viel mehr sagen könnte. – Das Gesetz ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube, wir können uns nicht dauerhaft zusätzliche Investitionen in diesem Umfang leisten. Aber jetzt ist das notwendig. Es ist der richtige Weg, wenn wir das heute mit breiter Mehrheit beschließen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Goldbach, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, hat der Vogelsbergkreis im Jahr 2014 beschlossen, eine Normenkontrollklage gegen das Land Hessen einzureichen, um die volle Übernahme der Unterbringungskosten für Flüchtlinge zu erreichen. Ich habe mich damals im Vogelsbergkreis dagegen ausgesprochen und dafür auch Kritik geerntet.

Aber heute kann ich sagen, dass das richtig war, und zwar aus verschiedenen Gründen: zum einen, weil es unklar war, ob diese Klage überhaupt Erfolg haben würde, aber den Vogelsbergkreis zunächst einmal Geld gekostet hat – der Kreis hat dann seine Klage auch zurückgezogen –, zum Zweiten, weil das Land Hessen zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt hatte, mit den Kommunalen Spitzenverbänden weitere Verhandlungen über eine Erhöhung der Pauschalen zu führen.

(Timon Gremmels (SPD): Ja, das ist so!)

Für Verhandlungen ist es nicht gerade förderlich, wenn einer der Partner am Verhandlungstisch gegen einen anderen klagt. Aber der wichtigste Grund ist: Ich bin der Meinung, dass in einer so wichtigen Frage wie der Integration und Unterbringung von Flüchtlingen eine einvernehmliche Lösung zwischen Land und Kommunen bzw. den Kommunalen Spitzenverbänden der einzig richtige Weg sein kann. Gerade da sollten wir uns nicht an überflüssigen Fronten gegenseitig bekämpfen, sondern zur Bewältigung dieser großen gesellschaftlichen Aufgabe zusammenarbeiten.

Jetzt liegt uns ein Gesetzentwurf vor. Er bietet eine sehr gute Lösung für die Finanzierung der Unterbringungen in den Kommunen. Es freut mich und uns besonders, dass es ein gemeinsamer Gesetzentwurf von CDU, SPD und GRÜNEN ist und dass die anderen Fraktionen angekündigt haben, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Das ist der Sache angemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir haben im Vergleich mit den anderen Bundesländern fast die höchsten Zuweisungen an die Kommunen. Nur Bayern liegt höher. Das ist allerdings nicht direkt vergleichbar, weil Bayern ein anderes System hat; dort erfolgen die Aufgabenerledigung und Kostenkontrolle auf einer anderen staatlichen Ebene, dort errichten und betreiben die Regierungsbezirke Gemeinschaftsunterkünfte. Wir Hessen liegen wirklich sehr weit vorne mit der Finanzierung unserer Kommunen.

Mit der finanziellen Ausstattung ist es aber nicht getan. Das ist der wesentliche Punkt, und das haben meine Vorredner auch gesagt. In den Kommunen fängt die Arbeit erst an, wenn die Flüchtlinge dorthin kommen. Wir wissen, was dann passiert. Es kommen Menschen dorthin, die uns in den Städten und Gemeinden aufgrund ihrer Sprache und Kultur erst einmal fremd sind. Umgekehrt sind auch wir ihnen durch unsere Kultur, Sprache und Lebensweise fremd. Das sorgt erst einmal für Verunsicherung auf beiden Seiten. Da hilft das gegenseitige Kennenlernen, nämlich zu sehen, wie die anderen leben und denken. Dann

wollen wir langsam zusammenwachsen: wir, die schon länger hier leben, und die, die neu dazukommen. Wir wollen gemeinsam eine neue Gesellschaft bilden.

Diese Gesellschaft wird sich verändern. Sie wird nicht so bleiben wie bisher. Aber es ist auch klar: Diese Gesellschaft wird weiterhin auf den Grundfesten stehen, auf denen sie jetzt steht, nämlich auf unserem Grundgesetz und Wertesystem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Für uns Politiker bleibt das eine große Aufgabe, ganz besonders nach dem Ergebnis der Kommunalwahl. Wir sollten nicht nur sagen: „Wir schaffen das“ – da sind wir ganz auf der Seite der Kanzlerin –, sondern wir sollten auch sagen, wie wir das schaffen. Wir müssen den Menschen immer wieder erklären, warum es richtig ist, die hier ankommenden Flüchtlinge zu integrieren. Wir müssen ihnen sagen, dass wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben und dass wir Gastarbeiter als Gäste behandelt haben, obwohl sie schon längst Mitglieder unserer Gesellschaft waren. Wir sollten diese Fehler nicht wieder machen und sollten sagen: Unsere Gesellschaft braucht auch Zuwanderung. Zahlenmäßig gesehen sind wir ein Auswanderungs- und kein Einwanderungsland.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Wir können alle Menschen, die herkommen, nur begrüßen – weil wir sie brauchen. Wir haben eine Überalterung. Das wissen wir alles. Flüchtlinge sollen nicht die Reservearmee für unseren Arbeitsmarkt sein; aber unsere Gesellschaft kann nur weiter bestehen und sich weiterentwickeln, wenn Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir es schaffen, zusammen mit allen demokratischen Parteien, mit den Kommunen, dem Bund und dem Land an dieser Aufgabe so zu arbeiten, wie wir das angefangen haben, dann werden wir diese große Aufgabe auch bewältigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Sozialminister, Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Interesse der Kommunen ist es gut, dass sich der Hessische Landtag auf ein sehr verkürztes Gesetzgebungsverfahren verständigt hat, sodass das Ergebnis der Verhandlungen über die Pauschalen nun auch zügig umgesetzt werden kann. Diese Verhandlungen mit den Kommunen haben mehr oder weniger das gesamte Jahr 2015 in Anspruch genommen.

Wie Herr Kollege Merz möchte auch ich das zum Anlass nehmen, um ein paar Dinge zu sagen, die einem sonst viel zu leicht aus dem Gedächtnis geraten, auch wenn das gar nichts mit der gegenwärtigen internationalen Situation zu tun hat – da teile ich Ihre Auffassung, und ich teile auch die Kritik, den Appell, den Sie an dieser Stelle getätigt haben.

(Beifall des Abg. Michael Boddenberg (CDU) und bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings will ich sehr klar und deutlich sagen: Ich bin schon stolz darauf, was wir mithilfe der Zivilgesellschaft, der kommunalen Seite, aber auch als Land im Jahr 2015 da geschafft haben. In der letzten Woche habe ich alle Einrichtungsleiter zu einer Sitzung zusammengerufen und versucht, ihnen neben dem Dank, den ich ihnen zum Ausdruck gebracht habe, die Situation ein bisschen dadurch zu beschreiben, dass ich gesagt habe, das Jahr 2015 war für uns eher das Jahr der Improvisationen bei dieser Problembewältigung; denn es gab keinen Masterplan, keine Blaupause, und vieles konnten wir nicht machen, was wir, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, vielleicht auch ein bisschen anders auf den Weg gebracht hätten. Aber wenn 2015 das Jahr der Improvisation war, dann ist dieses Jahr das Jahr der Struktur.

Zum Punkt Struktur gehört es logischerweise auch, gemeinsam mit den Kommunen zu überlegen, an welchen Stellen wir gemeinsam Fortschritte bei der Aufnahme, Versorgung und Integration erzielen können. Wenn wir es geschafft haben, zum kalendarischen Winteranfang keine Zeltplätze mehr zu haben, wenn wir es geschafft haben, im Januar die Turn- und Sporthallen ihrer Nutzung wieder zurückzugeben, wie wir das gesagt haben, wenn die Kommunen das wollen und das Land sie nicht mehr nutzt, und wenn wir momentan in einer Situation sind, dass wir sämtliche einmal als Notunterkünfte akquirierten Liegenschaften in eine Landesregie übernommen haben, sofern die Kommunen sie uns anbieten wollten, dann sieht man, dass wir auf einem guten Weg sind, diese Strukturen zu schaffen, die wir brauchen.

Ich bin auch der festen Überzeugung, wir müssen jetzt die Zeit einer Atempause, in der tatsächlich die Zahlen der Flüchtlinge und Asylsuchenden, die zu uns kommen, relativ niedrig sind, nutzen, um genau solche Strukturen zu schaffen. Dann sind wir für den Fall gewappnet, dass diese Zahlen wieder ansteigen, und dann können wir mit der kommunalen Familie arbeiten, ohne auf Katastrophenschutzeinsatzbefehle oder anderes zugreifen zu müssen. Gerade sind wir dabei, diese Strukturen zu schaffen.

Damit Kommunen dabei auch die Möglichkeit haben, ihren Aufgaben mit der erforderlichen finanziellen Dotation nachzukommen, war es so wichtig, diese Pauschalen anzupassen.

An dieser Stelle möchte ich auch sagen: Das war ein Lernprozess für die kommunale Familie. Mit diesem Gesetz wird erstmals eine Zweistufigkeit der Pauschale eingeführt, und zwar je nachdem, ob sie bereits Leistungen nach dem SGB II bezogen haben oder nicht. Gegenüber den Kommunen wurde schon deutlich, dass es für einen großen Teil der Asylsuchenden und Flüchtlinge, die bei ihnen aufgenommen worden sind, eine mehr als auskömmliche Finanzierung gegeben hat.

Zum 1. Januar haben wir die betreffenden Zahlen angefordert, und unsere Prognosen bestätigen sich, dass im Landesdurchschnitt zwischen 18 % und 20 % der Asylsuchenden, die zu uns kommen, Leistungen nach dem SGB II beziehen.

(Norbert Schmitt (SPD): Warten wir erst einmal den Bericht ab!)

Nein, Herr Schmitt, wir haben doch die Zahlen von den Kommunen. Die haben sie uns gemeldet. Da muss ich nicht auf einen Bericht des Landesrechnungshofs warten, sondern ich muss mir nur die Zahlen der Kommunen ansehen; denn ausschließlich auf dieser Grundlage bekommen sie die Pauschalen ausbezahlt. An dieser Stelle brauche ich den Landesrechnungshof nicht.

Der Landesrechnungshof hat in seinem Bericht durchaus auf dieses Phänomen hingewiesen, aber die Zahlen waren ihm nicht bekannt. In der Zwischenzeit haben wir diese Zahlen; denn auf ihrer Grundlage erfolgen die Pauschalzahlungen. 18 % bis 20 % im Landesdurchschnitt ist eine relativ hohe Quote. Dabei gibt es durchaus einzelne Ausreißer, bei denen diese Quote bei 70 % oder 75 % gelegen hat.

In diesem Diskussions- und Abstimmungsprozess ist schon sehr deutlich geworden, dass wir zu vernünftigen Lösungen gelangen, wenn wir versuchen, uns um der Sache willen zu einigen, damit jeder seine Aufgaben bewältigen kann. Das ist in dieser Vereinbarung über die Pauschalen auch auf den Weg gebracht worden. Wenn das jetzt Gesetzeskraft erlangt, dann können die Kommunen auf dieser Grundlage die erhöhten Pauschalen erhalten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ernst-Ewald Roth und Marius Weiß (SPD))

Herr Minister, vielen Dank. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Wir haben jetzt zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu beschließen, Drucks. 19/3176. Wer stimmt zu? – Das ganze Haus, das ist einstimmig.

Was machen wir mit dem Entschließungsantrag? Der geht in den Ausschuss?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja!)

Der Entschließungsantrag unter Tagesordnungspunkt 25 wird dem Ausschuss überwiesen.

Jetzt kommen wir zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen und anderen ausländischen Personen. Wer in zweiter Lesung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Wer ist dagegen? – Keiner. Wer enthält sich? – DIE LINKE. Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen und zum Gesetz erhoben. Herzlichen Dank.

(Beifall des Abg. Horst Klee (CDU))

Ja, da kann man klatschen.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Landeshaushaltsordnung (LHO) – Drucks. 19/3166 zu Drucks. 19/1858 –

zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 60: