Ich glaube, wir müssen um Europa kämpfen. Wie Sie vielleicht wissen, sind wir im Europäischen Parlament in einer Fraktion zusammen mit den Tories. Wir haben am 17. Juni 2016 hier im Maritim-Hotel eine gemeinsame Veranstaltung mit Professor Lucke zu dem Thema Brexit. Dazu lade ich Sie alle recht herzlich ein!
Herr Präsident! Ich konnte mich nach den Redebeiträgen von Herrn Tassis und Herrn Schäfer kaum auf dem Sitz halten.
Herr Tassis, Sie machen die EU für den Ruin von ganzen Staaten verantwortlich. Bei Ihnen fallen Sätze wie „Europa der Vaterländer“, „Nationalstaat ist ein Humanum“. Das finde ich, ehrlich gesagt, erschreckend.
Wenn Sie, Herr Schäfer, erst einmal sagen, Sie stehen zur EU, und dann immer wieder betonen, dass Europäische Parlament sei ein einziges demokratisches Defizit, die EU werde an ihrer demokratischen Idee zugrunde gehen, die Idee werde durch die etablierten demokratischen Parteien pervertiert, dann sage ich Ihnen:
Wie europafeindlich kann eigentlich eine Rede sein? Wenn man die europäische Idee kaputtmachen will, dann mit solch einer Europaskepsis und solchen Redebeiträgen! – Vielen Dank!
Herr Präsident! Letzte Woche hat es im Rathaus eine spannende Veranstaltung gegeben. Freitagabend um 18 Uhr war Heribert Prantl im Rathaus und hat von seiner Überzeugung für Europa geredet. In einer unglaublich beeindruckenden Rede hat er gesagt: Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern; das gilt auch für Europa. Er hat betont, dass seine Sicht auf Europa möglicherweise eine andere ist als die, die im Moment von vielen Menschen auch in unserem Land vertreten wird. Er hat besonders den Menschenrechtsaspekt von Europa hervorgehoben, die zivilisatorischen Errungenschaften, die Verpflichtung, andere zu schützen, denen es schlechter es geht, und ihnen Aufnahme und Schutz zu bieten.
Diese Veranstaltung war für mich ein echtes Highlight der Europawoche, gerade weil man dort nach vorn und unter einem humanistischen Blickwinkel auf Europa geschaut hat.
Wir mussten heute feststellen, durch die meisten Redebeiträge ist zum Ausdruck gekommen, dass sich die Europäische Union immer wieder um die Grundrechte kümmern muss, dass sich die Europäische Union an ganz vielen Stellen darum kümmern muss, den Wert dessen, was wir gemeinsam als Europäer eigentlich vertreten, immer wieder unter Beweis zu stellen.
Ich will nur ein Beispiel zu der Frage herausgreifen, wie demokratisch Europa ist. Als Beispiel sind die Verhandlungen um TTIP genannt worden. Dass es auch anders geht, jedenfalls in Grundzügen, haben die Verhandlungen um TiSA, das Abkommen zur Dienstleistungsfreiheit, gezeigt. Diese Debatte ist sehr viel offener geführt worden, es hat sehr viel mehr Berichte gegeben, es ist auch sehr viel mehr die Diskussion möglich gewesen um die Fragen: Was halten wir für schützenswert? Was ist uns wichtig, was sind die Kernbereiche, auf die wir uns als Staaten verständigen wollen, die wir in staatlicher Bestimmung lassen wollen? Es ist wichtig, immer wieder über diese Fragen zu reden, genauso wie über die Frage, was die Europäische Union auch außerhalb der Europäischen Union erreichen kann. Sie haben heute erlebt, dass in der Lobby verschiedene Organisationen für fairen Handel eingetreten sind. Für mich ist die Frage, wie sich Europa gegenüber anderen Ländern verhält, insbesondere gegenüber den Ländern, mit denen wir fairen Handel betreiben wollen, auch eine Frage des Schutzes von menschenwürdigen Lebensund Arbeitsbedingungen.
Zum Antrag der LINKEN! Ich habe in der Pause mit Frau Leonidakis gesprochen, weil es auch mir so geht wie Frau Dr. Müller, dass ich meiner Fraktion gesagt
habe, der Antrag der LINKEN gehört nicht als Änderungsantrag zu unserem Antrag. Unser Antrag bezieht sich auf die EU, die Türkei ist nicht Mitglied der EU.
Wir müssen über diese Fragen dringend sprechen. Ich gebe ehrlich zu, diese Diskussion wird durchaus auch in meiner Partei und meiner Fraktion sehr kontrovers geführt. Ich wünsche mir, dass wir diese Diskussion in den nächsten Monaten wie angekündigt auch um andere Staaten, die nicht Mitglied der EU, aber sehr wohl Mitglied Europas sind, gemeinsam führen werden.
Ich wünsche mir mehr gemeinsames Handeln auf der Grundlage europäischer Werte statt der Wiederbelebung nationalstaatlicher Einzelinteressen. Das muss die Maßgabe der weiteren europäischen Politik sein, und dafür werden wir Bremerinnen und Bremer uns auf allen politischen Ebenen und in der Diskussion mit unseren Partnern einsetzen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Ich darf nur, wie immer bei meinen ganz kurzen Kurzinterventionen, schlicht und ergreifend auf Folgendes hinweisen: „Europa der Vaterländer“ stammt immer noch von Charles de Gaulle. Wenn der in der Bremischen Bürgerschaft schon nicht mehr zitierfähig ist, macht mir der europapolitische Kurs dieses Hohen Hauses mehr Sorgen als der Kurs der AfD! – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Abgeordneten! Zuerst möchte ich mich bei Ihnen für die Anträge und die klärende Debatte hier im Hause bedanken, da Sie in einer bedenklich unruhigen Zeit in Europa jeweils jeder für sich ein starkes, überzeugendes Bekenntnis zur Europäischen Union und zu ihren Zielen und Werten abgegeben haben! Aus meiner Sicht ist es das Gebot der Stunde – wir haben das leider auch hier gemerkt –, sich klar zu positionieren und einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte in Europa sichtbar zu machen, die positiv und vorwärtsgewandt
zum Wohle der Menschen in Europa und in jeder Hinsicht nach dieser Prämisse handeln. Ich möchte mich besonders bei Jens Eckhoff, bei Frau Dr. Müller, auch bei Frau Grotheer und bei Frau Leonidakis dafür bedanken, dass Sie hier in unterschiedlichen Ausrichtungen klare Position für Europa bezogen haben. Bei Herrn Zenner bedanke ich mich natürlich auch! Entschuldigung, ich hatte Sie vergessen!
Ich teile das Unbehagen meiner Vorrednerinnen und Vorredner über die aktuellen rechtspopulistischen Entwicklungen in Europa. In Europa, und nicht nur in der Europäischen Union, ist eine besorgniserregende Entwicklung zu beobachten. Aus unterschiedlichen Gründen werden Grundrechte und Grundwerte immer häufiger infrage gestellt und vielen Menschen sogar schlicht abgesprochen und vorenthalten. Das ist nicht akzeptabel, und wir müssen besonders den Tendenzen, solche Haltungen salonfähig zu machen, entschieden entgegenwirken,
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat einmal gesagt, „Demokratien sind kein Zustand – sondern sie sind immer ein Prozess“. Dasselbe gilt auch für unsere anderen Grundwerte. Auch die Freizügigkeit, die Rechtsstaatlichkeit, die Gleichheit, die Achtung der Menschenwürde und die anderen Grundrechte müssen stets aufs Neue mit Leben gefüllt und miteinander in Einklang gebracht werden. Sie sind leider nicht selbstverständlich, wie wir zurzeit an vielen Stellen spüren. Das gilt nicht nur anderswo, sondern durchaus auch in bestimmten Politikbereichen hier bei uns. Ich erinnere nur beispielhaft daran, dass gleichgeschlechtliche Paare bis zum heutigen Tag auch bei uns in Deutschland mit gesellschaftlicher, aber auch rechtlicher Diskriminierung konfrontiert sind, dass es immer noch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, ungleiche Entlohnung der Geschlechter und daraus folgende Altersarmut, ungleiche Bildungschancen und vieles mehr gibt, was Europa und gerade auch Deutschland fortwährend beschäftigt und Antworten verlangt. Dabei ist die Abschaffung der systematischen Diskriminierung in den gesellschaftlichen Strukturen die entscheidende Herausforderung.
Trotzdem haben wir schon viel erreicht, und wir arbeiten kontinuierlich an einer Fortentwicklung unserer Errungenschaften im Bereich der Grund- und Menschenrechte in Europa. Das ist ein ganz wesentlicher Grund, weshalb Europa so attraktiv ist, attraktiv für seine Bürgerinnen und Bürger, aber auch für viele, die vor Krieg, Verfolgung, Elend und Hunger fliehen,
für Menschen, die selbst Repressionen erfahren haben, die Freiheit nur in ihren Gedanken kennenlernen durften, für Menschen, die sich nach einer Achtung der Menschenwürde sehnen, die sich frei entfalten möchten, für Menschen, die sich ein besseres Leben für sich und ihre Kinder wünschen. Nun scheint es aber, als würde der derzeitige Zuzug von Flüchtlingen ein Klima der Entsolidarisierung, der Missgunst und der Intoleranz in Europa unter den EU-Mitgliedstaaten und in den jeweiligen Gesellschaften beflügeln. Es scheint auf einmal, als könnten wir uns den Luxus von universellen Menschen- und Grundrechten und von Solidarität untereinander nicht mehr leisten, als gebe es davon nicht genug für alle und als müsse man sich daher auf das Nationale, das Eigene, das individuell Errungene besinnen und dies gegen andere verteidigen.
Nicht nur rechtspopulistische Bewegungen in ganz Europa bedienen sich dieser Mechanismen, auch nationale Regierungen und gleichermaßen einzelne Politiker und Politikerinnen versuchen, die derzeitige Situation hauptsächlich für ihr Eigeninteresse zu nutzen, ja, zu missbrauchen. Das Gegenteil ist allerdings erforderlich. Wir brauchen gerade jetzt ein starkes Europa, das seine Werte auch in Krisenzeiten lebendig verkörpert.
Wir müssen zeigen, dass Grund- und Menschenrechte nicht bloße Lippenbekenntnisse sind, dass Europa stark genug ist, an ihnen festzuhalten und sie auch in herausfordernden Zeiten zu leben, denn wer Europa, seine Menschen, seine Geschichte, seine Errungenschaften und seine Werte jetzt kleinredet und schwächt, ist verantwortlich für die Förderung rechtsnationaler Kräfte, die durch die systematische Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen Verunsicherung und Misstrauen in die Gesellschaften tragen, die wir angesichts unserer Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr für möglich erachtet hätten.
Die ungleiche Verteilung von Ressourcen, von Wohlstand, von Chancen und von Zugang zu Bildung und Gesundheitsmaßnahmen hat maßgeblich zu einer Zuspitzung und Entsolidarisierung geführt, ob global, in Europa oder auch in Deutschland. Immer entscheidender ist es für alle Menschen in unseren Gesellschaften geworden, wie gerecht die Lebensgestaltung ist, ob für einen persönlich, für die eigene Familie und die Kinder. Die Sorge des sozialen Abstiegs ist häufig berechtigt und zeigt, wie wichtig eine faire Umverteilung des Reichtums auf alle ist. Diese berechtigte Wahrnehmung der Ungleichheit gilt es beherzt und mutig ins Visier zu nehmen. Vielleicht müssen wir weiter darüber nachdenken, ob wir zu einer Sozialunion kommen müssen,
ob das Europäische Parlament mehr Initiativen gestalten kann, die dort weiterverfolgt werden. Es muss allerdings klar werden, dass man nicht verliert, wenn man in Europa oder auch weltweit fair miteinander umgeht. Gelebte Solidarität und Gerechtigkeit wird unter dem Strich allen zugutekommen. In diesem Sinne muss auch klar werden, dass geteilte Grundwerte starke Werte sind, dass ich mich auf Werte, die ich heute anderen abspreche, morgen vielleicht selbst berufen können möchte, dass es mir nicht besser geht, wenn es anderen noch schlechter geht. All dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Politikbereiche zum Handeln auffordert.
Wir haben mit all den in Ihrem Antrag genannten Verträgen und Regelungen einen starken rechtlichen Rahmen für die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten in Europa. Diesen müssen wir aktiv nutzen und schützen und dabei zugleich die Grundlage für eine Akzeptanz in unseren Gesellschaften erhalten.
Das Thema Dialog, das heute schon angesprochen wurde, ist wichtig. Manchmal fällt es einem schwer, in einen Dialog zu treten, weil die Vorstellungen in Europa sehr unterschiedlich sind. Es ist anstrengend, aber es ist wichtig, einen Dialog zu führen und deutlich zu machen, wie unsere Positionen sind.
Wie Sie sich sicherlich schon denken können, rennen Sie bei mir mit Ihren Aufforderungen an den Senat, die Bedeutung des Grundrechtsschutzes auf Bundes- und Europaebene sowie gegenüber europäischen Partnern zu thematisieren und sich für die Achtung und Umsetzung der Grundrechte einzusetzen, offene Türen ein.
Als Vertreterin des Landes Bremen gegenüber dem Bund und der Europäischen Union nehme ich jede Möglichkeit wahr, mich für die Achtung und Wahrung dieser Rechte einzusetzen. Als Staatsrätin für Entwicklungszusammenarbeit möchte ich gleichermaßen die Wichtigkeit der Achtung dieser Rechte auch im globalen Kontext hervorheben. Ich bin überzeugt, je mehr Menschen auf der Welt von Grundund Menschenrechten profitieren, desto weniger werden sie in anderen Teilen der Welt bedroht werden können.
Antje Grotheer hat eben schon darauf hingewiesen: Draußen gibt es für alle die Möglichkeit, fotografiert zu werden und über das Bremer entwicklungspolitische Netzwerk ein Statement zum Thema fairer Handel, faire Lebensverhältnisse abzugeben.
Bremen hat als traditionell weltoffene Stadt eine im Bundesvergleich gute Ausgangslage für eine tolerante und solidarische Gemeinschaft, die es aktiv zu wahren und zu fördern gilt. Für all dies wird sich der Senat weiter engagieren mit all seinen Möglichkeiten, auch zusammen mit seinen europäischen Partnerstädten.
Ebenso unterstütze ich den Ansatz, künftig ganz bewusst einen stärkeren Fokus auf den Mehrwert Europas zu legen, statt die europäische Gemeinschaft durch Lamentieren, Klagen und den Fingerzeit auf tatsächliche oder vermeintliche Defizite fortwährend zu destabilisieren. Solch einen destruktiven Umgang mit der Europäischen Union können wir uns angesichts der derzeitigen Herausforderungen nicht leisten. Natürlich gilt es, kritisch zu bleiben und, wie Sie bereits sagten, die EU weiterzuentwickeln, dies jedoch aus einer grundsätzlich europafreundlichen Grundhaltung heraus.
(Abg. Röwekamp [CDU]: Jens, du bekommst jetzt auch noch einmal zehn Minuten! Dann kannst du auch noch etwas vorlesen!)
Im Sinne eines starken, solidarischen und zugleich kritik- und weiterentwicklungsfähigen modernen Europas wird der Senat seine erfolgreiche europapolitische Öffentlichkeitsarbeit wie auch die europapolitische Bildung im Land Bremen fortsetzen. Hierzu wie für die Wahrnehmung der Interessen unseres Landes ist es im Rahmen einer Weiterentwicklung der Europäischen Union unerlässlich, auf eine aufgeschlossene und europakompetente Verwaltung zurückzugreifen.