Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der sexuelle Missbrauch und die sexualisierte Gewalt gegen Kinder gehören ohne Frage zu den schwersten Verbrechen, die ein Mensch einem anderen antun kann. Die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle mahnen uns zu sofortigem Handeln, aber eben zu überlegtem Handeln und nicht zu unüberlegten, kurzfristigen Aktionen, die dann dazu dienen sollen, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Insofern begrüße ich für meine Fraktion ausdrücklich die Initiative, die hier auch die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben. Ich glaube, die Punkte sind in der Abgewogenheit genau die Argumente, die angeführt werden müssen und die wir als Bremer Landesparlament auch in die bundespolitische Diskussion einbringen sollten, denn letztlich ist der Bundesgesetzgeber verantwortlich.
Ich will zu dieser Diskussion generell noch einmal eines sagen, weil ich das Gefühl habe, die Debatte greift entschieden zu kurz, wenn wir hier ausschließlich über die Verantwortlichkeiten in der katholischen Kirche sprechen. Wir erwarten, dass alle Institutionen, egal ob kirchlich, privat oder staatlich, mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren und, wenn sie Verdachtsfälle haben, diese selbstverständlich auch zur Anzeige bringen. Da macht es keinen Unterschied, wer Träger einer Einrichtung ist, das erwarten wir von allen Institutionen, die Verantwortung für Kinder tragen.
Zur inhaltlichen Bewertung! Ich habe den Eindruck gehabt, dass auch dies vielleicht noch einmal erwähnt werden muss: Die wichtigste Frage bei der gesamten Diskussion ist doch, wie man zum einen Missbrauchsfälle entschlossen und ohne Vorbedingungen aufklären kann, zum anderen muss man doch aber ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
auch in den Mittelpunkt stellen – dies ist auch schon zum Ausdruck gekommen –, wie man den Opfern denn bei der Aufarbeitung des erlittenen Unrechts dann ganz konkret helfen und ihnen möglicherweise auch eine Entschädigung zuteil werden lassen kann, das kann natürlich nur ein Teil sein, aber auch eine umfassende psychische Aufarbeitung zu gewährleisten. All diese Dinge sind, denke ich, sehr viel wichtiger, als sich allein am Strafrecht abzuarbeiten. Deshalb ist uns der Antrag der CDU-Fraktion zu kurz gegriffen. Dementsprechend werden wir ihm auch nicht zustimmen, weil wir glauben, das Überprüfen von Verjährungsfristen kann ein Aspekt sein, aber es ist aus meiner Sicht ein Randaspekt in dem Gesamtthema.
Es ist ja auch schon gehandelt worden. Man sollte nicht so tun, als sei das auf der Bundesebene noch überhaupt nicht angekommen. Es ist richtig und auch wichtig, dass über die Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen dringend diskutiert werden muss, weil die in der Tat deutlich zu kurz sind. Was die strafrechtlichen Verjährungsfristen angeht, muss man hier immer sehen – es ist auch schon erwähnt worden –, dass sich die Dauer der Verjährungsfristen generell nach der Schwere einer Straftat richten, und das auch völlig zu Recht. Die Spanne reicht im deutschen Strafrecht von drei bis zu 30 Jahren und liegt zu Recht auch bei Fällen von sexuellem Missbrauch schon relativ hoch, nämlich bei bis zu 20 Jahren für schwere Fälle. Sie setzt auch bewusst erst im 18. Lebensjahr ein. Auch dies ist Ihnen alles aus der öffentlich gewordenen Diskussion bekannt. Eine strafrechtliche Verjährungsfrist nun gänzlich abzuschaffen halten wir für kaum durchsetzbar und auch am Ende aus Gründen der Rechtssystematik für nicht geeignet. Wir glauben auch, dass diese Diskussion seriöser geführt werden kann, wenn man nicht Vorschläge unterbreiten würde, von denen man im Grunde weiß, dass sie am Ende so vom Bundesgesetzgeber gar nicht umzusetzen sind. Viel wichtiger ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Opfer eine angemessene Entschädigung, ein Stück Gerechtigkeit erfahren. Dafür wollen wir uns auch gern hier in Bremen und auch im Bund einsetzen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesjustizministerin mit ihrem Haus hierzu bereits sehr konkrete Vorschläge gemacht hat, zum Beispiel der runde Tisch, der eingerichtet werden soll zur Stärkung der Rechte der Opfer. Auch dringend ist eine Fortsetzung des Gesprächs mit den Kirchen als einer Institution, die mit Kindern zu tun hat. Auch dort gilt: Es ist ganz klar, wir erwarten, dass jeder Verdachtsfall auch wirklich offengelegt wird und von den Strafverfolgungsbehörden ohne Vorbehalte weiter verfolgt wird. Dazu muss er aber erst einmal bekannt sein, und das ist eben tatsächlich der Vorwurf, mit dem die katholische Kirche zu Recht umzugehen hat.
Ich bin mir auch sicher, dass sich der Standpunkt, der dort in der Vergangenheit vertreten worden ist, so nicht auf Dauer aufrechterhalten lässt.
Im Weiteren lassen Sie mich sagen: Ich glaube, wenn wir das heute beschließen werden, dass wir den Senat bitten, sich auf Bundesebene entsprechend einzusetzen, dass wir vielleicht als Bremer oder auch der Senat über seine Bundesratsinitiative gar nicht unbedingt Rechtsgeschichte dort schreiben will und wird. Ich glaube aber, dass das klare Bekenntnis dieser Bremischen Bürgerschaft zu den Rechten der Opfer und zu den Zielen, die eine Gesamtreform dieses Bereiches tragen muss, sehr wichtig ist, auch als Signal in die Öffentlichkeit.
Ich hätte es grundsätzlich richtig gefunden, wenn man sich zwischen den Fraktionen auf einen gemeinsamen Antrag hätte verständigen können. Das ist auch ein Stück weit dem Zeitablauf geschuldet, dass dies nicht möglich war. Ich sehe aber für die FDP-Fraktion, dass wir viele Punkte, die für uns wesentlich sind, auch in dem Koalitionsantrag wiederfinden. Diesem werden wir deshalb gern zustimmen und das Thema auch hier in Bremen, aber auch im Bund weiter mit begleiten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne recht herzlich eine Gruppe Seniorinnen und Senioren der Fraktion DIE LINKE und der Partei DIE LINKE. Herzlich willkommen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei den Missbrauchsfällen, die bekannt geworden sind, handelt es sich nicht nur um den Missbrauch durch sexuelle Übergriffe, sondern auch um Missbräuche, bei denen Kinder körperlich und seelisch erniedrigt wurden. Ich denke, auch das muss ein Thema sein. Meine Kollege Dr. Güldner hat ja schon deutlich gemacht, dass das mit Machtverhältnissen, mit Gewaltverhältnissen zu tun hat.
Wenn wir also über dieses gesamte Feld an Missbrauch, der gegenüber Jugendlichen und Kindern stattgefunden hat, nachdenken, dann müssen wir uns sehr wohl einen ganzen Bereich von strafrechtlicher Systematik anschauen und sehen, ob dort die Strafzumessung angemessen ist und der Mechanismus, den man dort vorgesehen hat, auch korrekt ist oder ob man dort Änderungen machen sollte. Deswegen ist unser Antrag so zurückhaltend formuliert. Wir ha
ben noch keine Antwort, um dies einfach und schnell zu beantworten, sondern wir wollen, dass der Bundestag sich intensiv damit auseinandersetzt und dass der Bundesrat den Bundestag dazu auffordert, hier die Gesamtproblematik in den Blick zu nehmen.
Das Zweite, das uns wichtig ist, ist noch einmal festzustellen,den jetzt bekannt gewordenen Opfern wird das nicht helfen. Es ist so, dass keine rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen eingeführt werden kann. Wir haben nur einen einzigen Fall in unserer Rechtsgeschichte, in dem so etwas gemacht worden ist, das war die Verjährung des nationalsozialistischen Unrechts. Da hat man sich auf das Völkerrecht beziehen können. Deshalb war eine solche Aufhebung der Verjährung möglich. In diesem Bereich wäre nachträglich eine Verlängerung oder Aussetzung der Verjährung verfassungswidrig.
Damit können wir den Opfern nicht helfen, daher haben wir überlegt, wie man den Opfern helfen kann. Das wurde soeben schon einmal angesprochen, Frau Troedel und Herr Dr. Möllenstädt haben es angesprochen, es geht auch darum, dass auch Hilfen organisiert werden können, damit sich die Opfer von solch sexualisierter, aber auch von anderer Gewalt mit ihren Schwierigkeiten, mit ihrer Problematik auseinandersetzen können und die nötige Hilfe, vielleicht sogar eine Versorgungsrente erhalten. Es ist so, dass das Opferentschädigungsgesetz erst 1976 in Kraft getreten ist und für Straftaten, die davor entstanden sind, nicht zuständig ist. Wir haben aber schon eine Ausnahme für die Opfer nationalsozialistischen Unrechts, dort ist unter sehr eingeschränkten Regelungen eine Härtefallklausel eingefügt worden. Wir wollen, dass der Bundestag sich auch mit diesen Möglichkeiten auseinandersetzt.
Ein Letztes! Wenn man über Verjährungsfristen redet, muss man immer auch über das Strafmaß reden. Wir haben eine Mechanik, dass, je höher die Strafandrohung beziehungsweise die Höchststrafe ist, die auf eine bestimmte Tat steht, auch die Verjährung besonders lang ist. Der Hintergrund hierfür ist, dass man auf jeden Fall noch schwere Straftaten verfolgen will. Aber, Herr Timke, Sie müssen es wissen, wenn Sie die Aufhebung der Verjährung fordern: Es ist ungeheuer schwierig, das nach so vielen Jahren noch aufklären zu können. Dort, wo wir die Möglichkeit haben, dass Täter sich nach vielen Jahren zu ihrer Tat bekennen, haben wir natürlich die Möglichkeit, dann auch einzuschreiten. Das wird aber natürlich dann nicht passieren, wenn sie wissen, dass sie durch die Verjährung nicht geschützt sind, sodass wir in diesem Fall das Problem haben, dass diese Taten, wenn wir die Verjährung aufheben würden, möglicherweise angeklagt würden, dann aber nicht zu einer Verurteilung führen würden. Das finde ich für die Opfer doppelt schlimm.
Deswegen, denke ich, ist der Antrag der Koalition darauf gerichtet, den Bundestag sehr vorsichtig und behutsam aufzufordern, dieses System zu überprüfen und zu überlegen, ob wir in dem einen oder anderen Bereich eingreifen können und dort entweder das Strafmaß oder auch die Verjährungsfrist verlängern können.
Ein letztes Wort zur zivilrechtlichen Verjährung! Ich meine, dass die zivilrechtliche Verjährung insbesondere für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des Lebens und des Opfers bereits jetzt 30 Jahre sind. Das ist eben die ganz lange Frist und nicht die Dreijahresfrist, die Sie meinten, Herr Timke. Mit einer solchen Verjährungsfrist kommt man, denke ich, in der Regel auch klar.
Ich bitte Sie daher, dass Sie unserem Antrag zustimmen, weil erst durch eine solche ausgewogene und offene Prüfung der Verjährungsfristen wie auch des gesamten Strafmaßes eine neue und bessere Lösung gefunden werden kann. – Danke schön!
Herr Präsident. liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Troedel, ich halte nichts davon, dieses Thema an den Rechtsausschuss zu überweisen, weil es eine Sache ist, die der Bund zu regeln hat. Deswegen wollen wir ja von diesem Haus aus auch eine Bundesratsinitiative entwickeln.
Wir können uns gern mit diesem Thema beschäftigen, das ist auch das, weswegen wir hier zu Recht lang und breit darüber diskutierenen, das ist richtig so! Das können wir auch als Thema für uns aufnehmen, aber es sollte nicht das im Grunde stören, was wir hier erreichen wollen. Ich hoffe, damit in Ihrem Sinne zu sprechen. Wir nehmen uns gern dieses Themas an, das ist aber Bundesangelegenheit, und das muss dort geregelt werden.
Herr Dr. Möllenstädt, ich würde sehr gern an Rechtsgeschichte mitschreiben. Für mich wäre sehr wichtig, wenn dieses Deliktsfeld insgesamt in den Bereich eines Verbrechens käme, denn in vielerlei Hinsicht handelt es sich bei diesen Straftaten nur um Vergehen. Das hängt damit zusammen, dass die Mindeststrafe nicht generell ein Jahr ist, sondern dass sie sehr häufig darunter liegt. Ich fände es ein ganz zentrales Anliegen, das zumindest auf diese strafrechtliche Ebene zu heben. –––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Verjährungsfristen zu verlängern ist auch für die Durchsetzbarkeit von zivilrechtlichen Ansprüchen wichtig. Von daher, denke ich, sollte man trotzdem dabei bleiben, über ein längeres Strafmaß längere Verjährungsfristen zu erreichen, die dann auch die Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen besser möglich machen. Ich bitte also noch einmal alle, diesem Antrag zuzustimmen, der nur insoweit gegen die anderen beiden Anträge spricht, als er sich dem Ganzen systematisch nähert. Pauschal Verjährung aufzuheben geht nicht, dafür sind wir hier in einem Rechtsstaat, und das ist auch gut und richtig so. Man sollte sich damit auseinandersetzen, dass das seinen Sinn hat.
Noch einmal zu Herrn Tittmann! Sie haben gerade sehr bildreich beschrieben, wie fertig diese Menschen sind. In bestimmter Hinsicht gebe ich Ihnen recht; das bleibt das ganze Leben lang bei einem. Es gibt aber zum Glück sehr viele gute Therapeuten, die auch helfen, dass das Leben damit trotzdem noch lebenswert ist. Denen, die sich damit sehr beschäftigen, möchte ich danken! – Danke!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal, Frau Motschmann, möchte ich mich bei Ihnen für eine außerordentlich gelungene Rede bedanken, weil ich finde, das war dem Thema angemessen.
Der zweite Punkt, für den ich mich an dieser Stelle gemeldet habe: Wenn Herr Tittmann sagt, die Täter seien Bestien, dann muss man darüber einmal einen Moment nachdenken. Wir haben Opfer- und Täterzahlen, die in den Bereich von Hunderttausenden gehen. Wenn Herr Tittmann weiter vorschlägt, diese Bestien solle man lebenslang wegsperren, wenn das aus dem, was uns hier begegnet, die einzige Konsequenz ist, dann, glaube ich, ist das abenteuerlich und verkehrt.
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Keine Bestien!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. die meiner Meinung nach natürlich bestraft werden müssen, wenn sie Täter werden. Gleichwohl sollte man aber darüber auch nicht vergessen, darüber nachzudenken, welche Hilfsangebote vielleicht auch den Tätern gemacht werden könnten. Ein Aspekt, den ich auch noch gern erwähnen wollte, ist, wir brauchen eine staatliche Pädagogik, die Kinder stärkt, die Kinder dahin bringt, dass sie sagen: Nein, ich will das nicht! (Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)
Das ist eine Pädagogik, die wir in staatlichen Kindergärten und auch an Schulen brauchen. Ich glaube ganz im Ernst – Frau Dr. Mohr-Lüllmann, Sie haben hier gestern schon einmal die Frage von Gewalt und Missbrauch gestellt und diskutiert –, sexualisierte Gewalt, da muss man sich nichts vormachen, hat in Wahrheit mit Sexualität gar nicht so viel zu tun, das hat sehr viel mit Macht, Demütigung, Unterdrückung und Ähnlichem zu tun. Dass die Kirche an dieser Stelle so besonders in den Fokus gerät, hat damit zu tun, dass die Kirche eine bestimmte Sexualmoral vertritt und dann auf einmal selbst Täter in ihren Reihen hat. Das rückt es so in das Interesse der Öffentlichkeit. Die meisten Fälle finden nach wie vor in den Familien statt, die meisten Fälle finden im Familienkreis geschützt, auch, wenn man so will, in einem System statt, in dem sich niemand traut zu sagen, der Onkel war es. Deswegen, glaube ich, ist mit Sicherheit einer der Auswege in dieser Frage zu sagen, starke Kinder, die sich trauen, Nein zu sagen, und sich trauen, Straftaten anzuzeigen. So viel vielleicht als Ergänzung zu diesem Thema! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich ganz herzlich bedanken für diese nachdenkliche Debatte, die es wirklich geworden ist, und damit ist ein Sinn dieses Antrags schon einmal erreicht. Ich bin keine Juristin, das weiß auch jeder, das ist vielleicht auch nicht so schlimm,
und schon gar nicht bei dem Thema! Deshalb höre ich natürlich sehr wohl auch die Argumente, die hier von juristischer Seite vorgetragen worden sind, die ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
überhaupt nicht von der Hand zu weisen sind. Ich persönlich bin dennoch zutiefst davon überzeugt, dass zumindest die jetzigen Verjährungsfristen aus den Gründen, die ich benannt habe, hoch problematisch sind.
Eines hat mich ein bisschen gestört, Herr Dr. Möllenstädt, dass Sie unseren Antrag oder die Debatte als unseriös bezeichnet haben.