Protocol of the Session on October 12, 2016

Meine Damen und Herren, uns ist es wichtig, dass in Zukunft Fragen von nationaler Bedeu tung und von europäischer Bedeutung in Brüssel beantwortet werden. Es ist uns wichtig, dass wir im Binnenmarkt mit Eng land eine Vereinbarung finden, die der Wirtschaft in BadenWürttemberg dient.

(Beifall des Abg. Paul Nemeth CDU)

Es muss klar sein, dass der Handel in Europa weitergehen soll – auch mit England –, dass Pendler ein- und ausreisen kön nen und dort ihre Arbeit tun können und dass Polizeibeamte in Zukunft gut zusammenarbeiten können. Der Innenminister hat vorhin einen Satz von Erich Kästner zitiert:

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

In diesem Sinn wünsche ich uns ein gutes Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD – Abg. Winfried Mack CDU: Gute Rede! Vielen Dank!)

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Berg.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Frau Präsidentin, sehr geehr te Damen und Herren, liebe Gäste! Ministerpräsident Kretsch mann mahnte in seiner Regierungserklärung am 29. Juni 2016 zum Thema Brexit:

Mehr Subsidiarität heißt in manchen Bereichen also „mehr Europa“ und in anderen „weniger Europa“. Jede Ebene sollte sich um das kümmern, was sie am besten be wältigen... kann.

In der Tat: Hier kann ich Herrn Ministerpräsident Kretsch mann voll und ganz zustimmen. Nur denke ich, dass wir uns hier im Landtag über diese jeweiligen Ebenen noch recht aus führlich unterhalten müssen.

Die Europäische Union hat zwischenzeitlich für viele europä ische Bürger den Ruf einer bürgerfernen Institution, und in ei ner solch großen Entität eine glaubwürdige Bürgernähe her zustellen ist tatsächlich sehr schwierig.

Was heißt es also, den Bürgern Europa näherzubringen? Si cher kann das nicht heißen, Entscheidungen aus Brüssel nach unten durchzureichen. Es kann auch nicht heißen, Dinge nach unten hin schönzureden, nur weil sie in Brüssel so entschie den wurden, und anschließend vor sogenannten EU- oder Eu roskeptikern zu warnen, die damit nicht einverstanden sind. Viel eher bedeutet dies – damit hat Herr Kretschmann auch recht –, genau abzuwägen, was wirklich einer Regelung durch eine übergeordnete Instanz bedarf; denn vergessen wir nicht, dass Systeme mit zunehmender Größe auch immer träger wer den.

Eine im europäischen Rahmen getroffene Fehlentscheidung oder eine Entscheidung, die damals richtig war, aber durch den Lauf der Dinge überholt wurde, ist dadurch oftmals viel schwerer zu revidieren als eine Entscheidung, die auf niedri ger Ebene gefällt wurde.

(Zuruf: Genau!)

Dies wurde in der Vergangenheit offenbar nicht ausreichend berücksichtigt.

Natürlich darf eine Europa- oder EU-Skepsis auch nicht aus den Augen verlieren, dass Europa gerade uns Deutschen durch aus Vorteile gebracht hat, etwa durch den grenzüberschreiten den Handel, aber zuvorderst natürlich auch durch die fakti sche Stabilität, die nach zwei furchtbaren Weltkriegen entstan den ist. Für Deutschland und Frankreich ist die EU in erster Linie ein Friedensprojekt, für andere aber wohl auch ein Wohl standsversprechen. Da Frieden mehr ist als nur die Abwesen heit des Krieges, ist das Kernelement Europas nicht nur der Handel, sondern zuvorderst die Wahrung von Errungenschaf ten wie der uns sehr wertvollen Demokratie.

Hier sind wir an einem Punkt angelangt, an dem das demo kratische Europa häufig nur noch als Zementblock wahrge nommen wird, an dessen einmal getroffenen Entscheidungen selbst ganze Länder nichts mehr ändern können, insbesonde re, wenn es um sensible Punkte wie die Zusammensetzung der Bevölkerung geht.

Aber genau deshalb ist es fahrlässig, Kritik an der EU nur als gefährlichen Populismus zu sehen. Viel eher ist diese EUSkepsis auch ein Stück weit Triebkraft, um das europäische Haus gründlich und gut zu sanieren. Trifft man auf europäi scher Ebene – etwa durch die Entscheidung für eine großzü gige Aufnahme von Personen aus anderen Kulturkreisen – schwer zu ändernde Entscheidungen, ruft dies Kritik hervor, die man nicht vorschnell als gefährlichen Populismus abtun bzw. einstufen sollte.

Beispielsweise wurden andere Formen der humanitären Hil fe nicht ausreichend ausgelotet, etwa die Hilfe vor Ort. Bei spielsweise hat die Hilfsorganisation Oxfam schon im August 2015 Alarm geschlagen, dass die Flüchtlingslager für syrische Flüchtlinge an der jordanischen Grenze nicht mehr genügend Geld hätten, um die Menschen vor Ort zu versorgen. Es ist auch den hilfsbereiten Bürgern schwer zu vermitteln, warum plötzlich große Geldmengen verfügbar waren, um Menschen willkommen zu heißen, wenn sie auf eigene Faust den gefähr lichen Weg nach Europa antreten, aber kein Geld da war, um direkt den Bedürftigen vor Ort zu helfen, damit sie nicht mehr Tausende Euro für Schlepper aufbringen müssen.

(Beifall bei der AfD)

Angesichts der enormen Wirksamkeit, die die gleichen Gel der vor Ort entfaltet hätten, ist es eben vielen Menschen nicht mehr vermittelbar, dass die EU in die Zusammensetzung der Bevölkerung eingreifen will, aber gleichzeitig bei der Hilfe vor Ort sehr weit unter ihren Möglichkeiten bleibt.

Daher begrüßen wir auch den Ansatz der slowakischen EURatspräsidentschaft, den Schutz der europäischen Außengren zen endlich in Angriff zu nehmen, denn die Integrationskapa zität Europas ist ein begrenztes Gut, mit dem man haushalten

muss. Jeden aufzunehmen, der einreist, bedeutet natürlich auch, dass Ressourcen für weniger Bedürftige aufgewendet werden und dann nicht mehr zielgerichtet zur Linderung gro ßer Not eingesetzt werden können. Die Behauptung, die gren zenlose Aufnahme sei moralisch geboten, ist daher nicht halt bar, sobald wir uns vergegenwärtigen, dass auch unsere Res sourcen begrenzt sind und die EU gerade bei effizienteren Hilfsmaßnahmen tatsächlich mitunter am falschen Ende ge spart hat.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Europa und die EU den Menschen näherzubringen setzt also eine ra tionale Debatte voraus, die eben auch ohne einen – das Wort haben wir heute schon einmal vom Innenminister gehört – Alarmismus auskommt, als wären z. B. die Gegner der Will kommenskultur allesamt Menschen, denen andere Völker egal wären. Dem ist mitnichten so. Nichts wäre falscher.

(Vereinzelt Beifall)

Dies sage ich auch angesichts der betrüblichen Lage in Bu rundi, über die im Ausschuss für Europa und Internationales diskutiert wurde und die angesichts der relativen Machtlosig keit hier in Stuttgart eben ein anschauliches Beispiel dafür gibt, dass es für ein Europa, das sich auf seine Kernelemente konzentriert, um beispielsweise Fluchtursachen zu beheben, reichlich zu tun gäbe.

Eben deswegen werden wir in Bezug auf Europa noch reich lich und sicherlich kontrovers diskutieren müssen, wo Euro pa in falschen Bereichen Kompetenzen an sich gezogen hat und wo es auch gestärkt werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hofelich das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein paar Sätze zum Europabericht, der sich auf das zweite Quartal dieses Jahres bezieht und den wir heute hier kommentieren und aufgreifen. Ich freue mich sehr, dass ich als europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion die Ge legenheit habe, dies zu tun.

Es ist derzeit sicher keine Kunst, ein trübes und ein resigna tives Bild von Europa zu zeichnen – genauso wenig wie es in der Vergangenheit auch keine Kunst war, Europa und die Eu ropäische Union pflichtschuldigst zu preisen. Vielleicht hat Letzteres – dieses zunehmend routinierte und wenig begrün dete europäische Plädoyer – auch damit zu tun, dass wir heu te manche Probleme über das hinaus haben, was uns in der Welt insgesamt als Herausforderung – Thema „Fluchtursa chen und Flucht“ – begegnet ist. Das ist ein Umgang mit Eu ropa gewesen und ist es weiterhin, der, finde ich, uns als Par lamentarier dazu bringen muss, uns selbst zu überprüfen.

Gehen wir einmal ein bisschen in die Tiefe. Ja, wir leben vom Export, wir haben Wirtschaftsüberschüsse. Wer von unseren Mitbürgern sagt wirklich: „Jawohl, ganz toll, das habe ich der

Europäischen Union zu verdanken“? Wer sagt nicht: „Das ist unsere eigene Kraft gewesen“? Natürlich, die Menschen in Südeuropa und in Osteuropa bekommen Förderung, bekom men Subventionen. Werden sie deswegen sagen: „Wir sind in einer Situation, in der wir uns selbst helfen können“? Sie wer den sagen: „Uns geht es trotzdem weiter schlecht.“

Menschen mit Handys haben jetzt ganz andere Gebühren zu zahlen als in der Vergangenheit. „Was? Das Europäische Par lament war das?“ Ich glaube, dass die Unmittelbarkeit von Europa heute fehlt. Nach der überzeugenden Kraft, dem zün denden Gedanken suchen wir alle. Diese Debatten werden hier auch nicht die einzige Lösung bringen. Das wissen wir alle.

Aber eines möchte ich schon sagen: Allein der Ruf „Wir brau chen mehr Subsidiarität in Europa“, obwohl es eigentlich mehr um das Konkrete geht, wird nicht die Lösung bringen. Es geht um eine bessere Europakommunikation. Es geht um eine durchgehende Solidarität in Europa. Das ist für mich der rote Faden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will ein paar Themen beleuchten, die eine Rolle spielen.

Das erste: Letztendlich liegt Baden-Württemberg in der Mit te von Europa. Gesellschaftlich gibt es hier so viel Europa wie in kaum einer anderen Region in Europa. Es ist nicht nur wirt schaftlich, sondern auch gesellschaftlich verflochten – mit sei ner Geschichte zumal.

Ich finde, unsere politische Hauptaufgabe – Herr Minister, ich bin sicher, dass sich unsere Haltungen da nicht unterscheiden – ist nicht, dass wir Europa nur ableitend erklären: „Es nützt uns, weil...“ Vielmehr müssen wir es aus uns heraus erklären – wenn man so will, induktiv, nicht deduktiv.

Wir müssen eigentlich Europa leben. Das ist mehr, als dass wir in Brüssel noch zusätzliche Beamtenstellen für das Staats ministerium oder Räume aufbauen. Es geht darum, wie wir in den kommenden Jahren selbst Aktivitäten entfalten.

Wenn das Wort Alarm notwendig ist, finde ich, ist es in der Tat wichtig, Kollege Frey, dass wir unterwegs sind und mit dem zuständigen Ausschuss und der Regierung zeigen, dass wir präsent sind. Ich denke daran, dass z. B. unsere Partner regionen im Osten Frankreichs nicht nur das Elsass, sondern auch Lothringen und die Champagne sind, und ich sehe, dass zu den „Vier Motoren“ die Auvergne dazugekommen ist. Wir werden also auch neue Menschen kennenlernen. Ich finde, wir sind alle gefordert, gute Nachbarn zu sein. Das ist die unmit telbare Aufgabe für Baden-Württemberg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen und der FDP/DVP)

Ein zweiter Punkt: keine Larmoyanz. Die Briten haben abge stimmt; sie sind draußen. Die Tatsache, dass sie abgestimmt haben, bereuen sie nicht so sehr, wie man nach den Umfragen derzeit sehen kann, nach dem ersten Schock. Wir haben das auch anzunehmen. Es ist ein Land, das sich frei entschieden hat. Natürlich wollen wir, Kollege Kößler, schauen, dass die Brücken da sind. Aber die Konsequenzen sind zunächst ein mal andere.

Die jetzige britische Premierministerin, Frau May, von der ich im Übrigen hoffe, dass sie nicht mit dem Gitarristen von Queen, Brian May, verwandt ist,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dani el Andreas Lede Abal GRÜNE: Die Frisur spricht da für!)

verfolgt aus meiner Sicht eine klare Linie der Konservativen, von der wir auch politisch nicht allzu viel halten. Deswegen, finde ich, ist es jetzt die Zeit, dass wir in Europa auch in der Lage sind, dass es vielleicht ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt und dass es ein Kerneuropa gibt, in dem sich Menschen versammeln und sagen: „Wir packen das Projekt jetzt an.“

(Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)