Protocol of the Session on June 15, 2010

Wir haben es vorhin wieder gehört: Gegen die direkte Demokratie werden stereotype Argumente ins Feld geführt. Das eine besagt, man befürchte, in das Volk komme einen unberechenbare Dynamik hinein, die man nicht mehr steuern könnte. Argumentiert wird auch, die direkte Demokratie sei mit den Strukturen der parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar. Meine Damen und Herren, die direkte Demokratie soll die parlamentarische Demokratie nicht abschaffen, sondern ergänzen. Sie soll eine Mitgestaltungsmöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger schaffen. Im Gegenzug dazu schafft eine direkte Demokratie, eine Volksbeteiligung bei den Gesetzen, einen groß angelegten Diskussionsprozess in der Bevölkerung. Die Bevölkerung kann sich also selbst damit auseinander

setzen und damit letzten Endes ein Gesetz wesentlich besser mittragen, weil sie es selbst mit entschieden und auf den Weg gebracht hat.

Meine Damen und Herren, das kommt dem Ideal der Volkssouveränität immer näher, denn wir führen Sie damit aus einem demokratietheoretischen Bereich, aus einer Fiktion hinaus in eine Praxisrelevanz, damit die Menschen endlich mitentscheiden können. Schließlich ist eine direkte Demokratie auch ein probates Mittel gegen Machtmissbrauch und Korruption. Die Menschen können nämlich aktiv und zeitnah mitgestalten und müssen nicht erst auf die nächsten Wahlen warten, was zwangsläufig zu einer gewissen Frustration führt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die direkte Demokratie nicht nur wagen, lassen Sie uns die direkte Demokratie wirklich praktizieren. Abraham Lincoln hat die Demokratie als Regierung durch das Volk und für das Volk bezeichnet. Mit einer direkten Demokratie, mit den Elementen des Bürgerentscheids und des Volksentscheids, kommen wir diesem Bild immer näher. Das Volk kann direkt für sich votieren und beschließen. Lassen Sie uns deshalb die Fesseln vom Willen des Bürgers wegnehmen, damit der Bürger sich entfalten kann. Werte Kolleginnen und Kollegen, jede Bürgerin und jeder Bürger in unserer Republik ist letzten Endes ein Politiker. Jeder Einsatz, der von der Bürgerin und vom Bürger gebracht wird, ist auch politisch. Es ist deshalb Zeit, den mündigen Bürger endlich anzuerkennen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darf ich jetzt Frau Kollegin Tausendfreund hier noch vorne bitten. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein Volksentscheid auf bayerischer Ebene funktioniert, alle ihn loben, warum er aber auf Bundesebene plötzlich Teufelszeug sein soll. Ich muss sagen: Mehr als 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist das Versprechen, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und zwar nicht nur in Wahlen, sondern auch in Abstimmungen, noch immer nicht eingelöst. Schließlich stehen Wahlen und Abstimmungen im Grundgesetz. Den Protokollen des Parlamentarischen Rates ist zu entnehmen, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes bei aller Zurückhaltung, die Kollege Schindler angesprochen hat, mit der Formulierung "Wahlen und Abstimmungen" durchaus auch Sachentscheidungen gemeint haben, über die die Bevölkerung abstimmen können soll.

Dies ist auch der Unterschied zur Direktwahl des Bundespräsidenten. Diese ist nämlich im Grundgesetz nicht vorgesehen. Sie passt auch nicht in unsere Verfassungsarchitektur, plebiszitäre Abstimmungen über Sachentscheidungen dagegen sehr wohl.

Für die GRÜNEN ist die Frage der direkten Demokratie und der Bürgerbeteiligung von zentraler Bedeutung. Ich verweise auf unseren Antrag vom 3. Februar 2009, den wir hier eingebracht haben und der die Bundesebene betrifft. Es ist der Antrag Drucksache 16/342. Ich verweise auch auf die vielen Initiativen, die in den vergangenen Jahren von uns ausgegangen sind, darunter ist auch eine gemeinsam mit dem Verein "Mehr Demokratie".

Wo Demokratie fehlt oder nicht richtig funktioniert, geschieht meistens gerade nicht das, was im Sinne der Bürgerinnen und Bürger wäre, sondern das, was Macht- und Lobbygruppen wünschen. Dies ist meist weit vom Gemeinwohl und einem nachhaltigen Umgang mit den ökologischen und ökonomischen Ressourcen entfernt.

Bürgerbeteiligung ist ein wichtiges Korrektiv für die Politik und auch ein wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit. Der nötige Politikwechsel zu einer verantwortungsvollen Politik in Finanz-, Sozial- und ökologischen Fragen, die zukünftigen Generationen keinen Scherbenhaufen hinterlässt, kann meines Erachtens nur gelingen, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und in die Entscheidungsprozesse einbeziehen. Dies gelingt nicht, wenn wir über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden. Eine aktive Bürgergesellschaft funktioniert nur mit aktiven Bürgerinnen und Bürgern, die sich angemessen und verbindlich einmischen können. In einer aktiven Bürgergesellschaft müssen die Bürger selber die Agenda der Politik bestimmen und Sachentscheidungen treffen können, und zwar auch auf Bundesebene.

Was bei uns in Bayern mit dem von der Bevölkerung erkämpften kommunalen Bürgerentscheid und dem landesweiten Volksentscheid erfolgreich funktioniert, muss endlich auch für den Bund eingeführt werden. Wir waren schon mehrfach nahe daran. Auch wenn unser Zugpferd Joschka Fischer kein Freund des Volksentscheids gewesen ist, so hat doch der Münchener GRÜNEN-Abgeordnete Gerald Häfner überparteilich bereits eine breite Mehrheit im Bundestag für eine Verfassungsänderung gewonnen. Aber auf Bundesebene braucht man eben eine Zweidrittelmehrheit; dafür hat es nicht gereicht.

Jetzt wäre der Zeitpunkt für einen neuen Anlauf. Denn selbst auf europäischer Ebene konnte jetzt mit viel Engagement die europäische Bürgerinitiative gestar

tet werden. Europaweit können nun Sachentscheidungen per Volksentscheid getroffen werden.

Umso ärgerlicher ist, dass auf Bundesebene die Union und die FDP die Einführung des bundesweiten Volksentscheids verhindern. Die FDP hatte sich doch eigentlich den bundesweiten Volksentscheid auf die Fahnen geschrieben und in der letzten Legislaturperiode des Bundestages einen eigenen Gesetzentwurf dazu eingebracht. Von daher scheinen Sie, Herr Dr. Fischer, diese Forderung über Bord geworfen zu haben.

Zu der Haltung der SPD im Bundestag kann man natürlich auch ein paar Fragen stellen. Die SPD hat die direkte Demokratie in der letzten Legislaturperiode anscheinend der Koalitionsräson geopfert und drei von den Oppositionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfen die Zustimmung verweigert. Wir müssen abwarten, wie es in der neuen Bundestagsfraktion der SPD aussieht.

70 bis 80 % aller Bundesbürger sprechen sich für die direkte Demokratie auf Bundesebene aus. Der Kern jeder Demokratie ist die Volkssouveränität. In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Der Volksmund sagt: "… und kehrt nicht mehr zurück". Helfen Sie mit, dass diese ernüchternde Einschätzung unserer Demokratie keine Basis mehr hat und das Versprechen endlich eingelöst wird, dass es auf Bundesebene Sachentscheidungen per Volksentscheid geben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die FDPFraktion erteile ich dem Kollegen Dr. Fischer das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst stelle ich mir die Frage, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eine Initiative nach der anderen zur Bundespolitik ergreifen. Offensichtlich haben Sie mit der landespolitischen Arbeit keine Probleme. Offensichtlich arbeitet die Staatsregierung gut. Ich freue mich, dass Sie das anerkennen. Wenn Sie sich aber schon andauernd mit bundespolitischen Themen befassen, könnte man doch wenigstens erwarten, dass Sie dazu auch ein Konzept vorlegen.

Im Februar 2009 haben wir einen Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN diskutiert, der für Volksentscheide auf nationaler Ebene immerhin drei Beispiele genannt hat: wesentliche EU-Vertragsänderungen, Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, militärische Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Ich habe damals im Rechtsausschuss bemängelt, dass das nicht konkret

genug, dass es unbestimmt ist. Nun haben wir einen Antrag, der noch unbestimmter ist.

Ich halte es für wenig hilfreich, wenn der Bayerische Landtag dem Bundestag sagt: Wir wollen für die direkte Demokratie ein bisserl mehr, aber wir sagen nicht, was. Sie gehen auch nicht zum Bäcker und sagen, packen Sie mir mal ein bisserl was ein, und überlassen ihm die Auswahl. Das provoziert doch sofort die Nachfrage: Wo passen plebiszitäre Elemente? Dazu sagt Ihr Antrag rein gar nichts.

Trotzdem möchte ich ein paar inhaltliche Anmerkungen zu Ihrem Antrag machen.

Was mich stört, ist die Überschrift "Mehr Demokratie wagen!". Allerdings stört mich das aus anderen Gründen, als es die Kollegen der Freien Wähler formuliert haben. Die Formulierung "Mehr Demokratie wagen!" erweckt den Anschein, als ob die repräsentative Demokratie keine Demokratie sei. Ich sage ganz deutlich: Die parlamentarisch-repräsentative Demokratie gemäß Grundgesetz hat sich im Grundsatz bewährt, auch wenn sie nur wenig plebiszitäre Elemente kennt.

(Beifall bei der FDP)

Trotzdem begrüßen wir als FDP die Einführung plebiszitärer Elemente. Deshalb war es auch die FDPFraktion im Deutschen Bundestag - das ist heute schon gesagt worden -, die am 25. Januar 2006 einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz eingebracht hat. Es war, wohlgemerkt, ein konkreter Gesetzentwurf, nicht ein unbestimmter Antrag, wie er heute vorliegt.

Aber dieser Gesetzentwurf wurde abgelehnt, und zwar nicht nur mit den Stimmen der Union, sondern auch mit denen der SPD. Frau Tausendfreund, auch die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat damals nicht zugestimmt, sondern sich enthalten.

Es scheint eine gewisse Tradition zu geben, dass die Oppositionsfraktionen solche Anträge einbringen und die Regierungsfraktionen diesen Anträgen zumindest mehrheitlich skeptisch gegenüberstehen.

Ich schlage vor, dass Sie mit der Überzeugungsarbeit in Ihrer eigenen Fraktion beginnen. Ich schlage vor, dass wir die Ausgestaltung und die Diskussion dort machen, wo sie hingehören, nämlich auf der Bundesebene. Ich habe nichts gegen einen neuen Anlauf, auch nichts gegen eine Diskussion dieses Themas. Aber der Antrag ist so, wie er heute vorliegt, unbestimmt und dünn. Es gibt keinen Bedarf, ihn im Bayerischen Landtag zu verabschieden.

(Beifall bei der FDP)

Für die Staatsregierung hat sich nun Herr Staatsekretär Gerhard Eck gemeldet.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus! Ich fasse kurz zusammen. Ich unterstreiche die Ausführungen, die Kollege Bausback gleich zu Beginn gemacht hat. Herr Kollege Fischer, Sie haben eben noch einmal deutlich gemacht, dass hier Dinge miteinander vermischt und im Ergebnis unkonkret vorgetragen werden.

Zu den Themen, die heute schon angesprochen worden sind, gehört auch die Frage einer Direktwahl des Bundespräsidenten. Hinzu kam, dass die Antragstellung als Eilantrag verpackt wurde, was der Sache aber nicht angemessen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schindler, Herr Kollege Streibl und Frau Kollegin Tausendfreund, Sie haben in Ihren Diskussionsbeiträgen zu diesem Antrag immer wieder mit der kommunalpolitischen Ebene und der Länderebene verglichen. Das ist eindeutig falsch. Wenn wir über die Bundesebene und die darüber liegenden Ebenen sprechen, fehlen Beschränkungen in Ihrem Antrag. Das ist ein Blankoscheck, der so nicht unterschrieben und positiv abgestimmt werden kann. Plebisziten zur Verteidigungspolitik und den außenpolitischen Angelegenheiten sind Tür und Tor geöffnet. Einschränkungen bei finanzwirksamen Entscheidungen werden offen gelassen. Minderheiten können der Masse Richtungen aufdrängen. All diese Dinge sind einfach nicht geregelt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein aus diesen wenigen Argumenten wird deutlich, dass einem solchen Antrag nicht zugestimmt werden kann. Im Übrigen verweise ich auf die Diskussionsbeiträge von Herrn Kollegen Dr. Fischer und Herrn Kollegen Prof. Dr. Bausback. Ich bitte Sie, diesen Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz empfiehlt die Ablehnung. Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der Freien Wähler, der SPD, der GRÜNEN und Frau Dr. Pauli. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU

und der FDP. Das sind mehr. Ich habe Sie alle zwei Minuten gezählt. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Heiterkeit)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Natascha Kohnen, Dr. Linus Förster u. a. und Fraktion (SPD) Mehr Transparenz für Regierung und Verwaltung: Offenlegung von Sponsoring (Drs. 16/4108)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion. Zur Begründung für die SPDFraktion Frau Kollegin Kohnen. Bitte schön.

Sehr geehrter Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag mit der Forderung nach Offenlegung von Sponsoring ist keine neue Erfindung in der bundespolitischen Landschaft, sondern gehört mittlerweile zum Standardrepertoire, um mehr Transparenz in politische Prozesse und mehr Strukturen in die Politik zu bringen. Im Interesse der Bürger und Steuerzahler, aber vor allen Dingen auch im Interesse der aufrichtigen Sponsoren muss offengelegt werden, was wie viel und von wem gesponsert wurde.

Transparenz ist hier das Zauberwort. Ich denke, dem kann sich keiner verschließen. Hier hinkt Bayern jedoch deutlich dem Bundes- und Landestrend hinterher. Da wollen wir mithilfe dieses Antrags Abhilfe schaffen. Nur durch Transparenz lässt sich der Verdacht von Korruption und Interessenüberschneidung ausräumen und gleichzeitig Sicherheit für die Sponsoren herstellen.

Der Staat mit seinen Institutionen muss bereits von Anfang an den Anschein einer finanziellen Einflussnahme aus dem privaten Sektor vermeiden. Dies erfordert das Neutralitätsgebot der Verwaltung. Zudem ist dies notwendig, um die Glaubwürdigkeit und die Integrität staatlicher Institutionen zu wahren.

Wir fordern eine jährliche Sponsoring-Veröffentlichung; denn der Haushalt im Bund und die Haushalte in den Ländern und Kommunen werden schließlich ebenfalls jährlich aufgestellt. Selbst Unternehmen haben jährlich Bilanzen vorzulegen, soweit sie nach dem Handelsgesetzbuch und dem Aktienrecht dazu verpflichtet sind.

Eine Summe soll nach unserer Vorstellung dann veröffentlicht werden, wenn sie die Höhe von 2.500 Euro pro Sponsor und Jahr überschreitet, damit kein Splitting vorgenommen werden kann und eine Veröffentlichung umgangen wird.

Meine sehr geehrten Kollegen, der Blick über den Tellerrand belegt, dass dem Thema Sponsoringberichte eine wachsende Bedeutung zukommt. Dies beweist seit acht Jahren der Umgang mit Sponsoringberichten in Niedersachsen. Wir begrüßen auch, dass im Moment seitens der Regierungskoalition bereits an Sponsoringrichtlinien gearbeitet wird. Dies unterstützen wir in unserem Antrag. Wir fordern Sie deshalb auf - wir gehen sogar so weit, Sie zu bitten -, diesen Antrag zu unterstützen. Wenn Sie eine Ablehnung unseres Antrags an der Formulierung "ab dem Jahre 2009 rückwirkend" festmachen, sage ich Ihnen eins: Darüber kann man reden. Daran soll es nicht scheitern. Wir bitten um Ihre Zustimmung. In diesem Sinne bin ich gespannt auf Ihre Reaktion.

(Beifall bei der SPD)

Als nächstes darf ich Frau Kollegin Guttenberger das Wort erteilen. Bitte schön.