Protocol of the Session on May 9, 2019

Ich glaube, ich muss Ihnen jetzt alles nicht noch einmal erklären, das ist in allen Reden herausgekommen, in welchem Ablauf die humanitäre Sprechstunde funktioniert, und warum und weshalb wir sie eingerichtet haben.

Ich kann nur noch einmal sagen, so wie das im Prinzip alle Fraktionen in diesem Haus auch gesagt haben: Der Senat steht ausdrücklich zu dieser humanitären Sprechstunde und bedankt sich bei allen Beteiligten. Darin ist viel ehrenamtliches Engagement enthalten, dass wir diese humanitäre Sprechstunde aufrechterhalten konnten und auch in Zukunft betreiben werden.

Die humanitäre Sprechstunde ist für uns ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung von Geflüchteten und auch von nicht krankenversicherten EU-Bürgern, denn diese nutzen die humanitäre Sprechstunde.

Natürlich ist es auch das Ziel, diese Menschen in eine Krankenkassenversorgung zu überführen, weil das unser Regelsystem ist. Bremen hat, auch das ist vorhin erwähnt worden, mit dem Bremer Modell einer Krankenkassenkarte, insbesondere für Asylsuchende, ein Modell geschaffen, das bundesweit hohe Achtung findet, was ich noch einmal ausdrücklich hinzufügen will. Am Anfang ist es sehr skeptisch beäugt worden, insbesondere von den süddeutschen Bundesländern, aber inzwi

schen ist es deutlich geworden, dass das der richtige Weg ist, den wir auch in Zukunft gehen müssen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben als Senat darauf reagiert, dass es einen erhöhten Bedarf gegeben hat – im Übrigen auch ein Problem in der Frage der Besetzung der Stellen, das hatte weniger mit der Finanzierung, sondern das hatte auch mit dem Arbeitsmarkt zu tun, der extrem schwierig ist, insbesondere um Ärzte für diese Aufgabe zu gewinnen. Der Senat hat aber reagiert und den Betrag für die humanitäre Sprechstunde von 20 000 auf 113 000 Euro erhöht. Ich finde, das ist ein bemerkenswertes Ereignis und das schafft, auch das ist bestätigt worden, auch für die Zukunft die finanzielle Grundlage für die humanitäre Sprechstunde.

Wir haben die Diskussion über die Frage des anonymen Krankenscheins auch in der Deputation erörtert. Es ist nicht so, dass dies jetzt völlig neu ist. Wir haben als Senat eine entsprechende Antwort gegeben und es ist in der Deputation eine eindeutige Mehrheit gewesen, dass das Modell, das wir in Bremen mit der humanitären Sprechstunde geschaffen haben, der richtige Weg ist.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Natürlich muss man diese Modellversuche beobachten, ob man daraus etwas lernen kann. Ich finde aber, wir haben im Moment ein Modell, an dem wir uns auch fest orientieren können und das wir in Zukunft betreiben wollen.

Ich würde empfehlen, zukünftig in der Deputation für Gesundheit weiter darüber zu diskutieren, ob es eine Entwicklungsmöglichkeit gibt und auch die Frage zu erörtern, wie der zukünftige Bedarf ist. – Ich darf mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit bedanken!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.

100 Jahre Novemberrevolution: Startschuss für Demokratie, Frauenwahlrecht und Mitbestimmung Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 6. November 2018 (Drucksache 19/1904)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Pietrzok.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Herr Rohmeyer freut sich schon. Der Antrag wird ein wenig spät diskutiert, aber vielleicht hat das auch etwas Gutes, dass er mit zeitlichem Abstand debattiert wird. Der Ausgangspunkt unseres Antrags ist die Feststellung: Die Revolution von 1918 ist der Beginn des demokratischen Staates und der demokratischen Gesellschaft in Deutschland und dafür wird sie viel zu wenig gewürdigt.

(Beifall DIE LINKE)

In Frankreich und in den USA hat man einen Nationalfeiertag dafür. Der Beginn der Demokratie durch einen revolutionären Umbruch ist dort ein identitätsstiftendes Ereignis. In Deutschland ist es nicht so und das ist ein Fehler.

(Beifall DIE LINKE)

Das Verhältnis zur Novemberrevolution ist eine unglückliche Geschichte. In der Weimarer Republik war die positive Aneignung der Errungenschaften unmöglich, für die nationalistische und militaristische Agitation galt schlicht: Revolution gleich Demokratie gleich Verrat – dagegen kam die Arbeiterbewegung nicht an.

(Präsidentin Grotheer übernimmt wieder den Vor- sitz.)

Nach dem Jahr 1945 wurde die Novemberrevolution eher verdrängt, in den 1960er und 1970er Jahren wurde sie dann Thema von Auseinandersetzungen in denen die alte Spaltung der Arbeiterbewegung wiederholt wurde. Auf der einen Seite wurde die damalige Rolle der SPD-Führung bedingungslos verteidigt und auf der anderen Seite wurde die linksradikale Bewegung massiv verklärt

und alles auf den Verrat durch die MSPD-Führung reduziert.

Erst in den letzten Jahren hat sich eine nüchterne und historisch aufgeklärte Sichtweise ihren Raum geschaffen. Die Kernelemente der neuen historischen Betrachtung sind: Die Revolution war erfolgreich, sie hat das Kaiserreich und den Krieg beendet, gleiche politische Rechte für Frauen und für die Arbeiterschaft durchgesetzt und den Weg in die moderne Gesellschaft eröffnet.

(Beifall DIE LINKE)

Die Arbeiterbewegung hat es in der revolutionären Phase versäumt Veränderungen durchzusetzen, die über die politische Demokratisierung und die Anerkennung der Gewerkschaften hinausgegangen wären: Demokratisierung von Heer und Verwaltung, Verstaatlichung der Schwerindustrie, institutionelle Verankerung der Räte als Element von Wirtschaftsdemokratie – das war ein Fehler mit weitreichenden Konsequenzen, wie wir sie in den 1930er Jahren erlebt haben.

Drittens: Das Ende der Weimarer Republik war keineswegs zwangsläufig, die Republik war robuster als rückblickend lange Zeit dargestellt worden ist. Sie war ein Ort eines kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Aufbruchs, noch 1920 funktionierte die Einheit der Arbeiterbewegung und der demokratischen Kräfte, trotz der Gewaltexzesse von 1919. Sie hat den Kapp-Putsch durch den Generalstreik zum Scheitern gebracht und die Republik verteidigt. Ohne die putschartige Machtübertragung an die NSDAP hätte die Republik auch die Krise der Jahre 1929 bis 1933 überleben können.

Das 100jährige Jubiläum ist in Bremen mit auffallend vielen Veranstaltungen begangen worden, dabei hat auch eine Öffnung für diese vorsichtige Neubewertung der deutschen Revolution 1918 stattgefunden. Und es ist gerade bei jungen Leuten ein sehr starkes Interesse deutlich geworden, sich diese Geschichte als deutsche und als Bremer und Bremerhavener Geschichte anzueignen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir möchten mit unserem Antrag den Vorstand der Bürgerschaft beauftragen, Vorschläge für eine angemessene jährliche Würdigung der Ereignisse der Novemberrevolution zu machen. Frauenwahlrecht, betriebliche Mitbestimmung und ein demokratischer Staat sollen dabei gleichermaßen berücksichtigt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Und wir möchten ein Konzept, wie die Novemberrevolution in der Erinnerungs-, Forschungs- und Bildungsarbeit in Bremen und Bremerhaven eine größere Rolle spielen kann.

Wir erleben gerade eine sehr aufgeregte Debatte um ein direktes Erbe der Weimarer Verfassung, nämlich die Errungenschaft, dass die Verfassung die Wirtschaftsordnung nicht abschließend festlegt. Das Grundgesetz hat das übernommen und das hat zwei wichtige Seiten: Die Gesellschaft kann demokratisch entscheiden, aber die Verfassung gilt trotzdem weiter, einschließlich der Offenheit Dinge zurück zu ändern, wenn sie nicht funktionieren. Das war 1919 bei der ersten Verfassung als auch 1949 ein Kompromiss, aber es ist eigentlich ein großer Fortschritt und das sollte man hier auch angemessen würdigen. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig, wir müssen über die Novemberrevolution 1918 und die Räterepublik, die unmittelbar damit zusammenhängt, diskutieren und uns überlegen, wie wir sie heute geschichtlich bewerten müssen. Daran gibt es keinen Zweifel und natürlich muss man auch überlegen, wie sie sich in den historischen Kontext einfügt und welche Schlüsse man heute, 100 Jahre danach, zieht.

Die Bürgerschaft hat mit ihrer wissenschaftlichen Fachtagung einen, wie ich finde, beachtlichen Beitrag dazu geleistet und da braucht die Bürgerschaft keine Aufforderung noch mehr zu tun,

(Beifall FDP, CDU)

sondern ich glaube, hier ist für die Einordnung Hervorragendes geleistet worden. Ich habe mir die Mühe gemacht, das nachzulesen, weil ich an dem Tag leider anderweitig beschäftigt war und nicht zuhören konnte. Das muss man anerkennen. Das ist vielleicht auch jetzt am Europatag, dem 9. Mai, genauso wichtig, was im November 1918 erreicht wurde, wenngleich ich die Debatte gern gestern, am 8. Mai, geführt hätte.

Es waren kriegsmüde Soldaten, die die Diktatur des Kaiserreiches, die Militärdiktatur des Kaiserreiches beendet haben. Mit ihrer Befehlsverweigerung und der Befreiung von Inhaftierten haben sie dafür gesorgt, dass das Töten ein Ende hatte und das Sterben, das unsinnige Sterben beendet wurde. Ein Angriff, ein Rausfahren der Marine wurde verhindert und damit unsinniges Sterben, unsinniges Leid beendet.

Das ist etwas, das viel zu wenig gewürdigt wurde, auch deshalb, weil es natürlich unter der Zensur und all dem, was die Oberste Heeresleitung damals vorgegeben hat, gar nicht so publik wurde und auch in den Bremer Zeitungen seinen Niederschlag nicht finden konnte, weil es gar nicht so veröffentlicht war. Was am Ende bis hin zu den Chancen für die Dolchstoßlegende geführt hat, und dazu, dafür Argumente vorzutragen. Und damit auch Rechte gefördert hat, solche Argumente aufzugreifen.

Dieses ist zu würdigen, denn schauen wir uns an, was am 8. Mai durch die Befreiung passierte – und das sage ich auch ganz nach hinten in die rechte Ecke – wie die Befreiung die am 8. Mai stattfand, dass es 1945 nicht Deutsche waren, dass Deutschland es alleine nicht geschafft hat, sondern dass es die Alliierten geschafft haben, dass wir aus dieser Diktatur, dass wir aus dieser Zwangsherrschaft herauskamen und langsam wieder in die Demokratie einsteigen konnten. Und das ist der Unterschied und das ist an der Novemberrevolution von 1918 durchaus zu würdigen.

Aber machen wir uns doch nichts vor, es war nicht der Einstieg in die Demokratie, wie es uns die Fraktion DIE LINKE glauben machen wollte.

(Beifall FDP, CDU)

Was wurde denn gemacht? Es wurde ein ständisches System, ein Achtklassenwahlrecht mit lebenslangen Senatoren in Bremen abgeschafft. Ein, wie wir heute sagen würden, undemokratisches System, weil es nicht die Freiheit und Gleichheit der Menschen im Blick hatte.

Und wodurch wurde es ersetzt? Durch ein patriarchalisches demokratisches System – denn Frauen kamen auf den ersten Blick nicht vor – das auf zwei Stände beschränkt war, nämlich auf Arbeiter- und Soldatenräte. Das war das Ersetzen eines ständischen Systems durch ein anderes, das außerdem die Rechte Dritter ausblendete und negierte, bis hin zu den Rechten der Frauen.

(Zuruf Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: Aber es hat schon zur Weimarer Nationalversammlung ge- führt.)