Protocol of the Session on February 1, 2018

Genossenschaften basieren auf den Prinzipien der Selbsthil fe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung. Eine Gemeinschaft trägt ein Unternehmen und hat entsprechende Mitspracherechte und Mitwirkungspflichten – unabhängig von der Höhe der Einlagen.

In Genossenschaften schließen sich Menschen zusammen, um gemeinsam Ziele zu erreichen, die für sie allein nicht erreich bar wären. Genossenschaften erzeugen Wein, helfen ihren Mitgliedern dabei, bessere Einkaufskonditionen zu erhalten oder die Vermarktung und den Absatz ihrer Produkte zu opti mieren – um hier nur drei klassische Beispiele zu nennen.

Aber heutzutage produzieren Genossenschaften eben auch Energie, betreiben Dorfläden und Dorfgasthäuser, Kitas und alternative Wohnprojekte oder entwickeln Software. Genos senschaften stehen für wirtschaftliche Nachhaltigkeit statt kurzfristiger Gewinnmaximierung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Ihr Geschäftsmodell beruht auf langfristiger Mitgliederorien tierung und regionaler Verankerung. Gerade deshalb haben sich Genossenschaften in der Vergangenheit, gerade auch in Krisenzeiten, immer wieder als Anker der wirtschaftlichen Stabilität erwiesen. Sie leisten daher einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Mittelstands in Baden-Württemberg.

Meine Damen und Herren, Genossenschaften sind in allen Branchen der Wirtschaft in unserem Land zu finden. Ich möchte nur einen Bereich herausgreifen, der mir besonders wichtig ist. Die Genossenschaftsbanken, also die Volks- und Raiffeisenbanken, bilden die dritte Säule in der deutschen Bankenlandschaft und vergeben rund ein Drittel aller Mittel standskredite. Zusammen mit den Sparkassen sind sie mit ei nem Marktanteil von 80 % Hauptfinanzierer des Mittelstands und tragen so wesentlich zur Wertschöpfung der Wirtschaft vor Ort bei.

(Abg. Anton Baron AfD: Herr Schweickert, haben Sie es gerade gehört? Die Sparkassen!)

Trotz der Konsolidierungsprozesse, die auch hier stattgefun den haben und auch weiterhin stattfinden werden, sind die Volksbanken und Raiffeisenbanken stärker als andere Banken in der Fläche präsent und nach wie vor auch in ländlichen Re gionen gut vertreten. Diese Nähe und die Dezentralität sind von wesentlicher Bedeutung für eine langfristige, stabile Kre ditbeziehung zu den mittelständischen Unternehmen; seit der Finanzkrise 2008 steigerten sie ihr Finanzkreditvolumen so gar um 49 %.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass dies auch in Zu kunft so bleibt und ihnen das Geschäftsmodell nicht durch ei ne Überregulierung auf europäischer Ebene weiter erschwert wird.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Genossenschaften sind nicht nur eine spezielle Form von Un ternehmertum, sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Aktivierung des gesellschaftlichen Engagements der Bürge rinnen und Bürger, insbesondere wenn es darum geht, mög lichst viele Menschen in die Entscheidungsprozesse einzube ziehen.

Dies ist etwa in der Klimaschutz- oder Energiepolitik wich tig, bei der es auch darum geht, die Bürger vor Ort bei der Ge staltung der Energiewende aktiv einzubinden. Hier können Energiegenossenschaften und Nahwärmegenossenschaften ei nen wichtigen Beitrag leisten. Deren Anzahl ist in den vergan genen zehn Jahren sehr stark gestiegen. Gerade durch den ge nossenschaftlichen Ansatz kann sichergestellt werden, dass bei der Energiewende ein hoher Anteil der Wertschöpfung in der Region verbleibt.

Meine Damen und Herren, ich möchte ein weiteres Feld ge nossenschaftlicher Betätigung nennen, bei dem aus Sicht der Landesregierung noch Musik drin ist. So kann etwa die Zu sammenarbeit von Ärzten in Genossenschaften ein Modell zur Sicherung der ärztlichen Versorgung darstellen, insbesondere im ländlichen Raum. Dienstleistungen verschiedener Akteu re im Gesundheitswesen lassen sich durch genossenschaftli che Kooperation intelligent miteinander verknüpfen. Bisher gibt es bereits 15 Gesundheitsgenossenschaften in BadenWürttemberg.

Die Landesregierung sieht noch weiteres Potenzial für genos senschaftliches Engagement im Gesundheitsbereich, etwa beim Aufbau von Versorgungszentren. Die Fachministerien stehen diesbezüglich mit dem Hausärzteverband, dem Ge meindetag und dem Baden-Württembergischen Genossen schaftsverband in einem konstruktiven Austausch.

Genossenschaften können innovative Lösungsansätze für viel fältige gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderun gen liefern. Als stabile und gleichzeitig flexible Unterneh mensform sind sie in der Lage, praxisorientiert auf Umbrüche und auf neue Aufgaben zu reagieren. All das macht Genos senschaften auch im 21. Jahrhundert noch zu einem Zukunfts modell.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Das Land unterstützt Genossenschaften in Baden-Württem berg mit vielfältigen Maßnahmen in den einzelnen Fachres sorts. Uns ist aber auch noch etwas anderes sehr wichtig, näm lich dass sich das Land gegenüber der Bundes- und vor allem der europäischen Politik für die Interessen der Genossenschaf ten einsetzt.

Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut hat erst am Montag zu sammen mit dem Präsidenten des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, Herrn Dr. Roman Glaser, und an deren führenden Vertretern der Wirtschaft des Landes beim Wirtschaftsgipfel in Brüssel gegenüber der Europäischen Kommission erneut deutlich gemacht, dass wir mehr Augen maß und Differenzierung bei der Bankenregulierung brau chen, wenn die Volks- und Raiffeisenbanken auch in Zukunft noch eine zentrale Rolle als Finanzierer des Mittelstands in der Fläche des Landes spielen sollen.

Manches haben wir in Brüssel sicherlich schon erreicht. Die Vertretung der Interessen der baden-württembergischen Wirt schaft, so auch der Genossenschaften, bleibt gleichwohl eine Daueraufgabe. Deswegen gratuliere ich sehr herzlich zu dem Jubiläum.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Lassen Sie eine Zwischenfra ge – Schlussfrage, wie auch immer – des Abg. Dr. Bullinger zu?

Ich hatte mich schon gemeldet, bevor die Rede zu Ende war.

Frau Staatssekretärin, ich sehe den Vorteil der Genossenschaf ten vor allem auch aus landwirtschaftlicher Sicht. Hierzu ha be ich eine Frage. Im Augenblick gibt es Bedenken und Prü fungen des Bundeskartellamts bei größeren Molkereigenos senschaften, die gewisse Gebietskartelle oder Abnahmekar telle haben. Das wäre zum Teil verheerend für die Landwirte. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Zweitens: Gibt es – das Wirtschaftsministerium ist ja auch Landeskartellbehörde – vonseiten des Bundeskartellamts sol che Prüfungen in diesem Bereich der Genossenschaften in Ba den-Württemberg?

Herr Bullinger, danke für die Frage. Über die Bedeutung der Genossenschaften haben wir uns eindeutig ausgetauscht. Zu aktuellen Prüfungen, die es in einigen Fällen gibt, kann ich Ihnen jetzt keine Aussage machen. Wenn Sie noch weitere Rückfragen haben, können wir Ihnen dann vielleicht noch eine entsprechende Antwort nachliefern.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wäre mir recht!)

Danke schön.

Vielen Dank, Frau Staatsse kretärin. – Das Schlusswort in dieser Debatte hat Herr Abg. Dr. Rapp von der CDU-Fraktion. Bitte schön.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Das letzte Wort! – Ge genruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das bedeutendste Wort!)

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst auf ei ne Bemerkung eingehen. Die Debatte am heutigen Tag haben wir beantragt, weil es, glaube ich, in dieser Gesellschaft wie der wichtig ist, dass wir uns über die Grundlagen dessen, was diese Gesellschaft zusammenhält, unterhalten, dass wir dar über diskutieren und uns vielleicht wieder vor Augen führen, welches eine wichtige und welches eine unwichtige Debatte ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Liebe Kollegen von der AfD, es hatte Sie auch niemand im Verdacht, die Zusammenhänge zu erkennen.

(Vereinzelt Lachen)

Meine Damen und Herren, was einer allein nicht schafft, schaffen viele. Die Grundidee von Friedrich Wilhelm Raiff eisen sowie die Schlagworte Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sind aktueller denn je. Eigentlich müss ten hier noch viel mehr Redner stehen – Claus Paal, Tobias Wald, Klaus Burger, alle, die in ihren Fachbereichen auch mit der Genossenschaftsidee, mit Genossenschaften zu tun haben.

Kooperative und genossenschaftliche Geschäftsformen und Geschäftsmodelle existieren – auch das haben wir gehört – eben nicht nur im Bankenwesen, in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft, im Energiebereich, im Bereich Ernährung und Pflege, sondern auch mit Blick auf Herausforderungen in der Zukunft – heute Morgen hatten wir die Debatte über Ressour ceneffizienz –, mit Blick auf Innovation, auf Start-ups, auf neue Entwicklungen. Hier liegt der Vorteil der genossenschaft lichen Modelle auf der Hand. Es ist ganz klar: Die Dinge ge hen in Kooperation schneller, wesentlich besser und vor al lem mit Blick auf die Kosten wesentlich effizienter vor sich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Vereinzelt Bei fall bei den Grünen – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: So ist es!)

Ich möchte mit Blick auf den Fachkräftemangel und auf die Situation, die wir im Handwerk erleben, darauf hinweisen – die Staatssekretärin hat es auch gemacht; manch einer meiner Vorredner hat es auch versucht –, was in der Unternehmens nachfolge passiert. Auch hier gewinnt das Genossenschafts modell zunehmend an Bedeutung und wird in der Zukunft ei ne wesentlich tragendere Rolle einnehmen, als es bisher der Fall war.

Wir haben aber auch im Bereich der ärztlichen Versorgung, der Hausärzteversorgung im ländlichen Raum Genossen schaftsmodelle, die bereits im Kabinettsausschuss „Ländli cher Raum“ Eingang gefunden haben – hier ein Dank an die Herren Minister Lucha und Hauk –, um für Versorgungssi cherheit, aber auch für die Attraktivität der ländlichen Räume zu sorgen. Gleiches gilt für die Bereiche im Tourismus, wo es zunehmend auf größere Einheiten und ein viel breiteres Mit einander ankommt.

Meine Damen und Herren, wenn wir über genossenschaftli che Modelle reden, dann reden wir auch über die Rahmenbe dingungen. Es geht nicht nur um die Frage nach Fördermit teln, sondern auch um die Frage: Wie kann das Land BadenWürttemberg unterstützen? Wir haben die Landesaktion „Glä serne Produktion“, wir haben eine Regionalkampagne „Na türlich. VON DAHEIM“, die sich letztendlich sowohl auf Holz- als auch auf Ernährungsprodukte versteift. Wir haben die Frage nach Qualität in Baden-Württemberg. Auch das ist ein Landesprogramm. Um diese Dinge geht es.

Wenn wir darüber reden, wie wir auch indirekt Genossen schaften und diesen genossenschaftlichen Modellen helfen können, dann, liebe Kollegen von der SPD, reden wir doch mal über die Flexibilisierung von Arbeitszeit, dann reden wir doch mal über die eine oder andere Vorgabe, was Bau, Außen bereich und solche Dinge angeht. All dies sind Rahmenset zungen bis hin zur Bürokratie. Wir als gestaltende Politiker müssen uns Gedanken machen: Wie können wir die Situation nachhaltig verbessern?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schweickert?

Sehr gern.

Bitte schön, Kollege.

Herr Kollege Rapp, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Ich bin voll und ganz bei Ihnen, was die Performance angeht. Sie ha ben gerade ausgeführt, was die Politik tun kann. Dazu hätte ich jetzt eine Frage an Sie. Der Altersdurchschnitt bei den Mit gliedern von bestehenden Genossenschaften ist relativ hoch. Viele von denen, die in den Genossenschaften sind, sagen: „Bevor jetzt meine Genossenschaft eine nationale Marke auf baut, bevor meine Genossenschaft am Markt investiert und vielleicht für die Zukunft vorsorgt, will ich lieber eine etwas höhere Auszahlung haben, denn so lange bin ich nicht mehr dabei.“

Gibt es nicht von Ihrer Seite irgendwelche Ideen, wie wir ins besondere bestehenden Genossenschaften helfen können, am Markt noch erfolgreicher zu sein? Als nationale Marken gibt es da nur MILRAM von Nordmilch, und dann wird es schon relativ dünn. Da würde ich mir wünschen, dass es mehr aus Baden-Württemberg gäbe. Welche Vorstellungen hat die Lan desregierung, wie man bei den Rahmenbedingungen etwas tun kann?

Zunächst einmal, Herr Kolle ge Schweickert, danke für die Frage. – Sie wissen so gut wie ich, dass wir eine Antwort auf diese komplexe Fragestellung hier nicht innerhalb von zwei Minuten finden werden. Daher schlage ich vor, dass wir das vielleicht einmal im Ausschuss zum Thema machen, um dabei etwas tiefer zu gehen. Herzli chen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Martina Braun und Martin Hahn GRÜNE)

Wenn wir über die Rahmenbedingungen reden, meine Damen und Herren, dann sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass es uns als denjenigen, die die politische Gestaltung hier mitbestimmen, mitentscheiden dürfen, eigentlich wichtig und Maxime sein muss, dass wir in Baden-Württemberg nicht das Kirchturmdenken, sondern das Leuchtturmdenken fördern sollten. Da haben wir mit dem Baden-Württembergischen Ge nossenschaftsverband einen starken Verband an unserer Sei te. An dieser Stelle Herrn Glaser und dem Führungsteam, die allesamt hier im Raum sind, ein herzliches Dankeschön für ihr Wirken, für ihr Tun, für ihr Engagement. Alles Gute!

Kollege Schweickert, vielleicht noch ein Nachsatz: Wir fei ern heute nicht den Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiff eisen; das ist der 30. März.

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: Ich weiß!)