Protocol of the Session on April 30, 2014

Für die Fraktion GRÜ NE spricht Kollege Schwarz.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich will unter Bezug auf den Kolle gen Klein noch einmal zwei Punkte ansprechen. Sie fragen ja immer wieder, ob es Bereiche gibt, in denen die Kommunen vom Land schlecht behandelt wurden. Wir haben mit dem An trag Drucksache 15/4573 die Frage gestellt, „welche Geset zesinitiativen und Verordnungen eine Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation bewirkt haben“.

Die Landesregierung antwortet:

(Abg. Martin Rivoir SPD: Keine!)

Keine Gesetzesinitiative oder Verordnung hat eine Ver schlechterung der kommunalen Finanzsituation bewirkt.

Wir stehen also gut da.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Herr Kollege Klein, Sie kommen immer wieder auf die Ge meindeverkehrsfinanzierung zu sprechen. Ich möchte hierzu etwas sagen: Diese Mittel, die wir erhalten, sind Entflech tungsmittel, die der Bund den Ländern überweist; die Länder wiederum geben sie an die Kommunen weiter.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wie war denn die Situation im Frühjahr 2013? Im Frühjahr 2013 – damals war die Bundesregierung noch von der Union und der FDP getragen – wollte die Bundeskanzlerin diese Ent flechtungsmittel auslaufen lassen. Es ist dem Einsatz unseres Ministerpräsidenten zu verdanken, der es im Zuge der Dis kussion über die Fluthilfe geschafft hat,

(Abg. Peter Hauk CDU: Nach der Föderalismusre form!)

dass die Entflechtungsmittel bis 2019 weiterlaufen und das Land dadurch pro Jahr 165 Millionen € für Kreisstraßen, für den Straßenbau und den ÖPNV erhält. Dieser Hinweis ist, denke ich, noch einmal wichtig: Die CDU lässt Gelder aus laufen, und der grüne Ministerpräsident

(Abg. Peter Hauk CDU: Nein, nein! Kretschmann war Mitglied der Föderalismuskommission!)

sichert diese Gelder für das Land.

Vielen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags Drucksache 15/4573. Er ist ein reiner Berichtsantrag und kann damit für erledigt erklärt werden. – Sie stimmen zu.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Würt temberg – Drucksache 15/5044

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Kultusminister Andreas Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einbrin gung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des Schulgesetzes bezüglich der regionalen Schulentwicklung passt in den Ablauf der aktuellen Plenarsitzung und weist Be züge zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung auf. Die regiona le Schulentwicklung ist in ihrer Konzeptionierung – und sie wird dies auch in ihrer Umsetzung sein – ein Musterbeispiel dafür, wie Land und Kommunen gemeinsam die Zukunft un seres Landes Baden-Württemberg erfolgreich gestalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle wissen es: An unserem Schulsystem, an unserem Bildungssystem gehen gesellschaftliche Entwicklungen – das zeigt sich gerade mit Blick auf die demografischen Veränderungen – nicht vorbei. Deswegen sind wir gezwungen, auch in unserem Schulsys tem entsprechende Veränderungen vorzunehmen, um die Qua lität in unserem Schulsystem zu bewahren und weiterzuent wickeln.

Die demografische Entwicklung, aber auch das veränderte Schulwahlverhalten der Eltern haben massive Auswirkungen auf die Schullandschaft. Das zeigt sich nicht erst seit Kurzem, sondern bereits seit vielen Jahren. Wir stehen vor Herausfor derungen, die aus unserer Sicht entschlossenes Handeln ver langen und vor denen wir nicht weiter die Augen verschlie ßen dürfen.

Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Baden-Würt temberg bereits in den vergangenen Jahren um gut 200 000 zurückgegangen ist und in den nächsten zwölf bis 15 Jahren nochmals um 18 bis 20 % zurückgehen wird. Wir dürfen nicht ignorieren, dass insbesondere bei den Haupt- und Werkreal schulen die Anmeldezahlen in den letzten Jahren massiv zu rückgegangen sind. Das lässt sich in unserer Bildungsland schaft nicht erst seit dem Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung beobachten. Diese Entwicklung hält vielmehr seit mindestens 15 Jahren an.

Der Rückgang der Schülerzahlen und das veränderte Schul wahlverhalten haben, meine sehr geehrten Damen und Her ren, natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Schul- und Bildungslandschaft in Baden-Württemberg. Wir hatten im Land bislang zu viele und zu kleine Schulstandorte; dies führ te zu großen Problemen für deren pädagogische Arbeit, bei organisatorischen Fragen sowie in Bezug auf die Sicherung eines verlässlichen Unterrichtsangebots. Man muss zudem deutlich sagen: Wir haben in den letzten zehn Jahren bereits mehr als 400 Schulstandorte gerade im Bereich der Haupt- und der Werkrealschulen verloren. Wir dürfen diese Entwick lung so nicht weiterlaufen lassen; dies wäre ein Frevel an der Zukunft der Kinder bei uns in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol leginnen und Kollegen, diese Folgen sind uns allen bewusst – und dies nicht erst seit heute. Sie sind uns bewusst, die wir in der Regierungsverantwortung stehen, und sie sind Ihnen, die Sie zuvor jahrzehntelang in der Regierungsverantwortung standen, ebenfalls bewusst. Im Gegensatz zu CDU und FDP/ DVP belassen wir es jedoch nicht bei einer Situationsanaly se, sondern ziehen die notwendigen Konsequenzen aus die sen Erkenntnissen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Aber die falschen!)

Auch wenn die Folgen im Einzelfall sehr schmerzhaft sein können und nicht überall in gleichem Umfang verstanden und mitgetragen werden: Diese Landesregierung wartet nicht ta tenlos darauf, was die Zukunft wohl bringen mag; sie lässt das zufällige Schulsterben im ländlichen Raum nicht zu. Wir ge stalten Zukunft, wir wollen Schulen in der Fläche des Landes Baden-Württemberg stärken und erhalten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hatte Ihnen die Eckpunkte unserer Konzeption bereits im Rahmen einer Re gierungserklärung am 15. Mai 2013 vorgestellt. In den letz ten Monaten haben wir diese Eckpunkte nicht nur mit den kommunalen Landesverbänden, sondern auch mit unseren Be ratungsgremien, mit dem Landesschulbeirat, mit dem Landes elternbeirat, mit dem Landesschülerbeirat, mit Gewerkschaf

ten und mit vielen anderen Interessenvertretern aus der Schul- und Bildungslandschaft eingehend besprochen.

Wir können heute feststellen, dass hinsichtlich des grundsätz lichen Anliegens und vieler unserer Regelungsdetails ein sehr großes Verständnis besteht und große Akzeptanz herrscht. Deswegen freuen wir uns, dass wir im vergangenen Jahr auf der Grundlage unserer Eckpunkte bereits eine gute Basis für die weitere Arbeit legen konnten.

Wir haben ein sehr breit angelegtes Anhörungsverfahren zum Gesetzentwurf durchgeführt; denn wir schaffen es nur gemein sam, die Bildungslandschaft zukunftsfest aufzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Deswegen kann ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf präsen tieren, bei dem wir einerseits keines der im Mai letzten Jah res geschilderten Ziele aus den Augen verloren haben, in dem wir andererseits aber auch eine Vielzahl sehr hilfreicher An regungen berücksichtigen konnten.

Insbesondere den kommunalen Landesverbänden danke ich für das konstruktive Miteinander in den vergangenen Mona ten nicht nur im Bereich des Ganztagsschulausbaus, sondern auch im Bereich der Schulsozialarbeit; gerade auch in diesem wichtigen Bereich der Weiterentwicklung der Schullandschaft können sich die Kommunen auf das Land verlassen und kann sich auch das Land auf die Kommunen verlassen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir schaffen mit dieser Schulgesetznovelle, die ich Ihnen heu te vorlege, die Grundlagen für langfristig leistungsstarke und auch ressourceneffizient aufgestellte Schulstandorte. Wir ge ben Antworten auf die Frage, wie wir der veränderten Reali tät im Land Rechnung tragen wollen.

Auch wenn es manche hier im Saal nicht wahrhaben wollen: Den Menschen im Land nützt es nichts, wenn wir auf neue bildungspolitische Fragen ständig die alten und immer glei chen Antworten geben. Ein einfaches „Weiter so!“ führt zu ei nem unkontrollierten Schulsterben insbesondere im ländli chen Raum, und dies wäre für die Zukunft des Landes BadenWürttemberg nicht zu verantworten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir haben eine Antwort auf die Fragen, die sich angesichts der demografischen Entwicklung und der veränderten Schü lerströme neu stellen. Die Antwort heißt: regionale Schulent wicklung.

Ich möchte Ihnen im Folgenden ganz kurz die Eckpunkte, die Ziele und Inhalte der regionalen Schulentwicklung schildern. Wir wollen mit diesem Gesetz die Grundlage für Planungssi cherheit gerade für die Schulträger und für Verlässlichkeit für die Eltern der Schülerinnen und Schüler schaffen.

Die regionale Schulentwicklung folgt dabei grundlegend drei Leitlinien: Sie löst sich erstens vom Denken in Schularten und denkt vom Abschluss her. Sie ermöglicht und unterstützt zwei tens auch weiterhin die Annäherung der bestehenden Schul arten und bessere Schulübergänge, was in der Bildungsplan reform ebenfalls entsprechend berücksichtigt wird. Sie sichert drittens – das ist ein wichtiges Kriterium für Baden-Württem

berg und die Stärke Baden-Württembergs – die Erreichbarkeit guter schulischer Angebote gerade im ländlichen Raum.

Lassen Sie mich versuchen, dies in wenigen Sätzen zu erläu tern: Ab dem nächsten Schuljahr soll es künftig darauf ankom men, welchen Bildungsabschluss eine Schülerin oder ein Schüler anstrebt, und nicht mehr darauf, an welcher konkre ten Schulart dies geschieht. Wir setzen auf die Weiterentwick lung aller weiterführenden Schulen und Schularten. Wir stre ben dabei – das haben wir bereits kommuniziert – ein Zwei säulensystem an mit dem Gymnasium einerseits und einem integrativen Bildungsweg andererseits, der sich aus den wei terführenden allgemeinbildenden Schulen entwickelt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zielvorgabe „Entwicklung eines Zweisäulensystems“ ist inzwischen in der Gesellschaft – Sie können fragen, wen Sie wollen: Bildungs einrichtungen, kommunale Vertreter, Bürgermeister, Landrä te – ein Allgemeingut. Deswegen würde ich alle in diesem Ho hen Haus bitten, diese Grundlage auch für die Planungen un serer weiteren Bildungspolitik zu verwenden. Wir würden ei nem Irrglauben anhängen, wenn wir glaubten, wir könnten bei diesen stark zurückgehenden Schülerzahlen, die ich geschil dert habe, ein dreigliedriges Schulsystem aufrechterhalten.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Das ist eine Illusion, die nicht aufrechterhalten werden kann. Versprechen Sie den Menschen nichts, was Sie nicht einhal ten können.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir wollen dabei die pädagogische Qualität der Schulen si chern und die pädagogisch notwendigen Differenzierungen ermöglichen. Wir wollen die Schulen – noch mehr als heute schon – in die Lage versetzen, ausgefallene Lehrkräfte quali fiziert und verlässlich zu ersetzen. Aber dafür ist es erforder lich, dass es gewisse Mindestgrößen gibt und dass die weiter führenden allgemeinbildenden Schulen stabil zweizügig sind.