Protocol of the Session on March 22, 2017

Wie viel Sprechzeit habe ich noch?

Eine Minute und 30 Sekun den.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Ich finde, es war eine wertvolle Debatte, weil darin zum Ausdruck kam, dass wir uns in wesentlichen Fragen einig sind, auch wenn es in den Beiträgen in einzel nen Nuancen Abweichungen gibt. Ich bin der Meinung – das ist meine Schlussfolgerung, die ich jetzt gern noch ausführen möchte –, dass Baden-Württemberg als europäisches Land seine eigene Staatsräson, seine eigene Identität in der europä ischen Frage nicht erst – so, wie es die AfD sagt – suchen muss. Das lassen wir hinter uns. Wir debattieren miteinander und mit den Bürgerinnen und Bürgern darüber, was BadenWürttemberg für Europa beitragen kann.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktio nen, es ist jetzt ein knappes Jahr her, dass der Herr Minister präsident hier in wohlgesetzten Worten gesagt hat, dass Euro pa für Baden-Württemberg Staatsräson sei. Ich habe, ehrlich gesagt, seither nicht mehr so viel gehört. Zu Beginn der De batte war mit Blick auf die Regierungsbänke auch nicht der erste Eindruck, dass es um die Staatsräson geht, wenn hier über Europa debattiert wird. Ich bin da nicht kleinlich, aber ich finde schon, dass da ein bisschen nachgelegt werden müss te.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Reden Sie also vielleicht einmal miteinander darüber.

Reden Sie miteinander vielleicht auch einmal darüber, wie denn der neue Haushalt 2018/2019 aussieht, wenn es um Eu ropa geht. Wir sollten tatsächlich schauen: Was sind die Pro jekte, die wir in Europa voranbringen wollen – ob im Jugend austausch, bei der Stärkung der Europazentren oder der Stär kung der internationalen Zusammenarbeit für Baden-Würt temberg? Ich finde, da haben wir noch Aufholbedarf und wei teren Offensivbedarf. Als Fußballer kann ich nur sagen, Kol leginnen und Kollegen: Die Wahrheit liegt auf dem Platz.

Deswegen bin ich der Meinung, dass Sie, Herr Kollege Wolf, in der Sache durchaus Rückenstärkung brauchen können – auch bei der Organisation der Regierungszuständigkeiten für Europa. Wir haben in dieser Legislaturperiode in der Regie rung keine Konsolidierung der europäischen Zuständigkeiten, sondern eher eine Zersplitterung der europäischen und inter nationalen Zuständigkeiten. Wir können es nicht brauchen, dass wir geschwächt nach Europa gehen. Wir müssen für das Land Baden-Württemberg schon abgestimmt nach Europa ge hen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Erik Schwei ckert FDP/DVP)

Zum Schluss will ich noch eines sagen: Scheindebatten um angeblichen Zentralismus helfen hier nicht. Es geht, liebe Kol

leginnen und Kollegen, um den europäischen Zusammenhalt, und dabei muss Baden-Württemberg seine aktive Rolle spie len.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Rülke das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Fahren Sie bitte fort.

60 Jahre Europäi sche Union bzw. Europäische Gemeinschaft sind eine Ge schichte mit Licht und Schatten. Man kann nicht unter den Teppich kehren, dass es bürokratische Fehlentwicklungen und auch Fehlentwicklungen in der Finanz- und Währungspolitik gibt. Das hat in dieser Debatte auch niemand getan. Man kann aber auch nicht unter den Teppich kehren, dass 60 Jahre Eu ropäische Union und Europäische Gemeinschaft die Geschich te einer beispiellosen Wohlstandsgewinnung und eine der wohl längsten Phasen des Friedens in der europäischen Ge schichte ausmachen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Arnulf Frei herr von Eyb CDU)

Vor diesem Hintergrund finde ich es schon bemerkenswert, dass die AfD so tut, als gebe es nur den Schatten und nicht das Licht.

(Zuruf von der AfD)

Offensichtlich wollen Sie wieder zurück in die Zeit des 19. Jahr hunderts, in die Zeit des chauvinistischen Nationalismus,

(Zuruf der Abg. Carola Wolle AfD)

den Sie dann Patriotismus nennen. Und, Herr Meuthen, Ralf Dahrendorf war ein großer Liberaler.

(Abg. Anton Baron AfD: Anders als Sie! Genau! – Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Sie haben schon wieder nicht zugehört!)

Ralf Dahrendorf war ein großer Europäer. Dahrendorf hat durchaus die Fehlentwicklungen Europas benannt, aber er hat sich zu diesem Projekt bekannt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD)

Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn Dahrendorf wüsste, dass sich eine Partei wie die AfD auf ihn beruft,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ja!)

würde er sich am heutigen Tag im Grab umdrehen.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen und der SPD sowie Abgeordneten der CDU)

Da sind Sie in der selbst gewählten Wertegemeinschaft mit Marine Le Pen und Jaroslaw Kaczynski sehr viel besser auf gehoben.

(Vereinzelt Beifall)

Es war gut, dass Sie das am heutigen Tag deutlich gesagt ha ben.

Aber Europa ist auch eine Wertegemeinschaft. Herr Minister Wolf, da haben Sie völlig recht. Vor diesem Hintergrund ist es auch notwendig, deutlich zu machen, dass eine Türkei, die von einem Präsidenten wie Herrn Erdogan geführt wird, nichts, aber auch gar nichts in der Europäischen Union zu suchen hat. Da muss man auch deutlich sagen, dass jemand, der die euro päischen Staaten und insbesondere auch die Bundesrepublik Deutschland mit permanenten Nazivergleichen beleidigt, in Deutschland, vor einer Wahl und zu öffentlichen Auftritten, ebenfalls nichts, aber auch gar nichts zu suchen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Wir haben das vor 14 Tagen an dieser Stelle schon deutlich gesagt. Dabei sind wir auf sehr – so sage ich jetzt einmal – differenzierte Reaktionen gestoßen. Inzwischen hat sich ja ein Ministerpräsident nach dem anderen angeschlossen – sogar Ministerpräsidentinnen von Bundesländern, wo gar kein Tür ke hinwill.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Aber sei es drum. – Es wäre allerdings hilfreich,

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

wenn auch die Kanzlerin einmal zu einem klaren Wort in die ser Angelegenheit käme und nicht nur sozusagen einen Schlin gerkurs in Sachen Erdogan fahren würde.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD)

Man muss auch deutlich sagen – auch das ist angesprochen worden –, dass die Politik von Herrn Draghi nun keine Poli tik ist, die dazu führt, das europäische Projekt zukunftsfähi ger zu machen. Wenn Herr Draghi unter dem Deckmäntelchen einer angeblichen Inflationsbekämpfung oder eines Inflati onsziels von 2 % – ein Wert, der ja im Moment schon erreicht ist; jetzt erzählt er plötzlich etwas von Energiepreisen – oder unter dem Deckmäntelchen der Konjunkturförderung nun ei ne Niedrigzinspolitik betreibt, die die deutschen Sparer ent eignet und die Menschen um ihre Altersversorgung bringt, dann muss man das auch deutlich benennen und sagen: So geht es nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Herr Abg. Dr. Rülke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Vor diesem Hinter grund, glaube ich, ist es notwendig, deutlich zu machen: 60 Jahre europäische Geschichte, Europäische Union, Europäi sche Gemeinschaft, das ist eine Geschichte von Licht und Schatten. Aber es ist, meine Damen und Herren, auch wich

tig, deutlich zu machen: Das Licht überwiegt, und es macht Sinn, weiter im positiven Sinn für das Projekt Europa zu ar beiten.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Herr Abg. Dr. Gedeon, ich er teile Ihnen jetzt das Wort. Sie haben zwei Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „... Europa neu beleben“, wieder beleben – als Arzt denke ich an Reanimation, aber bei Euro pa denke ich an eine Neunzigjährige im Altenheim mit Herz stillstand. Da reanimiere ich nicht mehr. Da denke ich eher an die Leichenschau.