Protocol of the Session on April 18, 2002

(Unruhe)

Sozialhilfe ist für die ausländische Bevölkerung ein gewisser Anreiz, um zuzuwandern.

Ich sage es noch einmal, damit ich nicht missverstanden werde:

(Zuruf der Frau Werner-Muggendorfer (SPD))

Die Situation für die Betroffenen ist problematisch und bedrückend. Es ist gerade für Kinder eine sehr schwierige Situation, mit anderen nicht mithalten zu können, sich mit anderen zu vergleichen, in Isolation zu leben, nicht die Kontakte zu haben, die sie sich wünschen.

(Frau Steiger (SPD): Ja, und nun?)

Wir müssen uns selbstverständlich überlegen, wer unsere spezifischen Zielgruppen sind.

(Frau Steiger (SPD): Das müssen wir nicht überlegen, das steht im Sozialbericht, das steht überall!)

Ich möchte die Zahlen noch einmal nennen. Die Alleinerziehenden machen 16% aller Familien in Bayern aus.

Davon beziehen 37% Sozialhilfe, ein enorm hoher Prozentsatz. Wenn wir betrachten, wie lang die Alleinerziehenden Sozialhilfe beziehen, stellen wir fest, dass die Situation vorübergehend ist. Die Verweildauer von Alleinerziehenden in der Sozialhilfe liegt bei 31,3 Monaten, ist also nicht dauerhaft.

(Wahnschaffe (SPD): Das ist keine Frage der Dauer, sondern eine Frage der Ursachenbeseitigung!)

Sie geben mir das Stichwort. Was ist die Ursache? – Ist es nicht auch das unwahrscheinlich rasche Auseinandergehen von Eltern? Ist es nicht auch die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ohne dass der Vater angegeben wird? Ist es nicht auch die Entscheidung für eine Lebensform, ohne dass die Verantwortung mit dem anderen Partner geteilt wird? Ich beklage sehr laut, dass sich viele Väter davor drücken, Unterhalt zu bezahlen, und die Frauen mit den Kindern in die Sozialhilfe treiben. Eine der Hauptursachen ist, dass Verantwortung nicht mehr wahrgenommen wird. Diese Ursache müssen wir bekämpfen.

Schauen Sie sich das Unterhaltsvorschusskassengesetz an. Wie viele Personen beziehen einen Unterhaltsvorschuss? – Das ist eine große Anzahl. Im Dezember letzten Jahres waren das 43450 Kinder. Das bedeutet, dass sich Väter ihrer Verantwortung nicht bewusst sind. Dort müssen wir ansetzen und nachfragen: Kann man Kinder in die Welt setzen, ohne die Verantwortung zu übernehmen?

Der Herr Präsident mahnt mich in Bezug auf die Redezeit. Ich hätte noch vieles ansprechen wollen, aber das geht leider nicht. Ich denke, wir müssen auch die von mir genannten Gesichtspunkte in die Diskussion einbeziehen und Mütter und Väter befähigen, ihrer Elternrolle

gerecht zu werden und Verantwortung für die nachfolgende Generation zu tragen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Narnhammer.

Herr Präsident, Hohes Haus! Liebe Frau Staatsministerin Stewens, ich denke, wir sollten in unserer Diskussion wieder nach Bayern zurückkehren. Das habe ich in Ihren Ausführungen vermisst.

(Beifall bei der SPD)

Ich nehme an, dass auch Sie wissen, dass sich eine ganze Reihe von Forschungsprojekten und Studien in den letzten Jahren mit der Problematik der Kinderarmut beschäftigt hat. Die Zahlen sind heute schon genannt worden. Die Ergebnisse der Studien sind leider erschreckend und eindeutig: Die Armut bei Kindern und Jugendlichen ist kein marginales Phänomen. Auch das reiche Bundesland Bayern kann sich hier nicht ausnehmen. Ich würde mir wünschen, dass die Mitglieder der Staatsregierung nicht immer nur mit tausend Meldungen über Spitzenerfolge durchs Land reisen, sondern auch die Schattenseiten zur Kenntnis nehmen und etwas dagegen unternehmen.

(Beifall bei der SPD)

Kinder, die von Armut betroffen sind, werden in einer mobilen, technologisierten Welt ausgegrenzt. Aus der erweiterten Freizeit- und Konsumwelt erwachsen für diese Kinder keine neuen Chancen, sondern Risiken und Belastungen. Der Zwang, ständig verzichten zu müssen, wird zum Eindruck, zu kurz zu kommen. Diese Kinder werden ausgegrenzt. Die Situation der Ausgrenzung erleben die Kinder bereits im Kindergarten und davor.

Ich denke, wir sollten auch anmerken, dass die Dunkelziffer der Kinder, die in Armut leben, sehr hoch ist. Es ist inzwischen eine allseits bekannte Tatsache, dass Alleinerziehende oft wegen fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen zu Sozialhilfeempfängerinnen werden. Der zaghafte Ansatz der Staatsregierung – es wird ein Kinderbetreuungsplan propagiert, für den 313 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen – ist ein Schritt in die richtige Richtung. Letztlich bedeutet er aber nur, dass in den nächsten fünf Jahren 15 Plätze pro Kommune geschaffen werden. Wenn man das in die Rechnung mit einbezieht, schaut der Ansatz nicht mehr so toll aus. Er ist viel zu gering. Hier zeigen sich deutlich die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte in Bayern, die auf einer äußerst engstirnigen Ideologie beruhen.

Sie sollten endlich wegkommen von der Stamm’schen Verwahranstalt zu einer qualitativ hochwertigen Bildungseinrichtung. Ein großer Schritt, um die Ausgrenzung einzudämmen und eine gewisse Chancengerechtigkeit herzustellen, wäre, ein verpflichtendes, kostenfreies Kindergartenjahr für jedes Kind einzuführen. Das hat sogar die Bildungsministerin erkannt, die aber leider

zurückgepfiffen wurde. Der Lebensverlauf von armen Kindern führt auch dazu, dass sie im Hinblick auf erreichte Schul- und Berufsabschlüsse deutlich schlechter abschneiden als andere. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass in diesem Zusammenhang Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung eine gewisse Abhilfe schaffen könnten.

Die von Armut betroffenen Kinder reagieren unterschiedlich auf die Ausgrenzungs- und Mangelerfahrungen. Oft versuchen sie, die familiäre Armut zu verstecken und zu verheimlichen. Das heißt, sie ziehen sich zurück. Sie werden krank bei Ausflügen oder müssen Einladungen ablehnen, weil sie aus Mangel an finanziellen Mitteln kein Geschenk mitbringen können. Andere versuchen, sich „offensiv“ – das möchte ich in Anführungszeichen wissen – bis hin zum Abgleiten in die Kriminalität Anerkennung zu verschaffen.

Kinderarmut hat noch viele andere Gesichter. Armut macht einsam; Armut stigmatisiert. Für mich ist die Bekämpfung von Kinderarmut eine sozialpolitische Herausforderung und eine bildungspolitische Aufgabe. Die Bekämpfung der Armut bei Kindern ist ein elementares Kinderrecht.

(Beifall bei der SPD)

Ein Wort an den momentanen Kanzlerkandidaten: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, werden Sie endlich Ihrer inhaltlichen und finanziellen Verantwortung für unsere Kinder in Bayern gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Berta Schmid.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Diskussion zum Thema „Kinderarmut“ heute Morgen verfolgt, muss man den Eindruck gewinnen, dass wir mit Geld alle Probleme lösen können.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das haben wir nicht gesagt!)

Ich möchte die materielle Problematik der Familien keineswegs verharmlosen. Ich habe es schließlich selbst erfahren, was es heißt, vier Kinder großzuziehen mit einem realen Einkommen, das zu der Zeit unter dem Sozialhilfeniveau lag. Ich weiß, was es heißt, sich in allem einzuschränken und auf vieles zu verzichten, was für andere selbstverständlich ist. Jedes Paar Schuhe war für uns ein Problem, jeder Schulbeginn eine mittlere Katastrophe. Trotzdem möchte ich mir von niemandem sagen lassen, dass wir arm waren.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Armut ist keine Schande!)

Wir haben es geschafft, diese Situationen gemeinsam zu tragen, und ich denke, das ist die Stärke einer Familie. Was mich bei dieser Diskussion aber noch mehr

bewegt, ist die Tatsache, dass viele unserer Kinder viel mehr unter der seelischen Armut leiden als unter der materiellen. Gerade in der heutigen Zeit der Veränderungen wächst das Bedürfnis nach Geborgenheit, nach sozialem Rückhalt und nach Orientierung. Kinder brauchen Verständnis und Liebe. Sie müssen das Gefühl haben, angenommen zu sein, so wie sie sind, und zwar gerade dann, wenn es schief läuft.

Wir haben zunehmend psychisch kranke und verhaltensauffällige Kinder, denen wir mit allen möglichen Therapien zu helfen versuchen, ohne groß nach den Ursachen zu suchen und diese zu beheben. Wir muten unseren Kindern ständig wechselnde Beziehungen zu, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was dabei zerbricht. Ich denke, auch dabei sollten wir einmal von den 1,80 Meter eines Erwachsenen heruntergehen und nach den Bedürfnissen unserer Kinder fragen.

Wir überfordern unsere Kinder, weil unsere Erwartungen an sie zu hoch sind, anstatt dass wir sie ihren Anlagen und Neigungen entsprechend fördern.

Die Liste der seelischen Grausamkeiten ließe sich beliebig fortsetzen; ich denke an die Konsumüberschüttung unserer Familien und unserer Kinder. Ich will damit sagen: Familienarbeit ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die Geduld und vor allem eines erfordert, das wir meinen, nicht zu haben, das ist Zeit.

Ich bin überzeugt, dass alle finanziellen Unterstützungen für unsere Familien, so notwendig sie sind, nicht greifen, wenn wir uns nicht mehr der Verantwortung bei der Erziehungsarbeit stellen. Auch das bestausgebaute Betreuungsangebot kann und darf unsere Eltern nicht aus der Verantwortung entlassen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt zur Kinderarmut, es ist ein Skandal, dass Kinder hungrig in den Kindergarten kommen oder dass ihre Kleidung komisch riecht. Das und Lücken in den Zähnen, Frau Schopper, sind für mich keine Zeichen von Armut. Hungern muss bei uns schließlich niemand.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Hier wird die Unfähigkeit der Eltern sichtbar, ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kindern ernst zu nehmen. Deshalb sehen wir es als eine der wichtigsten und zentralen Aufgaben an, die Erziehungskompetenz und die Erziehungskraft unserer Eltern zu stärken.

(Beifall bei der CSU)

Familienbildung und Familienberatung haben zum Ziel, die Erziehungsarbeit der Eltern mit Rat und Tat zu unterstützen, Überforderungen der Erwachsenen und Kinder abzubauen sowie Konflikte in Familien zu entschärfen. Wir müssen in die Offensive gehen, damit Eltern aller sozialer Schichten der Zugang zu Familienbildung und Familienberatung ermöglicht wird.

Meine Damen und Herren der Opposition, selbst auf die Gefahr hin, dass ich von Ihnen nun belächelt werde, möchte ich noch einen Punkt ansprechen: Ich bin der Auffassung, dass sich jede junge Frau und jeder junge

Mann eine gewisse Grundausbildung in Hauswirtschaft aneignen muss.

(Beifall bei der CSU)

Hier geht es nicht nur um rationelles Verrichten der Hausarbeiten, um den richtigen Umgang mit Lebensmitteln und um gesunde Ernährung, wie das heute schon angesprochen wurde, es geht vor allem auch darum, zu lernen, mit dem vorhandenen Einkommen auszukommen. Es reicht nicht aus, die hoch verschuldeten Haushalte zu beklagen und Insolvenzberatung einzufordern, wenn auf der anderen Seite die Ausbildung vernachlässigt wird.

Ich unterstütze daher die Forderung der Landfrauen des Bayerischen Bauernverbandes, der sich eine ganze Reihe von Verbänden angeschlossen haben, das Fach Hauswirtschaft in den Lehrplänen der allgemeinbildenden Schulen zu verankern. Das wäre meines Erachtens eine große Hilfe zur Lebensbewältigung.

(Beifall des Abgeordneten Kobler (CSU))