Also ernsthaft Frau Vogt, das war der nächste Satz den ich sagen wollte, dass hier in Bremen und auch in Berlin schon über Frauenwahlrecht, über Parlamentarismus, über eine Nachfolge des Kaiserreichs diskutiert und darüber beraten wurde, wie eine neue Verfassung aussehen könnte. Es war ja sogar schon während des Krieges von der Obersten Heeresleitung angedacht, das zu tun. Vielleicht um mit den Amerikanern eher einen Waffenstillstand verhandeln zu können, aber es bedurfte doch gar nicht dieser Revolution, um ein Ende des Kaiserreichs und den Eintritt in eine Demokratie herbeizuführen.
Die Diskussion fand doch in Berlin und auch in Bremen bereits statt. Die Bremische Bürgerschaft hatte gerade beraten, ob sie das Frauenwahlrecht einführt, als die Räte diese Beratung unterbrachen. Erst als die Räterepublik beendet wurde, konnte das Frauenwahlrecht, das in Berlin schon beschlossen war, auch hier eingeführt werden.
Ja, aber Sie haben die Revolution als die Wiege der Demokratie hingestellt. Ich übertreibe bewusst, denn das ist sie nicht.
Deswegen, weil sie das nicht war und weil der 9. November von den Nazis auch bewusst für andere Ereignisse genutzt wurde, nämlich für den eigenen Putschversuch, für die Gründung der SS und für die Reichspogromnacht. Wenn man das alles sieht, ist dieser Tag natürlich auch denkbar ungeeignet, um als Wiege der Demokratie gefeiert zu werden. Man muss diesen 9. November auch komplett historisch betrachten, meine liebe Frau Vogt.
Wenn wir darüber reden, welche Art von Demokratie die Räte, die nach dieser Revolution kamen, wollten, muss man sich die Resolution des Bremer Arbeiter- und Soldatenrats vom 19. November 1918
anschauen. Da wurde eine parlamentarische Demokratie strikt abgelehnt und wenn man das weiß, kann man das nicht als revolutionären Anfang betrachten, sondern kann nur konstatieren, dass die Räte ein ständisches patriarchalisches System waren. Sie waren wichtig für die Überwindung der einen Diktatur, aber freie und allgemeine Wahlen waren erst danach möglich.
Zu würdigen war, und das habe ich am Anfang gesagt, dass es mit dem Aufstand der Soldaten möglich war, ein Ende der Gewalt, ein Ende des Krieges zu erreichen. Das ist viel zu wenig gewürdigt und muss auch gewürdigt werden.
Genauso schlimm ist es gewesen, dass nicht die Verhandlungslösung erfolgreich war, die liberale Senatoren wie Apelt und Spitter für das Ende der Räterepublik erreichen wollten, deren Enkel aktuell in der Bremischen Bürgerschaft sitzen, sondern dass die Räterepublik gewaltsam beendet wurde. Das hätte man, meiner Meinung nach, besser demokratisch und auf dem Verhandlungswege erreicht.
Ich hätte mir gewünscht, dass das erfolgreich gewesen wäre, aber wir müssen doch eines aus dieser Sache lernen – und dazu haben gerade die Entwicklung der Räterepublik in Bremen und die Folgen der Novemberrevolution nicht beigetragen, – dass Radikalisierung nicht dazu beiträgt, Demokratie zu befördern und ein System zu stabilisieren. Gerade in der heutigen Zeit ist es doch wichtig zu konstatieren, dass es sich gelohnt hat, die Diktaturen zu überwinden, sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg und ich füge hinzu, natürlich auch nach dem Ende der DDR.
Die Diktaturen zu beenden war wichtig, aber es ist doch anzuerkennen, dass daraus auch Konsequenzen gezogen werden müssen und dass man daraus Lehren ziehen muss. Das heißt, man muss daraus lernen, dass man kompromissfähig sein muss und nicht kompromissunfähig. Die fehlende Kompromissfähigkeit sowohl der Räte als auch in der Weimarer Republik hat doch zum Scheitern geführt und wir Demokraten, die wir die parlamentarische Demokratie verteidigen, müssen doch anerkennen, dass wir Kompromissfähigkeit brauchen und den Dialog suchen müssen.
Wir müssen Kompromisse und beste Lösungen finden und wir dürfen nicht nur auf unseren Standpunkten beharren, sondern müssen sie mindestens
von außen betrachten und in Frage stellen lassen, um zu schauen, ob es bessere Lösungen gibt und dann können wir verhindern, dass hier Radikale die Macht übernehmen, denn das ist es doch, was uns droht, wenn wir nicht wirklich kompromissfähig und nicht demokratisch sind.
Deswegen müssen wir anerkennen, dass das der Weg ist und diese Lehren daraus ziehen und das können wir nicht, indem wir diese Revolution überhöhen und nicht richtig historisch einordnen. Das können wir mit solchen Symposien, wie dem der Bürgerschaft, tun. So etwas sollte weiter veranstaltet werden. Noch einmal herzlichen Dank an die Bremische Bürgerschaft und an Christian Weber, der das damals initiiert hat! — Vielen Dank!
Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Buhlert, das, was Sie hier erklärt haben, Ihre Sicht auf die Geschichte ist ehrenwert. Sie sollten aber vielleicht – und ich glaube, das ist Gegenstand des Antrags – der Gesellschaft und den Menschen im Lande Bremen die Chance geben, sich selbst damit auseinanderzusetzen, um eigene Schlüsse zu ziehen.
Ich glaube nämlich, einfach Menschen zu erzählen, wie sie Geschichte zu sehen haben, führt nicht dazu, dass man gute Erkenntnisse gewinnt, und deswegen möchte ich auch für die SPD begründen, warum wir diesen Antrag unterstützen und gerne unterstützen.
Wenn – –. Lassen Sie mich bitte einmal ausreden, denn auch das gehört zur parlamentarischen Demokratie dazu! Wenn man als Politik einer Gesellschaft oder auch Bildungseinrichtungen vorschreibt, sie sollten sich mit der Novemberrevolution beschäftigen, dann muss man das begründen, und allein zu begründen, das sei irgendwie wichtig und man sollte deswegen irgendwelche Daten ken
nen und man sollte sich einfach einmal damit beschäftigen, reicht nicht aus. Das heißt, ich glaube, wir müssen auch beantworten, warum wir uns denn den Gegenstand Novemberrevolution anschauen wollen und was man daraus lernen kann.
Nun bin ich ja an der Universität Bremen und auch hier in Bremen als Lehrer ausgebildet worden, und wir haben als Lehrerinnen und Lehrer nach dem guten Herrn Klafki ein paar Fragen, die wir beantworten müssen. Vielleicht klärt sich dann bei Ihnen der Widerspruch, warum Sie mit dem Antrag ein Problem haben, vielleicht können Sie dann doch zustimmen.
Der Gegenstand, den wir betrachten, die Novemberrevolution, muss irgendeinen Gehalt haben, es muss irgendetwas Exemplarisches darin sein, von dem man sagt: Aus dem Grund kann ich mich damit beschäftigen, ob jetzt gut oder schlecht aus Ihrer Sicht. Da muss es eine Gegenwartsbedeutung geben, denn ein Großteil dessen, was wir hier in der Debatte erzählt haben, ist jemandem, der an Geschichte nicht interessiert ist, relativ fremd. Wer wann und welches Regiment auf wen geschossen hat, interessiert bis auf bestimmte Spezialisten eigentlich wenige. Es muss also irgendwo an die Lebenswelt der Menschen anschließen und wir müssen unterstellen, dass der Mensch etwas davon haben muss, dass er sich damit beschäftigt, mit dieser ganzen Fragestellung Novemberrevolution.
Dann wollen wir einmal sehen, ob die Novemberrevolution das hergibt. Exemplarisch kann man sagen, die Revolution ist nicht ausgebrochen, weil die Menschen auf einmal cannabisumnebelt durch die Welt gezogen sind oder sich über Fachärztemangel aufgeregt haben, sondern es gab ganz konkrete Problemlagen. Es gab Ungerechtigkeiten, es gab Ungleichheiten in der Gesellschaft und es gab darüber hinaus auch den Wunsch nach Veränderungen und nach Frieden. Das ist das, glaube ich, was in diesem Gegenstand steckt, und wenn man sich dann anschaut, welche Bedeutung das heute hat, dann merkt man, wie anschlussfähig das ist.
Wir sehen heute die Frage der Mitbestimmung durch die Digitalisierung gefährdet. Es verändert sich die Art der Mitbestimmung, die wir in der analogen Arbeitswelt haben, und die Gewerkschaften machen sich berechtigt Sorge darum, in welcher Art und Weise sie weiter an den Geschicken ihrer Betriebe beteiligt sind, und haben die Sorge, sie werden übervorteilt. Die Schülerinnen und Schüler
gehen auf die Straße, weil sie ein Gefühl der Ohnmacht haben, dass sie alleinmit ihrer Stimme nicht in der Lage sind, diese Gesellschaft zu verändern und diese Umweltpolitik zu verändern, und formulieren deshalb Protest und demonstrieren. Auch an der Stelle gibt es eine Anschlussfähigkeit, nämlich die Ohnmacht gegenüber den aktuellen Verhältnissen und dann die Erkenntnis, dass man etwas tun muss.
Die Zukunftsbedeutung, was man daraus lernen kann – da bin ich ganz bei Ihnen –: Man kann aus der Novemberrevolution nicht lernen, zumindest aus meiner Sicht, dass eine Räterepublik sinnhafter ist als eine parlamentarische. Sehr wohl kann man aber daraus lernen, dass eine Diskussion eine bestimmte Hygiene braucht, dass es nun einmal auch Rechte und Grundlagen gibt – und das zeigt dann auch das Grundgesetz aus den Erkenntnissen, was nämlich vorher geschehen ist –, die einer Ewigkeitsklausel unterliegen, die durch keine Mehrheit verändert werden können, auch das ist eine Erfahrung aus der Geschichte.
Es sind die Grundrechte und es ist die föderale Verfasstheit und die Gesetzgebung in unserer Bundesrepublik Deutschland und das ist nicht einfach so vom Himmel gefallen, sondern das ist historisch gewachsen und das bedarf auch zukünftig eines weiteren Engagements.
Abschließend kann man also sagen, wenn man aus der Geschichte lernt, ist das mehr als eine reine Notfallversorgung, bei der ich akut auf ein Problem reagieren muss, sondern es ist mehr. Geschichte ist eine Art Hebamme für die Erkenntnis im Umgang mit aktuellen Problemlagen und kann neue Sichten auf aktuelle Problemlagen aufweisen.
Wenn Sie sich ein bisschen wundern, ich habe fünf Begriffe in dieser Rede unterbringen dürfen, die thematisch nicht ganz passten. Man kann ein Spiel daraus machen, einmal sehen, welche es waren. Es ist, glaube ich, nicht so schwierig.
Ich glaube also tatsächlich, dass die Novemberrevolution ganz viel Anlass und Möglichkeiten gibt, um Heutiges zu reflektieren, sich Gedanken darüber zu machen, welche aktuellen Problemlagen heute die Menschen betreffen und welche Antworten sie in Zukunft darauf haben. Ich glaube, dass
die Auseinandersetzung mit der Novemberrevolution dazu führen kann, dass man sich weiterhin für die parlamentarische Demokratie engagiert, und das ist in der Tat heute notwendig. Ich glaube, es ist sinnhafter, als hier am Pult einfach nur historische Diskussionen zu führen.
Abschließend möchte ich noch sagen – das habe ich gerade dem Kollegen von der Fraktion DIE LINKE gesagt –: Wenn man nicht über die Novemberrevolution spricht, aber man sagt, wie Sie es tun, nach der Revolution war die Demokratie möglich, dann erinnert mich das daran: Man möchte zwar über das Neugeborene sprechen und sich darüber freuen, aber über den Zeugungsakt möchte man nicht sprechen, weil er böse ist. Historische Sachverhalte entstehen nun einmal, sie werden gezeugt, sie werden in der Gesellschaft gemacht. Auch wenn man nicht damit einverstanden ist, muss man darüber reden und ihnen Bedeutungen zuweisen und insofern ist der Antrag sinnvoll. – Vielen Dank!
Bevor ich es vergesse, vielen Dank für acht Jahre hier in der Bremischen Bürgerschaft! Es war mir meistens ein großes Vergnügen und jetzt freue ich mich darüber, wieder mehr in der Schule zu sein. Deshalb an alle, die zukünftig hier sitzen: Passen Sie bitte auf die Schulen auf, das wäre mir ein Anliegen. Auf Wiedersehen!
Herr Tsartilidis, Ihnen auch herzlichen Dank! Wir kennen uns ja länger als wir uns hier in der Bürgerschaft kennen und es passt auch zu Ihren wilden Juso-Zeiten, dass Sie Ihre letzte Rede hier zu so einem Thema halten konnten, aber wir sind uns, wie manchmal, in der Sache nun einmal nicht einig.
Meine Damen und Herren! Was gibt es für gute Anlässe, über die Demokratieentwicklung in Deutschland zu sprechen? Der Herbst 1989, der März 1848, die Julirevolution von 1830. Der November 1918 ist eines der dunklen Kapitel, was den Teil der versuchten Revolution, nämlich den Versuch, eine sowjetische Diktatur in Deutschland zu gründen, angeht.