Protocol of the Session on January 26, 2006

Die CDU-Fraktion fordert deshalb ein sicheres Frühwarnsystem. Dieses System muss vor allen Dingen dafür sorgen, dass Risikofamilien rechtzeitig erkannt und dann umfassend betreut werden. Dazu brauchen wir ein gutes Netz an Hilfen, das wir hier in Bremen über die Jahre aufgebaut haben. Dieses Netzwerk

müssen wir aber stets auf seine Durchlässigkeit hin überprüfen. Politik darf nicht erst handeln, wenn das Kind bereits sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist.

Das Hilfesystem soll früher, am besten schon vor der Geburt greifen. Deshalb sind wir dafür, dass die Hebammenbetreuung bei Risikofamilien deutlich ausgeweitet wird. Ärztliche Untersuchungen für die Kleinen mit der Vorsorgeuntersuchung U 1 bis U 7 wollen wir verbindlicher machen. Nicht nur als Problemeltern erkannte Väter und Mütter, sondern alle Eltern müssen mehr Unterstützung erhalten. Hebammen sollen ihnen nicht nur vier Wochen wie bisher, sondern länger zur Seite stehen.

Alternative Bonusregelungen oder Einladungen durch gesetzliche Krankenkassen sollten unserer Auffassung nach angestrebt werden, um Anreize für die potentielle Zielgruppe zu geben. Wenn man die Vorsorgeuntersuchung zur Pflicht machen will – solche Ideen gibt es in einzelnen Bundesländern –, muss man sich aber auch darüber klar sein, wie diese dann tatsächlich durchgesetzt werden. Ein Gesetz, das nur auf dem Papier existiert, würde für die Kinder wenig bringen.

(Beifall bei der CDU)

Wir, meine Damen und Herren, wollen sicherstellen, dass zumindest alle Kinder, die nicht die Teilnahme an den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen belegen können, bei der Aufnahme in den Kindergarten ärztlich untersucht werden. Das Aufsuchen von Familien mit Neugeborenen ist in den Niederlanden eine erfolgreiche Praxis. Bei allen Kindern, die nicht in den Kindergarten gehen – in Bremen sind das ungefähr drei Prozent aller zwischen drei und sechs Jahren –, müssen wir gemeinsam mit der Familienhilfe einen Weg finden, das Lebensumfeld der Kinder zu betrachten, um eine Vernachlässigung ausschließen zu können oder dann eben Hilfe zu leisten.

Untersuchungen von UNICEF haben gezeigt, dass eine Reihe von Faktoren das Risiko für die Kinder entscheidend prägt: Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalt zwischen den Eltern sowie Armut und Stress. Die meisten Betroffenen werden trotzdem damit fertig, ein kleiner Teil aber schafft dies nicht. Wenn Eltern drogen- oder alkoholabhängig sind, wenn sie unter psychischen Krankheiten leiden oder aufgrund ihres Alters nicht ausreichend gefestigt sind, um Verantwortung für ihre Kinder zu tragen, spitzen sich die Situationen insbesondere für Kleinkinder gefährlich zu.

Den ersten Hinweis liefert oft schon der Mutterpass. Sind dort nur wenige Eintragungen vorhanden, ist es ein Beleg dafür, dass sich die Frauen bereits in der Schwangerschaft kaum um sich und das heranwachsende Kind gekümmert haben. Ein jugendliches

Alter, ein unbekannter Vater oder soziale Probleme sind weitere Punkte, die die Krankenschwestern aufhorchen lassen. Weitere Probleme sind oft psychische Krankheiten. Ich habe dies schon erklärt. Auch hier müssen wir Hilfe leisten, und auch Kinderärzte und Erzieherinnen sind oft direkt damit konfrontiert. Die KiTas haben sich schon lange darauf eingestellt. Immer mehr Kinder sind zu Hause nicht ausreichend versorgt.

Doch die wirklich skandalösen Fälle mit Todesfolge bekommen Erzieherinnen und auch ein Kinderarzt nicht zu Gesicht. Solche Eltern kommen in keine Vorsorge und lassen ihre Kinder auch nicht impfen. Deshalb sind schon die Geburtskliniken gefragt. Ist ein Kind erst einmal aus den Augen der Hilfestellen verschwunden, ist es oft zu spät. Wir brauchen also ein engeres Raster, um so genannte Risikoeltern zu entdecken.

Man kann es bedauern, aber es ist schon lange Realität, Netze in Verwandtschaft und Nachbarschaft sind löcherig geworden und tragen nicht mehr. Besonders in Großstädten wie Bremen haben wir damit zu kämpfen. Wir sind eine Generation mit großen Erziehungsproblemen, nicht zuletzt zeigt dies auch der Erfolg solch einer Fernsehsendung wie „Die Supernanny“. Wenn in Fällen von Vernachlässigung weder Verwandte noch Nachbarn Einblick in das Familienleben haben und einschreiten können, wenn die Eltern weder Einsicht noch Mut haben, Hilfe zu holen, kommt es zu solchen Katastrophen, die auch nicht erst eintreten, wenn ein Kind verhungert.

Wir begrüßen es außerordentlich, dass die neu gewählte Bundesregierung von CDU/CSU und SPD staatliche Frühwarnsysteme entwickeln will, um Kinder in Problemfamilien besser zu schützen. Frauenärzte und Beratungsstellen sollten künftig Familien identifizieren, die mit Kindern überfordert sind, und ihnen kostenlose Beratung anbieten. Für das Ziel, das Wächteramt des Staates entsprechend zu stärken, werden im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zehn Millionen Euro veranschlagt. Sie sollen vor allen Dingen in Modellprojekte fließen. Solche Modellprojekte können wir in Bremen sehr gut gebrauchen.

Meine Damen und Herren, wir dürfen und können es uns nicht leisten, auch nur eines dieser Kinder zu verlieren. Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen deshalb diesen Antrag vor, und ich habe es schon im Vorfeld gehört, dass er auf breite Zustimmung des Hauses trifft. Dafür bedanken wir uns. Die Familien müssen wir nämlich direkt erreichen. Die einzelnen Punkte sind Ihnen geläufig, die in diesem Antrag stehen. Ich sage immer: Lieber zehnmal hinschauen, als einmal zu wenig. Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung für diesen Antrag! – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schuster.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielem aus der Rede von Herrn Bartels kann ich zustimmen. Das alles will ich jetzt nicht wiederholen, weil die Debatte dadurch nicht besser wird.

Als Erstes möchte ich noch einmal dem Eindruck entgegentreten, der entstehen könnte, dass man Eltern ein grundsätzliches Misstrauen von staatlicher Seite entgegenzubringen hat. Ich glaube, die große Mehrzahl der Eltern sorgt vernünftig entsprechend ihrer Möglichkeiten für ihre Kinder, und das ist auch gut so. Nur weil das so ist, haben wir überhaupt die Möglichkeit, das zu schaffen. Welche Arbeit das macht, das sollte man auch nicht unterschätzen, da muss man den Eltern für diese Arbeit dankbar sein, die gesellschaftlich höchst wichtig ist.

Der zweite Punkt: Das kann natürlich nicht dazu führen, dass wir vor den Problemfeldern die Augen verschließen, sondern wir wissen – und das ist dramatisch, aber es ist erst einmal so –, dass trotz der überwiegenden Mehrzahl der Eltern, die vernünftig handeln und sehr gut für ihre Kinder sorgen, trotz vielfältiger staatlicher Hilfen es bisher nicht verhindert werden konnte, auch wirklich schwere Fälle von Vernachlässigung, Verwahrlosung und Missbrauch bis hin zur Todesfolge von einzelnen Kindern auszuschließen. Das ist höchst dramatisch, und da muss man Verbesserungen bringen.

Dies betrifft sicherlich unser System verschiedener Hilfen. Hier müssen wir prüfen, ob wir da auch wirklich optimal arbeiten: Wir haben ein breites Hilfesystem der Erziehungshilfe, der Familienhilfe und auch der Jugendhilfe. Ich glaube, das hat auch Herr Bartels gesagt, es ist eine wichtige Sache, ständig zu überprüfen, ob das, was wir da anbieten, wirklich so angemessen ist, ob einzelne Maßnahmen optimiert werden können. Da muss man aber – und das ist sicherlich so eingedenk der Debatte, die wir heute Morgen hatten, noch einmal wichtig – daran denken, dass es auch finanzielle Prioritäten erfordert. Das setzt Grenzen beim Personalabbau in einzelnen Bereichen,

(Beifall bei der SPD)

denn irgendjemand muss die aufsuchende Familienhilfe leisten und hingehen. Das sind keine Maschinen oder Computer, die das machen, sondern konkrete Personen. Deswegen bedeutet das: Wir müssen bei unseren haushaltspolitischen Prioritäten gerade angesichts solcher wichtigen Problemfelder immer auch darüber nachdenken, ob dieser Bereich so ausgestattet ist, wie er sein muss. Ohne Zweifel müssen wir umgekehrt darüber nachdenken, ob der Bereich auch unter Kostengesichtspunkten optimal aufgestellt ist.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, es gibt Lücken, denn sonst wären diese Fälle nicht vorgekommen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen zielt darauf, einen Teilbereich unter die Lupe zu nehmen und dort für Verbesserungen zu sorgen, wo wir meinen, dass ein entsprechendes Schutzniveau im Moment nicht gewährleistet ist, wohl wissend, dass es gegen eine hinreichende kriminelle Energie und Skrupellosigkeit so mancher Eltern nicht ausreichen wird. Das heißt aber nicht, dass man nicht alle Schritte unternehmen muss, um die Situation zu verbessern. Der Antrag zielt darauf, die Vorsorgeuntersuchungen zu nutzen, um Vernachlässigungen und Missbrauch zu erkennen, das heißt, die Vorsorgeuntersuchungen verbindlicher zu gestalten und vor allen Dingen – und das ist eigentlich die schwierigere Sache – auch Konsequenzen aus den Ergebnissen der Vorsorgeuntersuchungen beziehungsweise nicht stattgefundener Vorsorgeuntersuchungen zu ziehen.

Die Punkte hatte Herr Bartels im Einzelnen hinreichend erläutert, das will ich hier jetzt nicht wiederholen. Ich will nur noch einmal sagen, dass man auch im Blick haben muss, dass die Vorsorgeuntersuchungen bisher rein freiwillig sind. Dafür gibt es auch viele gute Gründe. Das hat etwas mit dem Vertrauensverhältnis zum Arzt zu tun und auch mit der ärztlichen Schweigepflicht. Nicht jedes Untersuchungsergebnis darf gleich ohne weiteres staatlichen Behörden weitergegeben werden. Das ist gut und richtig, das setzt der Möglichkeit, die Untersuchungen zu nutzen, Grenzen. Gleichzeitig gibt es aber Verbesserungsmöglichkeiten, wie man das optimieren kann.

Ausgehend von dem schlimmen Fall Jessica, der in Hamburg stattgefunden hat, hat sich die Hamburgische Bürgerschaft intensiver mit dem Thema befasst. Die Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft haben ein gemeinsames Papier entwickelt, welche Konsequenzen sie ziehen wollen. Ein Punkt dabei ist auch die Frage, wie man Vorsorgeuntersuchungen verbessern und besser nutzen kann. Die Hamburger wollen dazu eine Bundesratsinitiative einbringen, und ich gehe davon aus, dass wir das in dieser Intention unterstützen und prüfen, ob es notwendig ist, dies durch bundesgesetzliche Regelungen zu flankieren, damit Vorsorgeuntersuchungen ein Element sein können, um Verwahrlosung, Vernachlässigung, Missbrauch von Kindern aufzudecken und entsprechend dagegen arbeiten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte abschließend noch einmal betonen: Wir betrachten den Antrag jetzt als einen Schritt, um der Verwahrlosung, Vernachlässigung und dem Missbrauch von Kindern entgegenzuwirken. Ich habe betont, wir müssen zudem unser Hilfesystem ständig weiterentwickeln. Das werden wir in der Zukunft weiter tun, und wir werden gerade unter Haushaltsge

sichtspunkten versuchen, diesem Bereich auch ein besonderes Gewicht zu geben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Crueger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, aus den Worten meiner Vorredner ist schon deutlich geworden, warum wir uns heute hier politisch mit diesem Thema befassen. Im letzten Jahr gab es schrecklicherweise einige Fälle von Verwahrlosung von Kindern, die es in ihrem grausamen Ausmaß auf die Seite eins der überregionalen Tageszeitungen gebracht haben. Das ist aber in Wirklichkeit – da kann ich Herrn Bartels nur zustimmen – nur die Spitze des Eisbergs. Das Problem von Verwahrlosung bei Kindern und bei Jugendlichen ist tatsächlich ein Problem, das häufig unterschwellig passiert und selten diese extremen Ausmaße annimmt, aber natürlich in jedem Einzelfall gefährlich ist. Wir müssen zum Wohl der Kinder versuchen, soweit wir als Staat die Möglichkeiten dazu haben, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

Ich denke, wenn wir uns anschauen, dass an jedem Montag in den Kindertagesheimen die Mittagsrationen, die ausgegeben werden, um ein Drittel höher sind als die an den anderen Wochentagen, dann ist das ein ganz deutliches Indiz dafür, was mit diesen Kindern am Wochenende passiert, dass sie von ihren Eltern nicht genügend zu Essen bekommen haben, da fängt es schon an. Wir müssen dann natürlich schauen, zum einen, gut, dass wir die Kindertagesstätten haben, dass sich die Kinder montags wenigstens satt essen können, aber der nächste Schritt, der folgen muss, ist dann zu schauen, wie wir in Zukunft erreichen können, dass sie sich jeden Tag gut satt essen können. In diesem Sinne müssen wir tatsächlich über die Möglichkeiten des Staates diskutieren. Sie sind beschränkt, aber ein paar haben wir.

In dem Zusammenhang hat mir in dem Antrag der Koalition der Aspekt der Schule gefehlt. Es wurde eine Reihe von wichtigen Akteuren in dem Zusammenhang aufgelistet. Ich denke, ganz zentral neben den Kindertagesstätten – es wurde hier schon gesagt – sind auch die Schulen dabei. Erzieherinnen in Kindertagesstätten, Lehrer in Schulen haben häufig den engsten Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen. Wir müssen diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeiten geben, dass sie wissen, wie sie sich verhalten sollen – häufig wissen sie es ja schon, häufig machen sie es auch –, und dass dann aber auch, wenn sie sich an den nächsten Akteur wenden, der dafür zuständig ist, dementsprechend dort das Personal vorhanden ist, so dass man ihnen weiterhelfen kann. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

In diesem Zusammenhang muss man dann diskutieren, das sagte ja auch Joachim Schuster schon, wie es mit der sozialpädagogischen Familienhilfe aussieht. Dieser Antrag sagt, sie soll in Zukunft noch offensiver agieren. Das muss natürlich dann auch mit dem Personal entsprechend hinterlegt werden. Wir bekommen heute schon von Zeit zu Zeit Fälle mit, wo es offenbar in diesen Bereichen an Personal hapert, wo der Kontakt zwischen Lehrern und sozialpädagogischer Familienhilfe nicht reibungslos klappt, weil einfach die entsprechenden Mittel fehlen. Das ist für die Haushaltsberatungen, die uns bevorstehen, ein entscheidender Punkt.

Der nächste Punkt sind die Erziehungsberatungsstellen. Wir diskutieren schon seit etwas über einem Jahr, dass wir nach der PEP-Quote dort Personal abbauen müssen beziehungsweise das auch schon geschehen ist, sowohl die psychologischen Fachkräfte als auch – was ich noch ein bisschen widersinniger finde – die administrativen Bürokräfte, so dass die Psychologen jetzt in Zukunft auch noch die Büroarbeit machen müssen, also noch weniger Zeit haben für die praktischen Beratungsgespräche. Ich glaube, es wurde diskutiert, ob man das mit dem Schulpsychologischen Dienst zusammenkoppeln könnte in Zukunft. Das Bildungsressort hat da eindeutig gesagt, das will es nicht. Darüber gibt es auch ein entsprechendes Gutachten des Bildungsressorts.

Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit einzusehen, dass man mit zehn Beschäftigungsvolumina, egal, auf wie viele Standorte man die über das Stadtgebiet hinweg verteilt, am Ende nicht ausreicht, wenn es jetzt schon Wartezeiten von bis zu neun Wochen gibt für Eltern, die so ein Angebot in Anspruch nehmen wollen, und das tun sie ja in aller Regel nicht, weil es ihnen gut geht und die Familie so glücklich läuft, sondern weil da ein konkretes Problem ist, wenn wir das noch neun Wochen hinauszögern. Ein ganz lebenspraktisches Problem sind die Besetzungszeiten der Büros, ich sagte das, die Sekretärin hat man ihnen gestrichen, da läuft jetzt ein Anrufbeantworter. Das sind ganz bestimmte Eltern, die auf einen Anrufbeantworter sprechen, und das sind ganz bestimmte Eltern, die nicht auf einen Anrufbeantworter sprechen. Das heißt, hier schaffen wir eine Schwelle, Eltern wollen eigentlich Hilfe in Anspruch nehmen, wir lassen sie nicht. Das ist ein großes Problem, und ich glaube, da müssen wir tatsächlich über die Beschäftigungsvolumina, wie viele Leute arbeiten oder arbeiten eben nicht, reden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Jetzt möchte ich noch etwas zur Frage der Inobhutnahme sagen. Das ist auch so ein Dauerbrenner aus dem Jugendhilfebereich. Es gab die fachliche Weisung zur Inobhutnahme vor ungefähr einem Jahr. Sie hat zu einem erheblichen Kostendruck auf die Einrichtungen geführt. Bei den Inobhutnahmen handelt

es sich ja darum, dass Jugendliche, wenn es in der Familie zu Problemen kommt, aus der Familie herausgenommen werden können, in diese Einrichtung der Inobhutnahme kommen und dort erst einmal sozusagen ein ruhiges Umfeld haben, psychologisch betreut werden und man dann schaut, was ist der bestmögliche Weg, den dieses Kind oder dieser Jugendliche nun weiter beschreiten soll, welche Instrumentarien haben wir als Staat, als Jugendhilfe, um diesen Jugendlichen jetzt weiterzuhelfen. Dieser ganze Bereich steht seit der fachlichen Weisung unter einem unglaublichen Kostendruck, der über kurz oder über lang dazu führen wird – ganz öffentlich wird die Debatte immer beim Mädchenhaus, aber es betrifft eben nicht nur das Mädchenhaus, sondern es betrifft sämtliche dieser Einrichtungen, die alle hoch spezialisiert arbeiten –, dass die eine oder andere Einrichtung aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern wird und wir auch dann dort Angebote, die natürlich von Monat zu Monat, von Jahreszeit zu Jahreszeit immer schwanken, einmal haben wir eine totale Unterbelegung, und ein anderes Mal können wir alle Jugendlichen gar nicht unterbringen, verlieren.

Das sind natürlich auch Prozesse, die sich statistisch nicht so einpassen, wie wir das betriebswirtschaftlich nun für die Effektivität am liebsten hätten. Dann müssen wir auch einmal mit Leerständen arbeiten, weil wir diese Bedarfe einfach vorhalten müssen. Wenn diese Bedarfe am Schluss – ich nenne sie einmal leicht zynisch Konsolidierungsprozess – einfach nicht mehr gedeckt werden können, weil dann einige Einrichtungen gescheitert sind, dann, denke ich, schlagen wir uns auch da ein Mittel für die Jugendlichen aus der Hand.

Die Belegpraxis ist: Das Amt für Soziale Dienste hat das Belegmonopol bis auf die Jugendlichen, die sich selbst melden über das Internet, das Telefon oder persönlich bei den Einrichtungen vorstellig werden und sagen, ich habe ein Problem, ich möchte aus meiner Familie heraus, bis auf diese Jugendlichen, und das sind nicht die meisten, sondern die meisten werden tatsächlich über das Sozialamt den Einrichtungen zugewiesen. Auch da erkennen wir bei der Belegpraxis, dass es eine Tendenz gibt, eher die Jugendlichen nicht in dieser Einrichtung der Inobhutnahme und in diese stationären Einrichtungen, sondern eher zur Pflegeeltern zu geben. Auch das, denke ich, ist in dem Zusammenhang eine Sache, die man kritisch beobachten muss.

Zumindest interessiert dabei natürlich mich und die Träger – man hört von einem Jahr auf das andere zum Teil 50 Prozent weniger Fälle –, ob dann diese 50 Prozent weniger Fälle allein etwas damit zu tun haben, dass es tatsächlich weniger Bedarf gibt, das wäre zwar wünschenswert, aber es ist vielleicht auch nicht ganz realistisch, oder wo die andere Hälfte der Jugendlichen geblieben ist, ob sie alle jetzt tatsächlich auch weiterhin gut versorgt werden können. Letztlich

ist das die Maßgabe, woran wir politische Entscheidungen messen müssen und worüber wir im Zusammenhang mit Erziehungsberatung, Erziehungshilfe, Familienhilfe und Jugendhilfe bei den Haushaltsberatungen diskutieren werden. Nur wenn wir es schaffen, da die Strukturen vorzuhalten, können wir die Maßnahmen in Ihrem guten Antrag, dem wir auch zustimmen werden, unterfüttern. In diesem Sinne hoffen wir, dass die Diskussion sich über diesen Antrag hinaus fortsetzen wird, dass wir das Thema jetzt mit einer noch höheren Präsenz, als es ohnehin schon der Fall war, weiter begleiten und dass wir nach einem nicht allzu langen Zeitraum evaluieren, ob diese Maßnahmen tatsächlich etwas gebracht haben. Das wird schwierig sein, aber wir müssen es versuchen, denn wir können einen Antrag nicht einfach in guter Hoffnung beschließen, sondern wir müssen auch versuchen, dem Problem möglichst nahe zu kommen. Wenn das vielleicht noch nicht der letzte aller Schlüsse ist, dann müssen wir weitere nachschieben. – In diesem Sinne bedanke ich mich!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kinder vor Vernachlässigungen und Misshandlungen zu schützen ist angesichts einer Vielzahl von schrecklichen und grausamen Todesfällen durch Vernachlässigung und schwere Misshandlungen dringend erforderlich, und zwar durch ein so genanntes Frühwarnsystem, das heißt eine präventive Aufklärung und Beratung von so genannten Problemfamilien und eine gesetzlich vorgeschriebene regelmäßige ärztliche Vorsorgeuntersuchung von Kindern. Eine Gefahr einer zu starken Einmischung durch den Staat bei erschreckend ansteigenden Kindesmisshandlungen, ja sogar mit zunehmender Todesfolge, sehe ich hier nicht gegeben, ganz im Gegenteil: Lieber zehnmal zu viel als einmal zu wenig hinschauen! Meine Damen und Herren, Ihr Antrag mit der Drucksachen-Nummer 16/808, Kinder vor Vernachlässigung schützen, ist ein richtiger, aber dem Thema entsprechend schon längst überfälliger Antrag. Es steht außer Frage, dass das Bundesland Bremen über ein wirklich gut entwickeltes System zur Sicherung des Kindeswohls verfügt, aber, und nun kommt das Aber, wie Sie selbst in Ihrem Antrag folgerichtig schreiben, gibt es trotz gut funktionierender Vernetzung der verschiedenen Hilfssysteme und Hilfsangebote keine hundertprozentige Garantie, dass es nicht auch im Land Bremen zu schwerwiegenden und ansteigenden Vorfällen von Vernachlässigung und Kindesmisshandlung kommt, zumal, und das muss hier deutlich gesagt werden, die Dunkelziffer gerade in diesem Bereich besonders hoch ist. Darum ist es dringend notwen

dig und erforderlich, dass schon im Vorfeld überforderte und so genannte Risikofamilien zum Beispiel durch Ärzte, Jugendämter und andere zuständige Beratungsstellen aufgeklärt werden, damit Kinder und Jugendliche schon im Vorfeld viel besser und effektiver vor Vernachlässigungen und Kindesmisshandlungen geschützt werden können.

Meine Damen und Herren, für die Deutsche Volksunion stehen das Wohl und die Interessen von Kindern an erster Stelle. Unsere Kinder sind unsere Zukunft. Es muss alles Menschenmögliche getan werden, damit unsere Kinder wohlbehütet und auch durch staatliche Institutionen besonders geschützt werden und in einer demokratischen Gesellschaft sorgenlos aufwachsen können, ja sogar aufwachsen müssen.

Wenn ich mir aber einmal in der Vergangenheit – und wohl auch zukünftig – die großen politischen Versäumnisse und die unsozialen Einsparungen gerade in der Jugend- und Familienpolitik anschaue und dazu noch einige unverständliche Gerichtsurteile, sprich zu niedriges Strafmaß bei schwerer Vernachlässigung und schwerer Kindesmisshandlung, sogar mit Todesfolge, glaube ich kaum, dass ein solch geringes Strafmaß besonders abschreckend wirkt. Mit Sicherheit sind sehr viele Urteile nicht im Namen des Volkes gesprochen worden. Dieser wichtige Punkt einer rechtmäßigen härteren Bestrafung von Kindesmisshandlungen fehlt in Ihrem Antrag.

Meine Damen und Herren, die Deutsche Volksunion hat sich nachweislich schon immer für das Wohl und die Interessen von Kindern eingesetzt, aber nicht nur das: Die DVU hat sich schon immer vehement für den besonderen Schutz des ungeborenen Lebens eingesetzt. Diese Thematik soll hierbei nicht vergessen werden.

Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist schon einmal ein ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung. Deshalb werde ich Ihrem Antrag zustimmen und hoffe, dass Sie zum Schutz und zum Wohl unserer Kinder dementsprechenden Anträgen der Deutschen Volksunion, zum Beispiel härtere Strafen bei Kindesmisshandlungen, Kindesmissbrauch und so weiter, zukünftig ebenfalls zustimmen werden, aber darauf werde ich bei Ihrer ideologischen Verblendung zum Schaden unserer Kinder wohl noch sehr lange warten können, weil Sie dementsprechende Anträge der Deutschen Volksunion bis jetzt immer abgelehnt haben.

Meine Damen und Herren, Kinder vor Vernachlässigung zu schützen bedeutet nämlich nicht, hier unendliche Scheindebatten zu führen und viel zu spät Alibianträge einzubringen! Kinder vor Vernachlässigung effektiv zu schützen bedeutet in erster Linie ein dringend sofortiges, politisches, effektives Handeln, und das haben Sie bis zum heutigen Tag sträflich vernachlässigt.