Ich sage in aller Deutlichkeit: Ich hätte gerade von Ihnen er wartet, dass Sie sich dieses GEW-Gutachten etwas genauer anschauen. Ich möchte Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Le gen Sie dieses GEW-Gutachten am besten in die unterste Schublade Ihres Hauses. Denn es hat überhaupt keinen statis tischen Wert, weil es erstens auf veraltetem Datenmaterial be ruht, nämlich auf Zahlen aus dem Jahr 2007,
die heute überhaupt nicht mehr brauchbar sind, und es zwei tens erhebliche Abweichungen zwischen den Daten des GEWGutachtens und den Daten des Statistischen Landesamts gibt. Bisher wurden die Daten des Statistischen Landesamts zumin dest vonseiten der Regierung immer als seriös akzeptiert.
Das Dritte, was ich Ihnen sagen möchte, Herr Minister: In der Stellungnahme Ihres Hauses – zugegeben: nicht durch Sie per sönlich – wird zu unserem Antrag Drucksache 15/2790 ledig lich ausgeführt, dass sich Ausführungen zu diesem GEW-Gut achten erübrigten, da die integrative Sekundarschule nichts mit Ihrer Gemeinschaftsschule zu tun habe.
Was ist der Unterschied zwischen einer integrativen Sekun darschule, in der Sie quasi alle Bildungsabschlüsse anbieten wollen, und einer Gemeinschaftsschule? Wenn Sie sich die ses Gutachten genau anschauen, erkennen Sie, dass bei der Erwähnung der integrativen Sekundarschule – sprich Gemein schaftsschule; das ist schulorganisatorisch nämlich genau das Gleiche – von einer Übergangsquote von der Grundschule in diese Schulart von 90 % ausgegangen wird. Das ist die Be rechnungsgrundlage des GEW-Gutachtens.
Herr Minister – fragen Sie Ihre Beamten –, wissen Sie, was das bedeutet? Wenn Sie die Berechnung des GEW-Gutach tens akzeptieren, dann akzeptieren Sie, dass es in Zukunft überhaupt keine andere Schulart als diese Gemeinschaftsschu le mehr gibt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Genau! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Nein!)
Ich rate Ihnen, damit Sie sich mit Ihren Aussagen nicht selbst widersprechen: Verabschieden Sie sich von dem Gutachten, sonst werden all die anderen Aussagen, die Sie formuliert ha ben, zutiefst unglaubwürdig.
Nun zur regionalen Schulentwicklung. Wer hat denn die Tur bulenzen verursacht? Durch die Einführung der Gemein schaftsschule und erst recht durch die Abschaffung der ver bindlichen Grundschulempfehlung ist doch eine regionale Schulentwicklungsplanung zwingend notwendig gewesen. Deswegen können Sie – Sie und Ihre Amtsvorgängerin – doch nicht seit zwei Jahren nur darüber reden, aber nichts tun.
Im Übrigen sind beim Thema „Regionale Schulentwicklung“ alle Formulierungen toll. Ich verstehe, dass Sie natürlich viel Applaus spenden.
Sie sprechen von einem Konzept. Sie – Ihr Haus, Ihre Amts vorgängerin – haben doch eine Einigung mit den kommuna len Landesverbänden erzielt. Staatssekretär Mentrup hat sich mit ihnen auf eine gemeinsame Sprachregelung verständigt. Wollen Sie jetzt etwa zurück? Wollen Sie den Schwarzen Pe ter wieder an die Kommunen abdrücken? Oder tragen Sie, das Land Baden-Württemberg, das Kultusministerium, die Ver antwortung dafür, wenn der eine oder andere Schulstandort nicht mehr überlebensfähig ist?
All diese Fragen beantworten Sie nicht, Herr Minister. Des wegen muss ich sagen: Ihre Rede war ein Armutszeugnis.
Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Anträge Drucksachen 15/2197 (geänderte Fassung) und 15/2790. Abschnitt I des Antrags Drucksache 15/2197 (geän derte Fassung) ist ein Berichtsteil und kann für erledigt erklärt werden.
Abschnitt II dieses Antrags ist ein Beschlussteil, der ein Hand lungsersuchen enthält. Wird Abstimmung über Abschnitt II gewünscht? – Ja. Dann stimmen wir jetzt über Abschnitt II ab. Wer Abschnitt II zustimmen möchte, der möge bitte die Hand heben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist Ab schnitt II mehrheitlich abgelehnt.
Der Antrag Drucksache 15/2790 ist ein reiner Berichtsantrag und kann für erledigt erklärt werden. – Sie stimmen dem zu.
Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Mi nisteriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst – Ge sundheitsfachberufe an Hochschulen – Akademisierungs perspektive – Drucksache 15/2333
wer reden will, kann dies auch außerhalb des Plenarsaals tun –: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Mi nuten je Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg steht bei der Neuorganisation der Gesundheitsversorgung vor gro ßen Herausforderungen. Es ist unbestritten, dass wir im Au genblick noch gut aufgestellt sind. Das wird sich in der Zu kunft aber deutlich verändern; denn zu klar sind die Signale, die uns aus fast allen Bereichen der Gesundheitsberufe und den entsprechenden Arbeitsfeldern erreichen. Das Nebenein ander ist gekoppelt mit einem Nichtwissen über die Qualifi kation der jeweils anderen Berufe und Berufsfelder und führt immer mehr zu großen Reibungsverlusten, die zulasten der Patientenversorgung, aber auch zulasten der Arbeitszufrieden heit gehen.
In der Pflege ist die Arbeitszufriedenheit unabdingbar, wenn die Pflege gut und erfolgreich sein soll im Sinne einer Gesunderhaltung der Menschen.
Wir alle wissen, dass wir vor großen Herausforderungen ste hen. Es vergeht fast kein Plenartag, an dem wir die Heraus forderungen der demografischen Entwicklung nicht themati sieren. Die damit verbundenen Herausforderungen stellen sich im Gesundheitswesen noch einmal ganz anders dar.
Eine zunehmende Zahl von Menschen werden älter, werden kränker, haben keine klar abgegrenzten Krankheitsbilder, lei den zusätzlich z. B. an Demenz. Das heißt, die Krankheitsbil der in der Akutversorgung verändern sich zunehmend. Diag nostik und Therapien werden auf der anderen Seite immer komplexer und immer komplizierter. Das bedeutet, dass sich größere Herausforderungen an die Expertise von Gesundheits fachleuten stellen. Dies gilt z. B. für die Pflege.
Patienten sind auch öfter und länger chronisch krank. Auch das ist eine Entwicklung, die sich deutlich abzeichnet. Das heißt, mit einer älter werdenden Bevölkerung verbindet sich ein steigender Bedarf an zusätzlichen Fachkräften im Umfeld der Medizin.
Diese Herausforderungen werden nur durch eine intensivere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe insgesamt gemeistert werden können. Dabei geht es um eine Verbesserung der Be handlungsqualität für Patienten. Wir wissen, dass Behand lungsfehler häufiger auf unzureichende Zusammenarbeit zu rückzuführen sind.
Aktuell ist es so, dass alle Gesundheitsberufe für sich ausge bildet werden. Die Kompetenzen, die andere in ihrer Ausbil dung erwerben, werden nicht mitgedacht und kommen in der Organisation des eigenen Berufsalltags viel zu wenig vor. Das führt dazu, dass in der Praxis insgesamt viel mehr nebenein ander als miteinander gearbeitet wird. Das wiederum führt zu ganz großen Reibungsverlusten.
Die grün-rote Regierung hat sich vorgenommen, diese Beru fe miteinander zu verzahnen. Das geht am besten an den Hochschulen, an den Universitäten. Medizinerinnen und Me diziner, die gemeinsam mit Hebammen, Psychotherapeuten und Pflegewissenschaftlern Vorlesungen, Seminare und ana tomische Kurse besuchen, lernen sich nicht nur kennen. Sie
wissen auch um die Qualifikation der jeweils anderen Profes sion. Sie haben früh den Kontakt, der ein anderes Denken, ein Denken über den eigenen Tellerrand hinaus befördert. Das er leichtert das gemeinsame Arbeiten in der Praxis ungemein.
Ich mache das einmal an einem Beispiel fest. In der Geburts hilfe begegnen sich Hebammen und Frauenärzte erst, wenn die Frauenärzte in ihrer Facharztausbildung sind. Das heißt, Frauenärzte lernen, Geburtshilfe ohne Hebammen zu denken und zu organisieren. Hebammen wiederum lernen, Geburts hilfe ohne die Frauenärzte zu organisieren und durchzufüh ren. Was heißt das in der Konsequenz?
In der Konsequenz heißt das: Diese beiden Berufe treffen in der Geburtshilfe aufeinander und kommen eigentlich über haupt nicht miteinander klar, arbeiten oftmals eher gegenein ander als miteinander. Dabei müsste es völlig klar sein, dass Geburtshilfe, die normalerweise stattfindet, eine Aufgabe ist, die durch die Hebammen erfüllt wird, und sich die Ärzte im Hintergrund halten. Wenn Ärzte aber überhaupt nicht gelernt haben, sich z. B. mit Hebammen auseinanderzusetzen, und auch nicht wissen, wie deren Kompetenzen letztlich sind, kön nen sie sie überhaupt nicht akzeptieren und auch nicht mitei nander arbeiten.
Das heißt, wir brauchen in der Konsequenz eine enge Ver knüpfung von Theorie und Praxis. Das ist zentral für die Aka demisierung der Gesundheitsberufe. Nur dann, wenn wir künf tig reflektierende Praktikerinnen haben, die im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung die Instrumente an die Hand be kommen, evidenzbasiert z. B. Pflegestandards zu überdenken und zu überarbeiten, haben alle gewonnen.