Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Faire Preise für gesunde Lebensmittel – ich denke, dazu sagen wir alle eindeutig Ja. Ich bin den GRÜNEN dankbar,dass mir die von ihnen beantragte Aktuelle Stunde heute Morgen die Möglichkeit gibt, wieder einmal von diesem Pult aus dafür zu werben, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Lande wissen müssen, dass sie mit ihren Einkaufsentscheidungen auch darüber entscheiden, wie die Landwirtschaft in diesem Land in Zukunft aussehen wird.
Es ist auch schon ein Stück Betroffenheit, wenn wir heute Morgen über das Thema Milch sprechen – Betroffenheit der Bäuerinnen und Bauern und deren Familien, die 365 Tage im Jahr einschließlich Heiligabend,Silvester,Ostern und Pfingsten morgens und abends ihre Tiere nicht nur versorgen und melken müssen. Nein, sie müssen sich darum kümmern, dass es ihnen gut geht. Eine alte Weisheit sagt:Eine Kuh macht Muh,viele Kühe machen Mühe.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, hören Sie bitte gut zu, besonders auf der linken Seite: Sie tun das bei einem Stundenlohn, der noch nicht einmal die Hälfte des von Ihnen angedachten Mindestlohns ausmacht. In der Milchwirtschaft kann ich, je nachdem, wie ich rechne – ob mit einer 70-, 80- oder 90-Stunden-Woche –, Einkommensstundenlöhne zwischen 2,46 c und 4,28 c erwirtschaften. Das kann in Zukunft nicht so bleiben. Dagegen müssen wir alle etwas tun.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)
Schließlich wissen wir, dass hier ein hochwertiges Lebensmittel erzeugt wird und dass darüber hinaus noch die Kulturlandschaft erhalten wird. Ich habe in den letzten Tagen noch etwas gelernt, dass nämlich auch noch das Fernsehprogramm mitgestaltet wird.Als ich abends beim Zappen über die Sender vom Flotzmaul einer Kuh hören konnte, habe ich gedacht, das Bildungsfernsehen sendet jetzt auch schon abends.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Ab- geordneten der CDU,der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Petra Fuhrmann (SPD): Heinrich, gib es zu: Hättest du es gewusst?)
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass Sie an dieser Stelle nicht versuchen sollten, einen Spalt in die Landwirtschaft hineinzutreiben, Herr Kollege Al-Wazir.
Wir haben in diesem Haus schon sehr oft diskutiert: Es gibt viele Facetten der hessischen Landwirtschaft, von ökologischer bis konventioneller Produktion mit vielen Bandbreiten. Es gibt Spartenverbände für Milch, für Fleisch, für Sonderkulturen. All das haben wir in diesem
Lande. Deshalb sollten wir eines anerkennen: Wir sitzen in einem Boot. Wir haben nur eine landwirtschaftliche Fläche, und die Fläche ist nicht vermehrbar. Wir müssen sie schonen.
Außerdem müssen wir – ich komme auf den Beginn meiner Rede zurück – den Verbrauchern noch einmal deutlich machen, welche Marktmacht sie haben und welche Marktmacht sie vor allem nicht nur in Gedanken – „ich könnte das kaufen“ –, sondern letztendlich dadurch haben, dass sie es tatsächlich kaufen, dass sie an der Kasse die hochwertige Ware aus der Region für einen etwas höheren Preis kaufen. Das müssen wir ihnen deutlich machen.
Die Forsa-Umfrage ist das eine, aber die Abstimmung an der Kasse ist das andere. Dazwischen liegen meistens sehr große Unterschiede. Hier gilt es, noch viel mehr Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.
Ich will noch einmal von diesem Pult aus sagen: Eine Preisgestaltung, bei der der Liter Wasser, der im Regal neben der Milch steht, teurer ist als der Liter Milch, ist nicht hinnehmbar. Es ist nicht hinnehmbar, dass das Hundefutter im Döschen teurer ist als die besten Steaks, dass letztendlich – da bin ich wieder bei der Fläche – der Quadratmeter Teppichboden oder Fliesen teurer ist als hervorragender Ackerboden, der nicht zu vermehren ist. Meine Damen und Herren, da müssen auch wir als Politiker die Gesellschaft fragen:Was sind das für Wertevorstellungen?
(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Her- mann Schaus (DIE LINKE))
Lassen Sie mich zum Schluss aber auch anmerken: Jetzt sind die Marktbeteiligten gefordert. Wir haben heute Morgen ein erstes Signal, aber auch nur ein erstes Signal bekommen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch sind Molkereien und Handel aufgefordert, sich an den Tisch zu setzen und darüber zu reden, wie die Preiserhöhung, die der Verbraucher zu zahlen gewillt ist, letztendlich auch bei den Landwirten ankommt.Entscheidend ist in dieser Situation, dass das Geld beim Landwirt ankommt, das der Verbraucher jetzt mehr bezahlt.
Ich komme zum Schluss. Wir haben eine Facette aus der breiten Palette der Agrarpolitik angesprochen. Hinzu kommen Rahmenbedingungen, die verändert werden müssen, die wir in diesem Hause schon sehr, sehr oft diskutiert haben, z. B. die Belastungen durch die Ökosteuern oder die Besteuerung von Agrardiesel. Mehr will ich an dieser Stelle nicht ansprechen, weil die Redezeit vorüber ist. Auch diese Rahmenbedingungen müssen in Europa fair ausgehandelt werden und dürfen nicht zulasten der deutschen, der hessischen Bauern gehen.
Noch einmal mein Appell an die Verbraucher: Nehmen Sie Ihre Marktmacht wahr. Kaufen Sie hochwertige Produkte der hessischen Landwirtschaft. Dann wird auch in Zukunft unser schönes Hessenland so schön sein, wie es heute ist.
Herzlichen Dank,Herr Kollege Heidel.– Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Frau Kollegin Schott das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, aber es gibt tatsächlich Tagesordnungspunkte, bei denen sich das ganze Haus einig zu sein scheint.
Das könnte uns nachdenklich machen. Wir sollten schauen, ob es mehr Punkte gibt, an denen wir das hinbekommen.
Wenn Bauern ihre Milch vernichten, dann ist das so etwas wie Notwehr.Wenn man anfängt, das moralisch zu bewerten, wird es ganz, ganz schwierig. Aber man muss irgendeine Form finden, um zum Ausdruck zu bringen, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn verbale Ausdrucksformen nicht helfen, dann müssen manchmal eben andere Ausdruckformen herhalten. Dass das schrecklich ist, ist uns sicherlich allen klar.
Wenn wir uns die Preisentwicklung der letzten Jahre anschauen, wenn wir uns die Einkommensentwicklung der Milch produzierenden Bauern in den letzten Jahren anschauen, dann ist völlig klar, dass es so nicht weitergehen kann.
Heute Morgen ist hier ganz viel von den Verbrauchern gesprochen worden.Wenn wir Solidarität mit den Milch produzierenden Bauern üben wollen, dann müssen wir aber auch die Konsumenten in die Lage versetzen, an der Kasse eine entsprechende Entscheidung zu treffen.Wenn ein Teil der Bevölkerung nicht mehr in der Lage ist, überhaupt noch vernünftige Lebensmittel zu kaufen, weil die Einkommenssituation so ist, dass das nicht mehr geht, wenn die Menschen gezwungen sind,bei Aldi und bei Lidl einzukaufen,um überhaupt über die Runden zu kommen, und solange es Menschen gibt, die vorrechnen, wie man mit wenig Geld wunderbar über die Runden kommen kann, wenn man ordentlich und sparsam einkauft und haushält, haben wir an der Stelle einen Konflikt. Wir haben nämlich den Konflikt, dass einerseits die Bauern vernünftige Preisen erzielen wollen, aber andererseits viele Menschen in der Situation sind, diese Preise nicht bezahlen zu können.
Das sollten wir bei aller Solidarität mit den Milch erzeugenden Bauern nicht außer Acht lassen. Wir sollten uns klar darüber werden, dass wir auch an anderer Stelle etwas tun müssen, wenn wir haben wollen, dass auch arme Kinder ihre Schulmilch bezahlen können. – In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als der Lieferboykott der Milchbauern zum Thema wurde, habe ich mich wirklich gefragt: Bringt es ein Land
wirt übers Herz, jeden Tag Hunderte oder gar Tausende Liter Milch zu vernichten? Aber die Bauern tun es, und daran kann man sehen, wie verzweifelt die Lage der Milchviehhalter in Wirklichkeit ist.
Keinem Milchbauern, mit dem ich in der letzten Woche gesprochen habe, fällt es leicht, seine Milch zu verfüttern oder in den Gully zu schütten – von den Einnahmeausfällen und den eventuellen Regressforderungen wollen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen.
Deswegen sage ich sehr deutlich: Wir brauchen einen Erzeugerpreis, der die Existenz insbesondere kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe nicht gefährdet und ihnen Planungssicherheit bietet.
Ein Erzeugerpreis von 27 bis 35 Cent pro Liter ist nicht kostendeckend und treibt die Bauern in den Ruin.
Nach Angaben des Bauernverbandes ist die Milcherzeugung in Hessen seit den Achtzigerjahren um fast 20 % zurückgegangen. Ende 2007 hatten wir noch 4.500 Betriebe mit Milchwirtschaft. Jedes Jahr geben 3 bis 4 % der Betriebe auf. Die Milchwirtschaft schafft nicht nur Wertschöpfung in der Region, sondern sie leistet durch die Pflege, die die Kulturlandschaft durch die Arbeit der Landwirte erhält, auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum ländlichen Tourismus und zum Naturschutz.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter hat eine sehr deutliche Forderung aufgestellt, und er nimmt uns Politikerinnen und Politiker in die Verantwortung. Deswegen sind heute Morgen auch Vertreter des Bauernverbandes hier anwesend.Auch die Milchkönigin ist hier.Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter muss hier eingebunden werden, denn er ist derzeit der stärkste Vertreter der Milchviehhalter.
Die Bauern fordern einen Milchpreis, der ihre Existenz sichert, denn sie haben mit steigenden Futter- und Energiepreisen zu kämpfen. Bei ungewisser Rentabilität des Lebensmittels Milch haben die Erzeuger zum Teil Kostensteigerungen um 30 % zu verkraften. Ich höre aber mittlerweile, dass es nicht nur um den Milchpreis geht. Es geht auch um einen Systemwechsel. Die Bauern fordern von der Politik bestimmte Rahmenbedingungen; sie fordern z. B. flexible Mengensteuerung in Bauernhand. Sie wollen die Milchquote erhalten, weil sie sich davon eine gewisse Sicherheit versprechen.
Um den Ausstieg aus der Milchquote zu organisieren, brauchen wir auf europäischer Ebene zunächst einmal eine ähnliche Ausgangslage, um überhaupt faire Chancen im Konkurrenzkampf zu haben. Milchviehhalter z. B. in Polen oder Rumänien haben ganz andere Umwelt- und Sozialstandards zu erfüllen als unsere deutschen Bauern. Da wundert es mich bei all den schönen Worten, die wir heute Morgen hier gehört haben, schon, dass Minister Dietzel im letzten Jahr auf der Länderkonferenz für die Abschaffung der Milchquote gestimmt hat.
Nur Bayern hat dagegen gestimmt. Ich hätte mir von unserem hessischen Minister schon etwas mehr Mut gewünscht. Ich hätte mir auch gewünscht, Herr Minister Dietzel, dass Sie sich vor unsere hessischen Bauern stellen. In diesem Zusammenhang hat mich auch gewundert, dass der Kollege Dr. Herr vorgestern in der „Fuldaer Zeitung“ die Beibehaltung der Milchquote gefordert hat. Ich denke, die Herren sollten sich in Klausur zurückziehen,
Es muss Schluss sein mit der Preisdruckmentalität der Discounter, sagt der Vizepräsident des Bauernverbandes. Es geht hier um die starre Haltung der Molkereien und des Einzelhandels. Der Markt hat monopolartige Strukturen, das macht es so schwer.
Seit gestern Abend wissen wir, es kommt Bewegung in die Diskussion. Lidl hat angekündigt, den Verkaufspreis von Milch um 10 % zu erhöhen, und Rewe wird wahrscheinlich folgen. Im Berchtesgadener Land gibt es eine Molkerei, die in Zukunft 34 Cent für den Liter Milch bezahlen wird. Das wird spannend. Ich bin aber sehr gespannt, wie lange das anhält, denn die Bauern stehen nach wie vor alleine gegen die Marktmacht der Molkereien und des Lebensmittelhandels. Sie fordern zu Recht unsere Unterstützung. Sie fordern unsere Solidarität. Ich verweise auf die „Frankfurter Rundschau“ vom 31. Mai. Die Solidarität der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Hause haben die Milchviehhalter in Hessen ganz bestimmt.
(Beifall bei der SPD Vizepräsident Dieter Posch: Herzlichen Dank,Frau Kollegin Waschke.– Für die CDU- Fraktion erteile ich Frau Kollegin Apel das Wort. Elisabeth Apel (CDU):