Die Grundschulzeit der Kinder ist durch die verbindliche Grundschulempfehlung in vielen Bereichen enorm ange spannt. Daher ist es für uns eine wichtige Entscheidung, dass wir diese Grundschulempfehlung heute von einer verbindli chen Empfehlung in eine echte Empfehlung umwandeln.
Frau Präsidentin, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer diese Debatte zur Ab schaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ver folgt, dem erschließt sich deutlich, welche Art der Bildungs politik in den vergangenen bald 60 Jahren in diesem Land vor geherrscht hat.
Unter dem Deckmantel, das Beste für die Kinder zu wollen, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi tion, stets alles darangesetzt, das Beste von den Kindern zu bekommen.
Kinder wurden in Ihrem System von Beginn an als reines In vestitionsgut behandelt, ein Investitionsgut, das am Ende schlicht zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beitragen soll. Ich erinnere an G 8 oder an das immer frühere Einschu len der Kinder.
Das Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes, das die Verbind lichkeit der Grundschulempfehlung abschafft, wird mit die ser einseitigen Wahrnehmung Schluss machen. Daher stellt der heutige Tag, der 7. Dezember 2011, einen ersten Schritt in Richtung einer neuen Bildungspolitik dar – auch wenn Ih nen das nicht gefällt. Es ist eine Bildungspolitik, die das gan ze Kind im Blick hat und die vor allem die Eltern mit in die Verantwortung nimmt. Sie können sicher sein, dass sich die Eltern dieser Verantwortung durchaus bewusst sind. Denn Ver antwortung heißt auch Mitbestimmung und Entscheidungs freiheit, nicht nur Kuchenbacken.
Lieber Herr Wacker, Sie plagen uns ein ums andere Mal mit dem Einwand, dass auch schon bislang der Elternwille be rücksichtigt werde. Durch den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung – so Ihre Argumentation – würde sich also eigentlich nichts Wesentliches ändern. Wenn dem so ist und sich nichts ändert, dann frage ich Sie: Weshalb können wir die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung dann im Umkehrschluss nicht auch abschaffen?
Die Antwort darauf haben Sie uns schon mehrfach geliefert: Sie wollen bestimmte Kinder eben nicht in den Realschulen oder in den Gymnasien sehen.
(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Unverschämt! Das ist unglaublich! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schicken Sie alle! Wir machen etwas daraus! Wir nehmen alle!)
Genau wie die Eltern der Gymnasiasten in Hamburg haben Sie geradezu panische Angst davor, dass durch die Durchmi schung in diesen Schularten das Niveau sinken könnte.
Dahinter steht der Gedanke: „Die Schülerinnen und Schüler aus den besseren Familien sollten doch lieber unter sich blei ben.“
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall. Rufen Sie sich doch in Erinnerung, wo durch sich die Schulsysteme in den PISA-Siegerländern sei nerzeit maßgeblich von unserem Schulsystem unterschieden haben: durch das längere gemeinsame Lernen aller Schüler,
stärkerer wie schwächerer. PISA zeigt anschaulich, dass hier nicht etwa die Stärkeren ausgebremst werden und am Lernen gehindert werden, sondern dass die Schwächeren von dieser Durchmischung profitieren. Sie erzielen deutlich bessere Leis tungen als schwächere Kinder in jenen Ländern, in welchen sie unter ihresgleichen bleiben.
Dieses vorbildliche Beispiel hat sich übrigens vor einigen Jah ren der gesamte Bildungsausschuss des Landtags in Finnland und Kanada angeschaut. Sie, Herr Wacker, waren, wenn ich mich richtig erinnere, auch dabei. Die damaligen regierungs
tragenden Fraktionen sind dann in die Heimat zurückgekehrt und haben so weitergemacht wie bisher, weil es eben schon immer so war.
An dieser Stelle sind wir an einem weiteren wichtigen Punkt angelangt, nämlich der sozialen Gerechtigkeit. Da Sie so oft und gern empirische Studien zitieren, darf ich Sie daran erin nern, was die IGLU-Studie zutage gefördert hat. Hier wird deutliche Kritik an der verbindlichen Grundschulempfehlung laut. Warum? Weil – ich zitiere sinngemäß – Kinder von Ar beitern bei gleicher gemessener Leistung seltener eine Emp fehlung für das Gymnasium oder die Realschule bekommen als ihre Altersgenossen mit Eltern aus der sogenannten obe ren Dienstklasse.
So viel zu Ihrer viel gepriesenen Stufe 2 im Verfahren der ver bindlichen Grundschulempfehlung, bei welcher der Eltern wille scheinbar so große Beachtung findet.
In wenigen Worten möchte ich auf den Vorschlag von Herrn Kern eingehen, das bestehende Verfahren nicht abzuschaffen, sondern zu verbessern. Dazu, Herr Kern, kann ich nur sagen: Die Zeit der faulen Kompromisse ist endgültig vorbei. Beste hendem nur einen neuen Anstrich zu verleihen, das war die Methode Ihrer Regierungszeit. Wir jedoch scheuen uns nicht davor, beim Namen zu nennen, was bislang schiefläuft, und die Konsequenz daraus zu ziehen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Also Ihre Kollegen haben falsch beraten! Ist das richtig? Wollen Sie das damit sagen?)
Die Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfeh lung ist eine mehr als notwendige Konsequenz.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Also die Kollegen haben falsch beraten! Jetzt wissen wir es!)
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Kollege Käppeler, Sie haben hier zum wiederholten Mal behauptet, dass es Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg gebe, die absichtlich Kinder auf die falsche weiterführende Schule schicken würden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig! Ge nau! Und das als Leiter einer Gesamtschule! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Und das als Lehrer! – Zuruf: Unverschämt!)
Das möchte ich in aller Form zurückweisen. Das finde ich un verschämt gegenüber den betroffenen Kolleginnen und Kol legen. So darf man es nicht verallgemeinern.
Herr Käppeler, Sie haben außerdem gesagt, wir hätten eine neue Bildungspolitik in Baden-Württemberg. Dann schauen wir uns doch einmal an, wie diejenigen urteilen, die vor Ort an den Schulen die Konsequenzen einer grün-roten Bildungs politik zu spüren bekommen.
Fangen wir mit dem Philologenverband an. Überschrift einer Pressemitteilung vom 23. November dieses Jahres