Protocol of the Session on January 28, 2010

Die Entscheidung ist gefallen, und sie ist so gefallen, dass die Klagen zum Glück abgewiesen worden sind, aber dem Bundesrat, dem Bundestag und damit auch den Länderparlamenten eben doch Kontrolle und Gestaltung des Vertrags jetzt verstärkt in die Hände gefallen sind. Das ist gut so, und diese Verantwortung müssen wir natürlicherweise auch wahrnehmen. Deshalb ist dieser Antrag eingebracht worden. Ich finde es auch gut, dass wir hier so schnell sind im Vollzug.

Der Vertrag ist nicht in Beton gegossen, sondern er kann jetzt unterhalb der Ratifizierungsnotwendigkeit verändert werden: ein dynamischer Veränderungsprozess. Es gibt ja immer wunderbare Formulierungen im Zusammenhang mit Europa. Auch das Gesetz hat ja einen traumhaften Namen, das heißt nämlich „Gesetz zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestags und des Bundesrats in Angelegenheiten der Europäischen Union (Inte- grationsverantwortungsgesetz)“. Ob man es nicht schlichter ausdrücken könnte, lasse ich einmal dahingestellt. Fakt ist, dass wir uns daran beteiligen wol

len. Ich bin sehr gespannt, ob wir deshalb häufiger tagen werden müssen, weil die Fristen relativ knapp bemessen sind. Insofern sind wir auch gezwungen, sehr schnell zu reagieren, wenn es Initiativen gibt. An dieser Arbeit wollen wir uns gern beteiligen.

Die CDU unterstützt nicht nur den Antrag, sie hat ihn mit unterzeichnet. Dies haben wir aus voller Überzeugung getan, um eben diesen Vertrag, den Lissabon-Vertrag, den übrigens viele Menschen in seinem Inhalt noch nicht kennen, auch das ist wahr, mit Leben zu füllen. Wenn wir es nicht zuerst machen, wer soll es dann machen? – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das Thema Europäische Integration ist ein wichtiges Thema, das uns schon zum wiederholten Mal in diesem Haus beschäftigt. Deshalb tragen wir als liberale Fraktion den heute vorgelegten Antrag, in dem die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung durch die Bremische Bürgerschaft thematisiert wird, auch gern mit.

Die Thematik des Lissabon-Vertrags haben wir hier ja bereits mehrfach auch in diesem Haus diskutiert. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass der LissabonVertrag nun unter Dach und Fach und in Kraft getreten ist. Er wurde auch durch alle Mitgliedsstaaten der Union ratifiziert. Es ist ein Vertrag, der Europa zu dem macht, was es sein soll, nämlich zu einer demokratischen und pluralen Instanz. Europa darf nicht nur ein Club der Regierungen sein, sondern muss auch auf der Ebene der Parlamente und des Parlamentarismus spürbar sein. Durch den Lissabon-Vertrag erhält das Europäische Parlament zusätzliche Rechte und wird gegenüber der Kommission und dem Rat der Regierungschefs sehr gestärkt, was aus parlamentarischer Sicht ja nur begrüßt werden kann. Gleichzeitig stellt der Lissabon-Vertrag aber auch Anforderungen an eine Ausgestaltung der Mitwirkung der einzelnen Mitgliedsstaaten, in Deutschland also der Bund und die einzelnen Bundesländer, am europäischen Geschehen teilzunehmen. Dem tragen wir als vier Fraktionen mit diesem Antrag hier in geeigneter Weise Rechnung.

Es geht darum, dass dieses Haus, die Bremischen Bürgerschaft, in angemessener Weise an den Entscheidungen auf der europäischen Ebene auch beteiligt wird. Es ist bereits von den Kolleginnen und Kollegen hier dargestellt worden, wie wir uns das im Einzelnen bis hin zu dem neuen Mechanismus einer Subsidiaritätsrüge vorstellen, wie diese durch das Land Bremen und durch die Bürgerschaft wahrgenommen werden kann. Hier besteht die Schwierig––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

keit darin, dass uns üblicherweise nur ein enges Zeitfenster bleiben würde, um von diesem Recht als Ultima Ratio Gebrauch zu machen. Es ist ja nicht vorgesehen und, ich denke, in den Fraktionen auch nicht diskutiert, dies zum Regelfall zu machen. Das Verfahren soll aber dann doch beschrieben sein! Wir halten es für geeignet, dass neben dem Plenum, das ja in der Regel monatlich tagt, eine Möglichkeit besteht, kurzfristig eine solche Rüge auch im Ausschuss für Bundes- und Europangelegenheiten stellvertretend für das Bürgerschaftsplenum zu diskutieren und darüber zu beraten. Dies ist ein geeigneter Vorschlag, dem wir gern zustimmen.

Im Übrigen enthält der Antrag auch den Appell an den Senat, dieses Haus rechtzeitig und umfassend über alle Belange, die wesentlich sind, zu informieren, damit wir als Parlamentarier auch Integrationsverantwortung wahrnehmen können. Dies muss entsprechend durch eine Informationspolitik des Senats auch sichergestellt sein. Ich gehe davon aus, dass, so wie es bisher der Fall war, wir auch weiterhin durch den Senat umfassend, vollständig und auch rechtzeitig über die Entwicklungen auf der europäischen Ebene informiert werden. Es ist ganz klar, und deshalb steht das in dem Beschlussteil dieses Antrags auch an erster Stelle, dass wir als Bürgerschaft das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ausdrücklich begrüßen, weil es mehr Mitwirkungsmöglichkeiten auch für die Parlamente beinhaltet und weil dieses Haus und die anderen Landesparlamente, aber auch der Bundestag und der Bundesrat in ihren Möglichkeiten gestärkt werden. Damit wird all denjenigen Kritikern auch entschieden entgegengetreten, die bis zuletzt sich zu Wort gemeldet haben und versucht hatten, den LissabonVertrag mit all seinen positiven Gestaltungsmöglichkeiten noch zu Fall zu bringen. Ich freue mich, dass in diesem Haus eine große Einigkeit hergestellt werden konnte. Wir haben das als liberale Fraktion gern begleitet.

Natürlich gehört zum Parlamentarismus dazu, im Redebeitrag der Kollegin Frau Hiller ist das auch deutlich geworden, dass es zurecht unterschiedliche Vorstellungen und Prioritäten über die konkrete Ausgestaltung und Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben in Europa gibt. Dass es unterschiedliche programmatische Ansätze der unterschiedlichen politischen Richtungen gibt, ist auch gut so. Damit das gelebt werden kann, damit auch Diskussionen stattfinden können, bekräftigen wir unser Ja zu den hier vorgeschlagenen Verfahrensregelungen und zu den Prioritätensetzungen, die wir hier auch verankert wissen wollen, insbesondere zu einem starken Informationsrecht des Parlaments.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als liberale Fraktion stimmen dem Antrag zu und hoffen, dass sich dieses Verfahren, das wir hier vorschlagen, in Zukunft bewähren wird. Gleichwohl ist natürlich die Hoffnung, dass sowohl die Akteure auf der europäischen als auch auf der Bundesebene sich so verhal

ten, dass vom Land Bremen aus keine Subsidiaritätsrüge vorgenommen werden muss. Sie ist, ich darf es noch einmal unterstreichen, eine Ultima Ratio, die wir nicht zum Regelfall werden lassen wollen. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir heute den gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft behandeln können, ist allein der LINKEN zu verdanken. Denn DIE LINKE hat frühzeitig erkannt, dass die Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags Gefahren in sich barg und hat daraufhin eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht stellte zwar fest, dass der Lissabon-Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar sei, aber gleichzeitig bemängelte es die fehlende parlamentarische Kontrolle.

Die Abgeordneten von CDU, CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen hätten mit der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags in zentralen Punkten ihre eigenen Entscheidungsrechte,

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Weil Sie den unterschrieben haben für uns?)

wie zum Beispiel den EU-Militäreinsatz deutscher Soldaten, selbst beschnitten.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag die Entscheidungsrechte des Bundestags unterlaufen würden. Unter diesem Mangel wäre es möglich gewesen, dass zum Beispiel die Entscheidungshoheit über deutsche Militäreinsätze über Brückenklauseln ausgehebelt würde,

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Bar jeder Realität!)

und dies erklärte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Durch Wiederholung wird es nicht richtiger!)

Der Lissabon-Vertrag schafft umfangreiche neue militärische Kompetenzen für die EU. Ohne eine Korrektur der Begleitgesetze hätte sich der Bundestag mit der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags selbst entmachtet und für die Bundesrepublik nachhaltigen

Schaden angerichtet. Dies ist aber nur eine von vielen Klauseln und Brückenklauseln. Dr. Andreas Maurer von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik bezeichnete dies als eine „Selbstentmachtung der Volksvertretungen oder: Souverän ist der Staat, nicht das Volk“. Dank der LINKEN und des Bundesverfassungsgerichts ist dies nun zum Teil ausgeräumt worden.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Man sollte der LINKEN das Bundesverdienstkreuz verlei- hen!)

Mit den neuen Begleitgesetzen wurden nun neue Kompetenzerweiterungen der EU unter die strenge Kontrolle von Bundesrat und Bundestag gestellt. Leider konnte DIE LINKE die Forderung nicht durchsetzen, dass bei Vertragsänderung ein Volksentscheid durchgeführt werden muss. Auch wurde der Forderung, dass im Grundgesetz verankert werden soll, dass die Bundesregierung an die Stellungnahmen des Bundestages prinzipiell gebunden ist, nicht entsprochen. Daraus folgend kann DIE LINKE dem Unterpunkt 1 des Antrags „Europäische Integrationsverantwortung wahrnehmen“ nicht zustimmen,

(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Das beruhigt uns!)

da aus unserer Sicht der Lissabon-Vertrag noch immer Gefahren in sich birgt und die Mitbestimmungs- und Kontrollrechte nicht ausreichend sind.

Dem Unterpunkt 2, der erklärt, dass die Mitwirkungs- und Kontrollrechte vom Bundesrat und vom Bundestag gestärkt wurden, auch wenn dies aus unserer Sicht eine Minimallösung darstellt, können wir zustimmen.

Der Unterpunkt 3, in dem der Senat dazu verpflichtet wird, die Mitwirkungsrechte der Bremischen Bürgerschaft sicherzustellen und die Bürgerschaft frühzeitig umfänglich zu informieren, ist richtig und wichtig. Daher werden wir auch diesem zustimmen. Auch dem Unterpunkt 4 werden wir uns anschließen.

Der Unterpunkt 1, in dem die Bürgerschaft das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags begrüßt, ist für uns nicht zustimmungsfähig. Da wir aber den Antrag nicht zur Gänze ablehnen wollen, beantragen wir hiermit die getrennte Abstimmung des Antrags. –

(Widerspruch bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Man könnte sagen, die Geschichte ist sowieso darüber hinweggegangen. Ich will aber doch an dem, was der Kollege Müller gesagt hat, noch einmal deutlich machen, wie von Seiten der LINKEN gearbeitet wird. Es ist im Wesentlichen mangelnde Kenntnis und mangelnde Durchdringung des Gegenstandes. Sie haben wiederum den Eindruck zu erwecken versucht, als habe das Gericht in Karlsruhe den Lissabon-Vertrag verändert, sodass er jetzt irgendwie nicht mehr ganz so schlimm sei. Das ist Unsinn!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der FDP)

Der Vertrag von Lissabon ist, ohne Punkt und Komma zu ändern, akzeptiert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich gesagt, dass die Fälle, in denen es die sogenannte dynamische Vertragsveränderung gibt, nämlich die weitere Entwicklung von Vertragsbestimmungen aufgrund veränderter Bedingungen, für die es sehr strenge Regelungen in Brüssel gibt, zusätzlich durch die nationalen Parlamente gegengezeichnet werden müsse. Das ist eine rein innerdeutsche Verfahrensvorschrift, die da erlassen worden ist. Der Vertrag von Lissabon ist nicht geändert worden!

(Abg. M ü l l e r [DIE LINKE]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

Doch! Dazu, was Sie behauptet haben, dass dem Bundestag durch den Vertrag von Lissabon das Recht genommen würde, über die Frage des Einsatzes von Truppen zu entscheiden, darf ich Ihnen einen entscheidenden Satz aus dem Urteil vortragen. In Ziffer 381 heißt es: „Der Vertrag von Lissabon überträgt der Europäischen Union keine Zuständigkeit, auf die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten ohne die Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedsstaates oder seines Parlaments zurückzugreifen.“ Der Vertrag gibt keine Möglichkeit. Das heißt, der deutsche Parlamentsvorbehalt für den Einsatz seiner Streitkräfte wird durch den Vertrag von Lissabon in gar keiner Weise berührt oder eingeschränkt! Das ist landauf, landab von der LINKEN immer wieder wahrheitswidrig behauptet worden. Karlsruhe hat das Gott sei Dank nüchtern, klar und deutlich festgestellt. Hören Sie auf, das, was im Vertrag von Lissabon steht, zu verdrehen und in ein falsches Licht zu rücken! Es ist einfach nicht wahr. Sie sollten dem Punkt 1 zustimmen, aber es ist auch in Ordnung, wenn Sie nicht zustimmen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der FDP)

Bevor ich jetzt Herrn Müller noch einmal das Wort erteile, möchte ich recht

herzlich eine Gruppe politikinteressierter Pedalritter auf der Besuchertribüne begrüßen. – Herzlich Willkommen in der Bremischen Bürgerschaft!

(Beifall)

Das Wort hat der Abgeordnete Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Kuhn, vielleicht haben Sie meinen Redebeitrag nicht richtig verfolgen können. Ich habe nicht erklärt, dass der Lissabon-Vertrag geändert wurde, sondern die Begleitgesetze. Das heißt, vorher war es über Klauseln und Brückenklauseln möglich, von der Einstimmigkeit bis zur Mehrheitsentscheidung

(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Was heißt denn Brückenklausel?)

oder gar über ein Gesetzgebungsverfahren Kompetenzerweiterungen einzuführen. Jetzt haben wir erreicht, dass die Kompetenzerweiterungen, die ja vorhin schon von Frau Motschmann angesprochen wurden, unter die parlamentarische Kontrolle von Bundesrat und Bundestag gestellt worden sind. Das sind die Erneuerungen, die ein demokratisches Europa vermuten lassen.