Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das geht uns nichts an. Als Parlamentarier haben wir überhaupt nicht die nötige Kompetenz dazu.
Der Gesetzgeber darf die Tarifautonomie nicht antasten. Er kann nicht die alle Branchen umfassenden Gewerkschaften, wie ver.di, ersetzen – auch wenn diese aufgrund ihrer Undifferenziertheit mittlerweile kaum noch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten.
Frau Waschke, was ist das eigentliche Problem? Das eigentliche Problem ist nicht, dass die Unternehmen zu wenig bezahlen. Das erkennen Sie schon, wenn Sie eine BWA zur Hand nehmen und den Anteil der Lohnkosten betrachten. Das Problem ist doch, dass den Arbeitnehmern nicht genug von ihrem Bruttoeinkommen übrig bleibt.
Meine Damen und Herren von der SPD und von den LINKEN, führen Sie einmal ein Einstellungsgespräch. Die Bewerber fragen nicht mehr danach, wie viel sie an Lohn oder Gehalt bekommen. Vielmehr fragen die Bewerber: Was bekomme ich netto? – Das ist in der Tat für Arbeitnehmer und Arbeitgeber oft frustrierend.
Hören Sie auf, die Arbeitgeber, insbesondere die mittelständischen, als unsozial zu diffamieren und sie durch die Blume als Ausbeuter hinzustellen.
Ich unterstelle, dass jeder Mittelständler seinen Mitarbeitern gern gutes Geld für gute Arbeit zahlt.
Nehmen wir einmal einen Handwerksbetrieb. Was für einen Stundensatz muss ein Handwerksmeister seinen Kunden in Rechnung stellen, damit sein Geselle einen Nettostundenlohn von ca.10 c bekommen kann? Dieser Handwerksmeister muss unter immer schwieriger werdenden Marktbedingungen einen Stundensatz von rund 45 c am Markt durchsetzen. Darin sind allein 19 % Mehrwertsteuer, 41 % Steuern auf ständig steigende Energiekosten und Bürokratiekosten enthalten. Damit müssen über 39 % Lohnnebenkosten erwirtschaftet werden. Dabei zahlt der Geselle, wenn er, mit zwei Kindern, in der Lohnsteuerklasse 3 ist, kaum noch Lohnsteuer. Einen Umsatzgewinn oder gar eine Kapitalverzinsung können Sie bei einer solchen Kalkulation gleich ganz vergessen.
Meine Damen und Herren, ziehen Sie die richtigen Konsequenzen aus dem IAQ-Report. Sorgen Sie dafür, dass die Lohnnebenkosten und die Betriebskosten sinken. Dann bleibt den Arbeitnehmern netto mehr übrig. Dadurch können Sie die Ausweitung des Niedriglohnsektors stoppen.
Wenn Sie sich endlich einmal mit dem FDP-Modell für ein Bürgergeld befassen würden, könnten Sie sogar dafür sorgen, dass der Niedriglohnsektor kleiner wird. Damit wir das Ziel erreichen, den Niedriglohnsektor zurückzudrängen, mache ich Sie zum Schluss noch auf einen Sachverhalt aufmerksam. Es ist in der Tat so – das klang eben schon einmal an –: Dem Mittelstand droht die Gefahr, dass immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen; denn der Niedriglohnsektor bedeutet für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch eine Chance, ein Zubrot zu verdienen oder den Einstieg in den Arbeitsmarkt mit gut bezahlten Stellen zu schaffen.
Ich komme zum Schluss. – Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller, wir dürfen uns, anders als bei den Studiengebühren, nicht nur auf die Akademiker konzentrieren, sondern müssen auch den bereits Berufstätigen mehr Chancen für eine Weiterqualifizierung bieten. Eine gute Berufsausbildung ist der beste Garant für ein gutes Einkommen.–Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Lenders. – Meine Damen und Herren, das war die erste Rede von Herrn Lenders. Herzlichen Glückwunsch.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die Themen der ersten drei Aktuellen Stunden vergegenwärtige, die in diesem Haus nach dem Einzug der LINKEN stattgefunden haben, komme ich zu dem Ergebnis: Alle drei Themen wären wahrscheinlich nicht behandelt worden, wenn wir nicht in diesen Landtag eingezogen wären. Links wirkt schon – auch im Hessischen Landtag.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU):Bleiben Sie auf dem Teppich! – Weitere Zurufe von der CDU)
Herr Boddenberg, dass Sie auf dem Teppich bleiben, wünsche ich mir auch. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Deutschland ist das Land mit dem größten Niedriglohnsektor in Europa. Das haben das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Arbeitsmarktagentur und das Institut Arbeit und Qualifikation in Essen übereinstimmend festgestellt. Im Jahr 2006 – wir wissen noch
nicht, wie es 2007 aussah – hatten 22 % der Vollzeitbeschäftigten einen Stundenlohn unter 9,61 c. Das sind weniger als 1.500 c brutto im Monat. Lassen Sie mich hinzufügen: Nach den neuen Erfahrungen, die ich im Landtag gemacht habe, ist dies sicherlich weniger, als mancher in diesem Haus pro Monat an zusätzlichen Fahrtkosten abrechnet.
(Michael Boddenberg (CDU): Apropos Fahrtkosten:Wie sind Sie heute Morgen hergekommen? Mit dem BMW oder wie?)
16 % waren es im Jahr 2001. Damit hat Deutschland unter den Industrieländern weltweit den traurigen Platz 2 eingenommen. Nur die USA liegen, was den Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor anbelangt, mit 25,2 % knapp vor Deutschland. Meine Damen und Herren, ich glaube aber, das schaffen wir auch noch.
Der Niedriglohnbereich in Deutschland ist weit höher als in Großbritannien, in den Niederlanden oder in Frankreich, wo er z. B. 11,2 % beträgt.Warum beträgt er denn in Frankreich nur die Hälfte? Da muss man sich doch einmal die Frage gefallen lassen: Hat das möglicherweise mit der gesetzlichen Arbeitszeitregelung von 35 Wochenstunden und mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 c zu tun? Die Frage würde ich gerne einmal mit Ihnen diskutieren.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Wie hoch ist die Arbeitslosenquote in Frankreich?)
Meine Damen und Herren, die Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Die Agenda 2010, die Hartz-Gesetze, für die Sie im Hause alle die Verantwortung mittragen, und insbesondere die Hartz-IV-Gesetze, die eine Verdoppelung der Kinderarmut in kürzester Zeit gebracht haben, sind ursächlich damit verbunden, dass hier der Niedriglohnsektor gestiegen ist.
Die geringe Erhöhung eines Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer nutzt wenig, wenn die Zumutbarkeitsregelungen in der Arbeitsgesetzgebung weiter so bestehen bleiben, wie sie bestehen, und wenn jeder Arbeitsplatz von einem Arbeitslosen angenommen werden muss, selbst dann, wenn er sich unter Hartz IV oder an der Lohnwuchergrenze befindet. Die Fälle gibt es zuhauf, insbesondere in der Leiharbeit,die im Übrigen in den letzten zehn Jahren von 80.000 auf 800.000 Plätze gestiegen ist. Fragen Sie sich einmal, was da passiert ist.
Genauso verantwortlich für diesen Niedriglohnbereich sind aber auch die großzügigen Regelungen für geringfügige Beschäftigung. Sie sind in den letzten Jahren um 180 % auf 7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestiegen.
Meine Damen und Herren, gestern konnte jeder von uns in der „Hessenschau“ einen Bericht verfolgen, wie eine südhessische Firma mehrmals die Arbeitsbedingungen durch Druck auf die Arbeitnehmer verschlechtert hat, die jetzt sogar aus dem Tarifbereich herausgegangen ist und gleichzeitig schrittweise Arbeitsplätze abgebaut hat. Diese brutale Ausgrenzung unter Ausnutzung der Angst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit und mit dem nachfolgenden Fallen ins Uferlose durch Hartz IV nenne ich Raubtierkapitalismus, dem schleunigst Einhalt geboten werden muss.
Aber ich höre nichts von Ihnen – von keiner Seite – zu diesem konkreten Thema, insbesondere nicht von der rechten Seite dieses Hauses, Herr Boddenberg. Ich höre auch nichts von Ihnen, wenn es um die Frage der Tarifpolitik geht. Frau Hölldobler-Heumüller, erlauben Sie mir diesen kleinen Nachhilfeunterricht im Tarifrecht.
sozusagen zuspitzend in der Diskussion. Das haben wir eben ja gehört. „Die Tarifverträge d e r Gewerkschaften“ – das haben Sie gesagt – „sind das Spiegelbild eines Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.“ Wenn aber die Schwächung der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften seit Jahren auf gesetzgeberische Weise vorgenommen wird, dann können Sie sich nicht hierhin stellen und letztendlich die Gewerkschaften für die Tarifpolitik allein verantwortlich machen.
Ja, das ist eine Umkehr.Auch Sie haben in der Koalition im Bundestag die entsprechenden Gesetze verändert und damit die Gewerkschaften geschwächt. Da können Sie sich nicht herausreden.