Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Finanzminister dankbar,dass er einen Teil des Eindrucks, der sich hier vorhin breitgemacht hat, wieder aufgehoben hat. Sowohl von der FDP als auch von Herrn Caspar für die CDU wurde erklärt, man müsse das Steuerrecht jetzt nur einmal ganz schnell einfach und transparent machen, dann sei alles gut.
Es wäre schön, wenn man das einfach und transparent hinbekommen würde. Ich habe über 25 Jahre in der Finanzverwaltung gearbeitet. Ich habe jede Steuerrechtsreform erlitten. Das wollte ich nur einfach hier einmal sagen. Es ist nie einfacher und transparenter geworden.
Ich glaube, das ist ein hoher Anspruch, der einmal erfüllt werden sollte, das einfach und transparent zu machen.
Herr Caspar, ich wollte Sie vorhin fragen, ob Sie denn die Unternehmensteuerrechtsreform und insbesondere die Neuregelung mit der Zinsschranke, die unter SchwarzRot eingeführt worden ist, für einfach und transparent halten. Das wäre doch einmal eine Messlatte gewesen. Da hätte man sich transparente und einfache Regeln einfallen lassen können.
Was ich damit sagen will, ist: Einfach und wenig ist ein hoher Anspruch,der nicht immer durchgesetzt werden kann.
Herr Kollege Caspar hat hier mit dem Steuerrecht der DDR argumentiert. Ich habe kurz nach der Wende das Vergnügen gehabt,Aufbauhilfe in Sachsen-Anhalt zu leisten.Ich habe das sehr gerne gemacht.Damals habe ich mir das Steuerrecht der ehemaligen DDR angesehen. Das war sehr einfach. Das war überschaubar. Das Einkommensteuergesetz stand in einer ganz dünnen Broschüre.
Sie hatten auch ganz wenig Verwaltung. Es gab fast keine Finanzverwaltung. Was will ich damit sagen? – Auch das ist nicht immer gut.
Ich glaube, wir müssen uns nicht in die Tasche lügen. Packen Sie doch endlich einmal die Mär vom Bierdeckel ein, der vielleicht irgendwann zum Klodeckel wird, weil wir nicht alles auf den Bierdeckel bekommen.
Sie verdummen damit die Menschen. Sie alle wissen: So einfach geht das nicht. Das Steuerrecht ist nun einmal etwas komplizierter. Herr Weimar, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie einen Teil dieser Mär eingesammelt haben.
Ich möchte noch auf zwei Punkte inhaltlich eingehen. Sie haben gesagt, für eine Erhöhung des Grundfreibetrags bestünde kein Raum.Da sind wir GRÜNEN dezidiert anderer Meinung.Wir denken, dass man im System des Einkommensteuerrechts so umverteilen kann, dass die schwachen Schultern ein bisschen mehr entlastet werden. Man könnte den Grundfreibetrag moderat anheben. Man muss dabei nicht ganz so weit gehen, wie die Kollegen der LINKEN es wollen. Man müsste ihn nur auf 8.500 c anheben. Innerhalb der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts könnte man dann auch den Splittingtarif umgestalten. Das ginge, wenn man den Fokus nicht zu sehr darauf hätte, dass man beim Ehegattensplitting absolut nichts machen will.
Ich möchte noch eine Bemerkung zur Gewerbesteuer machen. Das wird wahrscheinlich zu einem großen Zankapfel zwischen den neuen Koalitionsfraktionen in Berlin werden.
Bürgermeister quer durch alle Parteien sagen: Wackelt nicht bei der Gewerbesteuer. Sie ist die Steuer, die den Kommunen Luft verschafft und aus der die Kommunen ihre Einnahmen herbekommen.
Wichtig wäre es, die Gewerbesteuer weiterzuentwickeln. Sie sollte nicht da bleiben, wo wir sie jetzt haben. Vielmehr sollte man die Gewerbesteuer so weiterentwickeln, dass sie nicht so schwankungsabhängig ist. Wir sollten sie zu einer stabilen Einnahmequelle entwickeln.Die Bemessungsgrundlage sollte ein paar ertragsunabhängige Elemente mehr enthalten.
Für die Grundsteuer gilt das genauso. Auch da müssen wir dazu kommen, dass wir mehr Sicherheit beim Aufkommen haben.
Ich glaube, daran müssen wir arbeiten. Jenseits der ideologischen Grabenkämpfe müssen wir da zu mehr Stetigkeit und zu mehr Zuverlässigkeit bei den Einnahmen der Kommunen kommen. Das würde dann auch dazu führen, dass wir auf Landesebene eine ganz andere Planungssicherheit hätten. Ich setze darauf, dass sich dann die Menschen, die sich die Steuerschätzung angeguckt und gesehen haben, dass wir für unvernünftige Vorschläge keinen Raum haben, an der richtigen Stelle einbringen. – Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin Erfurth, schön Dank. – Damit sind wir am Ende der Beratung des Antrags der Fraktion der LINKEN und des Dringlichen Entschließungsantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angelangt.
Beide Initiativen sollen dem Haushaltsausschuss und dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden.
Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Studie und Maßnahmen gegen Jugendgewalt in Hessen – Drucks. 18/1071 –
Als Erster hat sich Herr Schaus für die Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Herr Schaus, bitte schön. Die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits in der gestern geführten Debatte zur Gewalt gegen Polizei und Feuerwehr haben wir die Besorgnis herausgehört,dass es in unserer Gesellschaft anscheinend ein wachsendes Maß an Gewaltbereitschaft und offener Gewalt gibt. Ich will hier nicht alarmieren und will auch nicht einer hysterisch machenden Berichterstattung in den Medien das Wort reden.
Aber nicht nur mein Eindruck ist der, dass es heute, anders als es vielleicht vor zwei Jahrzehnten der Fall war, geradezu ein Aufrüsten unter den Jugendlichen gibt. Dabei geht es um verbale Aggressionen, um Drohgebärden, um
körperliche Gewalt, um Hatz gegen Andersdenkende, um Bewaffnung und den gezielten Einsatz von Waffen. Oft handelt es sich dabei um Messer.
All das hat es leider auch in der Vergangenheit in mehr oder weniger randständigen Jugendszenen und Milieus immer gegeben. Ich stelle mir allerdings ernsthaft die Frage, ob die Anwendung von Gewalt heute kein Milieuproblem mehr ist, sondern ein Problem für einen großen Teil der Jugendlichen ist. Damit wäre es dann fester Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit.
Wir haben in diesem Jahr von Amokläufen, lebensgefährlichen und tödlichen Angriffen von und durch Jugendliche nicht nur über die Medien erfahren. Auch in meinem Heimatwahlkreis hat sich vor Kurzem ein schreckliches Unglück ereignet, das mich in seiner ganzen Dramatik bis heute noch tief bewegt.
Ein junger Mann wollte, ähnlich wie es bei dem bekannten Fall in München geschehen ist – aktuell ist gestern so etwas wohl auch in Frankfurt geschehen –, auf einer Kerb einen Streit schlichten. Er wurde mit einem Springmesser unmittelbar durch einen einzigen Stich in das Herz getötet.
Als ob das nicht schrecklich genug gewesen sei, mussten auf derselben Kerb am nächsten Tag insgesamt sogar 17 Stich- und Schnittwunden behandelt werden.
Nach Gesprächen mit Jugendlichen schien es mir so zu sein, als würden Raufereien beim Besuch einer Kerb teilweise fest einkalkuliert.
Das alles schockiert und alarmiert nicht nur mich,sondern ist Thema in einer Region, die wie München zu den sozial privilegierten gehört. Es geht also längst nicht mehr um Gewalt in sozialen Brennpunkten. Ich kann alle im Haus vertretenen Fraktionen nur sehr herzlich darum bitten, dass an dieser Stelle parteipolitische Auseinandersetzungen zurückzustellen sind und in ein sehr ernsthaftes Nachdenken eingetreten werden soll, denn wir alle haben als Parlamentarier der hessischen Bevölkerung gegenüber eine zentrale Verantwortung.
Nichts gefährdet die Zukunft unseres Landes mehr als Perspektivlosigkeit, Desintegration, das Fehlen moralischer Ankerpunkte und die daraus folgende Aggression von jungen Menschen.Ich möchte Sie an dieser Stelle wissen lassen, dass ich es bemerkenswert fand, als Herr Hahn mitten im Bundestagswahlkampf den tödlichen Überfall von München nicht zum Anlass genommen hat, um schärfere Straftaten für Jugendliche zu fordern. Ich nehme wohlwollend an, dass es auch in der Hessischen Landesregierung, übrigens im scharfen Kontrast zu früher, einen zarten Ansatz des Umdenkens gibt, damit nicht die Jugendlichen, sondern die tieferen Ursachen von Jugendgewalt bekämpft werden.
Meine Fraktion stellt heute den Antrag, eine Studie in Auftrag zu geben, die sich anlehnend an entsprechende Studien auf Bundesebene mit den tieferen Ursachen von Gewalt unter Jugendlichen befasst. Die Vielschichtigkeit der Ursachen macht eine solche Expertise aus unserer Sicht dringend notwendig. Sie sollte die Basis für eine ebenso tief tragende Diskussion mit dem Ziel sein, langfristig notwendige Maßnahmen und Initiativen zu ergreifen.
Das im Antrag erwähnte Institut kann schon heute auf bemerkenswerte Erkenntnisse zurückgreifen,beispielsweise auch im Bereich erfolgreicher Prävention und Integration. Wir wären im wahrsten Sinne des Wortes gut bera
ten, uns hier beraten zu lassen. Ich denke, wenn wir eine wissenschaftliche Studie zur Jugendgewalt in Auftrag geben, dann könnten wir in diesem Bereich eine empirisch saubere Basis für eine vorurteilsfreie sachdienliche Debatte gut gebrauchen. Die eigentliche Arbeit, nämlich die tieferen sozialen und gesellschaftlichen Ursachen von Jugendgewalt zu bekämpfen, wird in jedem Fall einen langen Atem erfordern.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. – Wir halten es für ungemein wichtig, dass sich das Parlament geschlossen dieser zentralen Herausforderung stellt. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Schaus. – Frau Faeser, Sie haben jetzt Gelegenheit, für die SPD den Änderungsantrag zu begründen.
Herr Präsident,meine Damen und Herren! Leider hat der Antrag der LINKEN eine erschreckende Aktualität,denn heute Morgen meldete der Hessische Rundfunk einen weiteren schrecklichen Vorfall der Gewalttätigkeit von Jugendlichen. Eine Gruppe gewalttätiger Mädchen trat auf einen 51-jährigen Mann ein,der eingegriffen hatte,um einen Passanten vor pöbelnden Mädchen zu schützen.Die Mädchen schlugen auf den Helfer ein und schleuderten ihn mit dem Kopf gegen einen Mülleimer. Das Opfer wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Meine Damen und Herren, unser Mitgefühl gilt dem Opfer und der Familie.
Es ist ein weiterer wirklich trauriger Fall von Zivilcourage, wo wieder jemand einen anderen Menschen geschützt hat und dabei selbst verletzt wurde. Ich hoffe, dass wir das in den Griff bekommen. Das zeigt sehr eindrucksvoll,dass für uns im Bereich der Jugendgewalt erheblicher Handlungsbedarf besteht. Aus diesem Grund ist der Antrag der Linkspartei zu begrüßen. Allerdings ist er in der vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig.
Herr Schaus, ich bin sehr froh, dass Sie hier anders geredet haben, als der Antrag gestellt ist, weil er so, wie Sie jetzt formuliert haben, sicherlich auch die Zustimmung findet, aber nicht so, wie der Antrag im Text formuliert ist, denn es greift viel zu kurz. Jugendgewalt ist sehr viel mehr als nur Rechtsextremismus. Das belegt schließlich auch die Studie, auf die Sie Bezug nehmen, nämlich des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, die gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium erstellt wurde.