Protocol of the Session on July 20, 2011

(Abg. Peter Hauk CDU: Ich erinnere an den Beitrag von Herrn Sckerl in dieser Debatte!)

Sie sprachen vorhin davon, wir würden einen Gegensatz zwi schen der repräsentativen Demokratie und dem, was an stär keren plebiszitären Elementen in die Verfassung aufgenom men werden soll, konstruieren. Ich muss dazu sagen: Sie ver passen eine ganz große Chance. Ich glaube auch nicht, dass Sie in staatsrechtlicher Hinsicht dem gerecht werden, was überwiegende Meinung ist.

Schauen Sie einfach einmal nach Bayern. Bayern kann sich, was seine verfassungsgeschichtliche Tradition angeht, doch durchaus sehen lassen. Dort gilt für Volksentscheide inzwi schen kein Quorum mehr. Dennoch hat die repräsentative De mokratie in Bayern einen sehr guten Stand. Dabei wird den Menschen die Möglichkeit demokratischer Teilhabe auch zwi schen den Wahlterminen gegeben.

Ich finde es auch bedenklich, wenn Sie unter Bezug auf das Beispiel Schweiz darauf hinweisen, dass nur eine bestimmte Schicht oder eine bestimmte Gruppe aus der Bevölkerung an Volksentscheiden teilnehme. Auch bei den ganz normalen Wahlen, die bei uns stattfinden, beobachten wir ein Phäno men, das uns allen nicht recht sein kann, nämlich die rückläu fige Wahlbeteiligung und die Tatsache, dass manche Men schen gar nicht mehr zur Wahl gehen.

Muss es aber dann nicht gerade unser Antrieb sein, diese Men schen wieder für unsere Demokratie zu begeistern? Ich glau be, das schaffen wir dann, wenn wir den Menschen das Ge fühl geben, dass wir ihre Stimme ernst nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Goll für die Fraktion der FDP/DVP.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hält ein Quo rum von 20 % für eine angemessene Lösung. Ein Quorum von 20 % bedeutet immerhin, dass, wenn eine Mehrheit für ein be stimmtes Anliegen gewonnen werden soll, erfahrungsgemäß mindestens 40 % der Stimmberechtigten zur Wahl gehen müs sen. Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass wir über solche Zahlen bei mancher Bürgermeisterwahl ganz froh wären. 20 % sind zudem ein passabler Wert, wenn ich beispielsweise fest stelle, dass der jetzige Ministerpräsident nur von etwa 17 % der Bevölkerung gewählt wurde.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Der ist vom Land tag gewählt! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ei ne fragwürdige Passage in Ihrer Rede!)

Ein Quorum von 20 % stellt noch immer eine gewisse Hürde dar. Ich bin ebenso wie meine Fraktion dagegen, das Quorum ganz abzuschaffen. 20 % sind noch immer eine sehr ordentli che Hürde, und deswegen – ich habe es schon an anderer Stel le gesagt – werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Es ist allerdings schade, dass der penetrante Geruch im Raum hängt, wir diskutierten das hier und jetzt nur deshalb, weil es manchen darum geht, dem Projekt Stuttgart 21 noch ein Bein zu stellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Deswegen kommt auch hier noch der obligatorische kurze Teil 2. Meine Damen und Herren, eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wäre jahrelang möglich gewesen. Da sind wir uns einig. Sie wäre jahrelang möglich gewesen und wäre mit Si cherheit auch von uns unterstützt worden. Ich habe mich oft gefragt, warum es eigentlich nicht früher passiert ist. Ich kann es mir bis heute nur so erklären, dass die Gegner nie geglaubt haben, dass die Unterschriften unter diese Verträge kommen werden. Der Grund kann nur gewesen sein, dass man immer gedacht hat, das komme sowieso nicht. Dann kam ein spätes Erwachen und ein Vorschlag für eine Volksabstimmung zu ei nem Zeitpunkt, zu dem es einfach zu spät ist.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das können wir dann machen, wenn das Ausstiegsgesetz kommt!)

Eine Volksabstimmung jetzt zu Stuttgart 21 ist erstens unsin nig, weil es – selbst aus der Sicht der Gegner – gar kein ver nünftiges Ziel dieser Volksabstimmung gibt. Was wollen Sie denn erreichen? Sie können keinen Bescheid des EisenbahnBundesamts ungeschehen machen. Sie können keine Verträ ge ungeschehen machen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das steht doch gar nicht auf der Tagesordnung!)

Sie können die Finanzierung zurückziehen mit der Folge ei ner Schadensersatzpflicht. Dann wird Stuttgart 21 ohne das Land gebaut, aber das Land zahlt. Das ist dann ein besonders „sinnvolles“ Ergebnis.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Der Ver kehrsminister zahlt! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜ NE: Das müssen Sie beim Ausstiegsgesetz bringen, wenn überhaupt!)

Übrigens haben Sie – das muss man sagen – die Gegner die ses Projekts, zu denen ich bekanntlich nicht gehöre, zu denen wir nicht gehören, in gewisser Weise im Wahlkampf hinter gangen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Niemand von denen fühlt sich hintergangen!)

Die Volksabstimmung ist zweitens, wenn sie jetzt stattfindet, schädlich für das Land, weil es natürlich ein ruinöses Signal ist, zu sagen: Wenn eine Investition wie die in Stuttgart 21 auf ordentlichem Weg jahrelang vorbereitet ist, dann kann sie un ter diesen Umständen noch gekippt werden. Die Gefahr steht doch im Raum, dass kein Investor mehr in diesem Land in vestieren wird, wenn hier so etwas möglich ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sie wissen doch, dass es eine Sondersituation von großer Einmaligkeit ist! Meine Güte!)

Eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 – auch das darf ich an dieser Stelle nochmals betonen – ist aus meiner Sicht auch rechtswidrig,

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Darüber entschei den wir heute nicht!)

weil verfassungsmäßige Wege der Entscheidungsfindung miss achtet werden und weil im Grunde genommen der Rechts bruch vorbereitet wird. Denn einer der ältesten Rechtsgrund sätze im nationalen Recht, im Völkerrecht und überhaupt ist der Grundsatz „Pacta sunt servanda“. Aus dieser Situation wollen Sie über den Weg einer Volksabstimmung herauskom men. Das halte ich für einen Missbrauch.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das können Sie beim Ausstiegsgesetz sagen!)

Wir stimmen dem Gesetzentwurf heute zu. Aber die andere Sache steht genauso im Raum: Bitte kein Missbrauch des In struments Volksabstimmung, um ein Projekt zu kippen, das auf ordentlichem Weg beschlossen worden ist, abgesehen da von, dass es hoch sinnvoll ist.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich erteile dem Herrn Innenminis ter das Wort.

Werter Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Die jetzige Plenardebatte hat einmal mehr gezeigt, dass das richtige Verhältnis zwischen der repräsentativen Demokratie und der direkten Demokratie offenbar schwer zu finden ist – zumindest hier im Plenum des Landtags von Baden-Württemberg.

Herr Hauk, werte Kolleginnen und werte Kollegen, unstrittig sollte aber meines Erachtens sein, dass es, losgelöst von die ser Detailfrage, wie hoch denn Quoren sein sollen, eine gro ße, eine deutlich vernehmbare Mehrheit bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes für mehr Mitbestimmung im Be reich der politischen Teilhabe gibt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb, meine Damen und Herren, haben Grüne und SPD dies in ihrem Koalitionsvertrag aufgegriffen, auch weil uns dieses Thema nicht erst seit Stuttgart 21 beschäftigt – viel mehr haben wir, wie Sie wissen, dieses Thema in den zurück

liegenden zehn Jahren wiederholt in dieser Runde hier disku tiert – und weil es meines Erachtens und aus der Sicht der Lan desregierung keinen Grund gibt, den Menschen in BadenWürttemberg weniger Mitbestimmung zuzusprechen als den Menschen in anderen Bundesländern.

Meine Damen und Herren, in ihrem Koalitionsvertrag haben Grün und Rot vereinbart, das Quorum bei der Volksabstim mung gänzlich abzuschaffen, also keine Quoren hierfür fest zulegen – natürlich im Zusammenwirken mit der Einführung einer Volksinitiative und weiteren Erleichterungen beim Volks begehren.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht eine Absenkung des Quorums für Volksabstimmungen auf 20 % vor. Ich finde schon, dass dies ein deutliches Zeichen, ein Handreichen an Ihre Fraktion ist, Herr Hauk, damit Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Hierfür will ich ganz einfach noch einmal werben. Ich meine, es gibt wirklich gute Sachargumente, die dafür sprechen, die sem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir alle wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass durch die zunehmende Mo bilität in der Gesellschaft, durch die Konzentration der Bür gerinnen und Bürger auf ihre beruflichen Pflichten und die Konzentration der häufig viel zu geringen restlichen Zeit auf die Familien die Bindung der Bürgerinnen und Bürger an Ge werkschaften, an Verbände, an Organisationen, auch an Par teien, an die – wenn man so will – Scharniere zwischen Poli tik und Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren leider nachgelassen hat, sodass es die klassischen Interessenvertre tungen in der Form, wie wir sie uns gern wünschen würden, einfach nicht mehr gibt, und dass die Bürger nach neuen We gen suchen, um sich in Entscheidungsfindungen, in die Recht setzungsprozesse einzubringen.

Das Bedürfnis ist vorhanden. Zweifelsohne ist dies in Stutt gart sichtbar. Aber prüfen wir uns doch alle selbst. Meine Vor redner haben es schon angesprochen: Quer durch das Land Baden-Württemberg erleben wir die Bestrebungen der Bür ger, mitzubestimmen und mitzuwirken, auch in Bereichen au ßerhalb des Themas Stuttgart 21. Wir sind der Auffassung, diesem Bedürfnis sollten wir einfach Rechnung tragen.

Darüber, dass die jetzige Rechtslage unbefriedigend ist, dar über haben wir schon diskutiert. In keinem einzigen Fall wa ren die Bürgerinnen und Bürger in der Lage, die Verfahren, die theoretisch bestehen, zu nutzen, weil letztendlich einfach die Hürden zu groß waren. Das heißt, bisher haben rein theo retische Chancen bestanden.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Es gibt aber unseres Erachtens keinen Grund, diese theoreti schen Optionen nicht zu einer reellen Chance in Baden-Würt temberg weiterzuentwickeln.

Die Sorge, die hier schon geäußert wurde, dass dies verfas sungsrechtlich problematisch werden könnte, teilt die Landes regierung nicht. Denn auch zukünftig werden wir uns eine ver fassungsrechtliche Vorprüfung solcher Initiativen, die dann Gegenstand einer Volksabstimmung werden könnten, vorbe halten.

Es soll ein Quorum von immerhin 20 % eingeführt werden. Kollege Stoch hat ausgeführt, dass man, wenn man dieses Quorum erreichen will, eine Mobilisierung von fast 40 % der Wahlberechtigten erreichen muss. Ich finde, das spricht schon dafür, dass Minderheiten sich auch zukünftig nicht entspre chend zu Wort melden können, dass sie Entscheidungen zu mindest nicht zum Nachteil von Mehrheitsmeinungen beein flussen können.

Meine Damen und Herren, wir, die in Baden-Württemberg Verantwortung tragen, sollten zur Kenntnis nehmen, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur eine moderate – anders kann man es gar nicht nennen – Weiterentwicklung vorgese hen ist.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Denn abgesehen von Baden-Württemberg haben acht andere Bundesländer ein Zustimmungsquorum für Volksabstimmun gen über einfache Gesetze, das über 25 % liegt, und sieben Bundesländer ein Quorum, das darunter liegt. Das heißt, wenn der vorliegende Gesetzentwurf eine Mehrheit findet, dann be finden wir uns nirgendwo anders als in einem ausgewogenen Mittelfeld. Diese Neuregelung kann also, Herr Hauk, nicht den Untergang des Abendlands und schon gar nicht von Ba den-Württemberg bedeuten.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das behauptet doch nie mand!)

Deshalb sind wir der Auffassung, dass niemand Probleme ha ben sollte, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.