Protocol of the Session on September 29, 2010

Okay, das waren die ersten fünf Minuten, ich komme gleich wieder!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Allers.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir klopft jetzt ein bisschen das Herz nach diesem Redebeitrag.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Meine Faust zuckt eher!)

Meine ganze Redezeit würde, glaube ich, dabei verbraucht werden, wenn ich jetzt all das korrigieren würde, was Sie fälschlich über die Geschichte der damaligen Zeit hier berichtet haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich empfehle Ihnen einfach einmal, „Fragen an die deutsche Geschichte“ zu lesen und sich selbst vielleicht ein besseres Bild über die damalige Zeit zu bilden. Frau Nitz, Sie hätten selbst sprechen können, eigentlich hatte ich gedacht, dass Sie dazu sprechen, Sie haben das ja auch ein bisschen von der persönlichen und anderen Seite der Medaille erlebt, aber leider hat ja Ihr Kollege, Herr Erlanson, seine Sicht der geschichtlichen Entwicklung geschildert. Ich will es dabei belassen, ich will einfach zu dem Thema kommen, das wir hier heute haben, nämlich 20 Jahre deutsche Einheit.

Ich bin im Ostteil Berlins geboren und aufgewachsen und habe auch den größten Teil meines Lebens in der DDR erlebt. Dieses heute einheitliche Deutschland ist mein Land geworden, und dennoch kommt es mir heute, 20 Jahre später, auch noch ein bisschen wie im Traum vor. Ich habe heute die Freiheit, einen Beruf zu erlernen und zu ergreifen, der meinen Fähigkeiten entspricht, ich habe die Freiheit gehabt, mir ein politisches Zuhause zu suchen, welches meinen Überzeugungen entspricht, und ich stehe hier heute als eine von 1 859 Landtagsabgeordneten, die es in ganz Deutschland gibt.

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Glück gehabt!)

Nein, das hat nicht nur etwas mit Glück zu tun, das hat auch etwas mit Leistung zu tun, aber damit wollen Sie immer nichts zu tun haben!

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie was? Ich bin stolz darauf, ich bin persönlich stolz darauf, ich bin aber auch stolz, dass die Menschen hier in Deutschland diese Freiheit auf Selbstbestimmung ihres Lebens haben!

(Beifall bei der CDU)

Darauf sollten wir uns in diesen Tagen nämlich besinnen, und damit komme ich zu Ihrem Antrag. Wir werden diesen Antrag ablehnen, da er auf einer Seite in vielen Fakten geschichtlich falsch ist, der Beitrag soeben hat es noch einmal bestätigt, und an dem Thema deutsche Einheit vorbeigeht und, ich finde, auch zum großen Teil an der heutigen Realität.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen angeblich eine soziale Spaltung verhindern, aber Sie machen genau das Gegenteil. Ich finde

es wirklich erschreckend, wie Sie anhand eines solchen Jubiläums die Gelegenheit nutzen, Neid und Missgunst zu schüren. Sie benutzen wieder die Gelegenheit, populistische Forderungen aufzustellen, die teilweise überhaupt nichts mit der deutschen Einheit zu tun haben.

(Beifall bei der CDU)

Da kommen Sie unter anderem in Ihrem Antrag wieder mit der Vermögensteuer, aber schon heute funktioniert die Umverteilung von oben nach unten. 30 Prozent der Haushalte mit starkem Einkommen leisten heute schon mehr als die Hälfte der Sozialabgaben, aus denen die sozialen Transfers für die sozial Schwächeren ja bezahlt werden. Wenn Sie immer nur Leistung und Risikobereitschaft bestrafen wollen, denken Sie doch einmal weiter! Wohin führt denn das hin, wenn die starken Schultern irgendwann einmal weg sind?

(Beifall bei der CDU)

Dann sind nämlich auch Sie weg, weil Sie auch von öffentlichen Geldern bezahlt werden!

Sie sprechen von den Mauern zwischen Ost und West, Sie sprechen inzwischen auch schon von Mauern zwischen Nord und Süd. Was das mit Einheit zu tun hat, weiß ich auch nicht. Sie sprechen von Arbeitslosigkeit, Armut und Abwanderung im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung. Ich frage mich wirklich manchmal, wo Sie leben. Ich war vor zwei Wochen erst wieder in Berlin, auch am Prenzlauer Berg. Ich habe mich gefreut, dass die alten historischen Bauten im neuen Glanz erstrahlen, auch welches bunte Miteinander es im Alltag des Prenzlauer Bergs gibt. Nur als Beispiel! Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen die Arbeitslosigkeit abnimmt.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Nur in Bre- men nicht!)

Selbst in Ostdeutschland liegt die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit 1992 unter der Eine-Million-Grenze. 1990 war die DDR pleite, viele Betriebe waren marode, und heute boomt das verarbeitende Gewerbe. Ja, das tut es!

In den neuen Bundesländern ist eine aufstrebende Wissenschaftslandschaft zu verzeichnen. 1991, als Beispiel, ist die Universität in Potsdam gegründet worden und gehört zur Exzellenzinitiative. Ostdeutschland ist führend bei innovativen Umwelt- und Energietechnologien, ich denke da zum Beispiel an das internationale Zentrum für Umwelt- und Energietechnologien in Potsdam und an das Solarvalley Mitteldeutschland.

Wenn ich heute mit meiner Stieftochter, die im November 18 Jahre alt wird, über die damaligen Lebens

umstände spreche, schaue ich meistens in große staunende Augen. Zu meinem 18. Geburtstag habe ich damals eine Wohnung, ein Auto, einen Führerschein, selbst einen Wohnwagen angemeldet, man hat alles angemeldet, wenn man 18 Jahre alt geworden ist. Man musste darauf warten, bis man vielleicht irgendwann eine Zuteilung dafür bekommen würde. Für eine Waschmaschine hat man damals 2 400 Mark bezahlt, für einen Staubsauger über 400 Mark und für eine Schrankwand damals mehrere Tausend Mark. Es gab keine Kredite, keinen Dispo, so etwas gab es nicht, und ich spreche dabei nicht von luxuriösen Konsumgütern, sondern von Dingen, die zum Lebensstandard eines jeden Menschen gehören. Für die heute 20-Jährigen ist die Einheit von Ost und West eine Selbstverständlichkeit, und da sprechen Sie von einem Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse. Ich finde, das Gegenteil ist der Fall.

Deshalb haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, dem sich inzwischen auch die Koalitionsparteien und auch die FDP angeschlossen haben, darüber bin ich sehr froh, weil wir finden, dass 20 Jahre Einheit und all das, was in diesen Jahren für Deutschland zum einen und, nicht zu vergessen, auch für ein stabiles Europa zum anderen erreicht worden ist, ein Grund zum friedlichen Feiern ist, Herr Timke, selbstverständlich! Wir können als deutsches Volk stolz auf das Erreichte sein.

Natürlich war das alles nicht einfach, und es war mit Härten verbunden. Die sogenannte Mauer im Kopf, viele Vorurteile gegeneinander mussten überwunden werden, aber es war der Verdienst aller Menschen in diesem Land: der Ostdeutschen, die natürlich auch teilweise ihr Leben völlig verändern mussten, und auch der anderen Bundesbürger, die mit Fleiß, Engagement und auch mit Solidarität dazu beigetragen haben, dass „das zusammenwächst, was zusammen gehört“, und nicht nur Willy Brandt kann ich zitieren, auch Bürgermeister Böhrnsen möchte ich noch einmal zitieren,

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das lohnt sich immer!)

der gerade am 23. September dem „Hamburger Abendblatt“ gesagt hat: „Wir können nicht nur mit Freude auf das zurückblicken, was vor 20 Jahren geschehen ist, sondern auch mit Zufriedenheit auf das, was erreicht worden ist. Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft sicherlich unterschiedlich, aber sie verläuft doch so, dass hier gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen.“

Es bleibt bei alldem Erreichten sicherlich noch viel zu tun, aber auch das bleibt unsere gemeinsame Aufgabe. Ich denke, wir sollten die gesellschaftlichen und auch die wirtschaftspolitischen Herausforderungen aus einer gesamtdeutschen Perspektive und nicht aus irgendwelchen Himmelsrichtungen betrachten, und es auch als Chance für ein friedliches, wirtschafts

und wettbewerbsstarkes, schönes und vielseitiges Land Deutschland innerhalb Europas und innerhalb der Welt sehen. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Erlanson, ich glaube, man muss in dieser Debatte vielleicht auch noch ein bisschen die historischen Dimensionen wieder einmal zurechtrücken.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist ein guter Ansatz!)

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich als kleiner Junge vor dem Radio gesessen und unglaubliche Angst davor gehabt habe, dass ein Dritter Weltkrieg ausbricht, weil Nikita Chruschtschow Raketen auf Kuba stationieren wollte. Der Kalte Krieg war nicht nur kalt, er war phasenweise ziemlich heiß, und die Welt stand vor einem Abgrund. Ich glaube, das zu vergessen, dass die Welt sich in Ost- und Westblöcke aufgeteilt hat, die unvereinbar gegenüberstanden, und das zu eröffnen, ist das Verdienst mehrerer, da will ich niemandes Verdienst schmälern. Ich glaube, dass Willy Brandt mit seiner Ostpolitik Wege geöffnet hat, was man heute vielleicht deutlicher sieht, als man es damals geahnt hat. Ich glaube im Übrigen auch, dass Helmut Kohl in der Zeit genau das Richtige getan hat. Es gab dafür keine historische Vorlage zu wissen, wie man eine Wiedervereinigung schafft, und mit Verlaub, dass da Fehler passiert sind, muss man hier an dieser Stelle nicht diskutieren. Davon bin ich auch überzeugt.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einen Satz aus dem Antrag der LINKEN zitieren: „Der Wunsch der DDR-Bevölkerung nach einer schnellen Wiedervereinigung war auch dem Willen geschuldet, den Bruch mit dem SED-Regime unumkehrbar zu machen.“ Das ist der einzig richtige Satz in dem Antrag. Natürlich, die DDR-Bevölkerung hatte Angst davor, in das alte System zurückzufallen, sie wollten aus dem System heraus. Die DDR ist ökonomisch explodiert, moralisch, kulturell und psychologisch implodiert, das System war komplett am Ende.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich möchte an dieser Stelle, weil ein so schwerwiegendes historisches Thema in fünf Minuten abzu––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

wickeln natürlich außerordentlich schwierig ist, mit zwei Zitaten anfangen, die zwei Aspekte noch einmal beleuchten. Willy Brandt hat in einer Rede vor dem Rathaus in Berlin gesagt: „Und jetzt erleben wir, und das ist etwas Großes, und ich bin dem Herrgott dafür dankbar, dass ich dies miterleben darf, wir erleben, dass die Teile Europas wieder zusammenwachsen.“ Das ist ein Zitat von Willy Brandt, und auch Richard von Weizsäcker betont, dass die Vereinigung Deutschlands als Teil eines gesamteuropäischen geschichtlichen Prozesses aufzufassen sei, der eine neue Friedensordnung für den Kontinent zum Ziel hat. Ich glaube, wenn man diese Sichtweise in der Diskussion um den 3. Oktober außen vor lässt und anfängt, kleinlich an den Fehlern herumzunörgeln, dann macht man an der Stelle einen ganz entscheidenden Fehler.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube auch, dass wir noch viel vor uns haben,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: So ist es!)

und ich glaube ebenfalls, das man vielleicht nicht nur gedacht hat, der Osten wird und muss sich ändern, sondern dass der Westen gemerkt hat, dass sich auch eine Menge bei der Wiedervereinigung verändert, und manche haben vielleicht auch ein bisschen gestaunt, was mit ihnen da so passiert. Ich glaube aber trotz allem, dass es ein Grund zum Feiern ist und wir weiter an der Vereinheitlichung, an der Einigkeit arbeiten müssen, und da gebe ich der LINKEN an der Stelle recht, sicherlich auch im sozialen Bereich. Sicherlich ist die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich nicht hilfreich für eine gesunde Gesamtgesellschaft. – An dieser Stelle erst einmal soweit, vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist der Tag der Einheit ein Grund zum Feiern, das steht doch völlig außer Frage. Ich bin, ehrlich gestanden, bei dem Redebeitrag des Kollegen Erlanson ziemlich fassungslos gewesen, weil ich eigentlich finde, dass diese Debatte keinen Anlass bietet, um so mit der Geschichte der letzten 20 Jahre umzugehen. Sie haben sich in Ihrem Antrag an vielen Kleinigkeiten abgearbeitet, die teilweise sachlich falsch sind. Ich persönlich interpretiere jedenfalls diese 20 Jahre auch im Sinne vieler Menschen in den neuen Bun––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.