Protocol of the Session on November 26, 2004

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Boris Rhein (CDU))

Nicht alles, was technisch möglich ist, muss deswegen sinnvoll und effektiv sein. Nicht alles, was technisch möglich ist, darf um jeden Preis gemacht werden.

Meine Damen und Herren, deswegen ist die DNA-Analyse bei Kindern unter 14 Jahren sehr kritisch zu sehen. Nach § 19 des Strafgesetzbuches besteht hier die unwiderlegbare Vermutung, dass sie schuldunfähig sind, und diese absolute Schuldunfähigkeit wirkt sich zudem als ein dauerhaftes Prozesshindernis aus.

Dies hat der Bundesdatenschutzbeauftragte, Herr Schaar, in der Anhörung deutlich gemacht.Wir müssen aufpassen, dass wir die DNA-Analyse nicht genauso wie alle anderen erkennungsdienstlichen Maßnahmen behandeln.

(Beifall bei der SPD)

Ferner gibt es das Übermaßverbot.Wir müssen aufpassen, dass die DNA-Analyse auf besondere Fälle beschränkt und die dann zu treffende Prognoseentscheidung besonders beachtet wird.

Das Datenschutzforum hat diese Thematik im letzten Jahr sehr eindrucksvoll aufgegriffen. Deswegen müssen wir das Problem sehr ernst nehmen. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass Kinder unter 14 Jahren, die der Bundesgesetzgeber ganz bewusst als strafunmündig betrachtet, als potenzielle Straftäter abgestempelt werden.

In der Gesamtabwägung dieses Gesetzentwurfs der Landesregierung müssen wir feststellen, dass viele der vorgesehenen Maßnahmen mit einem enormen Aufwand betrieben werden. Ich habe das Beispiel Rasterfahndung erwähnt. Es gab eine Anfrage der FDP dazu. Die Rasterfahndung wird mit einem hohen personellen Aufwand betrieben. Dabei sind die Ergebnisse eher überschaubar – um es freundlich zu formulieren. Deswegen müssen wir bei solchen Maßnahmen immer die Effektivität, die Zweckmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit beachten. Das ist ein rechtsstaatliches Gebot. Wir müssen Effektivität, Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit sorgfältig gegeneinander abwägen.

(Beifall bei der SPD)

Die Abwägung zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des Staats auf der einen Seite und den Freiheitsrechten der in diesem Land lebenden Menschen auf der anderen Seite spielt nach unserer Auffassung eine wichtige Rolle. Sicherheit und Freiheit müssen einander ergänzen.Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Daran sollte die Landesregierung immer denken.

Es ist das Gesamtbild Ihrer beabsichtigten Maßnahmen, das misstrauisch macht. Diese Maßnahmen machen auch viele Bürgerinnen und Bürger misstrauisch. Videoüberwachung hier, Schleierfahndung dort, DNA-Analyse für die unter 14-Jährigen, Kennzeichenerfassung – all das soll suggerieren: Wir haben alles fest im Griff, lasst uns nur machen. – Das ist die Masche des Innenministers. Genau das ist aber der falsche Ansatz für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Kriminalität.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen komme ich am Schluss meiner Rede zu folgender Bewertung. Dem vorgelegten Gesetzentwurf können und werden wir nicht zustimmen. Bei allen notwendigen und wichtigen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung müssen wir bedenken, dass wir nicht über das Ziel hinausschießen dürfen. Herr Innenminister, in diesem Zusammenhang empfehlen wir Ihnen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lauschangriff sehr sorgfältig zu lesen.Mit viel Aktionismus und einem großen Getöse in der Öffentlichkeit wollen Sie suggerieren, dass diese Landesregierung in Hessen alles im Griff hat.

(Volker Hoff (CDU): Das ist auch so!)

Wie sieht aber die Realität aus? Der wirkungsvollste Beitrag zur Bekämpfung der Kriminalität ist: Machen Sie die vorgesehene Streichung von 1.000 Stellen bei der Polizei rückgängig. Das ist der wirkungsvollste Beitrag.

(Beifall bei der SPD)

Wir trauen Ihnen mittlerweile alles zu. Bis zum Jahr 2008 sollen bei der Polizei fast 1.000 Stellen gestrichen werden. Das sind 1.000 Profis, die Sie von der Bekämpfung der Kriminalität abziehen.

Herr Kollege Rudolph, denken Sie bitte an die Zeit.

Das mache ich immer, Herr Präsident. – Denken Sie daran, dass auch die Prävention ein wirkungsvoller Beitrag zur Bekämpfung der Kriminalität ist. Auch dort haben Sie im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ Mittel gekürzt. Herr Innenminister, meine Damen und Herren: Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben. Der Gesetzentwurf in dieser Form ist überflüssig. Wir werden ihn konsequenterweise ablehnen. Da das Thema wichtig ist, beantragen wir eine dritte Lesung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Das Wort hat Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rudolph, ich kann Sie beruhigen: Diese Landesregierung ist gut, und auch dieser Gesetzentwurf ist gut.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn das stimmte, würde es uns beruhigen! Aber es ist falsch!)

Nach der Anhörung zu dem Gesetzentwurf ist Ihnen nichts anderes eingefallen, als die Rede vorzulesen, die Sie bereits bei der ersten Lesung gehalten haben. Lediglich den Mittelteil haben Sie variiert.

Eine solche Anhörung wie die, die am 29. September zu dem Gesetzentwurf stattgefunden hat, habe ich noch nicht erlebt. Die Anhörung war nämlich überwiegend positiv.Wir haben nicht nur von den Polizeipraktikern – –

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie haben eine Wahrnehmung!)

Ach, Herr Frömmrich, machen Sie sich keine Gedanken über meine Wahrnehmung. Ich will Ihnen gerne auf die Sprünge helfen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Lieber nicht! Ich kann das nachlesen!)

Nicht nur die Polizeipraktiker, sondern auch fast alle anwesenden Rechtsgelehrten haben gesagt, dass man das so machen kann. Sie haben Ihre hier vorgetragenen Bedenken also in keiner Weise geteilt. Herr Kollege Rudolph, wenn Sie die zwei Kronzeugen, die Sie zur Begründung herangezogen haben, wirklich ernst nähmen – –

(Günter Rudolph (SPD): Bundesdatenschutzbeauftragte nehmen wir ernst!)

Den Bundesdatenschutzbeauftragten habe ich bei der Anhörung gar nicht gesehen. Ich weiß nicht, wo Sie waren. Lieber Kollege Rudolph, es sieht wirklich so aus, als ob wir an unterschiedlichen Veranstaltungen teilgenommen hätten.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Man kann seine schriftliche Stellungnahme nachlesen!)

Sie müssten konsequenterweise Ihren eigenen Gesetzentwurf zurückziehen,denn die beiden Sachverständigen,die Sie anführen, hatten gegen alles Bedenken, auch gegen den gezielten Todesschuss. Wenn Sie das ernst nehmen wollen, müssen Sie auch so handeln.

Herr Kollege Al-Wazir hat in der ersten Lesung recht despektierlich von der „Abarbeitung eines Wunschzettels der Polizei“ gesprochen. Was ist daran schlecht, wenn wir die Handhabungsmöglichkeiten der Polizei in diesem Land ein Stück weit verbessern wollen? Die Polizei wartet auf dieses Gesetz. Sie braucht dieses Gesetz.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ach du liebe Zeit!)

Herr Kollege Rudolph, wenn Sie hier ein Bild zeichnen wollen, wonach in Hessen – in Deutschland – alles in bester Ordnung sei, komme ich zu der Auffassung, dass Sie in der Anhörung nicht wirklich zugehört haben. Ich denke, zumindest der Präsident des Hessischen Landeskriminalamts hat uns eines Besseren belehrt.

(Beifall bei der CDU)

Er hat nicht nur von der terroristischen Bedrohung gesprochen, die dem Bundesinnenminister ebenfalls immer als Begründung für alles Mögliche dient, sondern auch von der Bekämpfung der Schwerstkriminalität.

Ich möchte einige Anmerkungen zu einzelnen Punkten machen, die ich für wichtig halte. Bei dem finalen Rettungsschuss sind wir uns in diesem Haus weitgehend einig. Deshalb will ich auf diesen Punkt nicht näher eingehen. Die Polizei wartet auf eine entsprechende Rechtsgrundlage. Sie braucht Rechtssicherheit für ihre ohnehin schwierige Tätigkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte auf die technische Wohnraumüberwachung und die Telefonüberwachung zu sprechen kommen. Sie haben hier wiederum das Urteil des Bundesverfassungsgerichts angeführt.Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass man dieses Urteil, das ausschließlich die Strafverfolgung regelt, nicht in einem Verhältnis von 1 : 1 auf die Gefahrenabwehr übertragen kann. Man muss das Urteil berücksichtigen. Das ist in dem Gesetzentwurf übrigens auch geschehen.

Bei der Gefahrenabwehr haben wir eine andere Situation. Hier kollidiert nämlich die Menschenwürde des Betroffenen mit der des potenziellen Opfers, dessen Rechte es zu wahren gilt.

Zu der Telefonüberwachung. Herr Al-Wazir, Sie haben gewünscht, dass über den berühmten Fall des Selbstmörders hinaus weitere Beispiele genannt werden.Auch dazu haben wir in der Anhörung etwas gehört. Der Münchner Polizeipräsident hat das Beispiel einer Zwangsprostituierten angeführt, die Opfer von Menschenhändlern geworden ist. Ich denke, wir sind uns in diesem Haus einig, dass wir den Menschenhandel wirkungsvoll bekämpfen wollen. Die Polizei sieht in der technischen Telefonüberwachung eine gute Möglichkeit, um Zwangsprostituierte aus den Klauen von Menschenhändlern zu befreien.

Zu den Kennzeichenlesegeräten. Dieses Thema nimmt hier einen relativ breiten Raum ein. Das war auch bei der Anhörung der Fall.Wir wollen der Polizei die Möglichkeit geben, ein automatisiertes Leseverfahren zu nutzen, dass die Kennzeichen in Bruchteilen von Sekunden im Fahndungssystem abgleicht und die Polizei in die Lage versetzt, sehr schnell zu intervenieren.

Wovon sprechen wir hier? Es wird ausschließlich das Kennzeichen erfasst. Nicht erfasst werden das Fahrzeug, der Fahrzeugtyp und der Fahrzeuginsasse. Man sollte sich das immer wieder vor Augen halten und die Kirche im Dorf lassen.

Der Präsident des Landeskriminalamts hat das in der mündlichen Anhörung sehr schön beschrieben. Er hat gesagt:Wie haben wir es denn bisher gemacht? Bisher saßen wir bei Ringfahndungen oder Durchfahrtskontrollen irgendwo am Straßenrand in unseren Wagen und haben die Kennzeichen notiert und in eine Liste eingetragen,um sie anschließend mit den hessischen und den bundesdeutschen Datensystemen abzugleichen.

Das heißt, wir haben das menschliche Auge. Es wird etwas notiert und dann abgeglichen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie allen Ernstes: Was, bitte schön, belastet die Freiheitsrechte des Einzelnen mehr,die Kennzeichenlesegeräte und die automatisierte Erfassung oder die bisherige Praxis?

Was – bitte schön – belastet die Freiheitsrechte des Einzelnen mehr? – Ich würde diese Frage ziemlich eindeutig beantworten, denn die Eingriffstiefe bei der automatisierten Erkennung ist eindeutig geringer als bei der Erfassung durch das menschliche Auge. Deswegen finde ich es schon sehr eindrucksvoll, dass Herr Prof. Heckmann in der Anhörung aus meiner Sicht völlig zu Recht die Frage aufgeworfen hat, ob wir es hier überhaupt mit einem Grundrechtseingriff zu tun haben. Auch der Datenschutzbeauftragte hat mit der vorliegenden Regelung keine Probleme. Deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, wieso Sie dem Gesetzentwurf in dieser Frage einfach nicht folgen wollen. Herr Kollege Hahn, bei aller Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, deshalb können wir Ihrem Änderungsantrag in diesem Punkt nicht folgen.

Der Präsident des Landeskriminalamtes hat gesagt: Wir brauchen dieses Lesesystem, weil es unsere präventiven Fahndungsmaßnahmen qualifiziert beschleunigt und die Rechte der Bürger sichert. – Er hat noch eines gesagt. Er hat gesagt, die Spanier wären froh gewesen bei den Anschlägen in Madrid bzw. im Vorfeld davon, wenn sie ein solches Lesesystem gehabt hätten.

Abschließend möchte ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der uns sehr wichtig ist, nämlich die Frage der Eigensicherung der Polizei. Das war sozusagen nicht in Streit gestellt. Aber ich möchte noch einmal zur Begründung darauf hinweisen,warum dieses Gesetz nicht nur das modernste,sondern auch das beste in Deutschland ist.Wir erinnern uns noch an die dramatischen Vorfälle, wo Polizeibeamte in Zusammenhang mit Verkehrskontrollen getötet oder schwer verletzt worden sind. Das wollen wir nach Möglichkeit für die Zukunft verhindern. Deshalb zieht dieser Gesetzentwurf die Zulässigkeit von Videokameras zum Zwecke der Eigensicherung bei Verkehrskontrollen vor.

Deshalb darf ich für die CDU-Fraktion abschließend feststellen, dass wir nicht nur das modernste, sondern auch das beste Polizeigesetz in Deutschland beraten. Ich bedaure, dass die Polizei auf dieses Gesetz weiter warten muss und wir eine dritte Lesung machen müssen. Aber das ist Ihr gutes Recht. Deswegen werden wir natürlich mit Ihnen ein dritte Lesung veranstalten. – Vielen Dank.