Protocol of the Session on June 27, 2013

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften umfassend umsetzen, Drucks. 18/7518, zur Abstimmung auf. Wer stimmt zu? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP. Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Damit haben wir diese Aktuelle Stunde erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 73 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Solidarität mit den Streikenden: gute Ar- beitsbedingungen für den hessischen Einzelhandel si- chern) – Drucks. 18/7538 –

Das Wort erhält Frau Kollegin Janine Wissler von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Arbeitgeber des Einzelhandels haben im Januar überraschend den Manteltarifvertrag gekündigt. Damit stehen alle Errungenschaften im Einzelhandel auf dem Spiel, Zuschläge für Nachtund Mehrarbeit, Arbeitszeitregelungen, Urlaubstage sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Die Arbeitgeber sprechen von notwendiger Modernisierung; was sie aber damit meinen, ist Lohndumping und nichts anderes. Das ist nicht nur ein Angriff gegen 3 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel, das ist ein Generalangriff auf die Tarifverträge insgesamt.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Damit dürfen die Arbeitgeber nicht durchkommen.

(Beifall bei der LINKEN – Unruhe)

Frau Kollegin, einen Moment, bitte. – Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Platz oder verlassen Sie uns, damit Ruhe im Haus ist. – Frau Kollegin Wissler, bitte sehr.

Ich würde Ihnen raten, zu bleiben und zuzuhören. – Meine Damen und Herren, die Situation der Beschäftigten im Einzelhandel ist bereits jetzt schwierig. Die Stundenlöhne sind in den letzten Jahren gesunken. Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigungen liegt inzwischen bei 38 % und damit fast doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft.

Im letzten Jahrzehnt hat die Anzahl der Minijobs im Einzelhandel um 51 % zugenommen, die Zahl der befristeten Verträge sogar um zwei Drittel. Seit Jahren begehen Unternehmen Tarifflucht. In den letzten Jahren ist der Anteil der Beschäftigten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, im Westen von 70 % auf 54 % gefallen, im Osten liegt der Anteil bei nur noch 32 %.

Ein prominentes Beispiel der jüngsten Zeit ist Karstadt. Karstadt hat vor Kurzem erklärt, aus der Tarifbindung auszusteigen und eine „Tarifpause“ einzulegen. Wer eine „Tarifpause“ einlegt, darf sich dann nicht beschweren, wenn die Beschäftigten eine Arbeitspause einlegen und in Streik dagegen treten.

(Beifall bei der LINKEN)

Einige tarifgebundene Konzerne begehen Tarifflucht, indem sie Tätigkeiten wie das Auffüllen der Regale an Fremdfirmen vergeben, deren Beschäftigte dann zu Hungerlöhnen arbeiten, die zum Teil 45 % unter Tarif liegen.

Hier besteht politisch dringender Handlungsbedarf. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Prekäre Beschäftigung muss zurückgedrängt werden, und das Verfahren zu allgemein verbindlichen Tarifverträgen muss erleichtert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Immer wenn wir betriebliche Kämpfe im Landtag zum Thema machen, erklären die anderen Fraktionen, dass Tarifverhandlungen Sache der Tarifparteien seien und sich die Politik dabei völlig herauszuhalten habe. Ich sehe das anders.

Erstens. Die Politik hat sich längst eingemischt. Falsche politische Entscheidungen der letzten Jahre sind für die Entwicklung im Einzelhandel mit verantwortlich. Durch die Arbeitsmarktreform der letzten Jahre wurde prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs gefördert. Zudem haben Sozialabbau, Lohnsenkungen und Hartz IV die Binnennachfrage geschwächt und so den Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel angeheizt.

Die Ladenöffnungszeiten und die Sonntagsarbeit wurden immer weiter dereguliert, zulasten insbesondere der vielen Frauen im Einzelhandel. Sie leiden besonders unter unregelmäßigen Arbeitszeiten, die oft bis in die Nacht gehen.

Angesichts dieser Arbeitsbedingungen ist es auch kein Wunder, dass der Einzelhandel über zu wenige Auszubildende klagt. Deshalb darf sich die Politik nicht einfach wegducken und auf die Tarifautonomie zurückziehen.

Der zweite Grund, weshalb sich der Hessische Landtag für die Tarifverhandlungen interessieren sollte: Lohndumping im Einzelhandel wird aus Steuergeldern subventioniert. Etwa 130.000 Einzelhandelsbeschäftigte müssen nach Angaben der Bundesregierung ihren Lohn durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Das hat eine Anfrage der LINKEN im Bundestag ergeben. Diese aufstockenden Leistungen kosten den Staat für den gesamten Handel ca. 1,5 Milliarden €

jährlich. Was könnte man mit diesem Geld Sinnvolles tun, wenn sich die Arbeitgeber an den Grundsatz halten würden, dass man von seiner Arbeit leben können muss?

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht hinnehmbar, dass auf Kosten der Beschäftigten und der Gemeinschaft Niedriglöhne mit Steuergeldern aufgestockt werden und so Gewinne von Unternehmen subventioniert werden, die auf Lohndumping setzen. Während die Steuerzahler die geringen Arbeitnehmereinkommen durch ergänzende Hartz-IV-Gelder aufstocken, haben sich die Unternehmensgewinne seit dem Jahr 2000 geradezu verdoppelt.

Eigentümer großer Einzelhandelskonzerne wie C&A, Aldi oder Otto führen die Liste der reichsten Deutschen an, während ihren Verkäuferinnen die Zuschläge für Spät- und Feiertagsarbeit gestrichen werden sollen. Die Unternehmen versuchen, sich durch niedrigere Personalkosten, superlange Ladenöffnungszeiten und Preisschlachten Vorteile zu verschaffen. Kleine Einzelhandelsgeschäfte in Innenstädten werden verdrängt, weil sie mit dem Preis und mit den Öffnungszeiten neben dem Discounter auf der grünen Wiese nicht mehr konkurrieren können.

71 % der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen. Sie arbeiten mehrheitlich in Teilzeit und unter prekären Bedingungen. Dem Lohndumping in sogenannten Frauenerwerbsbereichen muss endlich ein Ende gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)

Ich komme zum Schluss. DIE LINKE unterstützt den Kampf der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft ver.di um den Erhalt des Manteltarifvertrags und ihre Forderung nach 1 € mehr Stundenlohn. Der Konflikt im Einzelhandel hat eine besondere Bedeutung. Die Arbeitgeber wollen hier ein Exempel statuieren. Damit dürfen sie nicht durchkommen. Deswegen brauchen die 250.000 Beschäftigten im hessischen Einzelhandel unsere Solidarität. – Vielen Dank.

Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächster spricht Herr Kollege Decker für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat ist es eigentlich nicht üblich, dass sich der Hessische Landtag mit Tarifauseinandersetzungen beschäftigt oder sich gar einmischt. Allerdings droht durch die Forderungen und die tarifpolitischen Ziele der Arbeitgeberseite im Einzelhandel ein Flächenbrand. Es handelt sich um einen Flächenbrand ungeahnten Ausmaßes. Dabei handelt es sich um einen Brand, der nach unserer Auffassung den Arbeitsmarkt nachhaltig erschüttern kann. Deswegen kann und darf die Politik in diesem Haus nicht schweigen.

Dabei sind die Tarifauseinandersetzungen bei Amazon, die wir alle kennen, nur ein Mosaiksteinchen im großen Tarifspiel. Es ist selbstverständlich, dass die SPD-Fraktion die Forderungen der Gewerkschaften nach einem Tarifvertrag unterstützt, der sich am Einzel- und Versandhandel orientiert.

Was sich derzeit im Einzelhandel in Hessen und in Deutschland insgesamt abspielt, ist nahezu beispiellos in

der Tarifgeschichte dieses Landes. Bis vor Kurzem gab es in diesem Bereich noch allgemein verbindliche Tarifverträge.

Die Arbeitgeberseite hat alle Tarifverträge gekündigt. Große Ketten wie Kaufhof oder Globus haben sich inzwischen gar aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet. Aus unserer Sicht ist das nichts anderes als ein groß angelegter strategischer Angriff auf das Tarifwesen und die Tarifautonomie. Das hat mit Sozialpartnerschaft nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Völlig zu Recht wehren sich derzeit Arbeitnehmer und Gewerkschaften mit zahlreichen Streiks dagegen, dass ihre einstmals tariflich gesicherten Löhne unterlaufen werden sollen. Streiks bei H&M, bei IKEA, bei Karstadt und real sind deutliche Warnzeichen von der Belegschaft: bis hierhin und nicht weiter. – Dazu stehen wir.

(Beifall bei der SPD)

Denn die bisherigen Verhandlungen haben leider eines deutlich gemacht: Die Arbeitgeberseite droht mit einem Kahlschlag. Offenbar geht es um nichts anderes als um drei Dinge: erstens um eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, zweitens um eine spürbare Senkung der Löhne und drittens um eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, einseitig zulasten der Arbeitnehmer.

(Beifall bei der SPD)

Konkret bedeutet das für die Beschäftigten eine Schlechterbezahlung von Kassiertätigkeiten und angeblich einfachen Arbeiten, eine Streichung der Zuschläge für Spätöffnungs- und Nachtarbeit, eine Beseitigung der Mindestbeschäftigungszeiten von 20 Wochenstunden und die Einführung einer Billiglohngruppe, deutlich unterhalb des bisherigen Tarifniveaus, sowie eine Orientierung der Arbeitszeitregelungen an den Bedürfnissen des Unternehmens und in Abhängigkeit von Kundenströmen. Auch das spricht Bände und macht deutlich, wohin die Reise gehen soll.

Insbesondere der letzte Punkt, nämlich die Orientierung der Arbeitszeitregelungen an den Bedürfnissen des Unternehmens und an den Kundenströmen, hat etwas mit Ladenöffnungszeiten zu tun. Es ist schon angesprochen worden: Diese ausufernden Ladenöffnungszeiten sind ein großes Übel. Im Prinzip sind sie sogar die Wurzel des Übels in diesem Bereich. Denn man muss eines wissen: Sie bringen keinesfalls mehr Umsatz.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Aber sie erhöhen den Druck auf die Beschäftigten bei den Arbeitszeiten und den Druck auf die Löhne. Denn im Prinzip rechnet sich das auch nicht für die Arbeitgeber. Das hat nur etwas mit Wettbewerb zu tun, aber den Preis dafür zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dann in ihren Lohnforderungen gedrückt werden müssen. Das steckt dahinter, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir haben gesagt, die Politik darf sich hier nicht heraushalten. Es gibt auch einen ganz konkreten Anknüpfungspunkt, an dem die Landespolitik reagieren muss, hier in Sonderheit die Landesregierung. Das sind nämlich die Ladenöffnungszeiten. Dafür ist diese Landesregierung zuständig.

Aber die Landesregierung hat gerade bei den Ladenöffnungszeiten bisher den Kopf immer wieder in den Sand ge

steckt. Deswegen muss sie da endlich einmal aufwachen und im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingreifen. Das haben wir in diesem Haus schon mehrfach gefordert. Meine Damen und Herren, ich will Pep Guardiola heißen, wenn die sich endlich einmal bemühen und hier eingreifen.

(Beifall bei der SPD – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Das ist für die Spanisch!)

Meine Damen und Herren, schon jetzt muss der Staat allein im Bereich des Einzelhandels – diese Zahl wurde heute Morgen schon genannt – 1,5 Milliarden € an Aufstockung zahlen, weil dort immer mehr Dumpinglöhne gezahlt werden. Wenn sich die Arbeitgeberseite in diesem Tarifstreit – was wir alle nicht hoffen – durchsetzen wird, wird diese Zahl explosionsartig nach oben gehen.