Protocol of the Session on October 24, 2002

Ich will Ihnen auch sagen, warum.

Herr Kollege Mehrlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Goppel?

Nein. Die letzte kommunale Finanzreform auf Bundesebene fand im Jahre 1973 statt. Sie waren von 1982 bis 1998 in Bonn an der Regierung. Was haben Sie in dieser Zeit eigentlich getan? – Nichts. Stattdessen werfen Sie der jetzigen Bundesregierung seit

drei Jahren – sie ist gerade vier Jahre im Amt – vor, sie würde ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Kommunalfinanzen nicht nachkommen. Die Bundesregierung hätte gezögert, eine entsprechende Kommission einzusetzen. Herr Staatsminister, Sie stellen die Tatsachen und die zeitlichen Abläufe auf den Kopf.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, Sie sollten sich zu schade sein, solche wahrheitswidrigen, ich möchte fast sagen „gelogenen“ Behauptungen in den Raum zu stellen.

(Meyer (CSU): Das ist unglaublich!)

Gelogen hat jemand, wenn er die Wahrheit kennt, aber das Gegenteil erzählt. Wenn ich Ihnen unterstelle, dass Sie die Wahrheit kennen, und Sie trotzdem sagen, was Sie gesagt haben, dann haben Sie gelogen.

(Leeb (CSU): Jetzt geht es dem Mehrlich an den Kragen!)

Herr Jurist, dem Mehrlich geht es nicht an den Kragen. Wer die Wahrheit kennt, aber das Gegenteil behauptet, lügt.

(Herrmann (CSU): Genau das ist hier der Fall!)

Ich habe unterstellt, dass der Innenminister die Wahrheit kennt und trotzdem sagt, was er gesagt hat.

(Beifall bei der SPD)

Von 1988 bis 1998 haben sich die kommunalen Finanzen und der Staatshaushalt dramatisch zuungunsten der Kommunen auseinander entwickelt. Die Schulden der Kommunen stiegen nämlich in dieser Zeit um das Zweieinhalbfache stärker als die Verschuldung des Freistaates. Der Grund dafür liegt in dem Umstand, dass die Finanzzuweisungen an die Kommunen nicht im gleichen Umfang wie der Staatshaushalt gestiegen sind. Hätten Sie auch die Kommunalfinanzen in dieser Zeit entsprechend erhöht, hätten die Kommunen in den 12 bis 13 Jahren vier bis fünf Milliarden DM mehr erhalten müssen. Dieses Geld fehlt jetzt hinten und vorne.

(Beifall bei der SPD)

Die momentane Situation ist doch nur der letzte Tropfen in einem sehr großen Fass. Dieses Fass haben Sie vorher mit Ihrer Politik gefüllt.

(Beifall bei der SPD)

In Bayern wird seit zehn Jahren über einen neuen Finanzausgleich schwadroniert. Das Instrument des Finanzausgleichsgesetzes liegt bei den Ländern. Der Bund hat keine direkten Finanzbeziehungen zu den Kommunen. Das läuft über die Haushalte der jeweiligen Länder. Seit zehn Jahren wird über ein Finanzausgleichsgesetz schwadroniert. Was hat die Staatsregierung bisher geschafft? Im Herbst 2000 wurde ein Ministerratsbeschluss gefasst. Im Frühjahr 2001 wollte dann

Finanzminister Prof. Dr. Faltlhauser über erste Ergebnisse berichten.

Daraus wurde nichts. Dieser Termin wurde auf das Frühjahr 2002 verschoben. Jetzt haben wir schon Herbst 2002 und gehen auf den Winter zu. Wo bleibt denn der Bericht über Ihr Tätigwerden in Sachen Finanzausgleichgesetz, den Sie versprochen haben? Sie aber wollen anderen Verzögerung und Untätigkeit vorwerfen.

(Beifall bei der SPD)

Bevor Sie mit dem Finger auf andere zeigen, sollten Sie endlich Ihre Hausaufgaben machen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatsminister Dr. Beckstein.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich halte es schon für ein ziemlich dreistes Stück – das sage ich ganz deutlich –, zu behaupten,

(Frau Radermacher (SPD): Wer ist denn dreist?)

ich hätte gelogen, wenn ich die rot-grüne Koalitionsvereinbarung des Jahres 1998 zitiere.

(Zustimmung bei der CSU)

Herr Kollege Mehrlich, 1998 hat Rot-Grün eine Koalitionsvereinbarung geschlossen, und diese gilt für die Jahre 1998 bis 2002. Diese Koalitionsvereinbarung enthält die Aussage: Wir werden die Reform der kommunalen Finanzen durchführen. Wollen Sie das bestreiten?

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie das bestreiten, fordere ich Sie dazu auf, an das Mikrofon zu gehen und eine Zwischenfrage zu stellen.

(Frau Radermacher (SPD): Das hat er gar nicht bestritten!)

Er bestreitet es nicht. Er hat aber hier gesagt, das sei eine Lüge. 1998 sagte Rot-Grün, sie wollten die kommunalen Finanzen reformieren. Im Sommer 2002 wurde die Kommission eingesetzt, die sich mit diesen Themen beschäftigt. Dann stellt sich ein SPD-Abgeordneter hierher und wirft mir Lüge vor. Dazu kann ich nur sagen: Das ist die Politik, die Rot-Grün gemacht hat. So wie RotGrün die Wähler betrogen hat, sollt ihr es bitte schön nicht auch noch im Parlament machen.

(Beifall bei der CSU – Lebhafter Widerspruch bei der SPD)

Bestreitet irgendjemand in diesem Haus, dass die Situation der bayerischen Kommunen trotz all der Schwierigkeiten, die wir auch in Bayern haben, im Vergleich zu den anderen Ländern deutlich besser ist? Wenn Sie

behaupten, wir könnten mit dem Landesgesetz des Finanzausgleichs die brutalen Finanzschwierigkeiten beheben, die durch Bundesgesetzgebung entstanden sind, dann geht es Ihnen nicht um eine ernsthafte Argumentation.

Ich verweise auf die recht eindrucksvolle Entwicklung – das habe ich mir gerade geben lassen – der Verschuldung der bayerischen Kommunen in den Jahren 1995 bis 2001. Die Verschuldung der bayerischen Kommunen pro Einwohner betrug 1995 1107 e, 1996 1169 e, 1997 1200 e, 1998 1215 e, 1999 1223 e und ging im Jahr 2000 auf 1199 e zurück; genauso hoch ist die Verschuldung im Jahr 2001. In diesen Jahren war also die Verschuldung der bayerischen Kommunen relativ erträglich. Wir weisen ja immer darauf hin, dass die eigentlichen Einbrüche bei den Steuereinnahmen im Jahr 2001 stattfanden und sich im Jahr 2002 verschärft haben. Es ist doch kein reiner Zufall, dass der Münchner Oberbürgermeister nicht etwa den Haushalt des Freistaates Bayern oder den Finanzausgleich des Freistaates Bayern beschimpft hat, als er im Sommer erklärte, München sei pleite. Er hat eine klare Adresse genannt, nämlich Schröder und Eichel. Entsprechend empfindlich haben diese Herren reagiert.

(Beifall bei der CSU – Mehrlich (SPD): Er hat sich an den Freistaat gewandt, nicht an den Bund)

Er hat auch angeführt, dass der Freistaat Bayern die Lehrpersonalzuschüsse nicht erhöht. Sie wissen aber so gut wie wir, dass das keine neue Sache ist,

(Frau Radermacher (SPD): Das ist noch schlimmer!)

sondern dass die Kommunen noch vor wenigen Jahren argwöhnisch darauf geachtet haben, dass sie mit ihren Schulen eine eigenständige Kulturpolitik machen konnten.

(Zahlreiche Zurufe von der SPD)

Die Verschlechterung der kommunalen Finanzen werden Sie doch nicht damit begründen wollen, dass die Zuschüsse für das Lehrpersonal an den kommunalen Schulen nicht erhöht worden sind. Sie werden doch einräumen müssen, dass Ude einen Schuldigen benannt hat, und zwar einen Schuldigen in der Bundesregierung.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie nicht einmal den Mut haben, Ihre eigenen Kommunalpolitiker ernst zu nehmen, wie wollen Sie denn die Interessen der bayerischen Bevölkerung in Berlin ordentlich vertreten?

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Sie werden sich das in den nächsten Monaten noch oft anhören müssen.

Der Wähler hat das wohl auch erkannt, wie man am 22. September in Bayern gesehen hat. Deswegen kann ich nur sagen: Sie brauchen nicht mit dem Vorwurf der

Lüge zu arbeiten. Was ich vorgetragen habe, sind Fakten. Sie konnten keinen einzigen Punkt konkret nennen, in dem ich irgendetwas Unrichtiges behauptet hätte. Sagen Sie doch bitte ganz deutlich, wo ich denn gelogen haben soll: beim Thema des Blauen Briefs, bei der Steigerung der Sozialabgaben, des beginnenden Aufschwungs oder der Steuerschätzungen.

(Loscher-Frühwald (CSU): Das ist alles abgestritten worden!)

Habe ich irgendwo ein Faktum unrichtig dargestellt? – Sie sollten nicht in Beschimpfungen und Polemik verfallen, anstatt vernünftig und sachlich zu argumentieren.