Protocol of the Session on December 4, 2012

Und so geht es weiter. Landtagsplenum der letzten Woche am 28. November: Wieder Anträge von SPD, FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN, und die Ministerin traut sich nicht einmal an das Mikrofon. Sie traut sich nicht, Flagge zu zeigen, einmal Rede und Antwort zu stehen und auch den Beschäftigten der Justiz zu zeigen: Ich stehe vor euch, und ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Frau Ministerin, so geht das nicht weiter, und ich glaube, Ihre Tage sind gezählt. Man braucht für Ihre Tätigkeit Energie und darf nicht energielos sein. Man braucht Kraft und darf nicht kraftlos sein. Man darf auch nicht die Debatte nur von der Regierungsbank aus verfolgen, sondern man muss aktiv eingreifen. Das ist das, was wir als SPD fordern: Mauern Sie nicht dauernd höher, sondern reißen Sie die Mauern endlich ein. Legen Sie die Fakten endlich auf den Tisch des Hauses, damit wir eine Entscheidung treffen können. Wir im Landtag sind nicht das Gericht, und wir maßen uns nicht an, über Gutachten zu philosophieren und hineinzureden. Wir wollen aber den Sachverhalt aufgeklärt haben. Das ist unsere klare Aufgabe, die wir als Volksvertreter haben.

(Beifall bei der SPD)

Es hilft Ihnen auch nichts, Frau Ministerin, wenn Sie weiterhin keine klare Aussage treffen. Woche für Woche vergeht, und Woche für Woche kommen neue Anträge. Woche für Woche rollt die Presselawine weiter über Sie hinweg, und diese Presselawine ist gnadenlos. Sie ist deshalb gnadenlos, weil wir immer nur aus der Zeitung, dem Rundfunk oder dem Fernsehen erfahren, was eigentlich hinter den Kulissen passiert ist. Es wäre Ihre Aufgabe, uns schlau zu machen, damit wir nicht alles von der Presse erfahren müssen und dann nur nachtarocken können. Das geht praktisch jeden Tag so.

Selbst der Herr Innenminister, der letzten Sonntag beim Stammtisch im Bayerischen Fernsehen war, hat gesagt − ich zitiere -: Ich will jetzt keine strafrechtlichen Vorwürfe erheben, aber es sieht natürlich sehr ungut aus. Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt, trifft aber den Kern des Verfahrens in aller Deutlichkeit. Schauen Sie, was heute wieder über den Ticker läuft. Herr Kollege Streibl hat es gesagt: Der Psychiater in Mainkofen − das ist der Chef der Anlage − hat vor fünf Jahren ein anderes Gutachten ausgestellt. Wir wollen Antworten haben, und ich bin gespannt, was Sie uns am Donnerstag im Ausschuss für Recht und Verfassung erklären.

Wir wollen wissen, warum der Staatsanwalt und die Finanzbehörden nicht tätig geworden sind. Seit wann wussten die Betroffenen von dem HVB-Bericht, und seit wann wusste die Staatsanwaltschaft von dem HVB-Bericht? Was ist unternommen worden? Diese Fragen werden wir weiter stellen, und wir müssen sie auch beantworten, ob Sie wollen oder nicht. Mit Ihrer Salami-Taktik kommen Sie nicht weiter, das werden Sie sehen, und dieses Puzzle fügt sich nahtlos zusammen. Tag für Tag sorgt die Presse mit neuen Enthüllungen dafür, dass deutlich wird, was passiert ist. Wenn Sie sich schützend davor stellen würden, wäre das ein Zeichen dafür, dass Sie Ihre Justiz verteidigen und nicht immer nur warten, bis die Zeit verstreicht. Die Wahlen kommen nächstes Jahr, und dann werden wir sehen, wie es ausgeht. Die Luft wird für die Ministerin immer dünner. Deshalb sollte sie die Zeit nutzen. Sie werden noch ruhiger werden, warten Sie einmal ab. Sie werden noch alles erleben. Lesen Sie die Zeitungen, und dann werden auch Sie überrascht sein.

Abschließend will ich sagen: Wir von der SPD haben vollstes Vertrauen in die Justiz. Wir stehen voll vor der Justiz und hinter der Justiz.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Wir werden die Sache verfolgen. Am Donnerstag sind wir wieder ein Stück schlauer. Vielleicht steht morgen wieder etwas in der Zeitung, was wir noch nicht wissen. Wenn Sie sich selber einmal auf den Prüfstand stellen, dann müssen Sie feststellen: Das ist keine Art und Weise, wie man mit einem Menschen umgeht. Das eine Jahr Verzögerung, nachdem wir letztes Jahr den Antrag gestellt haben, hat allein die Ministerin zu verantworten; dafür ist sie alleine verantwortlich.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darf ich nun Kollegin Christine Stahl ans Mikrofon bitten.

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir stellen uns gerne auch neben die Justiz, dann ist sie umzingelt. Das soll jetzt keine Drohung sein, aber es ist an der Zeit, Herr Ministerpräsident, die Justiz ohne politische Kommentierung die Wiederaufnahme vorbereiten zu lassen. Da hilft es auch nichts, Frau Merk, wenn wir jetzt wieder einmal Gutachten bewerten und in Streitereien darüber verfallen, ob diese in Ordnung sind oder nicht. Das Verfahren vor dem Regensburger Gericht wird laufen, und ich denke, dass die Justiz mittlerweile aufgrund der Berichterstattung in den Medien weiß, was sie zu tun hat. Die Justiz in Bayern ist unabhängig, aber aus unserer Sicht nicht unabhängig genug. Fälle wie die von Herrn M., Ulvi K. oder der Landwirtschaftsfamilie R. sind Nagelproben für unser System und seine Funktionstüchtigkeit.

Sie zeigen aber auch − ich möchte den Blick ein bisschen weiten − die Grenzen von Kontrolle auf. Deshalb und nicht ohne guten Grund befassen wir GRÜNE uns immer wieder mit anderen Modellen, wie unabhängig die Justiz tatsächlich sein kann und wo wir eventuell noch nachjustieren müssen. Unser Modell − ebenso wie das Modell des Deutschen Richterbundes, das uns allen bekannt ist − ist nicht hundertprozentig in der Lage, das, was wir erleben, in den Griff zu bekommen. Trotzdem und gerade deshalb müssen wir uns mit einer unabhängigen Justiz und der Frage, wie eine solche aussehen kann, befassen. Selbstverständlich waren die Einmischung des Ministerpräsidenten letzte Woche und die Anordnung der Wiederaufnahme - ich habe den Medien entnommen, dass es eine Anordnung war und nicht eine Eigenentscheidung der Staatsanwaltschaft − Sündenfälle. Für uns waren das Sündenfälle, wenn man daran denkt, dass eine Anweisung, eine Einmischung in die Entscheidung der Justiz nicht erfolgen sollte.

Trotzdem waren wir, der Not gehorchend, für eine Wiederaufnahme, weil wir der Meinung sind, dass das der einzig richtige Weg sein konnte, um für eine Klärung zu sorgen. Tatsächlich kam am letzten Freitag die Meldung − dabei ist zu prüfen, ob diese tatsächlich zutrifft -, dass der Richter, der über das Schicksal von Herrn M. entschieden hat, sich wohl laut Medienberichten in die Ermittlungsarbeit von Staatsanwaltschaft oder Steuerfahndung oder beidem zum Nachteil des Angeklagten eingemischt hat. Das wäre eine eindeutige Grenzüberschreitung, die nach Kontrolle schreit. Gerade aus diesem Grund war die Wiederaufnahme der einzige richtige Weg.

Wer aber soll Kontrolle in diesem System, das wir haben, ausüben? Wir als Politiker dürfen es nicht. Gleichzeitig hat die Justiz, so wie sie strukturiert ist, auch keine Gremien, um diese Kontrolle durchzuführen. Deshalb sind wir trotz aller Defizite, die der Vorschlag des Deutschen Richterbundes und des Bayerischen Richtervereins hat, der Meinung, wir sollten in diesem System endlich einmal anfangen zu arbeiten, weil es bei aller Kritik daran eine justizinterne Kontrolle beinhaltet. Schauen Sie sich das Modell an, Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen das nur anraten. Es sind entsprechende Gremien vorgesehen. Ob diese dann im Widerspruch zu einer Kontrolle von außen stehen müssen und wie es dann mit den Staatsanwaltschaften läuft und ob diese dazugehören, darüber kann man diskutieren.

Im bestehenden System müssen wir feststellen, dass wir uns dann, wenn es wirklich hart auf hart geht und man überprüfen muss, ob Entscheidungen richtig waren, sehr schwer tun und wir uns fragen müssen: Wo wollen wir mit unserer Justiz eigentlich hin? Kontrolle muss - dies geht trotzdem auch an die Adresse der Justiz - natürlich auch gewollt sein; und sollte es in ferner Zukunft Möglichkeiten geben, die justizintern durchaus Kontrolle zulassen, dann muss man diese auch ausüben - ohne Rücksicht auf das Ansehen einzelner Personen oder Kolleginnen und Kollegen.

Wir werden sehen, wie sich hier die Wiederaufnahme weiter gestaltet. Wir werden sehen, wie sie sich entwickelt. Wir werden natürlich beobachten - das dürfen wir -, und wir werden, wenn neue Aspekte ans Tageslicht kommen sollten, auch entsprechend nachhaken.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die FDP-Fraktion erhält nun Herr Dr. Andreas Fischer das Wort; bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche haben wir den Fall M. in mehreren Dringlichkeitsanträgen behandelt. Wenn man ihn heute erneut zum Gegenstand einer Debatte macht - diesmal im Rahmen einer Aktuellen Stunde -, dann ist naturgemäß die Frage zu stellen: Was hat sich in den letzten fünf Tagen ereignet?

(Zuruf der Abgeordneten Eva Gottstein (FREIE WÄHLER))

Das ist tatsächlich nicht wenig. Am Freitag haben die "Nürnberger Nachrichten" berichtet, dass es eine Anzeige von M. gegen seine Frau und die Mitarbeiter gegeben hat, die bei den Finanzbehörden gelandet und dort schnell als "erledigt" zu den Akten gelegt wurde.

Warum? - Weil ein Anruf aus der Justiz erfolgte. Angeblich habe der Richter, der gegen M. urteilte, selbst angerufen und gesagt, M. sei nicht klar bei Verstand. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein psychiatrisches Gutachten, und niemand hatte M. ein paranoides Gedankensystem oder Gemeingefährlichkeit unterstellt.

Bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz ist festzustellen, dass ein solches Vorgehen zumindest ungewöhnlich ist.

(Beifall bei der FDP)

Das Zweite, was neu ist: Die bayerische Staatsministerin der Justiz hat bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg veranlasst, dass beim zuständigen Landgericht Regensburg ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt wird. Die Wiederaufnahmegründe sind abschließend in der StPO geregelt, und unter anderem ist ein solcher Antrag möglich, wenn es neue Tatsachen gibt, die einen Freispruch, eine Milderung bzw. eine andere Beurteilung bewirken können. Es ist nicht möglich aus Gutdünken, weder aus dem der Staatsanwaltschaft noch dem der Staatsministerin der Justiz.

Ich kommentiere keine Urteile, aber dieser Fall weist in der Tat viele Merkwürdigkeiten auf. Diese sind aber zum geringsten Teil neu. Nun gibt es neue Tatsachen, und die Staatsministerin der Justiz hat reagiert. Als ich das Thema der Aktuellen Stunde gehört habe, war mein erster Gedanke, dass die Fraktion der FREIEN WÄHLER der Staatsministerin der Justiz danken möchte, dass sie diesen Antrag gestellt hat. Das war, wie wir heute gehört haben, nicht der Fall.

Der Fall M. ist schwierig, und ich sage ausdrücklich: Es ist angemessen, ihn hier im Parlament zu diskutieren. Bis jetzt habe ich in vielen Bereichen auch zumindest angenommen, dass es bei der Diskussion um den Betroffenen und um Rechtsstaatlichkeit geht. Aber wenn ich heute höre, dass Kollege Streibl fragt, wie die Rufe von Herrn M. ungehört bleiben konnten, wo er doch eine Petition eingereicht hat: Kollege Streibl, ich habe das Prinzip der Gewaltenteilung mehrfach erklärt, und ich erkläre es auch gern nochmals.

(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Eine Anzeige gibt es!)

Dem Landtag als Legislative ist es verwehrt, Urteile zu korrigieren. Der Justizministerin als Teil der Exekutive ist es ebenfalls verwehrt. Wenn Sie fragen, wie unabhängig die Justiz ist, Kollege Streibl, dann kann man nur antworten: Wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, ist sie überhaupt nicht unabhängig; denn wenn man Sie reden hört, hat man den Eindruck,

dass Sie nicht nur den Gutachter wissen, den Sie bestellen wollen, sondern auch schon dessen Ergebnis kennen. Das, Kollege Streibl, hat mit Rechtsstaatlichkeit gar nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Frau Kollegin Aures, wenn Sie sagen, Sie stehen vor und hinter der Justiz: Ich habe manchmal den Eindruck, Sie glauben, Sie stehen über der Justiz.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Ich glaube nicht, dass ich über der Justiz stehe. Ich habe in diesem System der Gewaltenteilung eine andere Aufgabe und versuche, dieser gerecht zu werden. Deshalb habe ich beim letzten Mal meine Rede beendet:

Uns ist verwehrt, die Arbeit der Justiz zu bewerten, aber die Justiz selbst ist nicht daran gehindert, eine eigene Bewertung vorzunehmen. Auf diese Bewertung warten viele Menschen.

Ich bin dankbar, dass diese Bewertung jetzt erfolgt. Das ist richtig.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. − Für die CSU-Fraktion darf ich nun das Wort an Petra Guttenberger weiterreichen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gewaltenteilung, also die Aufteilung der Gewalt im Staat, zwischen Exekutive - der Staatsregierung -, Legislative - das sind wir - und Judikative - das sind die Gerichte - ist ein sehr wichtiges Prinzip. Wenn wir aber heute eine der Reden bewusst gehört haben, so sehen wir: Es geht hier nicht um Sozialkundeunterricht, sondern offenkundig haben manche Personen in diesem Landtag genau dieses wichtige demokratische Prinzip noch nicht verinnerlicht.

(Markus Rinderspacher (SPD): Der Ministerpräsident!)

Ich bedaure dies sehr. Das muss ich leider so direkt sagen.

(Beifall bei der CSU)

Das sage ich deshalb nicht als Oberlehrerin - dieser Verdacht kommt mir jetzt -, sondern Gewaltenteilung ist die Grundlage der Demokratie, und gerade die Unabhängigkeit der Justiz ist eines der wichtigsten Güter.

(Eva Gottstein (FREIE WÄHLER): Aber dann in die richtige Richtung!)

Das heißt in der Konsequenz, dass sich auch die Legislative nicht in den Kernbereich der Rechtsprechung einzumischen hat. Das heißt auch, dass die Exekutive hier ihre Grenzen findet, und das heißt letztendlich, dass jede Gewalt für sich unabhängig entscheidet. Sehr geehrter Herr Kollege Streibl, dem Sündenfall vom letzten Mal, als Sie sozusagen wollten, dass der Landtag statt der unabhängigen Justiz Gutachter bestimmt, ist glücklicherweise in diesem Parlament niemand gefolgt. Man ist dem gerade deshalb nicht gefolgt, weil man sich dessen bewusst ist, wie wichtig dieses Prinzip ist - für einen demokratischen Rechtsstaat, für Rechtssicherheit und für unser demokratisches System. Deshalb, lieber Herr Streibl, halte ich es schon - ich möchte wirklich keine Schärfe hineinbringen - für etwas scheinheilig, einerseits zu fordern, der Landtag möge beschließen, wer jetzt Gutachter bestellt, andererseits aber zu fragen: Wie unabhängig ist die Justiz? Sie ist glücklicherweise unabhängig. Deshalb wurde dieser Antrag auch von einer klaren Mehrheit hier im Hause beim letzten Mal abgelehnt, denn es geht hier nicht um "heute so, morgen so", sondern es geht um grundlegende Verfassungsprinzipien.

Sehr geehrte Frau Aures, ich verhehle nicht, dass ich mit dieser Einführung ganz besonders an Sie appelliere. Es gibt Reden, die einen inhaltlich manchmal sprachlos, ratlos machen. Es ist doch völlig egal, wo ich beim Gericht stehe - davor, dahinter oder daneben. Entscheidend ist, dass das Gericht entscheidet, und ich frage mich, welche "Mauern" denn die Ministerin in einem Gerichtsverfahren gebaut hat, die sie dann niederreißen soll, und ich frage Sie, welche "Entscheidung" Sie treffen wollen. Sie haben diese Entscheidung nicht zu treffen, ich auch nicht und die Ministerin ebenfalls nicht, sondern die Justiz.

(Beifall bei der CSU - Eva Gottstein (FREIE WÄHLER): Aber die Ungereimtheiten!)

Dann bringt es nichts, wenn man diesen Grundsatz nicht verinnerlicht, sondern ihn sozusagen so benutzt, wie man gerade meint, dass es vielleicht presse-affin ist. Jedenfalls wüsste ich nicht, welche Entscheidung wir jetzt in einem unabhängigen Gerichtsverfahren nach der Verfassung treffen könnten beziehungsweise treffen sollten.

(Zuruf der Abgeordneten Eva Gottstein (FREIE WÄHLER))