Protocol of the Session on June 7, 2011

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat die Internationale Energieagentur eine Studie veröffentlicht, in der sie eine Bemessung des globalen Kohlendioxidausstoßes vornimmt. Nach einem leichten Rückgang in den Jahren 2008 und 2009, den die Forscher auf die weltweite Wirtschaftskrise zurückführen, rauchen die Schornsteine infolge des Aufschwungs wieder.

Besonders erschreckend ist die Tatsache, dass der Anstieg des CO2-Ausstoßes im Jahr 2010 der größte jemals gemessene war. Wenn diese Entwicklung anhält, dann ist es unmöglich, den weltweiten CO2-Ausstoß bis 2020 auf die international anerkannten Ziele zu begrenzen. Wenn alles so weitergeht wie bisher, wird es uns – nach Einschätzung des Chefökonomen der Internationalen Energieagentur – unmöglich werden, den Klimawandel auf ein „beherrschbares Maß“ zu begrenzen. Es droht also mehr denn je eine unbeherrschbare Klimaveränderung. Das Problem ist nach Ansicht der Agentur, dass in der Klima- und Energiepolitik „praktisch nichts gegen die ausufernden Treibhausemissionen unternommen“ werde.

Meine Damen und Herren, die einzig richtige Konsequenz aus dieser alarmierenden Studie ist, dass in jedem Land und auch in jedem Bundesland alles darangesetzt werden muss, den CO2-Ausstoß endlich wirksam zu verringern.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber Sie wollen in Deutschland neue Kohlekraftwerke, neue CO2-Schleudern bauen – Sie verfahren nach dem Motto: ist das Klima erst ruiniert, verbrennt es sich ganz

ungeniert – und wollen jetzt auch noch Atomstrom durch Kohle kompensieren.

Trotz Atomausstieg hält die Bundesregierung an ihrem Ziel eines Ausbaus der erneuerbaren Energien von 35 % bis 2020 fest – das ist einfach viel zu wenig und bleibt weit hinter dem zurück, was eigentlich notwendig wäre.

E.ON plant mit dem Neubau von Block 6 am Kraftwerk Staudinger den größten Steinkohlekraftwerksblock der Welt mit einer Leistung von 1.100 MW. Es geht hierbei eben nicht um die Ersetzung alter Kraftwerksblöcke durch einen angeblich effektiveren und umweltschonenderen: Durch den Block 6 würde noch mehr CO2 ausgestoßen als jetzt ohnehin schon. Dabei ist der Block 6 aus Versorgungsgründen überhaupt nicht nötig, Herr Stephan; denn bisher sind die restlichen Blöcke von Staudinger nicht voll ausgelastet. Sie waren nicht einmal während des Atommoratoriums voll ausgelastet. In der Zeit zwischen dem 9. April und dem 2. Mai dieses Jahres war Staudinger mit etwa 1.700 MW Kapazität der Blöcke 1, 3, 4 und 5 höchstens zu 25 % ausgelastet. Block 1 ging während dieses Zeitraums nur sechs Tage ans Netz, Block 3 sieben Tage, und der Gasblock 4 war in dieser Zeit überhaupt nicht in Betrieb. Ich frage Sie: Warum eigentlich dieser Ausbau, wenn es doch offensichtlich überhaupt kein Versorgungsproblem gibt?

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Frage der Arbeitsplätze: E.ON hat bereits angekündigt, dass durch den Bau von Block 6 Arbeitsplätze wegfallen werden. Arbeitsplätze sind in jedem Fall gefährdet. Aber statt das Potenzial von neuen Arbeitsplätzen bei den erneuerbaren Energien auszuschöpfen, wollen Sie eine Technologie stützen, die aus Klima- und Ressourcengründen einfach nicht zukunftsfähig ist. Der von E.ON geplante Block 6 wird über Jahrzehnte – die vorgesehene Laufzeit beträgt 40 Jahre – eine veraltete, kontraproduktive Kraftwerkstechnologie zementieren. Niemand investiert 1,2 Milliarden € in eine auslaufende Brückentechnologie.

Die hohen Ausgaben der Konzerne im Bereich Forschung und Entwicklung für die Bereiche Kohle und CCS lassen darauf schließen, dass die großen Vier noch lange auf Kohle setzen wollen, und natürlich werden damit auch die zentralistischen Strukturen in der Energiewirtschaft zementiert. Sie stärken die Macht der großen Vier durch immer neue zentralistische Großkraftwerke. Deshalb halten wir den Bau neuer Kohlekraftwerke für falsch. Wir müssen den Atomausstieg zu einem Umbau der gesamten Energiewirtschaft nutzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kohle blockiert den Ausbau der Erneuerbaren, weil Kohlekraftwerke viel zu unflexibel sind. Wenn es eine Überproduktion von Strom gibt, werden eben nicht die Kohlekraftwerke vom Netz genommen, sondern die Windkraftanlagen abgeschaltet. Deshalb brauchen wir in dem Übergang flexible Anlagen wie Gas-und-Dampfturbinenkraftwerke – diese können mindestens genauso schnell gebaut werden, sie sind umweltfreundlicher, und vor allem sind sie effizienter; denn der Wirkungsgrad der Anlagen ist einfach viel höher, er liegt bei bis zu 90 %. Zum Vergleich: Die alten Blöcke von Staudinger haben einen Wirkungsgrad von etwa 38 %, Block 6 wird einen Wirkungsgrad von maximal 46 % erreichen.

Wenn Sie den Klimaschutz ernst nehmen, müssen Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen, damit

auch ein frühzeitiger Ausstieg aus der Kohleverstromung möglich wird, vor allem aber dürfen keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden.

Atomausstieg und Klimaschutz sind kein Widerspruch, sie gehören zusammen. Bei dem Ausbau der Erneuerbaren verweisen Sie immer gern auf die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz und die Landschaftsverschandelung – ich will nur darauf hinweisen, dass der Kühlturm bei Staudinger 180 m hoch werden soll. Wenn es um Landschaftsverschandelung und Akzeptanz ginge, müssten Sie diese Pläne sofort begraben.

Frau Wissler, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Die CDU redet hier über die inkonsequente Haltung der SPD zu Kohlekraft. Die SPD sagte in Hessen Nein zu Staudinger, bundesweit aber befürwortet sie den Bau neuer Kohlekraftwerke. Wir halten das für falsch. Die SPD ist in dieser Frage inkonsequent. Die CDU ist anders, sie vertritt konsequent die falsche Position.

Wir unterstützen die Bürgerinitiative „Stopp Staudinger“ beim Kampf gegen den Block 6, damit endlich Klimaschutzziele umgesetzt werden und keine neuen CO2Schleudern gebaut werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Nächster Redner ist Tarek Al-Wazir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden über Staudinger, und wir reden über die Haltung der SPD. Ich bin froh, dass die hessische SPD eine andere Haltung vertritt als die SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und Hannelore Kraft. Das spricht für die hessische SPD. Ob es für die SPD insgesamt spricht, das weiß ich nicht. Wir reden aber jetzt über die hessische SPD.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens reden wir über Staudinger und die Frage – wir haben auch gestern schon über Energie geredet –, wie in Deutschland in zehn bis 20 Jahren Strom produziert wird und wie wir sicherstellen können, dass immer genügend Leistung vorhanden sein wird. Darum geht es Ihnen ja.

Herr Stephan, Herr Rentsch, Herr Rock – von dem ich weiß, dass er Ähnliches vertritt –, ich möchte Ihnen einmal erklären, warum ich sehr sicher bin, dass Staudinger Block 6 am Ende nicht gebaut werden wird. Die Investition für ein Kohlekraftwerk ist am Anfang sehr viel höher als für ein Gas-und-Dampfkraftwerk. Dafür sind die Brennstoffkosten im Laufe des Betriebs geringer. Bei einem Gas-und-Dampfkraftwerk liegt der Wirkungsgrad, nur auf den Strom bezogen, bei 60 %, bei einem Kohlekraftwerk ist er noch nie über 50 % gekommen. Dementsprechend wird sich jeder Investor überlegen, ob sich die Investition lohnt. Wenn man sich ansieht, in welche Ener

giewelt wir hineinlaufen, dann stellt man fest, dass der Ausbau erneuerbarer Energien deutlich an Fahrt zunehmen wird. Es ist richtig, dass die erneuerbaren Energien noch nicht jederzeit zur Verfügung stehen.

(Peter Stephan (CDU): Da stimme ich zu! – Holger Bellino (CDU): Das wissen wir!)

Also braucht man eine sogenannte Residuallast, also das, „was übrig bleibt“. Die deutsche Bundesregierung hat im August 2010 ihr Szenario für das Jahr 2020 an die Europäische Union gemeldet – damals noch mit Laufzeitverlängerung –, in dem sie darlegte, sie gehe von einem Anteil von 38 % an erneuerbaren Energien aus.

(Peter Stephan (CDU): Beim Strom!)

Beim Strom. – Wenn man das weiter rechnet und die Wetterdaten des Jahres 2009 für die Monate Mai, Juni und Juli 2020 zugrunde legt und das daneben legt, was die Bundesregierung im letzten Jahr schon als Prognose für die erneuerbaren Energien genannt hat, dann sieht das folgendermaßen aus:

(Der Redner hält ein Schaubild hoch.)

Wir haben das für jede Woche berechnet. Das hier ist Biomasse, das ist Wasserkraft, das Blaue ist die Windkraft, das Gelbe ist die Fotovoltaik, und das ist der Strombedarf. – Sie werden feststellen, dass im Jahr 2020 immer weniger Residuallast, also immer weniger Strom aus konventionellen Kraftwerken, gebraucht wird.

(Florian Rentsch (FDP): Wenn die Prognosen stimmen!)

Ich gehe davon aus, dass die Prognosen noch übertroffen werden. Die Hessische Landesregierung, mit der Sie irgendetwas zu tun haben, geht übrigens davon aus, dass wir bis dahin unseren Stromverbrauch deutlich reduziert haben. Damit haben wir hier noch nicht einmal gerechnet.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

Nach einer Berechnung von Fraunhofer IWES werden wir im Jahr 2020 sogar an elf Tagen innerhalb dieser drei Monate mehr erneuerbaren Strom in Deutschland erzeugen, als wir überhaupt verbrauchen.

Jetzt die spannende Frage. Das Jahr hat 365 Tage, der Tag hat 24 Stunden, das macht 8.760 Stunden. Wenn Sie ein solches Kohlekraftwerk nicht mehr zwischen 7.000 Stunden und 8.000 Stunden im Jahr betreiben können, dann wird sich die Investition nicht mehr lohnen. Wenn der Strom aus den erneuerbaren Energien immer wieder ausgeglichen werden muss, aus der sogenannten Residuallast, aus einem konventionellen Kraftwerkspark, dann werden auch die Energieversorger sehr schnell auf die Idee kommen, dass Gaskraftwerke dazu vielleicht besser geeignet sind als unflexible Kohlekraftwerke.

(Alexander Noll (FDP): Das ist doch nicht das Problem!)

Wenn Sie jetzt fragen, woher die Energie kommen soll: Wir sagen nicht ohne Grund, dass wir dringend Investitionen in die Erneuerung unseres Wohnungs- und Gebäudebestandes benötigen – 40 % unserer Energien werden im wahrsten Sinne des Wortes in diesem Bereich verheizt –, um den Anteil Gas frei zu machen, den wir als Regelenergie für die Übergangszeit für die Residuallast brauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich verstehe es ja, wenn man energiepolitisch so von der Wirklichkeit überholt worden ist wie Sie in den letzten Jahren,

dass man sich noch an irgendetwas festhalten möchte. Aber ich sage Ihnen: Staudinger wird nicht kommen. Sie können noch so laut danach rufen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Es spricht jetzt Kollege Rentsch, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik hat sich unter der Führung der Bundesregierung entschieden, schneller aus der Atomkraft auszusteigen, als das geplant war. Wie die Ethikkommission und alle Experten sagen, braucht man, wenn man das verantwortungsvoll machen möchte, in den nächsten Jahren einen Ausbau von Kohle- und Gaskraftwerken, ansonsten kann das nicht funktionieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Torsten War- necke (SPD): Stimmt doch gar nicht!)

Die Ethikkommission unter Herrn Prof. Töpfer, die quasi den gesellschaftlichen Kompromiss vorbereitet hat, hat uns ins Stammbuch geschrieben, dass Kohle- und Gaskraftwerke weiterhin notwendig sein werden. Herr Kollege Al-Wazir, es ist schade, dass die GRÜNEN das bei dem Übergang in ein neues Energiezeitalter ausklammern. Wir brauchen auch Kohle. Wenn man über Kohle redet, dann ist klar – es ist das übliche Prinzip, Herr Kollege Stephan hat es gesagt –, dann heißt es immer: Ja, kann man machen, aber bitte schön nicht vor der eigenen Haustür.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das freut natürlich niemanden, das ist auch bei mir so. Das ist keine Strom- und Energiequelle, die besonders attraktiv ist.

Es gibt einen Widerspruch zwischen den hessischen Sozialdemokraten und den Sozialdemokraten auf der Bundesebene.

(Timon Gremmels (SPD): Das ist Quatsch!)

Doch, den gibt es.