Protocol of the Session on March 25, 2010

Jetzt sage ich einmal: Ich finde, es ist zu viel der Ehre für diese gewalttätigen rechten Spinner, dass wir uns im Hessischen Landtag zum zweiten Mal am heutigen Tag mit ihnen befassen. Das sage ich in aller Deutlichkeit, weil es mich ziemlich ärgert.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): NPD-Verbot!)

Ich fände es glaubwürdiger, wenn die moralingetränkten Reden, die von diesem Rednerpult aus gehalten werden, nicht nur im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Gewalttaten, sondern im Zusammenhang mit extremisti

schen Gewalttaten insgesamt zu hören wären. Dann wären sie deutlich glaubwürdiger.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Schulz-Asche, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dazwischenrufen; denn nun kann ich konkret auf Sie eingehen. Frau Schulz-Asche, in aller Ernsthaftigkeit – im Zeitalter moderner Kommunikationstechnologien kann man das wunderbar verfolgen –: Sie haben in der Debatte heute Morgen getwittert: Der Erfolg der Rechtsextremisten liegt in der Spaltung der Demokraten.– Ich nehme das sehr nachdenklich auf.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es! Sie machen es gerade!)

Frau Kollegin Schulz-Asche, ich muss Ihnen sagen, Sie umgeben sich in dieser Debatte mit den falschen Freunden, wenn Sie mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen rufe ich Ihnen zu: Die Einseitigkeit, mit der Sie die Probleme angehen, spaltet die Demokraten an dieser Stelle. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Hessen ist ein schlechter Ort für Extremisten. Das wissen wir nicht erst seit der Anhörung,die wir im Mai 2007 im Innenausschuss durchgeführt haben. 23 schriftliche Stellungnahmen, zweieinhalb Stunden Beratung, sieben mündlich Anzuhörende: Im Ergebnis wurden die Maßnahmen, die die Landesregierung durchführt – ich habe sie eben genannt – begrüßt. Ich finde, wir haben uns damit umfassend über dieses Phänomen informiert.Wenn wir heute,am Donnerstag,über den Rechtsextremismus debattieren, kann einfach nicht unerwähnt bleiben, dass das Bundesinnenministerium, das am Dienstag seine Statistiken veröffentlicht hat, festgestellt hat, dass wir das Problem des Rechtsextremismus sehr wohl und auch richtigerweise immer im Fokus hatten.

Aber wir haben darüber die andere Seite ein Stück weit vernachlässigt. Die Zahlen machen es deutlich, dass wir uns dort viel stärker bemühen müssen. Schauen wir uns die Fallzahlen an: Insbesondere bei der politisch motivierten Gewalt in diesem Land sind die Fallzahlen gestiegen. Die Zahl der Brandanschläge und der Sachbeschädigungen – die wir in den Debatten hier schon beklagt haben – muss uns hellhörig machen.

Deswegen rufe ich Ihnen zu: Den Extremismus muss man auf beiden Seiten bekämpfen. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, dass wir auf einem Auge blind sind. Das tun wir aber, wenn wir uns einseitig mit dem Rechtsextremismus beschäftigen. Die Aufklärung muss in beide Richtungen erfolgen.

Deswegen werden wir uns im Ausschuss darüber unterhalten, ob es klug ist, eine Anhörung durchzuführen.Aber dann werden wir uns mit dem Extremismus insgesamt auseinandersetzen, nicht nur mit einer Seite. Das wird dem Problem nicht gerecht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Bouffier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich habe bereits heute Morgen auf die Notwendigkeit hingewiesen, sämtliche extremistischen Entwicklungen im Blick zu behalten. Darüber können wir uns ernsthaft nicht streiten. Deswegen äußere ich mich jetzt bewusst nur zu dem Thema Rechtsextremismus.

(Nancy Faeser (SPD):Wunderbar!)

Da ich das für eine ernsthafte Fragestellung halte, bin ich auch dafür, nicht einzelnen Kollegen in diesem Hause abzusprechen, dass sie sich ernsthaft Sorgen über diese Entwicklung machen.

Wie sieht überhaupt die Situation aus? Wenn wir uns das einmal anschauen, stellen wir fest, dass das rechtsextremistische Personenpotenzial in Hessen – das wir seit Jahren beobachten und erfassen – in den letzten drei Jahren um etwa ein Viertel zurückgegangen ist. In Hessen sind etwa 400 Personen der NPD zuzurechnen. Den Skinheads und verschiedenen Subkulturen sind etwa 550, den Neonazis etwa 250 und Sonstigen – da findet sich alles Mögliche, auch Kameradschaften – etwa 900 Personen zuzuordnen. Das macht insgesamt 2.100 Personen. Wir hatten im Jahr 2008 2.600 und im Jahr 2007 2.800 Personen, die diesen Bereichen zuzurechnen waren.Wenn ich mir also den gesamten Bereich anschaue,stelle ich fest,dass die Zahlen deutlich zurückgegangen sind. Das ist ein Punkt, den wir im Auge behalten müssen.

Ernsthafter Streit herrscht bei uns nicht darüber, dass wir eine Vielzahl von Maßnahmen ergreifen, sowohl repressive als auch präventive. Sie werden verstehen, dass es mir besonders guttut, wenn auch die Opposition das anerkennt.

Aber wir müssen uns auch mit dem beschäftigen, was sich verändert hat.Wir haben in Hessen verschiedene Gebiete, bei denen wir uns immer wieder Sorgen machen müssen. Der Schwalm-Eder-Kreis ist schon genannt worden. Der Vogelsberg und Wetzlar gehören auch dazu, wobei in Wetzlar aller Beobachtung nach weniger zu verzeichnen ist.Aber das kann schon morgen anders sein.

Ich will auf eines hinweisen:Wenn Sie sich die Anzahl der Straftaten anschauen, stellen Sie fest, dass aufgrund der Entwicklung des Internets neue Deliktformen entstanden sind.In einer großen Stadt in Nordhessen haben wir einen Kunden, der – aus unserer Sicht – im Internet ununterbrochen Propagandadelikte begeht und allein dadurch die Statistik mit mehreren Hundert Straftaten belastet. Man muss sich also etwas genauer anschauen, was sich verändert hat.

Aus meiner Sicht haben sich zwei Dinge verändert. Wir haben eine veränderte Szene. Wir haben heute so etwas wie freie Kräfte, aber wir haben auch so etwas wie autonome Nationalisten – eine Entwicklung, die sich erst in den letzten Jahren abgezeichnet hat. Dort haben wir eine Veränderung. Diese Rechtsextremen kopieren praktisch das, was die linksextremen Autonomen bisher gemacht haben. Sie machen das ganz bewusst.

Ich bin sehr dafür, dass wir uns die Zeit nehmen, „nur“ über Rechtsextremismus zu reden.Aber wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns wirklich überlegen – die Kollegen haben es angesprochen –, welche weiterführenden Ansätze wir entwickeln können.

Wir können nicht übersehen, ein Großteil unserer Probleme besteht darin, dass sich Rechtsextreme und Links

extreme bewusst hochschaukeln und bewusst die gewaltsame Auseinandersetzung suchen. Diejenigen, die in den Ausschüssen und in den Geheimdienstausschüssen sitzen, wissen das.Das ist eine Problematik,über die wir,wenn wir die Sache ernsthaft angehen wollen – das wollen wir –, nicht hinwegschauen dürfen.

Ich will Ihnen sagen,was wir machen.Es gibt im SchwalmEder-Kreis eine Gruppe von zehn jüngeren Leuten, die wir polizeilich überwachen lassen und die wir persönlich angesprochen haben.Wir haben die Eltern angesprochen und sind in die Lokale gegangen, in denen sie verkehren. Wir sind in die Szene gegangen, wir sind dabei. Das Ergebnis ist: keinerlei Einsicht. Das Ergebnis ist: keinerlei Einsicht. Bis zur Schwelle der strafbaren Handlung können wir dann praktisch nichts tun.

Jetzt müssen wir über die Frage diskutieren: Wie kann man denn solche Menschen beeinflussen, die sich offenkundig für alles, was wir sonst zu bieten haben, wie etwa Aussteigerprogramme, nicht interessieren? – Da geht es nicht um soziale Not oder was auch immer. Vielmehr haben wir da Menschen, die sich völlig unbeeindruckt von allem bewegen, was um sie herum stattfindet.

Die erste Antwort, die wir immer geben müssen – daran müssen wir arbeiten –: Solche Menschen müssen wir gesellschaftlich isolieren.Denen muss man deutlich machen, dass sie eben nicht, auch nicht stillschweigend, mit Verständnis rechnen können. Das ist nicht jedem schon so klar, wie es aus meiner Sicht sein müsste.

Dann bleibt übrig, dass es eine alles in allem doch letztlich sehr kleine Zahl Menschen gibt – es sind etwa zehn Leute –, die uns so belasten. Sie bringen eine ganze Gegend in Verruf und zielen ganz offenkundig darauf ab, ihr Treiben fortzuführen. Wenn wir das Schwert des Strafrechts haben, ist das die Sache der Justiz. Die Frage ist gestellt worden, ob das eine kriminelle Vereinigung ist. Sie zu stellen ist auch richtig. Die Frage muss die Justiz beantworten.

Herr Minister, Sie sind so lieb und achten auf die Redezeit.

Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss meiner Rede. – Die andere Frage, ob wir Chancen haben, z. B. so etwas Ähnliches wie ein Verbot nach dem Vereinsrecht durchzubringen, was nach bestimmten Regeln geht, interessiert mich auch sehr. Das prüfen wir zurzeit.

Weil wir nur eine sehr kurze Beratungszeit haben, mache ich heute einen Strich darunter. Nehmen Sie bitte Folgendes zur Kenntnis. Das finde ich erfreulich. Insgesamt ist der Personenkreis der Rechtsextremisten in Hessen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Qualitativ haben wir Veränderungen. Denen müssen wir uns mit allen Mitteln, die wir haben, stellen. Ich bin dankbar, wenn einer Ideen hat, die wir umsetzen können, damit wir nicht immer die gleichen Diskussionen führen. Wenn die Damen und Herren Kollegen aus dem Ausschuss die Frage beraten werden, wie man sich diesem Thema nähern soll, können sie darauf bauen,dass die Landesregierung sie dabei unterstützen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Minister Bouffier, vielen Dank. – Das Wort hat nun Herr Kollege Al-Wazir, der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Innenminister dafür dankbar,dass er einmal zum Thema gesprochen und nicht versucht hat, wie das leider die Vertreter der beiden Regierungsfraktionen getan haben, über etwas anderes zu reden.

(Beifall der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Nancy Faeser (SPD))

Ich sage ausdrücklich: Herr Bouffier, Sie haben völlig recht. Glücklicherweise gibt es, über die Jahre gesehen, weniger Rechtsextremisten in Hessen. Das betrifft die Zahl. Das hat aber viel mit der faktischen Auflösung der DVU und viel damit zu tun, dass die Republikaner immer weniger werden. Die, die dann übrig bleiben, werden allerdings immer radikaler und immer gewalttätiger. Das ist doch der Grund, warum wir diesen Antrag gestellt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Nancy Faeser (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich kann mich daran erinnern, dass Benno Hafeneger – das ist jetzt ungefähr zehn Jahre her – eine Studie über Rechtsextremismus unter Jugendlichen vor allem im ländlichen Raum veröffentlicht hat. Da wurden genau die Gegenden genannt, die jetzt ein Problem haben.

Es ist richtig, dass die Polizei in Hessen, verglichen mit anderen Bundesländern, sehr konsequent und sehr frühzeitig einschreitet. Man kann sich das anhand der Frage anschauen, wie viele Skinheadkonzerte eigentlich in welchen Bundesländern stattfinden. Wir müssen aber feststellen, dass wir trotzdem ein Problem haben.

Deswegen finde ich es schon geradezu zwanghaft,dass die beiden Redner der CDU und der FDP nicht in der Lage waren,über dieses Problem,das wir haben,zu reden,ohne dabei etwas anderes mit hinzuzubringen. Das verstehe ich wirklich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Nancy Faeser (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Beuth, Herr Greilich, ich sage Ihnen Folgendes. Wenn die im Abgeordnetenhaus in Berlin zu der Frage zunehmender linksextremer Gewalt eine Anhörung machen – das Stichwort dazu lautet: Autos abfackeln –, dann sollen sie das tun. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass wir ein konkretes Problem mit Rechtsextremen in Wetzlar und in Schwalmstadt haben. Das muss man doch zur Kenntnis nehmen.

Lieber Herr Kollege Beuth,die Spaltung der Demokraten beginnt dann, wenn man nicht mehr in der Lage ist, die Wirklichkeit zu erkennen, sondern zwanghaft versucht, über irgendetwas anderes zu reden, aber nicht über das Problem, das man real hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich würde mir wünschen, dass wir einfach einmal feststellen könnten, dass wir in Frankfurt glücklicherweise kein Problem mit brennenden Luxusautos haben. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.

Aber wir haben in Wetzlar, in Schwalmstadt und im ländlichen Raum in Hessen ein Problem mit realen Straftaten. Wenn ich mir anschaue, was im Schwalm-Eder-Kreis in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist, dann muss ich inzwischen sagen: Glücklicherweise hat das noch nicht zu Toten geführt.Aber ich weiß nicht, ob das so bleibt. – Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen und einfach handeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg.Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))