Die Tarifbindung beträgt 70 % im Westen und 55 % im Osten.Hier ist es notwendig,die Gewerkschaften in ihrem Kampf um angemessenen Lohn zu stärken, so wie es aktuell auch in der Auseinandersetzung bei der Post und im öffentlichen Dienst notwendig ist. Wir fordern zur Eindämmung des Niedriglohns eine klare Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, die insbesondere nach dem jüngsten EU-Urteil zwingend notwendig ist.
Letzter Satz. – Wir fordern einen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 c wie in Frankreich und raus aus der Hartz-Gesetzgebung. Wir wollen eine angemessene Teilhabe aller Arbeitnehmer
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schaus, wenn man Ihnen zuhört, könnte man auf die Idee kommen, dass Sie kurz vor der Auswanderung stehen, so wie Sie die Republik beschreiben.
Es ist an anderer Stelle von dem Kollegen der FDP deutlich darauf hingewiesen worden, dass wir eines nicht zulassen dürfen – ich glaube, daran müssen alle demokratischen Fraktionen hier im Parlament ein Interesse haben –: pauschal Unternehmertum in Deutschland zu diskreditieren.
Frau Ypsilanti, ich will ausdrücklich sagen:Wir sollten uns irgendwann darauf verständigen, dass wir uns nicht wechselseitig absprechen, dass wir an dieser Stelle der Niedriglohneinkommen in dieser Republik Probleme haben.Wir sollten uns bei der Frage, ob das gerecht oder ungerecht ist, nicht mit der ideologischen Seite beschäftigen, sondern damit, welche Wege die richtigen sind, um dieses Problem zu reduzieren.
Aber für wichtig halte ich in dem Zusammenhang – auch darauf sollten wir uns aus meiner Sicht verständigen –, dass wir nicht so tun,als könnte der Staat in einem solchen Parlament in Hessen oder in Berlin oder sonst wo ein Problem per Gesetz beseitigen.
Frau Ypsilanti, das ist der Kern des Streites. Ich glaube, es lohnt sich, dass wir diesen Streit weiter führen, nämlich darüber streiten, was die Folgen des einen oder anderen Weges sind.
Wenn Sie sagen: „die Folgen meines Weges“, nämlich eines gesetzlichen Mindestlohnes, flächendeckend, branchenunabhängig, von Ost nach West, von Nord nach Süd über die gesamte Republik, und gleichzeitig behaupten,
dass das keine Auswirkung auf die Beschäftigtenzahlen habe, dann sagt die CDU, dann sage ich: Das ist falsch.
Wenn man hier behauptet: „Schaut mal in Richtung Westen, was in Frankreich passiert“, dort nur dieses eine Segment, nämlich nur die Frage des Mindestlohnes, herausgreift und alles andere weglässt, beispielsweise weglässt, dass dieser Mindestlohn dort nachweislich gerade in dem problematischen Bereich jüngerer Menschen zu einer doppelt so hohen Beschäftigungslosigkeit wie in Deutschland führt, dann kann man so nicht argumentieren.
Ich gestehe Ihnen aber zu, dass Sie im Grunde genommen mit der einen Frage trotzdem ein gewaltiges Problem ansprechen, von dem ich aber sage: Es gibt andere Wege, das Problem zwar nicht zu lösen – ich glaube, das werden wir nie schaffen –, aber es deutlich zu reduzieren. Diese anderen Wege sind hier viel zu kurz gekommen. Diese andere Wege müssen heißen, dass wir uns um Qualifikation der Menschen
Frau Ypsilanti –, um die Qualifikation gerade der Menschen, über die wir reden, sehr viel mehr bemühen müssen, als das bisher der Fall war. Ich will das durchaus einräumen. Wir haben natürlich im Wahlkampf auch an verschiedenen Stellen mit dem geworben, was wir erreicht haben, beispielsweise damit geworben, dass wir die Abgangsquoten von Hauptschülern, die keinen Abschluss hatten, von vorher – das war im Jahre 2000 – ca. 24 % der Schüler auf unter 13 % verbessert haben. Das sind noch 13 % zu viel – in der sicheren Erkenntnis, dass diese 13 % weiterhin zu der Gruppe der Betroffenen gehören, über die wir hier reden.
Frau Ypsilanti, wir müssen an einer anderen Frage genauso diskutieren und arbeiten. Wir müssen nämlich dahin kommen, dass wir aufhören, so zu tun, als gäbe es nur ein homogenes Problem.Das Problem ist viel zu vielseitig, um es in einer Aktuellen Stunde zu diskutieren. Ich will trotzdem nur zwei, drei Punkte kurz aufgreifen.
Wo liegt denn eigentlich der entscheidende Unterschied zu dem, was in Berlin die großen Parteien zumindest in der Großen Koalition verabredet haben? Dort gibt es die Verabredung,zu sagen:Wenn wir Schutzmechanismen haben,die greifen und die nicht zu negativen Folgen auf dem Arbeitsmarkt führen, dann sind wir der Meinung, dass wir diese Schutzmechanismen entwickeln und verabreden müssen. – Das ist das Entsendegesetz, und das ist die dann zu beantragende Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifverträge.
Das passiert in einigen Branchen, die die Situation haben, dass sie hier am Ort die Leistung produzieren. Wenn bei den Gebäudereinigern – um einen großen Bereich zu nennen – selbst die Arbeitgeber Mindestlohn gefordert haben, dann habe ich dafür Verständnis, weil die Fensterscheibe nur hier geputzt werden kann.
Aber andere Branchen haben das Problem, dass sie beispielsweise mit ihren Konsumgütern in einem weltweiten Wettbewerb stehen. Gehen Sie doch bitte einmal in den Lebensmitteleinzelhandel und schauen sich dort die Preise der Produkte an. Sie wissen doch genauso gut wie ich, wenn Sie ein einzelnes Produkt betrachten, was dort auch an Niedriglöhnen dahintersteckt. Das gilt insbesondere für Produkte, die aus dem Ausland hierher kommen.
Diese deutschen Unternehmen und deren Beschäftigte können nicht einfach sagen: Okay, wir führen Mindestlöhne ein und ignorieren das Problem. – Die Folge wäre nämlich, dass wir Marktanteile verlieren und damit Beschäftigung abgebaut wird.
Frau Ypsilanti, ich verstehe, dass Sie nach diesem Wahlkampf nach wie vor der Auffassung sind, dies sei ein populäres Thema. Ich gebe Ihnen recht.
70 % der Deutschen sagen: Wir sind für Mindestlöhne. – Aber ich denke, es ist schade, wenn wir dieses Thema weiterhin auf dem Altar der Wahlkampfaktivitäten opfern. Dazu ist dieses Thema viel zu gewichtig.
Wenn ich abschließend noch eines sagen darf: Frau Ypsilanti, ich will dieses Thema wirklich nicht verharmlosen. Aber – Herr Präsident – ich möchte noch kurz zwei Dinge ansprechen.
Sie haben immer gesagt, man muss von seiner Arbeit leben können.Wenn Sie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit anschauen, dann reden die dort über etwas mehr als 1 Million Aufstocker – wir wissen, worüber wir dabei reden: Menschen, die einer Beschäftigung nachgehen und zusätzlich Hilfe des Staates bekommen. Von diesen, ich glaube, es sind 1,2 Millionen, sind es etwa 300.000, die einen Vollzeitarbeitsplatz haben, also 40 Stunden pro Woche arbeiten, und von denen wiederum sind „nur“ – das sind viele – 70.000 oder 75.000
Betroffene, die ein Jahr lang in dieser Situation sind. Das heißt, wir müssen auch diese Dinge hin und wieder relativieren. Das ist meine freundliche Aufforderung an Sie, und dann lassen Sie uns weiter über den besten Weg streiten – aber bitte nicht über einen Weg, der zu Arbeitslosigkeit und damit zu noch größeren Problemen in diesem Lande führt.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Ich erteile das Wort für die Landesregierung Frau Staatsministerin Lautenschläger.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns doch alle zumindest darin einig, wenn es darum geht, dass Menschen tatsächlich davon leben können müssen und dass der Staat die Pflicht hat, jedem das Exis
Da kann ich nur an den Kollegen Boddenberg anschließen: Diese Einigkeit sollten wir nicht gleich im Vorfeld wieder aufgeben, indem wir uns gegenseitig vorwerfen, dass die einen gar nicht wollen, dass Menschen tatsächlich über das Existenzminimum kommen und sich der Staat dort verantwortlich fühlt.
Viel wichtiger ist es, darüber zu streiten, welche Wege wir gehen müssen, um erstens mehr Menschen in Arbeit zu bringen und zweitens sie dahin zu bringen, dass sie zum Schluss auch ohne staatliche Hilfe von dieser Arbeit leben können.
Wenn Sie auf die IAQ-Studie verweisen, dann muss man sich diese einmal sehr genau anschauen. Frau Kollegin Ypsilanti,wenn Sie sich die Zahlen dort genau anschauen, dann stimmt es, dass inzwischen auch Menschen mit gutem Abschluss Geringverdiener sind. Richtig ist aber auch, dass den weitaus höchsten Anteil der Niedriglöhne die Minijobs darstellen. Im Jahr 2006 waren es fast 92 %.
Es handelt sich also vor allem um ein Problem im Bereich der Minijobs, um das wir uns kümmern müssen. Aber wir müssen auch schauen,wer heute eigentlich in Minijobs arbeitet.