Protocol of the Session on February 22, 2018

Damit müssten wir zurande kommen. Besteht damit Einverständnis?

(Isabell Zacharias (SPD): Sehr gerne!)

Vielen Dank. Es ist gut, dass wir das gemeinsam machen können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Kerstin Celina u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Wahlrechtsänderung zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention (Drs. 17/17576) - Zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Celina das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Derzeit sind in Bayern 19.700 Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, und fast alle von ihnen sind nicht deshalb vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil ein Richter festgestellt hat, dass sie nicht fähig sind zu wählen. Nein, sie sind einfach pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen, und wir GRÜNE wollen das beenden. Wir GRÜNE sagen klar: 19.700 Menschen pauschal vom Wahlrecht auszuschließen, ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es war nicht in Ordnung, und es wird niemals in Ordnung sein, auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, erst einmal weiter daran festhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen doch selbst Handlungsbedarf – das haben Sie im Sozialausschuss gesagt –, faktisch tun Sie aber nichts. Im Sozialausschuss haben Sie selbst gesagt, dass das Wahlrecht allen zustehe und es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung dieser Frage käme. Das wäre doch ein gutes Thema für die Aktuelle Stunde heute gewesen: "Pauschalen Wahlrechtsentzug für Menschen mit Behinderung abschaffen". Das ist ein hochaktuelles Thema. Schade, dass Sie es nicht vorgeschlagen haben.

Sie hätten heute in der Aktuellen Stunde darüber sprechen können, dass Sie sich als Fraktion eine Lösung wünschen, aber von Ihrer Staatsregierung nichts dazu kommt. Sie hätten heute sagen können, dass Sie, Frau Stamm, sich als Vorsitzende der Lebenshilfe schon lange dahin gehend äußern, dass es hier eine Änderung geben müsse, um 19.700 Menschen in

Bayern wählen zu lassen. Sie hätten auch darüber sprechen können, dass Verena Bentele, die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, eine Streichung der Wahlrechtsausschlüsse in Bundes- und in Landeswahlgesetzen fordert. Aber Ihnen ist ja nichts Aktuelles eingefallen.

Ist das das soziale Gewissen der CSU, das soziale Gewissen der CSU-Landtagsfraktion? – Ich frage mich bei diesem Thema, das schon so lange immer wieder auf der Tagesordnung steht: Wo ist das Herz für Menschen mit Behinderung, in der Herzkammer der CSU, die seit Jahren nichts tut, um diesen Menschen das elementare Recht auf Teilhabe an Wahlen zu geben?

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wenige Monate vor der Landtags- und der Bezirkstagswahl und nach jahrelangen Debatten fällt Ihnen heute wahrscheinlich nichts Besseres ein, als unseren Gesetzentwurf, der einfach und praktikabel ist, abzulehnen, ohne etwas Eigenes vorzulegen. Gerade die Bezirkstage, die bald gewählt werden, sind für Menschen mit Behinderungen zuständig, und Sie verweigern 19.700 Menschen, für die die Bezirke zuständig sind, ein Wahlrecht. Für die betroffenen Menschen mit Behinderung ist das einfach bitter.

Wir GRÜNE bringen das Thema seit Jahren immer wieder auf die Tagesordnung, und Sie finden immer wieder Begründungen, es auf die lange Bank zu schieben und nichts tun zu müssen: mal ist es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mal ist es ein Abschieben auf die Bundesebene. Jetzt steht im neuen Koalitionsvertrag wieder einmal ein Passus:

Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle. Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden. Wir empfehlen dem Deutschen Bundestag, in seinen aktuellen Beratungen zu Änderungen am Wahlrecht, dieses Thema entsprechend umzusetzen.

Solche Ziele haben Sie, aber Sie haben sie bisher nicht umgesetzt – weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Das Ziel ist nicht neu, und ich frage mich, wie geduldig das Papier diesmal ist. Vor der Wahl in Bayern wird garantiert nichts passieren. Das könnten Sie von der CSU heute ändern, aber Sie wollen nicht.

In Deutschland sind 84.500 Menschen pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen, 19.700 davon leben in Bayern. 25 % der Betroffenen leben somit in Bayern, das aber nur 15 % der Bevölkerung der Bundesrepublik stellt. Gerade weil in Bayern so unglaublich

viele Menschen unter Vollbetreuung stehen, sind in Bayern vergleichsweise viel mehr Menschen von der Wahl pauschal ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, hier in Bayern nicht wählen zu dürfen, ist zwölfmal so hoch wie in Hamburg oder Bremen und dreimal so hoch wie in Baden-Württemberg.

Sie könnten das heute mit einem einfachen Federstrich ändern, und zwar vor der Landtags- und der Bezirkstagswahl im Oktober 2018. Das ist Ihre Aufgabe und nicht die des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die Einschränkung im Wahlrechtsausschluss gerade noch rechtlich möglich ist. Die moralische Frage ist hingegen, ob der Wahlrechtsausschluss mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar ist und ob Sie ihn auch für die Wahlen in diesem Oktober noch aufrechterhalten wollen. Diese Frage werden Sie als Abgeordnete heute hier beantworten müssen. Wenn Sie unseren Gesetzentwurf heute wieder ablehnen und nichts Eigenes vorlegen, haben Sie deutlich geantwortet und ein klares Votum gegen die betroffenen Menschen mit Behinderung abgegeben, denen Sie weiterhin verbieten, wählen zu dürfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Celina. – Für die CSU-Fraktion hat sich Kollegin Guttenberger gemeldet. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Derzeit sind Personen, die in allen Angelegenheiten unter Betreuung stehen, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dies beruht unter anderem auf einer Studie, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat und die zu dem Ergebnis kam, dass der Wahlrechtsausschluss in dieser Form – nur in dieser – nicht gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt. Dieser Bericht von 2016 – nicht von sonst wann – wurde dem Landtag über Herrn Staatsminister Herrmann zugeleitet.

Derzeit ist auch noch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht, eine Wahlprüfung, die letzte Bundestagswahl betreffend, anhängig. Ich halte das nicht für ein Abschieben auf die Bundesebene. Im Übrigen sind wir der Ansicht, dass die Kriterien für das Wählen auf Bundes- und Landesebene sowie auf der kommunalen Ebene gleich sein sollten.

Richtig ist außerdem – Sie haben es auch angesprochen, Frau Celina –, dass im Koalitionsvertrag klar steht, dass man ein inklusives Wahlrecht entwickeln will, und ich sage Ihnen deshalb: Auch wir wollen, dass auf Landes- und auf Bundesebene sowie auf der kommunalen Ebene die gleichen Kriterien Anwendung finden. Wir gehen davon aus, dass auf Bundes

ebene – nämlich beim Bundestag – auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages, so er denn zum Tragen kommt, eine entsprechende Initiative gestartet wird, und werden das dann in Bayern auch nachvollziehen und einführen.

Hier zu sagen, was das Bundesverfassungsgericht sagt, ist nicht so wichtig, das sei ein Abschieben auf die Bundesebene, und was dieses Gutachten im Auftrag der Bundesregierung ergeben hat, sei auch egal, weil auch das ein Abschieben auf die Bundesebene sei, ist für uns nicht zielführend, weil wir gleiche Kriterien auf allen Ebenen wollen, und wir lehnen das deshalb ab. Wir halten es nicht für sinnvoll, hier jetzt einen Schnellschuss zu machen, sondern wir wollen eine gesicherte Basis, bei der sich jeder Mensch mit Behinderung darauf verlassen kann, dass er auf allen Ebenen – nämlich auf der Bundes- und der Landesebene sowie auf der kommunalen Ebene – nach den gleichen Kriterien das gleiche Wahlrecht hat. Wir lehnen den Antrag deshalb ab.

Einen kleinen Moment bitte, Frau Kollegin. Wir haben eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Celina.

Liebe Frau Kollegin, Sie haben gesagt, Sie wollen auf allen Ebenen gleiche Kriterien für das Wählen. Sie sind aber nicht gleich. Erstens. Ich habe zum Beispiel auf kommunaler Ebene in den Bundesländern verschiedene Mindestalter für die Beteiligung an Wahlen.

Zweitens. Wenn man von gleichen Kriterien spricht, sollten auch die Kriterien dafür gleich sein, dass man unter Vollbetreuung kommt. Wie erklären Sie sich, dass in Bayern 25 % der Menschen leben, die unter Vollbetreuung stehen, obwohl Bayern nur 15 % der deutschen Bevölkerung ausmacht? Auch hier schaffen Sie keine gleichen Kriterien gegenüber den anderen Bundesländern.

Drittens. Von einem Schnellschuss zu sprechen, nachdem wir über Jahre hinweg darüber reden und die UN-Behindertenrechtskonvention vor zehn oder elf Jahren unterschrieben wurde, ist, denke ich, ein wenig deplatziert. Der Schnellschuss kommt vielleicht nur daher, dass Sie seit Jahren nichts gemacht haben, um das Thema zu lösen, und dass jetzt die Wahlen in Bayern kommen. Diese können Sie nicht noch länger aufschieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Celina, ich möchte Sie an Ihren Gesetzentwurf erinnern. Sie haben bei diesem Tagesordnungspunkt nicht beantragt, ein anderes Wahlalter einzuführen, sondern wir reden von

Ihrem Gesetzentwurf, der besagt, dass auch Menschen mit Betreuung in allen Angelegenheiten einen Zugang zur Wahl haben sollen. So ist das in Ihrem Gesetzentwurf drin. Und über diesen reden wir. Auf diesen habe ich geantwortet.

(Zuruf der Abgeordneten Kerstin Celina (GRÜNE))

Wir wollen, dass diese Kriterien dann auf allen Ebenen gleich angewendet werden. Das halten wir durchaus für einen vernünftigen Weg.

Dann geht es darum, dass wir jetzt im Rahmen der Koalitionsverhandlungen eine Entscheidung getroffen haben, die besagt, dass wir das ändern wollen. Wie heißt es da so schön: Wir wollen ein inklusives Wahlrecht schaffen, und wir wollen deshalb einen pauschalen Ausschluss ausschließen. – Ich gehe davon aus, dass das auch umgesetzt wird, sonst muss man ja keine Koalitionsverträge schließen. Jetzt sagen Sie: Nein, dem misstraue ich, ich will jetzt sofort eine Entscheidung treffen. – Das sehen wir anders. Das hat nichts damit zu tun, dass 2018 Wahl ist, sondern das hat etwas damit zu tun, dass sich der Bundesgesetzgeber jetzt auf den Weg macht. Da ging es um eine ganz andere Bewertung. Da ging es um die letzte Bundestagswahl und darum, dass wir jetzt eine Koalitionsregierung bilden.

Bei Ihrem dritten Punkt muss ich gerade passen. – Ah ja. Die Frage verstehe ich nicht. Wollen Sie damit unterstellen, dass man in Bayern diese Betreuung in allen Angelegenheiten in nicht gerechtfertigter Weise ausspricht? Da muss ich offen sagen: Das halte ich für einen völlig unangemessenen Vorwurf. Wenn es im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gemacht wurde, was in der Regel der Fall ist, dann sagen Sie, diese Entscheidung hat kein unabhängiges Gericht nach objektiven Kriterien getroffen. Ich muss sagen, das, was Sie da in den Raum stellen, ist starker Tobak.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Frau Kollegin Guttenberger. – Für die SPD-Fraktion darf ich jetzt Frau Kollegin Deckwerth das Wort erteilen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag! Wir haben heute zum wiederholten Male einen Gesetzentwurf mit der Thematik, dass Menschen mit Behinderung bzw. in diesem Fall Gruppen von Menschen mit Behinderung, die unter Vollbetreuung stehen, nicht automatisch vom Wahlrecht ausgeschlossen werden können. Frau Guttenberger, ich

muss einführend sagen: Ihre Stellungnahme hier war eine gebündelte Zusammenstellung von Gründen, warum man das nicht macht. Man könnte auch sagen, das war die verzweifelte Suche nach Gründen, dass man nicht hier und heute dieses Wahlrecht, das berechtigte Wahlrecht für Menschen mit Behinderung, mit entscheidet.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Hier darf ich darauf hinweisen – ich zitiere jetzt mal –:

Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist nicht irgendein Recht. In einem demokratischen Gemeinwesen ist das Wahlrecht das politische Grundrecht schlechthin.

Das hat ein Herr Leander Palleit in seinem Buch "Gleiches Wahlrecht für alle?" bereits 2011 veröffentlicht. Herausgeber war das Deutsche Institut für Menschenrechte. Das ist "die" unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution in Deutschland. 2011 war das. Die EU-Menschenrechtskonvention spricht von einer unzulässigen Stigmatisierung – das ist ein Zitat – von Menschen mit Behinderung. Das heißt, wir haben eine an sich selbstverständliche Forderung, die Forderung, dass Menschen mit Behinderung bei Wahlen gleichberechtigt ihr Recht ausüben können sollen. Wir haben eine UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2006 gebraucht, um diese Forderung deutlich zu Papier zu bringen. Wir haben seither zwölf Jahre vergehen lassen müssen. Da war zwischendrin 2013 ein Anlauf auf Bundesebene. Der Bundesrat hat das empfohlen und auch eingefordert. Wir haben hier als Landtagsfraktion 2013 und 2014 zwei Anläufe gemacht, die abgelehnt wurden. Inzwischen haben mit Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Bundesländer dieses Recht eingeführt.

Nur wir hier in Bayern haben die Situation, dass 2017, jetzt von den GRÜNEN, die Initiative wieder ergriffen wurde. Aber leider wurde das in der Ersten Lesung durch Sie von der CSU abgelehnt. Auch die Ausschussberatungen haben leider keinen Erfolg gebracht, wobei die Argumentationslinien in den Ausschüssen schon so interessant sind, dass man kurz darauf hinweisen muss. In dem Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen wurde von meinem Kollegen Herrn Arnold explizit dargestellt, dass bei einem Ausschluss vom Wahlrecht immer nur eine Einzelfallbetrachtung angebracht ist. Deswegen solle jemand nur durch Richterbeschluss vom Wahlrecht ausgeschlossen werden dürfen. Das ist ein ganz expliziter Punkt, der aber seitens Ihrer Fraktion leider nicht berücksichtigt wird.

Herr Arnold hat außerdem den Willküraspekt genannt. Der Willküraspekt liegt darin, dass wir hier eine Gruppe von Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, ausschließen, dass aber genau die gleiche betroffene Gruppe, wenn vorher eine Patientenverfügung verfasst oder eine Vorsorgevollmacht ausgestellt wurde, sehr wohl ihr Wahlrecht behält. Das ist einfach widersprüchlich. Die einen bekommen es, die anderen nicht. Diese Form von Willkür, diese pauschale Form des Wahlrechtsausschlusses, muss endlich abgeschafft werden. Wir hatten dann leider in dieser Sitzung des Verfassungsausschusses die Ablehnung erfahren müssen.

Aber im Sozialausschuss vom 01.02. gab es eine sehr interessante Diskussion. Da beziehe ich mich jetzt auf den Beitrag von Herrn Reichhart. Er äußert sich in dieser Runde sinngemäß so, dass die CSU – das hat sie damals, am 01.02., auch gemacht – diese Gesetzesinitiative wieder ablehnt, aber er hat für sich persönlich die Notwendigkeit gesehen, dass etwas getan werden muss. Ja, Herr Reichhart, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Es muss etwas getan werden. Es besteht wirklich dringend Handlungsbedarf. Da zitiere ich jetzt den Koalitionsvertrag, bei dem im Prinzip nur noch der Mitgliederentscheid der SPD abzuwarten ist. Aber die CSU hat damit entsprechend bestätigt, dass sie mit einsteigen will. Ich zitiere wörtlich:

Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle. Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden. Wir empfehlen dem Deutschen Bundestag, in seinen aktuellen Beratungen zu Änderungen am Wahlrecht, dieses Thema entsprechend umzusetzen.