Protocol of the Session on February 1, 2018

Neben den klassischen Tarifverträgen können dabei flexible Tarifverträge, also solche mit Öffnungsklauseln, die eine Anpassung an die betriebliche Situation ermöglichen, sicherlich die Betriebsbindung steigern. Die Antwort der Landesregierung ist ganz klar ein Faktum und deutet kein Desinteresse an. In beiden Fällen ist die Antwort der Landesregierung klar und eindeutig: Sie mischt sich nicht in die Tarifautonomie ein, sondern beachtet die Rechte der Tarifpartner und sieht sogar die Öffnungsklauseln als eine mögliche Weiterentwicklung in der Tarifwelt an.

Ich möchte zwei Punkte aus den Antworten der Hessischen Landesregierung herausgreifen, die ich als besonders interessant empfunden habe. Dies betrifft erstens die Tarifbindung nach Betrieben. In Gesamtdeutschland sind 45 % aller Betriebe tarifgebunden. In Hessen sind es 49 %.

Dies betrifft zweitens die Tarifbindung nach Arbeitnehmern. In ganz Deutschland sind 46 % aller Arbeitnehmer tarifgebunden. In Hessen sind es 55 %.

Somit ist festzustellen, dass in Hessen die Tarifbindung über dem Durchschnitt der Bundesrepublik liegt. Dieses Ergebnis verändert sich auch nicht, wenn man nur das frühere Bundesgebiet betrachtet. Insoweit kann ich mit Fug und Recht feststellen, dass im wirtschaftsstarken Hessen auch die Arbeitnehmerrechte stärker sind als in anderen Teilen des Landes.

Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Aspekt der Tarifbindung zu sprechen kommen. Tarifbindung setzt voraus, dass Arbeitgeber einem Arbeitgeberverband und Arbeitnehmer einer Gewerkschaft angehören. Sie fassten das vorhin zusammen unter dem Stichwort „starke Gewerkschaften“. Bei dieser Betrachtung ist festzustellen, dass immer mehr Arbeitgeber dazu neigen, keinem Arbeitgeberverband beizutreten oder sich dem Bereich zu entziehen, für welchen die Tarifbindung gilt. Das halte ich für bedauerlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Allerdings ist auch die Zahl der gewerkschaftlich gebundenen Arbeitnehmer zurückgegangen. Waren im Jahr 2000 noch 7,7 Millionen Mitglied in den DGB-Gewerkschaften, sind es 2017 nur noch rund 6 Millionen – dies bei gleichzeitig steigender Beschäftigung. Immer mehr Arbeitnehmer haben sich also entschieden, entweder keiner Gewerkschaft beizutreten oder sogar aus ihr auszutreten. Auch dies halte ich für bedauerlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf beiden Seiten der Tarifpartner zeigt sich ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, sich in Verbänden, Vereinen oder Parteien – von temporären Sondererscheinungen abgesehen – zu binden. Das ist ein Problem, das wir bekanntermaßen alle beklagen, gegen das wir aber allesamt noch keine wirkliche Lösung gefunden haben.

Zusammenfassend kann ich feststellen: Klar ist, die Landesregierung wertet die Tarifautonomie als hohes Gut und mischt sich in keine Tarifbindung ein. Den Arbeitnehmern in Hessen geht es gut. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht der Abg. Rock für die Fraktion der Freien Demokraten. Bitte sehr.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion und die Antwort der Landesregierung dürften niemanden, der sich mit diesem Thema beschäftigt, in irgendeiner Weise überrascht haben. Vielleicht ist noch hervorzuheben, dass es schön war, dass die eine oder andere Prozentzahl konkretisiert worden ist.

Man fragt sich allerdings, warum uns das beantwortende Ministerium den Hinweis gegeben hat, wo wir Daten finden können. Vielleicht hätten Sie das auch einmal selbst nachschauen und in die Antwort hineinschreiben können. Damit hätte man dem Servicegedanken Rechnung getragen. Es ist aber jedes Ministers Glück, wie er an dieser Stelle mit dem Parlament umgeht.

Zur Frage der Wirkung von Tarifverträgen gibt es die eine oder andere Studie von gewerkschaftsnahen Stiftungen. Man könnte sich durch eine Studie die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu Gemüte führen. Wir wissen natürlich, dass sich die Tarifbindung durch den Tarifvertrag auswirkt. Wir wissen natürlich auch, dass das eine gewisse Signalwirkung für den Arbeitsmarkt hat.

Im Hinblick auf die Frage, wie sich der Arbeitsmarkt weiterentwickelt und wie man überhaupt noch Fachkräfte gewinnen kann, wäre es interessant, zu sehen, wie ein Tarifvertrag ein Datum setzt oder Auswirkungen hat, sodass auch für nicht tarifvertraglich gebundene Unternehmen ein Standard gesetzt wird. Das wäre eine aus meiner Sicht interessante Frage, die man bei einer Ihrer gewerkschaftsnahen Stiftungen in Auftrag geben könnte.

Im Übrigen war die Erkenntnis, die man aus dieser Großen Anfrage ziehen konnte, für mich sehr überschaubar. Es wurde festgestellt, dass die Energieversorger und die Chemieindustrie einer anderen Tarifbindung unterliegen. Das hat mich alles nicht überrascht. Interessant war vielleicht die eine oder andere Prozentzahl, die eine Vermutung bestätigt hat. Ansonsten war diese Anfrage für uns nicht notwendig, um erkennen zu können, wie es um die Tarifsituation in Hessen steht. – Herzlichen Dank, dass ich um diese Uhrzeit noch etwas dazu sagen durfte.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als Nächste hat Frau Kollegin Kinkel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Gelegenheit, etwas zu der Sache zu sagen. Bitte sehr.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Decker, herzlichen Dank für diese Große Anfrage, wobei wahrscheinlich auch Sie zugeben müssen, dass sich unser Erkenntnisgewinn in Grenzen hält.

(Wolfgang Decker (SPD): In der Tat! – Heiterkeit bei der SPD)

Zu Ihren Ausführungen möchte ich eines sagen. Es kam deutlich heraus, dass für das offizielle Tarifregister der Bund zuständig ist. Ich persönlich sehe keinen Sinn darin, dass wir durch ein hessisches Tarifregister zusätzliche, unnötige Doppelstrukturen schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Alle Daten, die Sie haben wollten, sind beispielsweise beim Statistischen Bundesamt leicht verfügbar. Würden wir in Hessen ein zusätzliches Tarifregister einrichten, dann würde das keinem einzigen Beschäftigten eine Tarifbindung verschaffen. Das müssen auch Sie einsehen, Herr Decker.

Wir GRÜNE wollen, dass der Arbeitsmarkt boomt und vielfältig bleibt. Wir wollen unterschiedliche Beschäftigungsformen haben, die für unterschiedliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren verschiedenen Lebenslagen und auch für die jeweiligen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber passen. Dafür braucht es stabile Leitplanken, die vor Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen wirksam schützen.

Wir GRÜNE wollen das Tarifsystem stärken und den Umfang des Niedriglohnsektors reduzieren; denn gegen niedrige Löhne helfen am besten gute Tarifabschlüsse. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass wieder mehr Beschäftigte nach Tarif entlohnt werden. Hier gab es in den letzten Jahrzehnten bundesweit eine besorgniserregende Entwicklung. Der Anteil der Beschäftigten mit tariflichen Löhnen ist bundesweit von ca. 80 % zu Anfang der Neunzigerjahre auf heute 46 % gefallen. Immerhin etwas besser und über dem Schnitt der alten Bundesländer liegt die Quote der Tarifbeschäftigten in Hessen, die 50 % beträgt.

Menschen, die in tarifgebundenen Beschäftigungen arbeiten, verdienen ca. ein Fünftel mehr als diejenigen, die in anderen Betrieben angestellt sind. Außerdem sind diejenigen, die nach Tarif arbeiten, wirksamer vor Altersarmut geschützt. Auch könnte der unternehmerische Wettbewerb sehr viel fairer gestaltet werden, wenn mehr Unternehmen nach Tariflohn zahlen würden. Es spricht also alles dafür, das Tarifsystem zu stärken.

Dafür braucht es gemeinsame Anstrengungen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Politik kann und sollte diesen Prozess im Kontext der Tarifautonomie unterstützen. Wir haben heute Morgen die Debatte darüber geführt, ob und welche Tarifverträge gelten. Wie diese ausgestaltet sind, entscheiden die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Der Staat und

die Politik müssen aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Abschluss von Tarifverträgen vereinfacht wird und sich Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften gründen können.

Wir GRÜNE sind der Meinung, dass Tarifverträge allgemein verbindlich für alle Betriebe einer Branche gelten sollten; denn davon würden sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber profitieren. Die SPD-Fraktion hat sich mit der Hessischen Landesregierung aber den falschen Adressaten dieser Großen Anfrage ausgesucht; denn das Bundesarbeitsministerium – mit einer SPD-Ministerin an der Spitze – führt das Tarifregister und ist auch für das Tarifrecht im Allgemeinen zuständig. Nur auf der Bundesebene könnte auch die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Daher haben Sie als SPD-Mitglieder und Mitglieder einer aktuell an Koalitionsverhandlungen teilnehmenden Partei wesentlich mehr Spielraum, die Allgemeinverbindlichkeit auszuweiten. Das liegt aktuell in Ihrer Verantwortung.

Für Hessen, seine Kommunen und die landeseigenen Unternehmen haben wir das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz eingeführt, um das Tarifsystem zu stärken. In dem Gesetz ist festgelegt, dass öffentliche Aufträge nur an Firmen vergeben werden dürfen, die ihre Beschäftigten nach Tarif oder zumindest nach Mindestlohn bezahlen. Mit dem Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz haben wir dafür gesorgt, dass Firmen, die öffentliche Aufträge erhalten wollen, die Tarifbedingungen ihrer Branche einhalten müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren, man könnte kritisieren – es hat mich sehr gewundert, dass Sie das heute nicht getan haben, Herr Decker –, dass Hessen nicht mehr Mitglied in der Tarifgemeinschaft der Länder ist. Dann muss man aber auch feststellen, dass Hessen als Mitglied dieser Tarifgemeinschaft keine Möglichkeit gehabt hätte, das hessenweit geltende Jobticket zum Bestandteil der Tarifverhandlungen zu machen und einzuführen. Das haben die Beschäftigten des Landes Hessen aber begrüßt.

(Zurufe von der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, die Große Anfrage verfolgte sicherlich eine gute Intention, die ich im Grunde auch teile; aber Ansprechpartner für eine Änderung der gesetzlichen Regelungen ist nicht die Landesregierung, sondern das Bundesarbeitsministerium. Das Land Hessen tut im Rahmen seiner Möglichkeiten alles, was es tun kann, um die Tarifbindung zu stärken, nicht zuletzt durch das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kinkel. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 2015 hat das Land Hessen auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz den Antrag eingebracht, obersten Arbeitsbehörden einen Zugriff auf das digitalisierte Tarifregister zu erlauben. 2016 ist diese Möglichkeit vom Bund eingeführt worden. Im Anschluss daran hat das Land Hessen erneut einen Antrag des Inhalts eingebracht – dem auch zugestimmt worden ist –, dass das eingerichtete Tarifregister in der Weise weiterentwickelt werden soll, dass es effizient und benutzerfreundlich gestaltet wird. Aber erst im Juli 2017 erfolgte die beschlossene Weiterentwicklung des Registers. Wir sind also seit Jahren daran, Auskunftspflichten zu vereinbaren und Informationen, die beim Bund vorhanden sind, dort gesammelt werden, für die Länder zugänglich zu machen. Insofern ist die Frage nach Daten dann intensiver zu behandeln, wenn wir die Möglichkeit haben, sie tatsächlich einzusehen. Doppelstrukturen aufzubauen macht an dieser Stelle keinen Sinn.

In Hessen haben wir am 1. Januar 2015 das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz eingeführt. Damit wird deutlich, wie groß der Stellenwert ist, den die Geltung und Einhaltung von Tarifverträgen für uns haben. Wir unterstützen die Tarifbindung ausdrücklich. Dennoch möchte ich hier nochmals betonen, dass die Entscheidung über den Abschluss eines Tarifvertrags ausschließlich von den Sozialpartnern, also den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden, getroffen wird. Die Landesregierung kann und darf die Entscheidung, ob und mit welchem Inhalt ein Tarifvertrag abgeschlossen wird, nicht beeinflussen. Tarifautonomie – ich wiederhole das, was ich heute Morgen gesagt habe – ist ein hohes Gut.

(Beifall bei der CDU)

Trotzdem muss ich auch an dieser Stelle konstatieren, dass leider nicht mehr alle Unternehmen – oder zumindest zu wenige Unternehmen – tarifgebunden sind. Es gibt zu viele Branchen, in denen die Tarifbindung zu schwach ist. Deswegen muss es unsere gemeinsame Aufgabe sein, die Tarifbindung zu stärken. Die Zahl der Unternehmen, die ohne Tarifbindung sind, nimmt stetig zu, und die von den Sozialpartnern in fairen Verhandlungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschlossenen Verträge werden zunehmend nicht mehr flächendeckend übernommen. Das ist ein Zustand, den es anzugehen gilt.

Wir können als Landesregierung aber nur den Dialog suchen und an die Unternehmen appellieren, sich wieder in eine Tarifbindung zu begeben. Die Politik kann deshalb nur die Funktion ausüben, an die Sozialpartner und die Wirtschaft zu appellieren. Diese Funktion und die damit verbundene Verantwortung nehmen wir wahr.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Grüttner. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist auch diese Große Anfrage besprochen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 61 und 65 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Nein zum völkerrechtswidrigen Angriff des Erdogan-Regimes auf die kurdische Selbstver

waltung in Nordsyrien – Solidarität mit den Menschen in Afrin – #SaveAfrin – Drucks. 19/5990 –

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Situation in Syrien – Drucks. 19/6001 –

Zur Aussprache hat sich zunächst Herr Kollege Schalauske zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit dem Überfall der türkischen Armee auf die von Kurden selbst verwalteten Gebiete in Nordsyrien sind laut Medienberichten mindestens 55 Zivilisten getötet worden. Bilder von getöteten und trauernden Menschen gehen um die Welt. Dieser Krieg bringt für die Zivilbevölkerung Tod, Zerstörung, Fluchtbewegung und eine humanitäre Katastrophe hervor. Dieser Überfall der türkischen Armee auf die Kurdinnen und Kurden in Syrien ist nicht weniger als ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg und ein großes Verbrechen.