Protocol of the Session on March 12, 2020

Warum man kleine Gemeinden – also mit unter 20 000 Ein wohnern – ganz herausnimmt, ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Denn im Entwurf wird an mehreren Stellen gerade betont, dass die Sachnähe der Erhebungsstellen in den

Gemeinden zu einer ordnungsgemäßen, nachvollziehbaren Datenerhebung beiträgt. Aber wenn man das von den Gemein den wegnimmt, hat es ja gerade den gegenteiligen Effekt. Aus unserer Sicht hat da der Gemeindetag recht, der fordert, dass man auch diese Gemeinden mit Erhebungsstellen versieht.

Besonders toll klingt es ja – man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen –, wenn es im Entwurf heißt:

Es ist davon auszugehen, dass diese Kommunen

also die unter 20 000 Einwohnern –

nicht in der Lage sein werden, den mit der Einrichtung einer Erhebungsstelle einhergehenden Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Abschottung von den sonstigen Verwaltungsstellen der Kommunen, gerecht zu werden.

Das sagen Sie einmal dem Bürgermeister einer Gemeinde unter 20 000 Einwohnern, die immer wieder komplizierte Erschließungsbeiträge feststellen muss oder komplizierte Bebauungsplanverfahren durchführt. Wie ich unsere Ge meinden kenne, werden diese das mit dem Zensus auch noch schaffen.

(Vereinzelt Beifall)

Zweiter Punkt, der uns am Herzen liegt, ist die Schulung der Erhebungsbeauftragten.

(Zuruf: Genau!)

Hier hätten wir schon gern erfahren – eventuell auch in der Ausschussberatung –, wie die Schulungen vorgenommen wer den sollen. Denn ich kann mir vorstellen, dass es für Privat personen gar nicht so leicht ist, sich in dieses rechtlich immer hin nicht ganz anspruchslose Werk hineinzufinden. Das gilt auch für die Frage, wie die Erhebungsbeauftragten den Bür gern gegenübertreten. Wir kennen aus der Vergangenheit viele Problemfälle, die es da im Alltag gibt.

(Zuruf: Ja!)

Gerade die Bürger, die zum Zensus gebeten werden, sind mit unter vielleicht nicht die einfachsten. Was sieht man da vor? Es wird sicherlich nicht damit getan sein, diese Erhebungsbe auftragten rechtlich zu schulen, sondern man muss sie auch in der Kommunikation und in der Konfliktbewältigung schu len. In der Vergangenheit haben wir dazu leidvolle Erfahrun gen gemacht.

Diese beiden Punkte – Ortsnähe bei den Erhebungsstellen und die Schulung der Betroffenen – sind für uns die wesentlichs ten Punkte. Sie sind umso wichtiger, weil wir ja wissen, dass es das Geheimhaltungsverbot und das sogenannte Rückspiel verbot in diesem Gesetzeswerk gibt. Es ist nicht erlaubt, hin terher Rückgriff auf die erhobenen Daten zu nehmen. Das ist völlig abgeschottet vom übrigen Verwaltungsbereich. Umso wichtiger ist es, dass die Erhebung möglichst fundiert, nach vollziehbar und gründlich erfolgt. Wenn dies nicht der Fall ist, dann gibt es kaum Möglichkeiten, dass es nachher im Wege des Rechtsschutzes oder durch Nachgänge und Kontrolle in irgendeiner Form korrigiert werden kann. Umso wichtiger ist es deshalb, dass es vor Ort sachkundig passiert.

Dazu, wie es passiert, erwarten wir von der Landesregierung noch Auskünfte. Uns interessiert, wie sie es besser machen will, als es dieser Gesetzentwurf vermuten lässt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Jetzt hat das Wort für die AfD Herr Abg. Baron.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dem Land und un serer Verwaltung steht wieder einmal ein organisatorischer und bürokratischer Kraftakt bevor: eine Volkszählung – auf Neudeutsch, offensichtlich um das Wort „Volk“ zu vermeiden, ein Zensus.

Wir, die AfD-Fraktion, halten das Gesetz für wichtig, nicht nur, weil wir vom Bund dazu gezwungen werden. Ohne Volks zählung wäre die staatliche Aufgabenerfüllung nicht möglich. Alle amtlichen Statistiken hätten eklatante Mängel; detaillier te Planungsprozesse, etwa zu Wohnungsbau und Infrastruk tur, oder Daseinsvorsorgemaßnahmen der unterschiedlichsten Art würden unmöglich gemacht.

In einem modernen und bürgernahen Staat wäre das nicht hin nehmbar. Wir hoffen allerdings, dass die Landesregierung den Bürgern mittels einer umfassenden Informationskampagne diese Notwendigkeit nachvollziehbar macht. Vor allem ist es wichtig, zu verdeutlichen, dass der Umfang der Datenerhe bung erheblich reduziert ist, weil viele Daten aus dem Bestand erhoben werden können.

Überhaupt zum Thema Datenschutz: Beim Testverfahren zum bereits bestehenden Datenpool im Januar 2019 wurde der Da tenschutz nicht ausreichend eingehalten. Daten wie Name, Adresse, Datum der letzten Eheschließung oder des Einzugs in die Wohnung von 82 Millionen Menschen wurden ohne An onymisierung zusammengeführt, vor allem um die Software zu testen. Hierfür hätte jedoch auch ein kleiner Bruchteil der Daten ausgereicht. Solche Verfehlungen dürfen sich keines falls wiederholen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Datenschutz ist alles andere als irrelevant, ebenso wie eine zeitgemäße IT-Kompetenz. Für die Zukunft gilt nämlich, dass nach Möglichkeiten Ausschau gehalten werden sollte, eine Volkszählung mittels onlinebasierter Anwendungen rechts sicher durchzuführen und zu unterstützen. Dies wäre nicht nur zeitgemäß, sondern würde auch den Personalaufwand deut lich reduzieren.

Natürlich gibt es aufgrund der Probleme beim Datenschutz auch Volkszählungsverweigerer. Das sollten wir ernst neh men. Diese müssen aber auch wissen: In Kommunen, im Land und im Bund berechnen sich fast alle finanziellen Transfers anhand der Einwohnerdaten. Als Gemeinderat und Kreisrat weiß ich: Gerade die Kommunen haben ein Interesse daran, möglichst exakte Daten zu erhalten. Der Nutznießer ist natür lich der Bürger. So werden Verwaltungsfehler vermieden. Die Motivation zur Einrichtung von Erhebungsstellen und zur Stellung von Volkszählern dürfte also von allein gegeben sein.

In rechtlicher Hinsicht ist interessant, nach welcher Methode die Verfügbarkeit solcher Erhebungsbeauftragten sicherge stellt wird. Da greift der Gesetzgeber gleich zum ganz großen Hammer und verpflichtet generell alle. Das muss man sich einmal vorstellen: Tatsächlich werden alle über 18-jährigen Bürger mit deutscher oder EU-Staatsangehörigkeit präventiv zur Übernahme dieser Tätigkeit verpflichtet.

Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich. Wir haben un sere Zweifel, ob diese Gesetzesvorschrift, die fast einer Ge neralmobilmachung gleichkommt, verfassungsrechtlich Be stand hätte.

Bei der Übernahme einer solchen Aufgabe durch völlige Lai en – das wurde schon angesprochen – stellt sich außerdem die Frage nach der Datensicherheit. Falls der Bürgereinsatz un vermeidlich ist, muss es dazu ja auch Schulungen geben. Da zu werden wir in der weiteren Beratung sicherlich mehr er fahren.

Nicht unterschätzt werden darf bei dieser aufwendigen Me thode nämlich auch die Schwächung der Verwaltung. Es wer den über Jahre hinweg umfängliche Nachbearbeitungen und Auswertungen nötig sein. Wir hoffen und glauben aber, dass die Personalverantwortlichen Mittel und Wege finden, damit die Verwaltung nicht mehr als nötig darunter leiden muss.

Trotz der genannten Einwände wird die AfD-Fraktion dem Gesetzentwurf voraussichtlich zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Jetzt spricht Herr Abg. Karrais für die FDP/DVP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung vorab: Dass ausgerechnet die AfD-Fraktion hier jetzt von Da tenschutzbedenken spricht, ist angesichts der Tatsache, dass sie eine Plattform ins Leben gerufen hat, auf der Lehrerinnen und Lehrer angeschwärzt werden können,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zurufe von der AfD, u. a. Abg. Dr. Rainer Balzer: Was? Gibt’s doch gar nicht! – Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

falls sie irgendwelche „politisch verwerflichen“ Positionen vertreten, natürlich schon sehr bemerkenswert. Ausgerechnet Sie argumentieren hier mit dem Thema Datenschutz. Das muss man dann auch einmal feststellen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Abg. Dr. Heiner Merz AfD mel det sich.)

Zum Gesetz zur Ausführung des Zensusgesetzes allgemein bleibt zu sagen: Hier zeigt sich ganz deutlich, dass Deutsch land, dass Baden-Württemberg in den Bereichen Verwaltung und Datenerhebung doch sehr rückschrittlich ist. Denn genau so wie 2011 wird erneut eine unter hohem Aufwand stattfin dende Befragung vorgenommen, bei der viele, viele Bürge rinnen und Bürger, auch Unternehmen Auskünfte erteilen müssen, obwohl diese Daten zum Großteil grundsätzlich so gar zur Verfügung stünden.

Wenn man in den Verwaltungen Standards für die Register hätte, könnte man auch eine rein registerbasierte Abfrage durchführen, wie sie beispielsweise die Niederlande bereits 2011 vorgenommen haben.

Um das einmal in Zahlen zu fassen: Wir, das Land, geben hier jetzt 45,3 Millionen € für die unmittelbar entstehenden Kos ten aus; die Gesamtkosten der ganzen Aktion in Baden-Würt temberg werden aber auf 100 Millionen € geschätzt. Zum Ver gleich: In den Niederlanden wurden 2011 – das ist fast zehn Jahre her; die Inflation ist dabei nicht berücksichtigt – etwa 1,4 Millionen € ausgegeben. Jetzt sind die Niederlande natür lich etwas kleiner als Deutschland. Deutschland hat damals insgesamt 667 Millionen € für den Zensus ausgegeben. Das ist, auch wenn man die Einwohnerzahlen entsprechend be rücksichtigt, bei den Kosten ein Faktor von 105.

Das heißt, wir könnten hier sowohl Verwaltungsaufwand und Bürokratie für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unter nehmen sparen als auch jede Menge hart erarbeiteter Steuer gelder.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Bravo!)

Das wäre dringend erforderlich gewesen.

Herr Abg. Karrais, Herr Abg. Dr. Merz möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Wol len Sie sie hören?

Gern. Oder weniger gern, aber wir machen das einmal.

Herzlichen Dank für das Zulas sen der Zwischenfrage. – Sie sind thematisch zwar jetzt schon weiter. Meine Frage bezieht sich jedoch auf diese angebliche Meldeplattform – wie Sie sie vorhin geschildert haben.

Ist Ihnen bekannt, dass bis vor Kurzem ein sogenannter Beu telsbacher Konsens herrschte, der die Lehrer aufforderte, welt anschaulich und politisch neutralen Unterricht zu halten, und dass tatsächlich oftmals, besonders in letzter Zeit, von diesem sogenannten Beutelsbacher Konsens abgewichen wird

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Woher wollen Sie das denn wissen?)

und manche Lehrer tatsächlich parteipolitische Propaganda in den Schulen machen?

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Sie unterstellen etwas!)

Ist Ihnen das bekannt? Was würden Sie dagegen unternehmen, wenn nicht den Schülern eine Möglichkeit geben, das zu mel den?