Protocol of the Session on June 25, 2014

Herr Boddenberg, das ist „sehr gut“. – Das eigentliche Thema, um das es geht und das Sigmar Gabriel und die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteivorsitzenden in Frankreich zum Thema gemacht haben, ist, wie wir mit dem Umstand umgehen, dass beispielsweise in den Ländern Südeuropas inzwischen bis zu 60 % der unter 25-Jährigen ohne Arbeit und Ausbildung sind, dass viele darüber hinaus ohne Arbeit und Ausbildung sind, und wie wir angesichts dieser sozialen Krise, die zunehmend zu einer politischen Krise wird, zu einer Kurskorrektur kommen, zu einem Politikwechsel in Europa.

(Michael Boddenberg (CDU): Das liegt aber nicht am Geld!)

Herr Boddenberg, diesen Politikwechsel haben wir – „wir“ heißt an dieser Stelle: Union, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – im Sommer 2013 im Übrigen im Deutschen Bundestag gemeinsam verabredet, indem wir nämlich im Begleitbeschluss des Fiskalpaktes ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass wir für Europa dringend Wachstumsimpulse brauchen, damit Arbeit und Ausbildung gerade auch in Krisenländern entstehen können.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Das kann man nicht mit Geld heilen!)

Da Sie genauso wissen wie ich, dass die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise nicht vorbei ist und dass uns die Auswirkungen noch sehr lange beschäftigen werden, ist diese Debatte zwingend notwendig. Deswegen hat Sigmar Gabriel als Vizekanzler in den Debatten der letzten Tage darauf hingewiesen, dass wir nicht nur über einen Stabilitätspakt reden, sondern dass der Stabilitätspakt ganz ordentlich und vollständig „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ heißt, und dass wir darauf dringen, dass er vollständig angewendet wird und nicht nur auf einige Punkte reduziert wird. Das ist in der Formel zusammengebunden worden: Dringend notwendige Reformen gegen mehr Zeit für den Defizitabbau. Das ist der Kern dessen, was dort zum Thema gemacht wurde.

(Beifall bei der SPD)

Ehrlich gesagt ist es das, was wiederum mit der CDU, der FDP und an dieser Stelle ohne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aber mit der Sozialdemokratie im Jahre 2011 im Hessischen Landtag mit Blick auf das Konjunkturprogramm, auf Wachstumsimpulse passiert ist, mit dem wir angesichts der Krise versucht haben, Arbeit und Ausbildung auch in Hessen zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist die Debatte über Konsolidierung und Investitionen zwingend notwendig. Wir wollen, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt vollständig angewendet wird und nicht nur in Teilen.

(Holger Bellino (CDU): Das haben wir doch gemacht!)

Deswegen will ich zum Schluss sagen – Herr Boddenberg, diese Aktuelle Stunde hätten Sie sich in der Tat sparen können, wenn Sie gewusst hätten, was die Kanzlerin gestern sagen würde –:

(Holger Bellino (CDU): Nein, nein!)

Wir werden die Debatte um den Wachstums- und Stabilitätspakt ehrlich führen müssen. Die einen haben in der Vergangenheit in der Tat zu stark und einseitig über Sparpolitik geredet. Die anderen haben entschieden zu wenig über Reformen geredet. Beides muss sich aus unserer Überzeugung ändern. Wenn wir nämlich in Europa nicht mehr Arbeit und Ausbildung schaffen, werden die Europafeinde wie Frau Le Pen am Ende in die Regierungszentralen einziehen. Und das sage ich Ihnen: Das wird Europa am Ende teurer kommen als der Grundsatz Reformen und mehr Zeit bei den Sparwegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Hammann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs hat gestern begonnen. Im Vorfeld gab es ein Treffen der sozialistischen Staats- und Regierungschefs in Frankreich, und man hat eine Debatte über den Stabilitätspakt losgetreten. In dieser Debatte ging es um ein mögliches Aufweichen dieses Stabilitätspakts; sie wollen eine flexiblere Auslegung der Regeln zum Defizitabbau in Europa.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nichts Anrüchiges, wenn man über eine Entwicklung in Europa spricht, wenn man weiß, dass es Länder gibt, die krisengeschüttelt sind, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit haben.

Diese Diskussion hat Begehrlichkeiten in vielen Mitgliedstaaten geweckt. Man hat auch eine Diskussion geschürt, die da heißt: Möglicherweise können wir am Stabilitätspakt wieder etwas verändern. – Da sage ich Ihnen: Das ist schon ein Problem. Dieser Eindruck darf natürlich nicht entstehen.

Die Problematik der Arbeitslosigkeit, insbesondere der hohen Jugendarbeitslosigkeit, wurde eben angesprochen: 60 % in einigen Mitgliedstaaten. Das darf uns nicht ruhen lassen. Das ist etwas, das uns auch umtreibt und wo wir Sorge haben. Die Diskussion um den Stabilitätspakt ist dabei aber die falsche Diskussion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es wäre ein fatales Zeichen und würde die Glaubwürdigkeit unserer europäischen Krisenpolitik beschädigen. Sie wissen alle, erst 2011 wurde der Stabilitätspakt reformiert. Die Diskussion ist an dieser Stelle absolut unnötig. Ich kann mich deswegen auch nur unserem Bundesvorsitzen

den Cem Özdemir anschließen. Er bezeichnet diese Debatte um ein Aufweichen des Stabilitätspakts als „Placebo, das Europa nicht weiterbringt“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir sind uns einig darüber, dass Europa die Wirtschaftsund Finanzkrise längst noch nicht überwunden hat. Es besteht aber kein Grund, dass wir jetzt am Stabilitäts- und Wachstumspakt in seiner jetzigen Form irgendetwas verändern.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das will auch keiner!)

Ich sage auch noch einmal, warum ich das denke. Wachstumsfördernde Investitionen und größere Strukturreformen sind nach dem derzeitigen Regelwerk bereits möglich. Die derzeit geltenden Verfahren und Regeln sind genügend flexibel. Auch die konjunkturelle Lage eines Mitgliedstaates wird bei der Ausgestaltung des Schuldenabbaupfades berücksichtigt. Insofern ist die Diskussion um eine mögliche Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts eine falsche Diskussion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wachstum auf Pump um jeden Preis, das funktioniert nirgends mehr. Wir brauchen Haushaltsdisziplin. Haushaltsdisziplin ist mit Blick auf die nachfolgenden Generationen das Gebot der Stunde. Deswegen müssen alle EU-Staaten den Mut aufbringen, unsinnige Aufgaben zu hinterfragen. Ich sage auch ganz deutlich: Es ist notwendig, dass die Korruption eingedämmt wird, bei der sich Wenige in unglaublicher Weise auf Kosten Vieler bereichern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist ebenfalls absolut wichtig, dass wir in Europa gemeinsam Steuerhinterziehung und Steuerbetrug bekämpfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das ist die Diskussion, die wir zu führen haben. Dieser notwendige Kampf gegen Verschwendung, Korruption und Steuervermeidung hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Stabilitätspakt zu tun. Dieser Kampf bringt genügend Mehreinnahmen, um die dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen in den Krisenländern Europas zu finanzieren.

Wir brauchen Investitionen in die Bildung junger Menschen. Es darf nicht passieren, dass in den Krisenländern eine halbe Generation in Arbeitslosigkeit und Resignation versinkt. In der gesamten EU stehen darüber hinaus große Investitionen an: in den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und in eine nachhaltige Energie- und Verkehrswirtschaft. Das muss gemeinsam gestemmt werden. Eine Diskussion um die Aufweichung des Stabilitätspakts ist dabei in keiner Weise hilfreich.

Kurz zusammengefasst: Strukturreformen und wachstumsfördernde Investitionen sind nicht nur nötig, sie sind auch nach dem derzeitigen europäischen Regelwerk möglich. Dabei wird die konjunkturelle Lage eines Mitgliedstaates bei der Ausgestaltung des Schuldenabbaupfades berücksichtigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben die Möglichkeiten. Lassen Sie uns diese Probleme gemeinsam

angehen. Lassen Sie uns nicht über eine Diskussion der möglichen Aufweichung eines Stabilitätspakts ereifern. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Viele werden sich noch an die Diskussionen der Jahre 2009 und 2010 im Vorfeld der Begründung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes erinnern. Warum sind die Staaten Europas denn dazu gekommen, Veränderungen ihrer rechtlichen Regeln rund um staatliche Finanzierung mit einem unglaublich schnellen Tempo umzusetzen? Weil im Nachzug der Finanzmarktkrise der Jahre 2008/2009 zunehmend an den internationalen Kapitalmärkten Zweifel daran aufkamen, ob die Staaten Europas – einige, vielleicht sogar in Summe – für die Zukunft in der Lage sein würden, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen.

Es waren nicht nur die anonymen Kapitalmärkte, sondern insbesondere in den USA große Pensionsfonds, die die Rentenleistungen für Millionen von Rentnerinnen und Rentnern zu verwalten haben, die die schlichte Entscheidung getroffen haben: Bevor wir nicht sicher sind, ob die Europäer ihre Probleme in den Griff bekommen, investieren wir nicht mehr in europäische Staatsanleihen.

Im Kern war es eine Frage des Vertrauens, ob die Europäer ihre Probleme in den Griff bekommen können. Es gab bereits seit 1993 Regeln, beginnend mit den Maastrichter Verträgen. Als es ernst wurde, haben Deutschland und Frankreich damit begonnen, diese Regeln zu brechen. Mancher erinnert sich noch an die Heldenpose des damaligen Bundeskanzlers, als er zurückkam und erreicht hatte, dass es keine Sanktionen zulasten Deutschlands gab. Wahrscheinlich war das der größte europapolitische Fehler der letzten 20 Jahre.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

So hatte man praktisch ein Déjà-vu. Es gibt wieder Länder Europas, die Probleme haben, obwohl sie wenige Jahre zuvor die Verabredungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts unterzeichnet haben. Übrigens gibt es keinen Widerspruch: Stabilität und Wachstum gehören zusammen. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es gibt keine Stabilität ohne Wachstum und kein Wachstum ohne Stabilität. Beides gehört zusammen, darum müssen wir uns kümmern.

(Beifall bei der CDU)

Warum Déjà-vu? Kaum hatten sozialistische Regierungen in Europa ein Problem, treffen sie sich im Kreis der Sozialisten gemeinsam mit Herrn Gabriel und erklären, dass die Regeln geändert werden müssen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen.

(Nancy Faeser (SPD): Das stimmt doch gar nicht! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist gelogen!)

Wir brauchen Vertrauen in die Regeln und in die Politik, dass sie sich an die Regeln hält, die sie sich gegeben hat. Sie darf nicht die Regeln dann ändern, wenn es Probleme gibt.

(Beifall bei der CDU – Günter Rudolph (SPD): Sie haben ein Problem mit der Wahrheit!)

Herr Rudolph, Sie haben immer ein Problem mit der Wahrheit, und dann werden Sie laut.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das sagen ausgerechnet Sie! – Günter Rudolph (SPD): Die Schwarzgeldpartei!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass von Deutschland – –