Protocol of the Session on January 28, 2010

rekt beschreibend –: „Entwicklung der Erwerbstätigkeit 2009 in Hessen stabil“.

Herr Spies hat bereits darauf hingewiesen. Tatsächlich gibt es einen gewissen Widerspruch zum Titel der Aktuellen Stunde der Union, der nämlich von einer „Rekordmarke bei Erwerbstätigen“ spricht. Wie also, frage sich selbst der möglicherweise geneigte Leser, kommen Sie zu dieser Aussage?

Ganz einfach: Man muss das Mikroskop zu Hilfe nehmen. 2008 waren es nämlich in Hessen 3,1142 Millionen Menschen, die erwerbstätig waren, 2009 waren es 3,1143 Millionen Menschen, also 0,003 % mehr und damit in Ihrer Lesart neuer Rekord.

(Judith Lannert (CDU): Ist das falsch?)

Angesichts dieser Zahlen im Nachkommabereich hätte ich eigentlich erwartet, dass heute beispielsweise der Kollege Klee als sportpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion spricht. Er hätte uns ganz sicher so kompetent wie eloquent über ein solches Fotofinish informieren können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für eine wirtschaftspolitische Interpretation taugen Unterschiede im Zehntelprozentbereich jedenfalls nicht. Schon gar nicht sagen sie etwas über die längerfristige Entwicklung. Dass Sie eine Differenz zwischen plus 0,003 und minus 0,001 % hier als Erfolg Ihrer Politik bejubeln lassen möchten, spricht für sich selbst.

(Judith Lannert (CDU): Schade, dass Sie nicht zugehört haben!)

Nutzen wir also die Gelegenheit und schauen etwas genauer hin. Das Statistische Landesamt schreibt: 2009 wurde in Hessen

… trotz der Wirtschaftskrise der 2008 erreichte höchste Beschäftigungsstand seit der Wiedervereinigung gehalten. Das hohe Beschäftigungsniveau wurde allerdings erheblich durch die Nutzung von Arbeitsflexibilität (Abbau von Überstunden und Arbeitszeitkonten, freiwillige Reduzierung von Ar- beitszeiten) und durch die massive Ausweitung der Kurzarbeit gestützt.

Diese Maßnahmen wurden bekanntlich in ganz Deutschland genutzt, um der Krise zu begegnen. Sie haben in ganz Deutschland zum gleichen Erfolg geführt. Es ist also ein Erfolg der gesamten deutschen Volkswirtschaft, dass die Erwerbstätigkeit im Krisenjahr 2009 stabil gehalten werden konnte. Die Prognosen waren bekanntlich durch die Bank schlechter. Selbstverständlich hat auch Hessen daran seinen Anteil. Eine hessische Sonderentwicklung ist aber überhaupt nicht erkennbar. Dass die Entwicklung der Erwerbstätigkeit über eine unter Rot-Grün erfolgte Arbeitsmarktpolitik bundesweit bemerkenswert angestiegen ist, sei hier nur am Rand erwähnt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie diese Aktuelle Stunde vor allem dazu nutzen, einen konkreten Ausblick zu geben, statt sich hier selbst beweihräuchernd Orden an die Brust zu heften,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das haben Sie wirklich erwartet?)

dass Sie sie beispielsweise nutzen, um den Menschen im Lande zu erklären, was Sie aktiv tun wollen, um die Erwerbstätigenlage auch 2010 mindestens stabil zu halten.

Werden Sie z. B. endlich die Chancen des Jobmotors erneuerbare Energien nutzen, statt sie länger zu behindern? Werden Sie tatsächlich einen sozialen Arbeitsmarkt mit längerfristig geförderter öffentlicher Beschäftigung einführen, wie es Herr Rock in einer, wie ich fürchte, doch zu gewagten Interpretation der Ideen des Ministerpräsidenten hier angekündigt hat?

Die Antworten auf diese drängenden Zukunftsfragen sind Sie schuldig geblieben. Das ist umso bedauerlicher, als Sie vor gut einem Jahr großflächig angekündigt haben, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. In diesen Tagen fallen Sie nur durch Ihren Kampf dafür auf, dass einer der Ihren gleich zwei Arbeitsplätze gleichzeitig besetzen darf.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Das ist angesichts der Herausforderungen des Jahres 2010 und der Sorgen der Bevölkerung deutlich zu wenig. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank,Herr Kollege Klose.– Das Wort hat der Abg. Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinen Vorrednern habe ich in der Tat nicht erwartet, dass diese Aktuelle Stunde, die offensichtlich eher aus der Not geboren ist,weil es der CDU an Themen fehlt, anders ausartet als in die schon bekannte Lobhudelei. Ich habe auch nicht erwartet, dass wir hier eine Zukunftsdiskussion führen können, wenn der Antrag in dieser Art und Weise gestellt wird: „Rekordmarke bei Erwerbstätigen“.

An dieser Stelle möchte ich aber doch noch einmal einführend darauf hinweisen, was unter Erwerbstätigen subsumiert wird. Dann wird das nämlich ein bisschen klarer und relativiert sich sehr schnell. Das sind nicht nur die Arbeiter, Angestellten und Beamtinnen und Beamten in Hessen, sondern das sind auch die Heimarbeiter, alle geringfügig Beschäftigten und die Selbstständigen. Insofern ist das ein sehr weiter Begriff von Erwerbstätigen.

Da ging es mir wie Ihnen,Herr Kollege Dr.Spies.Da habe ich wirklich drei Stunden lang im Internet gesucht, auf welche Zahlen sich die CDU eigentlich berufen könnte, und bin dann auch an derselben Stelle fündig geworden, weil das das Einzige war, was an Zahlen vorhanden ist. Interessanterweise sind aber die Statistiken des Hessischen Landesamtes für 2009 noch gar nicht abgeschlossen, sondern sie enden im dritten Quartal. Bei den Zahlen des dritten Quartals des letzten Jahres würde man, wenn man genau hinschaut,feststellen,dass es im Vergleich zum dritten Quartal des Vorjahres, also 2008, eine geringfügige Reduzierung selbst der Erwerbstätigenzahlen um 4.000 gibt. Das ist nicht viel. Das gebe ich gern zu. Das ist in dieser wirtschaftlichen Situation in der Tat auch ein bemerkenswertes Datum, wenn man nicht genau hinsieht.

Aber dann sehen wir einmal genau hin: Frau Lannert, Sie haben in besonderem Maße das hessische Konjunkturprogramm und das Bundeskonjunkturprogramm gelobt, und Sie haben das in einen unmittelbaren Zusammenhang gestellt. Fakt ist aber, dass das Konjunkturpro

gramm, das im Wesentlichen in der Bauwirtschaft wirkt und wirken sollte, zwar dazu geführt hat, dass es keinen Rückgang an Erwerbstätigen in diesem Bereich gibt. Aber der Zuwachs liegt in Hessen, auf das letzte Jahr bezogen, bei 700.

Wie gesagt: Es gab keinen Rückgang. Dafür sind wir schon dankbar. Aber es gab auch keinen Grund zum Jubeln. Kein Grund zum Jubeln ist natürlich auch die Entwicklung, die in Hessen, begünstigt durch den Schwerpunkt im Dienstleistungsbereich, noch einmal anders zu sehen ist als im Bundesgebiet.Aber sie ist gleichzeitig natürlich auch mit einem Fragezeichen zu versehen. Da wäre die Zukunftsdiskussion angebracht, wenn wir nämlich feststellen,dass in den letzten 20 Jahren der Anteil des produzierenden Gewerbes von 27 % auf 17 % in Hessen gesunken ist, während der Dienstleistungsbereich entsprechend um 10 % gesteigert wurde. Das heißt, wir haben hier eine Monostruktur im Dienstleistungsbereich, die diese Situation jetzt begünstigt, auch wenn es im Bereich der Finanzwirtschaft immerhin zum Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen im letzten Jahr gekommen ist. Da sagt die Statistik: Das sind überwiegend Leiharbeitnehmer. – Wir sagen: Das sind auch Arbeitnehmer. Die Diskussion und das passende Thema dazu hatten wir ja gestern.

Nichts höre ich zu den atypischen Beschäftigungsverhältnissen, die in dieser Zahl stecken. 1 Million sind das insgesamt. Das sind Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte. Nichts höre ich von der CDU zur Frage des Niedriglohnsektors, der seit 1997 von 15 % auf 19 % aller Arbeitsplätze in Hessen angestiegen ist. Nichts höre ich auch zu einem Vergabegesetz. Das muss in diesem Zusammenhang natürlich auch diskutiert werden. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht. Den haben Sie sehr schnell beiseitegeschoben, obwohl wir alle wissen, dass es wichtig und notwendig ist, gerade ausgehend von der Diskussion über Leiharbeit, Arbeit zu ungünstigen Beschäftigungszeiten und Mindestlohn, öffentliche Aufträge auch mit entsprechenden Auflagen zu verbinden.

(Beifall bei der LINKEN)

All dies hören wir nicht.Wir hören nur die erwähnte Lobhudelei. Das kann es nicht sein. Das muss an dieser Stelle geradegerückt werden. Ihre Art und Weise, in der Sie mit den berechtigten Sorgen und Ängsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Erwerbstätigen umgehen, finde ich geradezu skandalös. Ich würde Sie wirklich bitten, das zu unterlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Das Wort hat Staatsminister Posch.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine Feststellung am Anfang treffen, die mit Sicherheit unbeschadet unterschiedlicher Interpretationen nicht bestritten werden kann. Die Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung in Hessen belegt, dass wir die tiefste Wirtschafts- und Finanzkrise besser bewältigt haben als die meisten anderen Länder. Das ist ein Fakt.Das kann man auch nicht wegdiskutieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Kollegin Lannert und Herr Lenders sind darauf eingegangen. Lassen Sie mich das noch durch ein paar Dinge belegen, wobei ich gerne bereit bin, auf das einzugehen, was Herr Dr. Spies in diesem Zusammenhang gesagt hat. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 betrug in Deutschland 5 %.Wir werden in Hessen für das Jahr 2009 bei 3,9 bis 4 % liegen.Das heißt gleichwohl,dass wir noch nie in einer solch schwierigen Situation waren, wie es im Jahr 2009 der Fall war. Ich warne auch davor, im Jahr 2010 davon zu sprechen, dass wir uns bereits in einer Zeitphase nach der Krise befinden. Das wäre mit Sicherheit nicht richtig. Es wäre ein völlig falscher Eindruck. Gleichwohl ist es gerechtfertigt, darauf hinzuweisen, wie sich die Erwerbstätigenzahl im Jahr 2009 entwickelt hat. Da steht fest, dass sie auf dem Höchststand vom Jahr 2008 geblieben ist. Die Arbeitslosigkeit stieg im Jahresdurchschnitt 2009 um 6.500.

Das soll überhaupt nicht heißen, dass wir damit zufrieden sein können. Allerdings glaube ich – und da kann man schon darauf hinweisen –, dass es Anstrengungen auf unterschiedlicher Ebene gegeben hat, dieses Ziel zu erreichen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, weil das natürlich mit der Wirtschaftsstruktur etwas zu tun hat, auch darauf hinweisen, dass wir eine relativ gleichmäßige Situation hinsichtlich der Arbeitsmarktzahlen haben – in allen Bezirken. In besonderer Weise möchte ich darauf hinweisen, dass im Regierungsbezirk Kassel seit November erstmals in der Nachkriegszeit die Arbeitslosigkeit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Das hat es noch nie in der Nachkriegsentwicklung gegeben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in der Vergangenheit zwischen Süd und Nord ein Gefälle von 3 % hatten. Dies hat sich auf 0,3 % reduziert. Das ist unter anderem auch das Ergebnis der Anstrengungen dieser Landesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Spies und Herr Kollege Schaus, Sie haben darauf hingewiesen: Richtig ist, dass es unterschiedliche Faktoren gibt. Es ist völlig unbestritten, dass die Ausnutzung der Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung durch Tarifparteien, Betriebe und Beschäftigte dazu beigetragen hat. Das ist auch ein Verdienst derer, die bereit waren, von diesen Möglichkeiten, die der Bund eröffnet hat, Gebrauch zu machen – auch unter Inkaufnahme von Einbußen.

Meine Damen und Herren,das wird doch überhaupt nicht bestritten.Wenn heute Unternehmen bereit sind,Arbeitsplätze weiterhin besetzt zu lassen – weil sie wissen, wenn sie die Leute entlassen, werden sie sie beim Aufschwung nicht wieder zurückbekommen –, dann ist das doch die Einsicht der Unternehmen in die Zukunftsentwicklung, sich so zu verhalten. Deswegen gilt mein Dank ausdrücklich den Unternehmen, die sich so verhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dazu gehört auch – und ich weiß, das war in der politischen Diskussion umstritten – die Erleichterung und Ausweitung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld. Es waren aber auch die Konjunkturprogramme. Ja, meine Damen und Herren, Herr Kollege Weimar hat in der Regierungserklärung am Dienstag darauf hingewiesen, welche

positiven Auswirkungen diese Konjunkturprogramme gehabt haben.

Natürlich wissen auch wir – ich weiß nicht, wer das eben in der Diskussion gesagt hat –,dass wir es nur dort machen können, wo der Staat selbst als Arbeitgeber auftritt.Wenn das in der Bauindustrie ist, dann ist es doch besser, dies dort zu tun, um Arbeitsplätze zu erhalten, als gar nichts zu tun. Deswegen war es richtig, das zu tun.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Allerdings gebe ich offen zu: 1,7 Milliarden c, das hat uns schon Bauchweh bereitet, denn natürlich können wir einen solchen Betrag nicht aus einem Julius-Turm herausfinanzieren,sondern Sie wissen:Das geht mit einer höheren Nettoneuverschuldung einher.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deswegen auf Folgendes hinweisen. Es gibt diese Aspekte, die durch die bundespolitische Entwicklung ermöglicht worden sind – darauf will ich ausdrücklich hinweisen. Aber es gibt auch hessische Besonderheiten.Diese hessischen Besonderheiten führen eben dazu, dass wir im Moment beim Bruttoinlandsprodukt besser dastehen als die Länder, mit denen wir immer verglichen werden – sei es Baden-Württemberg oder Bayern. Das ist Realität.

Das hat etwas mit der Wirtschaftsstruktur zu tun. Herr Schaus, Sie haben es angesprochen: Die Dienstleistungsbranchen sind hier stärker ausgeprägt, und gerade die haben im Herbst dazu beigetragen, dass wir heute eine solche Zahl nennen können, wie ich es eben getan habe.

Herr Minister, gestatten Sie mir den kurzen Hinweis darauf, dass die für die Fraktionen vorgesehene Redezeit bereits abgelaufen ist.

Ich komme mit zwei Sätzen zum Schluss.