Protocol of the Session on November 11, 2020

Bayern war der Anlass dieser Rechtsprechung. Bayern hat auf grund dieses Urteils schon im Jahr 2014 reagiert – sechs Jah re vor Baden-Württemberg. Herr Strobl, ich frage Sie noch einmal: Wie rechtfertigen Sie das? Sie tragen doch sonst im mer so stolz die angebliche Vorreiterrolle unseres Musterländ les wie eine Monstranz vor sich her. Das gilt offenbar dann nicht, wenn Grundstücksbesitzer eine sprudelnde Quelle für die Kommunalfinanzen darstellen, egal, ob rechtmäßig oder rechtswidrig.

Den Regelungsteil mit der Möglichkeit der Kommunen, ne ben ihrem Namen sonstige Bezeichnungen zu führen, sehen wir außerordentlich skeptisch. Die bisherige Regelung scheint uns ausreichend. Im Ausschuss werden wir sehen, welche Be gründungen uns präsentiert werden. Einen Wildwuchs an Städtenamen können wir keinesfalls unterstützen. Weniger ist dort in aller Regel mehr. Im Ausschuss wird uns besonders in teressieren, welche Kommunen welche Namensänderungs wünsche an das Ministerium herangetragen haben.

Im Übrigen werden wir näheren Aufschluss darüber fordern, welche Beispiele es für die Umwandlung kommunaler Orga nisationseinheiten in selbstständige Kommunalanstalten gibt. Hier bleibt die Begründung außerordentlich vage.

Alles in allem ist das für uns ein Gesetzentwurf mit vielen Fra gezeichen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er hat viele Ant worten gegeben!)

Vielen Dank.

(Beifall)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Schweickert.

Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Herr Strobl und Herr Klein, ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Das ist weiße Salbe. Die habe ich heute Morgen in der Apotheke geholt. Ich habe zum Apo theker gesagt: „Ich brauche weiße Salbe.“ Dann hat er gefragt: „Ist Ihre Tochter gestürzt? Brauchen Sie etwas zum Trösten? Es wird schon alles gut. Brauchen Sie so eine Art Placebo?

(Zurufe)

Aber schmieren Sie die bitte ja nicht auf eine große Wunde.“

Herr Strobl, ich möchte an zwei Bereichen klarmachen, dass in Ihrem Gesetzentwurf zwar viele technische Änderungen enthalten sind, Sie jedoch an zwei Stellen weiße Salbe auftra gen. Das eine Mal macht es nichts, das andere Mal ist es schädlich.

Der Punkt, an dem es nichts schadet, ist der Bereich Ortsschil der. Sie regeln jetzt, der Gemeinderat brauche eine Dreivier telmehrheit, um die Bestimmung oder Änderung der Bezeich nung zu begründen. Vorher hätte es ein Bürgermeister machen können – aber ganz ehrlich: Welcher Bürgermeister oder Ober bürgermeister hätte denn eine solche Entscheidung an Sie he rangetragen, ohne sich vorher zumindest von seinem Gemein derat ein Votum zu holen, und wenn es nur dazu dient, die Ent scheidung bei Ihnen im Haus mit Druck zu versehen? Denn, Herr Strobl, trotz dieses Zustimmungsquorums wird sich die Genehmigungspraxis im Innenministerium nicht ändern. Das heißt, Ihr Haus ist hinterher der Flaschenhals, und wenn Sie Ihre Genehmigungspraxis nicht ändern, wird sich auch in der Sache nichts ändern. Deswegen muss hier das Innenministe rium tätig werden, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Zum zweiten Bereich, für den diese weiße Salbe eingesetzt wird – was hier nun wirklich gefährlich ist –: Kollege Klein, ich würde allen Punkten, zu denen Sie hier gesprochen haben, zustimmen. Leider beschließt ihr aber das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben.

(Zuruf: Nein!)

Ihr müsst einmal lesen, was in eurem Gesetzentwurf steht.

(Zuruf: Wir können lesen!)

Um es klar zu sagen: Die FDP/DVP ist dafür, dass, wenn Er schließungen gemacht werden, diejenigen, die davon profitie ren, das auch bezahlen müssen – keine Frage. Aber ab wann soll Ihre Frist denn jetzt laufen? Wie setzen Sie denn das Ur teil des Bundesverfassungsgerichts um?

Sie schreiben in § 20 Absatz 4 Ihres Gesetzentwurfs:

Das Entstehen einer Beitragspflicht für Beiträge nach den Absätzen 1 bis 3 bleibt unberührt.

Jetzt frage ich Sie: Was steht denn da drin? Sie führen eine Frist von 20 Jahren ein, die ab dem Zeitpunkt gilt, ab dem die Straße – Achtung! – erstmalig endgültig hergestellt ist.

(Abg. Karl Klein CDU: Das war schon immer so!)

Das ist jetzt kein Baubegriff, sondern es ist ein technischer Begriff. Und da liegt der Hund begraben. Wir haben in Ba den-Württemberg nämlich Gemeinden – das trifft für fast je de Gemeinde zu –, in denen Straßen sind, die seit Jahrzehn ten in Betrieb sind, an denen Menschen wohnen, die aber im rechtlichen Sinn nicht erstmalig endgültig hergestellt sind, weil der Bebauungsplan noch Dinge offen hat.

(Zurufe)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen ein Beispiel nen nen. Sie sagen möglicherweise, das stimmt nicht. Ich habe je doch einmal nachgefragt, und zwar bei der Stadt Mühlacker. Dort leben ungefähr 25 000 Einwohner. Es gibt 680 dem Er schließungsbeitragsrecht unterliegende Straßen, davon 454 verbindlich als nicht mehr beitragspflichtig hergestellt, und 170 stehen vor der erstmaligen Herstellung – und zwar nicht in Neubaugebieten, sondern meist in Gebieten, in denen nach

dem Krieg schnell Straßen gebaut worden sind, teilweise oh ne Bebauungsplan. – Da gibt es übrigens diese Kästen, zu de nen den Bürgermeistern zum Zeitpunkt ihrer Amtsübernahme gesagt wird: „Da steht ein Kästchen, da hast du den Schlüs sel, am besten schau gar nicht hinein.“ Diesen Schlüssel über gibt man dann 30 Jahre später an den Nachfolger.

Meine Damen und Herren, in Mühlacker sind – wenn Sie ge rechnet haben – 50 bis 60 Straßen übrig, bei denen man gar nicht klären kann, ob diese bereits erstmalig hergestellt wor den sind. Fragen Sie in Ihren Kommunen, bei sich zu Hause, nach, und prüfen Sie, ob diese Zahlen ein Ausreißer nach oben sind oder nicht. Wenn Sie die entsprechenden Antworten ha ben, Herr Kollege Klein, dann müssten Sie sich überlegen, ob Zielsetzungen, die Sie in Ihrer Rede formuliert haben – Sie waren ja selbst fast 20 Jahre lang Bürgermeister einer Gemein de –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Deswegen weiß er es ja!)

eingehalten werden können. Sie wissen doch selbst, dass das Thema „Endgültige Herstellung“ der Casus knacksus in die ser Sache ist.

(Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Seien Sie also mutig! Legen Sie von mir aus 25 Jahre fest, aber sagen Sie: „ab Beginn der Maßnahme“. Dann könnten wir alle Dinge, die Sie hier gemacht haben, unterstreichen, und dann wäre das eine ehrliche Lösung. Denn dann wäre klar: Nach 25 Jahren ist es vorbei. Genau das hat Ihnen auch das Bundesverfassungsgericht 2013 ins Stammbuch geschrie ben, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Ich kann Ihnen nur raten: Prüfen Sie diese Sache nach. Was sagen Sie, wenn die Oma kommt, die plötzlich einen Bescheid über 30 000 € für eine Eigentumswohnung bekommen hat, die sie von jemandem gekauft hat und in der sie seit 40 Jah ren wohnt? Der Laie, der Bürger, kann nämlich gar nicht se hen, ob diese Straße, die für ihn fertig aussieht, gewidmet – das haben Sie gestrichen – und erstmalig endgültig hergestellt worden ist. Fragen Sie nach, wie die Bebauungspläne ausse hen, und machen Sie sich dann Gedanken über Übergangsre gelungen. Denn auch das müssen Sie sich vorhalten lassen: Wenn so etwas kommt, dann wird man sich aufseiten der Ge meinde natürlich schon Gedanken machen, wie man mit die ser Situation umgeht.

Also, die Reden, die vom Kollegen Klein und auch von der Kollegin Dr. Leidig gehalten worden sind, sind von der Ziel setzung her richtig, dass wir dies anpassen, dass wir nicht Ewigkeiten warten wollen, bis Beiträge erhoben werden. Da bin ich vollkommen d’accord. Aber das, was Sie hier mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschließen wollen, führt gera de ins Gegenteil, weil Sie nämlich an die Gründe, wann die se Frist zu laufen beginnt, nicht herangehen. Da müssen Sie herangehen, wenn Sie etwas erreichen wollen, und dürfen nicht bloß weiße Salbe auftragen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Ausspra che ist damit beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 16/9087 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres, Digitalisie rung und Migration zu überweisen. – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Punkt 8 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Viertes Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vor schriften (Viertes Hochschulrechtsänderungsgesetz – 4. HRÄG) – Drucksache 16/9090

Das Wort zur Begründung erteile ich für die Landesregierung Frau Ministerin Bauer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Baden-Württemberg hat starke Hochschulen – im ganzen Land verteilt, in vielfältiger Gestalt und Form und besonders leistungsstark. Diese Hochschulen zu erhalten, sie permanent weiterzuentwickeln und an neue Gegebenheiten anzupassen, das ist das Anliegen des vorliegenden Gesetzent wurfs. Denn wir brauchen starke Hochschulen für den Wohl stand und die Innovationskraft unseres Landes, für den Ideen reichtum, für die klugen Köpfe, die kritischen Stimmen, die verantwortungsbewussten und belastbaren Menschen der nächs ten Generation, die aus unseren Hochschulen hervorgehen.

Starke Hochschulen brauchen aktive und motivierte Hoch schulmitglieder, die ihre Aufgaben in Lehre, Forschung und Transfer wahrnehmen und auch in der akademischen Selbst verwaltung mitarbeiten. Sie brauchen klare Strukturen, die die Wahrnehmung von Verantwortung erleichtern. Und sie brau chen Hochschulleitungen, die, eingebettet in das Prinzip der akademischen Selbstverwaltung, Führung und Leitungsent scheidungen ermöglichen.

Hochschulen sind also nicht einfach da und funktionieren so aus sich heraus. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit, und sie brauchen Pflege. Sie brauchen solide Fundamente, und sie brauchen gute und taugliche Rahmenbedingungen.

Mit „Aufmerksamkeit“ meine ich jetzt nicht einfach ein paar warme Worte und freundliches Interesse an der Sache, son dern auch ganz handfeste finanzielle Aufmerksamkeit. Ein Land muss sich gute Hochschulen leisten wollen und auch leisten. Genau das machen wir in Baden-Württemberg. Des wegen war ich auch froh, dass es geklappt hat, die Hochschul finanzierungsvereinbarung für die Jahre 2021 bis 2025 neu zu schließen und damit ein klares Signal der Verlässlichkeit zu geben. Wir haben diese Vereinbarung noch just vor dem ers ten Lockdown unterzeichnet, um den Hochschulen zu zeigen, dass wir sie in einer schwierigen Situation nicht alleinlassen.

Kommen wir jetzt zum zweiten Thema: zur Pflege, die Hoch schulen eben auch brauchen. Wie jede öffentliche Einrichtung brauchen unsere Hochschulen einen rechtlichen Rahmen, der ihnen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben ermöglicht. Die Welt, die sich ständig ändert, erfordert es auch, dass sich unsere

Hochschulen permanent an neue Anforderungen anpassen, dass unsere Hochschulen zeitgemäß bleiben – vom Studium über die Forschung bis hin zum Transfer –; das gilt auch für die Hochschulverwaltung. Hochschulen sind auf ein Hoch schulrecht angewiesen, das diese Veränderungen aufnimmt, das auch Anwendbarkeit, Nützlichkeit, Aufwand immer wie der neu optimiert.

Genau darum geht es in dem vorliegenden Entwurf zur No velle des Hochschulrechts, die wir heute präsentieren. Sie er innern sich: In der vorherigen Novelle zu Beginn dieser Le gislaturperiode mussten wir sehr fokussiert vorgehen. Damals ging es darum, mit der nötigen Eile ein Gerichtsurteil umzu setzen. Wir haben damals viele Änderungs- und Weiterent wicklungserfordernisse zurückgestellt und auf die zweite No velle in dieser Legislaturperiode verwiesen, die wir nun wie angekündigt vorlegen.

Wir haben dieses Mal die gesamte Bandbreite des Hochschul rechts in den Blick genommen. Das merkt man bereits am Umfang dieses Vierten Hochschulrechtsänderungsgesetzes. Von den 93 Paragrafen des Landeshochschulgesetzes werden 70 geändert. Es geht hier um 327 Änderungen allein im Lan deshochschulgesetz. Dazu kommen dann noch Änderungen in anderen Gesetzen wie dem Universitätsklinika-Gesetz, dem Studierendenwerksgesetz, dem Akademiengesetz, dem Lan desbesoldungsgesetz, dem Landeshochschulgebührengesetz sowie dem Qualitätssicherungsgesetz.