Protocol of the Session on October 18, 2000

vor allem bei der Argumentation eine Rolle, denn derjenige, der argumentiert, argumentiert oft aus seiner örtlichen Situation heraus und aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, sodass die örtlichen Belange natürlich Einfluss auf die Debatte genommen haben. Sie wissen als Kennerin der Materie aber selbst, dass eine Diskussion des gesamten Sozialberichts in aller Tiefe mit allen regionalen Besonderheiten an einem Tag nicht möglich ist. Aber es ist schon eine breite Debatte geführt worden.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Das war die letzte Frage an Sie. Jetzt ist der Herr Staatsminister der Justiz gefragt. Herr Staatsminister, wenn Sie bitte das Mikrofon nehmen würden. Erster Fragesteller ist Herr Kollege Irlinger.

Herr Staatsminister, mit welchen Gründen hat die Staatsregierung das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung im Bundesrat abgelehnt, und welche Maßnahmen wird sie nach Inkrafttreten des neuen Gesetzesartikels ergreifen, um der Botschaft „Erziehen – Schlagen verboten“ zum öffentlichen und breiten Bekanntwerden zu verhelfen?

Herr Staatsminister, bitte.

Herr Präsident, Hohes Haus, ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Irlinger wie folgt: Bayern ist bei den Schlussberatungen des „Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ im Bundesrat am 29. September 2000 für die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel der Streichung der Neuregelung eingetreten. Dies habe ich in meiner Rede im Plenum des Bundesrates ausführlich begründet. Ich kann mich hier auf folgende kurzgefasste Argumente beschränken:

Durch die Neufassung des § 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll Kindern „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung“ eingeräumt werden. „Körperliche Bestrafungen“ sollen ebenso wie seelische Verletzungen als entwürdigende Maßnahmen für unzulässig erklärt werden.

Diese Regelung geht weit über die bereits mit der Kindschaftsrechtsreform zum 1. Juli 1998 in Kraft getretene geltende Fassung des § 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinaus. Diese erklärt „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen“ für unzulässig. Wir sind der Überzeugung, dass die geltende Gesetzesfassung bereits ausreicht, um unannehmbare Erziehungsmaßnahmen zu ächten.

Wir halten überdies die strafrechtlichen Auswirkungen der Neuregelung für verfehlt. Bekanntlich ist der Gewaltbegriff im Strafrecht außerordentlich weit gefasst. Demnach wäre bereits ein Klaps in einer zugespitzten Erziehungssituation oder auch nur ein zupackendes Festhalten am Arm, um beispielsweise ein Kind am Weglaufen vor Erledigung der Hausaufgaben zu hindern, objektiv mit Strafe bedroht. Die in Rede stehende Neufassung

des Gesetzes ist überzogen und lässt sich auch nicht mit dem Ziel rechtfertigen, einen angeblichen Kreislauf der Gewalt zu unterbrechen.

Das Gesetz wird voraussichtlich zum 1. Januar 2001 in Kraft treten. Angesichts der flächendeckenden Presseerklärungen, mit denen die Frau Bundesministerin der Justiz bereits wiederholt das neue Zeitalter der gewaltfreien Erziehung verkündet hat und erfahrungsgemäß zum Jahreswechsel erneut einläuten wird, sieht die Staatsregierung derzeit den Bedarf der Bevölkerung an entsprechenden Sondermeldungen ausreichend gedeckt. Sie wird aber bei sich bietenden Gelegenheiten zur sachlichen Information angemessen auf die Neuregelung hinweisen. Dies wird zum Beispiel im Rahmen der anstehenden Neuauflage einer Broschüre des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zum Kindschaftsrecht mit dem Titel „Eltern und ihre Kinder“ zu Beginn des nächsten Jahres geschehen.

Die Staatsregierung tritt im Übrigen seit langem erfolgreich für eine Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz ein. Ich nenne hier die Förderung der Erziehungsberatungsstellen mit fast der Hälfte des staatlichen Jugendhilfeetats. Ich nenne weiter zwei demnächst in Nürnberg bzw. Bamberg anlaufende Projekte des Sozialministeriums – „Kampagne Erziehung“ und „interkulturelle Mediation“ –, in denen ebenfalls angemessene Wege der Erziehung vermittelt werden. Hervorzuheben ist auch ein Modellprojekt zur Qualifizierung von Erziehungsberatern, speziell für die Beratung ausländischer Mitbürger. Und schließlich denke ich an die Stiftung „Bündnis für Kinder – gegen Gewalt“, die zu Beginn nächsten Jahres als Ergebnis der diesjährigen Kinderschutzkonferenz in München ihre Arbeit aufnehmen wird. Der Zweck dieser Stiftung ist die Förderung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im Bereich der Gewaltprävention.

Zusatzfrage: Herr Kollege Irlinger, bitte schön.

Herr Staatsminister, da ich Sie so richtig verstanden habe, dass Sie nach wie vor hinter dem bisherigen Gesetzestext stehen, der aber insoweit unklar war, als bis zu dem Begriff „entwürdigende“ Erziehungsmaßnahmen doch ein sehr großer Spielraum ist und Sie – ich kenne auch die Initiative der Bayerischen Staatsregierung von 1993 – in der Erziehung das Ohrfeigen und Zuschlagen nach wie vor ermöglichen wollen, frage ich Sie: Ist es nicht ein falsches Signal, Gewalt in der persönlichen Elternerziehung nach wie vor zu erlauben, zudem erwiesen ist, dass, wer geschlagen wird, später wieder schlägt und im Umgang mit anderen Menschen eher zu Aggressionen neigt?

Herr Staatsminister.

Ich weise deutlich darauf hin, dass auch wir kein Zuschlagen, keine Gewaltanwendung und Misshandlung wollen. Aber wir müssen deutlich sehen, dass es hier um einen juristischen Begriff geht, und juristisch gesehen ist

Gewalt mehr, als sich der Bürger darunter vorstellt. Das heißt, wenn ich jemanden allein am Weglaufen hindere und anhalte, ist das aus juristischer Sicht bereits Gewalt. Wir sind der Meinung, dass dann diese Regelung zu weit geht, wenn zunächst objektiv festgestellt wird, dass hier eine Gewaltanwendung vorliege und man dann das erst mit Rechtfertigungsgründen entschuldigen muss. Die bisherige Regelung heißt: „Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen sind unzulässig.“ Dies müsste genau das ausdrücken, was man an sich will. Wir sind insoweit gegen eine Kriminalisierung der Eltern.

Weitere Zusatzfrage: Herr Kollege Irlinger, bitte schön.

Irlinger (SPD) Herr Staatsminister, da ich Ihre Beispiele unangebracht finde – dies wurde Ihnen in den Debatten im Bundestag und im Bundesrat deutlich gemacht –, frage ich dennoch, ob Sie mir aus den Erfahrungen Österreichs, Norwegens und insbesondere Schwedens, wo die gewaltfreie Erziehung seit über 20 Jahren gesetzlich verankert ist, nicht wenigstens bestätigen können, dass dort nach eindeutigen Erfahrungen insbesondere das intakte Elternhaus nicht kriminalisiert wurde?

Herr Staatsminister.

Herr Kollege, ich muss Sie insoweit korrigieren, als die Aussprache im Bundesrat meine Argumente nicht widerlegt hat. Ich habe als Letzter gesprochen, da konnte es keine Widerlegungen geben.

Man hat doch Ihre Vorlage gelesen, Frau Peschel-Gutzeit und die Vertreterin Sachsen-Anhalts haben dies doch widerlegt.

Die Frau Kollegin Peschel-Gutzeit hat meine Vorlage nicht gekannt, denn was ich sage, entscheide ich unmittelbar vor der Rede, und ist auf leichte Gewaltanwendung und leichtes Schlagen als Überreaktion eingegangen. Auf die juristische Problematik, dass beispielsweise bereits ein Festhalten Gewalt sein kann, ist sie nicht eingegangen. Wir sind dagegen, dass in diesem Bereich jedes Handeln der Eltern sofort vom Staatsanwalt verfolgt wird; selbstverständlich lehnen wir ein Misshandeln ab. Während Sie das Problem natürlich aus der Sicht des Pädagogen sehen, sehe ich es aus der Sicht des Juristen und weiß auch, welche Verfahren hier anlaufen können. Sie müssen mir abnehmen, dass ich die von Ihnen favorisierte Regelung für falsch halte.

Eine weitere Zusatzfrage: Herr Irlinger, bitte schön.

In Schweden gab es übrigens nur ganz wenige solcher Verfahren. Ich möchte jedoch nochmals auf den zweiten Teil meiner Frage zurückkommen. Parallel zu den Erfahrungen aus Schweden und neben

der gesetzlichen Verankerung des Rechts des Kindes auf gewaltfreie Erziehung wurde eine sehr breite Informationskampagne gestartet. Ich habe Sie so verstanden: Bayern will nichts tun, weil der Bund etwas tut. Ich halte dies für völlig unangebracht und enttäuschend. Daher frage ich Sie, ob sich die Staatsregierung nicht doch nochmals zurückzieht, um nachzudenken und dann eine sehr breite Kampagne startet; denn nur so wird das Signal „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung“ wirklich unter die Menschen gebracht?

Herr Staatsminister.

Sie können beruhigt sein; denn die Staatsregierung denkt laufend nach. Aber die von der Bundesregierung befürwortete und geplante Regelung halten wir für überzogen. Aber wir wissen genau, dass sowieso entsprechend geworben wird. Ich habe Sie auch darauf hingewiesen, dass wir bei der Neuauflage der Broschüre zum Kindschaftsrecht, die bei uns im Frühjahr erscheinen wird, auf diesen Punkt eingehen werden, und auch diese Regelung, obwohl wir sie nicht für ideal halten, entsprechend mit vorstellen werden.

Damit ist diese Frage erledigt. Die nächste Frage stellt Frau Kollegin WernerMuggendorfer, bitte schön.

Hält die Staatsregierung eine Regelung entsprechend dem österreichischen Gewaltschutzgesetz mit Wegweisung aus der Wohnung auch in Bayern für sinnvoll?

Zum Verständnis meiner Antwort bedarf es einer kurzen Erläuterung der österreichischen Regelungen. Dort ist am 1. Mai 1997 das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie („Gewaltschutzgesetz“) in Kraft getreten. Es hat einen polizeirechtlichen und einen familien- bzw. vollstreckungsrechtlichen Schwerpunkt.

Kernstück des Gesetzes ist das so genannte „Wegweisungsrecht“, das der Polizei und Gendarmerie eingeräumt worden ist. Diese Maßnahme setzt die Annahme voraus, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person bevor. Die Annahme muss auf bestimmten Tatsachen, insbesondere einem vorangegangenen gefährlichen Angriff beruhen. In diesem Fall ist die Polizei ermächtigt, einen Menschen, von dem die Gefahr ausgeht, aus einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung wegzuweisen.

Die Polizei ist überdies ermächtigt, dem Betroffenen die Rückkehr in diesen Bereich auf die Dauer von zehn Tagen zu untersagen; allerdings darf sie dieses Rückkehrverbot nicht mit Zwangsgewalt durchsetzen.

Ferner sind in der Exekutionsordnung, die dem deutschen Zwangsvollstreckungsrecht der ZPO entspricht, Grundlagen für Schutzanordnungen im Wege einer

einstweiligen Verfügung vorgesehen. Danach hat das Gericht einer Person, die einem nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine entsprechende Drohung oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf dessen Antrag das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbare Umgebung aufzutragen. Das Gericht kann ferner die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung verbieten. Voraussetzung ist, dass die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient. Schließlich kann das Gericht in diesen Fällen dem „Täter“ den Aufenthalt an bestimmten Orten verbieten und im auftragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden. Eine solche Verfügung darf insgesamt drei Monate nicht übersteigen.

Bei der Frage nach einer Übernahme der österreichischen Regelungen ist zu unterscheiden: Für den justitiellen, also gerichtlichen Teil liegen vergleichbare, teilweise sogar noch über die österreichische Regelung hinausgehende Vorschläge des Bundesministeriums der Justiz vor. Zu dem entsprechenden Referentenentwurf haben die Länder Mitte des Jahres Stellung genommen. Mit einem Regierungsentwurf ist möglicherweise noch vor dem Jahresende zu rechnen. Die Staatsregierung sieht in den entsprechenden Vorschlägen grundsätzlich eine Verbesserung der geltenden Rechtslage. Sie hält es insbesondere für richtiger, in Fällen massiver häuslicher Gewalt den Täter aus der Wohnung zu entfernen, als den Opfern weiteres Leid oder die Flucht in soziale Einrichtungen wie Frauenhäuser zuzumuten.

Polizeirechtlicher Teil. Hingegen hält die Staatsregierung – vorbehaltlich der endgültigen Ausgestaltung des Bundesgesetzes – das geltende bayerische Polizeirecht zur Abwehr akuter Gefahren- und Krisensituationen für ausreichend. Sie wird allerdings gemeinsam mit den anderen Ländern prüfen, inwieweit die geplante bundesgesetzliche Neuregelung eine weitere Verbesserung auch des polizeirechtlichen Instrumentariums erfordert.

Erste Zusatzfrage: Frau Kollegin Werner-Muggendorfer.

Ich bedanke mich für die positive Beantwortung meiner Frage. Sie haben das alles wunderbar geschildert. Ist daran gedacht, die Interventionsstellen, die es in Österreich gibt, auch in Bayern einzurichten. Dies könnte beispielsweise in Form eines Modellversuchs geschehen. Ist daran gedacht, die Vorgaben zu übertragen wenn das Bundesgesetz kommt? Ich weiß, dass Ihr Ministerium für diese Fragen nicht in erster Linie zuständig ist, aber vielleicht können Sie dazu trotzdem etwas sagen.

Herr Staatsminister, bitte.

Frau Kollegin, Sie haben gesehen, wir sind in der Sache positiv eingestellt. Was einen Modellversuch anbelangt, so läuft

ein solches Modell derzeit in Baden-Württemberg unter der Überschrift „Rote Karte“. Dabei geht es um den polizeilichen Platzverweis. Allerdings kann die Polizei nur aufgrund einer aktuellen Gefährdung reagieren und auch dann nur für einen gewissen Zeitraum. In BadenWürttemberg wird das also im Moment überprüft, wobei der Platzverweis bisher nur selten angeordnet wurde. Ich habe mich mit dem Kollegen Goll in Baden-Württemberg unterhalten und gehe davon aus, dass wir etwas Ähnliches bei einem positiven Ergebnis übernehmen werden. Allerdings betrifft das den Bereich des Innenministers. Ich weiß jedoch, dass die Angelegenheit in der Innenministerkonferenz ein Thema war. Man überlegt, ob man weitere Verbesserungen braucht.

Eine weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Werner-Muggendorfer.

Ist Ihnen klar, dass die Beamten der Polizei, wenn sie solche Platzverweise aussprechen, einer besonderen Schulung und Ausbildung bedürfen? Wurde darüber nachgedacht, dass die Beamten und Beamtinnen auch entsprechend ausgebildet werden müssen?

Herr Staatsminister, bitte.

Ich wildere in fremdem Revier. Kollege Regensburger aus dem Innenministerium möge mir verzeihen, wenn ich folgendes sage: Ich gehe davon aus, wenn eine neue gesetzliche Regelung kommt oder ein Modellversuch laufen sollte und die Beamten mit einer neuen Art der Rechtsauslegung konfrontiert werden, dann werden sie in besonderer Weise informiert und geschult werden.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Die Sie betreffenden Fragen sind damit alle erledigt.

Als Nächstes darf ich Herrn Staatsminister der Finanzen, Prof. Dr. Faltlhauser, zur Beantwortung von Fragen bitten. Die erste Fragestellerin ist Frau Kollegin Lochner-Fischer.

Beabsichtigt die bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und der zuständige Finanzminister entsprechend der Forderung des CSU-Abgeordneten Franz Pienßel, im Englischen Garten einen „Golfplatz für jedermann“ einzurichten?

Nein. No golf. Kein Golf im Englischen Garten.

(Frau Lochner-Fischer (SPD): Kein Golf im Englischen Garten! Danke.)

Weitere Zusatzfragen gibt es nicht. Damit ist diese Frage erledigt.