Aber ich glaube, wir müssen uns mit der Entstehungsgeschichte von Rechtsextremismus beschäftigen. Wir müssen uns damit beschäftigen, warum sich junge Menschen solchen Gruppen anschließen. Da hilft es eben nicht, im Hessischen Landtag Anträge zu verabschieden, die das verurteilen, sondern da müssten wir uns auch einmal damit beschäftigen – und zwar intensiv in einer Anhörung, zu der wir Experten einladen und einmal fragen –, was wir in Hessen noch machen können, um diesem Phänomen zu begegnen. Deswegen haben wir unseren Antrag gestellt, den Innenausschuss damit zu beauftragen,eine Anhörung zu dem Thema durchzuführen.
Der Innenminister und die Kollegen von den Regierungsfraktionen werden noch dazu Stellung nehmen.Wenn wir das beantragen, ist das doch keine Kritik an dem, was wir als Land Hessen sowieso schon tun. Es ist doch gut, dass wir im Bereich der Polizei, mit IKARus, dem Netzwerk gegen Gewalt und anderem dort auch schon Strategien gegen den Rechtsextremismus fahren. Aber die neuesten Vorfälle zeigen uns auch, dass das offensichtlich zu wenig ist und dass wir uns noch mehr Handlungsebenen überlegen müssen. Deswegen sagen wir, dass wir diese Anhörung brauchen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Deswegen glaube ich, dass wir nicht in den Reflex verfallen sollten, in den dieses Haus des Öfteren verfällt. Da geht der Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Regierung. Wir sollten nicht in den Reflex „rechts und links“ verfallen. Wir haben heute Morgen schon darüber gesprochen. Wir haben hier schon Anträge verabschiedet. – Nein, wir sollten uns mit den Problemen beschäftigen. Dazu gehört, dass wir uns inhaltlichen Sachverstand heranholen und dass wir überlegen, welche neuen Handlungsfelder wir brauchen. Dafür bitten wir um Zustimmung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es besteht nach wie vor große Einigkeit in diesem Hause, wie mit dem Thema Rechtsextremismus umzugehen ist. Daran sollten wir keinen Zweifel aufkommen lassen.Wir sollten alles vermeiden,was den Eindruck stellen könnte, irgendjemand in diesem Hause sei in der Ernsthaftigkeit seines Bemühens infrage zu stellen, den braunen Sumpf aus Hetze, Intoleranz und – in der schlimmsten Ausprägung – Gewalt trockenzulegen.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und GRÜNEN, haben hier erneut etwas beantragt, was wir zuletzt am 11. Februar im Innenausschuss diskutiert und damals mit guten Gründen verworfen haben, nämlich eine isolierte Anhörung zum Thema Rechtsextremismus. Offenkundig meinen Sie, eine solche Anhörung könne uns bei der noch intensiveren Bekämpfung des Rechtsextremismus helfen. Ich persönlich glaube nicht, dass uns das weiterbringt, aber ich biete Ihnen an, im Innenausschuss nochmals genau zu überlegen, wie wir dem gemeinsamen Anliegen gerecht werden können.
Wir sind der Auffassung – das haben wir oft genug diskutiert und erklärt –, dass diese Landesregierung erhebliche Anstrengungen unternimmt, um hier gegenzusteuern, um rechtsextreme Erscheinungen zu bekämpfen. Das haben Sie erfreulicherweise anerkannt. Ich sage dazu: Das tut die Landesregierung in hervorragender Art und Weise. Wir werden auch weiterhin auf effektive Kriminalitätsund Gewaltbekämpfung setzen und diese unterstützen.
Jetzt sagen Sie: Wir wissen noch nicht genug. – Ich kann darauf nur antworten: Material zum Thema haben wir schon mehr als reichlich. Ich erinnere daran, dass wir vom hessischen Innenministerium am 11. Januar 2010 über die Ausschussgeschäftsführung reichlich versorgt worden sind, unter anderem mit 64 Seiten einer Regionalanalyse zu rechtsextremen Einstellungen, Strukturen und demokratischen Potenzialen im Schwalm-Eder-Kreis, erstellt im November 2009, also hochgradig aktuell, und mit 185 Seiten einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Wir haben insgesamt 473 Seiten Material bekommen. Ich will Sie jetzt nicht mit einer Einzelaufstellung langweilen.
Frau Kollegin Faeser, wenn wir uns, aufmunitioniert mit diesen Materialien,im Ausschuss weiter über die richtigen Maßnahmen unterhalten, dann sollten wir nicht zu kurz springen.Ich weiß nicht,warum Sie diese Befürchtung immer wieder formulieren.Wir sollten nicht immer nur nach rechtsextremer Gewalt schauen.
(Nancy Faeser (SPD): Ich weiß nicht, warum Sie Angst vor einer Anhörung haben! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wovor haben Sie Angst?)
Wir müssen insbesondere über das Thema Jugendgewalt insgesamt reden. Wir müssen uns damit befassen, dass es eine zunehmende Aggressivität gegen Polizeibeamte gibt, aber auch gegen hauptberuflich und nebenberuflich tätige Rettungs- und Hilfskräfte,wie wir immer wieder berichtet bekommen und beobachten müssen.
(Nancy Faeser (SPD):Auch darüber müssen wir reden! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir dürfen auch das Problem nicht unbeachtet lassen, dass die linksextremistische Gewalt nach Aussage der Verfassungsschutzberichte erheblich zugenommen hat. Herr Al-Wazir, auf diese Äußerung haben Sie wahrscheinlich gewartet.
Frau Faeser, gestern war schon wieder von neuen Zahlen des BKA zu lesen, wonach die politisch motivierte Kriminalität mit linksextremistischem Hintergrund 2009 sprunghaft gestiegen ist,
Die Zahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund stieg allein in den ersten drei Quartalen des Vorjahres im Vergleich zum Jahr davor um 49,4 %. Die Zahl aller Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund stieg um 38,9 %.
Vor allem stieg die Zahl der Fälle von Körperverletzung zum Nachteil von Polizeibeamten in den ersten drei Quartalen um 315.
Außerdem mussten drei versuchte Tötungen zum Nachteil von Polizisten registriert werden. Im gesamten Vorjahr kam es bei linksextremistischen Gewalttaten zu 212 Körperverletzungen, aber zu keinem Tötungsdelikt. Die Zahlen von Straf- und Gewalttaten im Zusammenhang mit Demonstrationen übersteigen schon jetzt die Zahlen für das gesamte Vorjahr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich biete Ihnen an, über all das im Ausschuss miteinander zu reden. Die demokratischen Parteien hier im Hause sind sich einig, dass wir Gewalt und Kriminalität entschieden bekämpfen müssen, und zwar völlig egal, ob sich der Täter ein rotes oder ein braunes Mäntelchen umhängt. Sie sind und bleiben Verbrecher. In dieser Auffassung sollten wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.
Schönen Dank, Herr Greilich. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Herr Schaus das Wort. Bitte schön, Herr Schaus.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! DIE LINKE unterstützt ausdrücklich das Anliegen, im Hessischen Landtag eine Anhörung über die Entwicklung der Neonaziszene und über Maßnahmen zur Bekämpfung des Neofaschismus durchzuführen. Als Mitglied des Innenausschusses kann ich sagen: Wir haben uns in den letzten beiden Jahren oft und lange mit dem Thema auseinandersetzen müssen, weil die Anlässe dazu häufig waren und es leider geblieben sind. DIE LINKE hat dieses Thema deshalb immer wieder auf die Tagesordnung, insbesondere des Innenausschusses, gesetzt.
Die Frage am heutigen Tage ist aber: Sind wir in dieser Diskussion wirklich vorangekommen? Ich denke, die Antwort lautet eher Nein. Ich will dazu keine parteipolitische Auseinandersetzung führen, wie Sie, Herr Greilich, und andere das immer wieder tun, weil uns dies in der Sache überhaupt nicht voranbringt.
Ich verbinde damit aber die Hoffnung, dass alle Parteien dem vorliegenden Antrag zustimmen, und möchte deshalb aufzeigen, wie ernst und erschreckend die Bedrohung durch Neofaschisten in Teilen Hessens geblieben ist.
In jüngster Zeit kam es in Wetzlar wiederholt zu Brandanschlägen und Attacken auf Moscheen, Migranten, zuletzt auf das Haus eines Kirchenangestellten. Wir hatten heute Morgen Gelegenheit, in der Aktuellen Stunde darüber zu diskutieren. All das dürfen wir nicht hinnehmen. Ich möchte mich dabei ausdrücklich den Äußerungen des Landrats des Lahn-Dill-Kreises anschließen, der auf der Kundgebung des „Bündnisses gegen Rechts“ in Wetzlar am vergangenen Freitag sagte, wo man sich dem braunen Ungeist nicht entgegenstelle, da gingen Demokratie und Freiheit verloren. Mehrfach mussten wir uns bereits mit den Gewalttaten der „Feien Kräfte Schwalm-Eder“ beschäftigen, einer gewalttätigen neofaschistischen Kameradschaft. Eineinhalb Jahre nach dem Überfall am Neuenhainer See, bei dem ein schlafendes 13-jähriges Mädchen von Neofaschisten fast zu Tode geprügelt wurde, müssen wir erkennen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass wir dort verfestigte, vernetzte und hochgradig militante Strukturen vorfinden.
Soweit wir wissen, ist es seit dem Angriff am Neuenhainer See in ganz Nordhessen zu 29 teilweise schweren Vorfällen gekommen. Wie die „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ auftreten, will ich am Fall von Marc O. deutlich machen, der schon beim Überfall auf unser Jugendcamp am Neuenhainer See eine Rolle spielte. Dieser gerade 21-Jährige hatte am 20. Januar sein drittes Strafverfahren. Er wurde zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil war noch nicht einmal rechtsgültig, da schlug Marc O.erneut einen Menschen mit Migrationshintergrund nieder. Nur aufgrund inzwischen erhöhter Polizeipräsenz – Frau Faeser hat darauf hingewiesen – im Schwalm-EderKreis konnte diesmal sehr schnell eingegriffen und Schlimmeres verhindert werden.
Die Gewaltbereitschaft und Vernetzung der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ wurde offenbar lange unterschätzt.Wir fordern deshalb, zu prüfen, ob diese Gruppierung als kriminelle Vereinigung eingestuft oder als Gruppe verboten werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Möglichkeit in einem ähnlichen Fall ausdrücklich zugelassen. In anderen Bundesländern, wie Sachsen und Berlin, wurden ähnliche Gruppen bereits verboten.Auch in Hessen muss dies ermöglicht werden.
(Beifall bei der LINKEN Die in dem Antrag geforderte Anhörung von unabhängi- gen Sachverständigen und Experten ist aus den genann- ten Gründen notwendig und ebenso sinnvoll wie die von uns bereits beantragte Erstellung einer Studie über Ju- gendgewalt in Hessen generell. Nicht zu vergessen ist aber, dass es die Aufgabe der Gesellschaft insgesamt ist, sich Neofaschismus und Rassismus in allen ihren Erschei- nungsformen mit Courage entgegenzustellen. (Beifall bei der LINKEN)
Wir sollten dabei ohne Ansehen von Partei und Person zusammenstehen und uns alle am Protest gegen den geplanten Naziaufmarsch am 8. Mai in Wiesbaden – ausgerechnet am 65. Jahrestag des Kriegsendes – beteiligen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hessen ist ein schlechter Ort für Extremisten – das gilt für linke wie auch für rechte Extremisten –,weil wir erstens in diesem Land weder links- noch rechtsextremistische Gewalt tolerieren und zweitens diesem Phänomen mithilfe der Organe der Strafverfolgung, der hessischen Polizei und der Aufklärung durch den Verfassungsschutz konsequent, unnachgiebig und bundesweit vorbildlich begegnen. Dafür sind wir den Sicherheitsorganen außerordentlich dankbar.
Das Ganze führt zu nennenswerten Erfolgen. Heute Morgen ist bereits deutlich geworden, dass wir mit 25 Fällen politisch rechts motivierter Kriminalität im Jahr 2009 am unteren Ende der Tabelle der Bundesländer liegen, wir also den besten oder einen der besten Plätze einnehmen.
Das haben wir den wirklich vielfältigen Formen der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu verdanken. In der Debatte heute Morgen sowie eben gerade vom Kollegen Frömmrich sind die einzelnen Programme dargestellt worden, die es in unserem Land gibt. Denken wir an „Wölfe im Schafspelz“, an IKARus oder an das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz. Ich finde, wir haben in Hessen, was die Bekämpfung dieses Phänomens angeht, keinen Nachholbedarf, und das lassen wir uns von Ihnen auch nicht einreden.
Jetzt sage ich einmal: Ich finde, es ist zu viel der Ehre für diese gewalttätigen rechten Spinner, dass wir uns im Hessischen Landtag zum zweiten Mal am heutigen Tag mit ihnen befassen. Das sage ich in aller Deutlichkeit, weil es mich ziemlich ärgert.