Protocol of the Session on December 9, 2009

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Brigitte Lösch und Bärbl Mielich GRÜNE)

Ich darf hier an die Debatte über den Orientierungsplan erinnern. Was haben sich die Kommunen, die Städte, die Gemeinden und die Erzieherinnen angestrengt,

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

um den Orientierungsplan umzusetzen. Sie haben sich über mehrere Jahre hinweg fortgebildet. Mit welchem Ergebnis? Das Land sagt: „Na ja, es ist kein Geld da. Den Orientierungsplan könnt ihr machen, aber wenn, dann bezahlt ihr das selbst. Wir bezahlen nur einen Teil. Macht das freiwillig!“

(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist ja schofelig! – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)

So viel zu den Themen „Kinderland“, „Entwicklungschancen in unserem Land“ und „Chance für Generationen“.

Ähnliches gilt für die ältere Generation. Heute ist die ältere Generation bis weit ins hohe Alter noch sehr fit und noch bereit, zu gestalten, sich über die Maßen hinaus ehrenamtlich in unserem Land zu engagieren. Was wir hier erleben, sind Sonntagsreden, sind Verleihungen von Preisen für diese Arbeit. Was wir in Baden-Württemberg aber nicht haben, ist ein Konzept für das Ehrenamt. Wir haben keine Rahmenbedingung dafür, dass sich ältere Leute auch in Zukunft engagieren und das, was sie an Ressourcen haben, noch einbringen.

(Beifall der Abg. Bärbl Mielich und Brigitte Lösch GRÜNE)

Wenn wir das alles betrachten, wenn wir auch sehen, was wir mit dem Abschluss der Arbeit der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ und dem Bericht über die Umsetzung der Handlungsempfehlungen der Enquetekommission im letzten Jahr hier beraten und beschlossen haben, dann muss ich sagen: viele Zahlen, viel Wissen um die Fakten, wenig bis nichts getan.

Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Ursula Haußmann SPD: Sehr gut! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Du hast ihnen gleich gut eingeschenkt! – Abg. Peter Hofelich SPD: Eigentlich müsste es jetzt Rücktritte hageln! – Abg. Reinhold Gall SPD: Hallo wach!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Mielich.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Her ren! Wenn die Aussage in dem Titel der Aktuellen Debatte „Steigende Lebenserwartung in Baden-Württemberg – Chance für Generationen“ stimmt, dann kann ich nur sagen: Prima! Wir leben in Baden-Württemberg länger und fühlen uns wohl. Das ist wunderbar. Menschen im Alter jenseits des Erwerbslebens ziehen nach Baden-Württemberg, weil es ihnen hier so gut gefällt. Auch das ist wunderbar.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Baden-Württemberg ist wunderbar!)

Doch was folgt daraus für das politische Handeln? Das ist die wichtige Frage. Wir sind hier schließlich nicht auf einer Wellnessveranstaltung.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das hat nichts mit der CDU zu tun! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rü- eck CDU: Ja womit denn sonst, Frau Kollegin?)

Wichtig ist doch, die Frage zu beantworten: Was machen wir daraus? Was bedeutet diese Bevölkerungsentwicklung für unser Land, und was bedeutet sie letztendlich für das politische

Handeln? Die Zahlen sind doch seit Jahren klar: Der Anteil der Menschen unter 18 Jahren, die hier in diesem Land leben, wird immer geringer. Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen, die über 60 Jahre alt sind, immer weiter. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Zahl der hochbetagten Menschen, die 85 Jahre und älter sind, verdoppeln. Auch daraus ergeben sich doch Notwendigkeiten für das politische Handeln. Das habe ich gerade in Ihrem Statement, Herr Kollege Raab, komplett vermisst.

Bis zum Jahr 2050 werden wir eine Umkehrung der Alterspyramide haben. Dann werden weniger als 50 % der Menschen, die hier leben, in der Erwerbsphase sein, also sozusagen die Arbeit leisten. Der Anteil der Menschen, die 60 Jahre und älter sind, wird dann mindestens 50 % betragen.

Was bedeutet das für uns, und was bedeutet das für das politische Handeln? Wir haben zwei große Aufgaben. Die eine Aufgabe ist, die sozialen Sicherungssysteme armutsfest zu machen und so zu gestalten, dass sie jenseits dieser Ankopplung an die Erwerbsarbeit funktionieren, damit die Menschen im Alter nicht in Armut leben.

Wir haben gleichzeitig die Aufgabe, eine Finanzpolitik zu machen, die nachhaltig ist und dafür sorgt, dass wir auch in Zukunft Haushalte haben, mit denen wir handlungsfähig sind und noch investieren können. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Sehen Sie sich dazu nur die aktuelle schwarz-gelbe Politik im Bund und im Land an.

Mit den Steuersenkungen, die das Wachstumsbeschleunigungs gesetz für das Land und auch für die Kommunen bedeutet, fah ren Sie letztendlich den Landeshaushalt total an die Wand, und Sie statten auch die Kommunen deutlich schlechter mit Finanzmitteln aus. Für das Land bedeutet das im Doppelhaushalt insgesamt Mindereinnahmen von 750 Millionen €, für die Kommunen bedeutet es 620 Millionen € weniger. Das ist Geld, das den Kommunen, aber auch dem Land fehlt, um tatsächlich handlungsfähig zu sein, um z. B. angemessen auf die se Bevölkerungsentwicklung zu reagieren. Sie machen stattdessen eine reine Klientelpolitik, von der ganz wenige Berufsgruppen tatsächlich profitieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Frau Staatsministerin Hübner, Sie haben in ihrem Demografiebericht und auch in sämtlichen Veranstaltungen, die anschließend durchgeführt worden sind, immer wieder deutlich formuliert, dass es wichtig ist, eine nachhaltige Finanzpolitik zu machen, wenn wir eine generationengerechte Gesellschaft haben wollen, die auch einigermaßen handlungsfähig ist. Das heißt, es ist wichtig, Investitionen in die Zukunft zu tätigen; es ist wichtig, keine neuen Schulden zu machen. Sie haben zudem gesagt, dass es wichtig ist, eine verlässliche Politik zu machen und Vertrauen zu schaffen, damit es lohnenswert ist, hier zu leben. Mit der Politik, die Sie machen, machen Sie für die nächsten Jahre genau das Gegenteil.

Wir müssen in der Zukunft mit den sozialen Sicherungssystemen in die Richtung gehen, Armut im Alter zu verhindern. Denn wir werden immer mehr Armut im Alter haben, weil wir immer mehr unterbrochene Verläufe des Erwerbslebens vorfinden. Diese Verbindung, den Rentenanspruch an eine Erwerbstätigkeit zu knüpfen, funktioniert in Zukunft immer we

niger. Das heißt, wir werden immer weniger Menschen haben, die ihren Lebensunterhalt tatsächlich noch von der Rente, die sie bekommen, bestreiten können.

Wir haben die Grundsicherung im Alter eingeführt. Doch die Grundsicherung im Alter ist nur zur Deckung der Mindestbedürfnisse da. Wir haben aber – darauf werde ich in der zweiten Runde noch deutlich eingehen – ganz andere Herausforderungen im Land zu bewältigen, wenn es darum geht, dem Wandel in den Familien, dem Wandel in den Erwerbsverläufen zu begegnen, indem wir als Land deutlich handlungsfähig werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen eine Aktuelle Debatte. Ist das Thema Demografie aktuell? Ja, es ist immer aktuell. Das ist überhaupt keine Frage. Aber ich vermute, dass vielleicht das Presseheft des Statistischen Landesamts Auslöser der Aktuellen Debatte war, mit dem im November eine neue Bevölkerungsvorausrechnung für Baden-Württemberg bis zum Jahr 2060 vorgelegt worden ist. Manch einer oder manch eine hier mag sich denken: Was geht mich das Jahr 2060 an? Denn möglicherweise werden wir es nicht mehr erleben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Wenigsten! – Abg. Thomas Blenke CDU: Wenn wir so weiterma- chen!)

Aber wir stellen fest, dass in Baden-Württemberg der Trend zu steigender Lebenserwartung ungebremst anhält.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Bei den Frauen, ja!)

Bei den Frauen, ja.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich als Erstes erwähnen, was ich heute früh über Frau Staatsrätin Hübner gelesen habe. Da stand zu lesen, sie komme sich vor wie eine Wanderpredigerin oder eine Erweckungspredigerin. Das ist richtig.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Von der hört man das gan- ze Jahr nichts!)

Als Allererstes geht es darum – daran sollte man sich erinnern –, sich das Bild des Alterns und des Alters immer wieder vor Augen zu halten. Das entspricht leider nicht immer dem, was Realität ist. So darf ich aus meiner persönlichen Erfahrung berichten: Letzte Woche durfte ich eine 90-jährige Parteifreundin mit dem Ehrenvorsitz betrauen, die wirklich körperlich und geistig so topfit dastand, dass man sich als Jüngerer ein Stück davon abschneiden könnte.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Dafür soll sie dank- bar sein!)

Zum Thema „Chance einer alternden Gesellschaft“: Es ist noch gar nicht so lange her, als Bücher mit Themen wie „Me

thusalem-Komplott“, „Wir vergreisen“ oder „Unsere Gesellschaft wird alt, grau und unkreativ werden“ herauskamen. Pus tekuchen! Das Gegenteil ist der Fall. In dieser Gesellschaft sind die Älteren – das haben uns auch biologische Grundlagen gezeigt – durchaus in der Lage, aktiv teilzuhaben, sich in der Gesellschaft kreativ einzubringen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ehrenamt!)

Sie sind nicht nur dazu in der Lage, sondern sie sind in zunehmendem Maß auch dazu bereit.

Wenn ich mir dann das Bild auch im politischen Umfeld ansehe, dann sage ich einmal leicht selbstkritisch: Wenn der Wettbewerb losgeht, wer den jüngsten Minister oder die jüngste Ministerin in einem Kabinett hat, dann entspricht das vielleicht nicht immer dem Bild des Alterns, dass es grundsätzlich ein großer Vorzug sei, jung zu sein. Das ist ein Vorzug, aber er darf nicht der alleinige sein. Vielmehr macht es die richtige Mischung aus.

Es wird darum gehen, dass wir in dieser Situation, in der wir in nie gekanntem Maß durch drei Generationen – in großer Zahl – gemeinsam die Gesellschaft gestalten können – – Früher waren wenige ältere, weise Menschen schon eine Besonderheit. Heute haben wir jede Menge älterer Menschen, die ihre Kompetenz, ihre Erfahrung einbringen können. Das müssen wir nutzen, und wir müssen den Zusammenhalt dieser Generationen nutzen.

Wenn man sich die Zahlen in diesem Heft anschaut, dann stellt man fest, dass schon große Herausforderungen bestehen. Frau Mielich hat das angesprochen. Denn in der Tat: Im Vergleich zu der Zahl derjenigen, die der Sandwichgeneration angehören – so möchte ich sie einmal bezeichnen –, die in der Mitte sind, die sozusagen für die beiden anderen Generationen sorgen sollen, nimmt die Zahl derer, die noch nicht erwerbstätig sind, also der Kinder und Jugendlichen, die zu versorgen und zu erziehen sind, die auch finanziell zu betreuen sind, und die Zahl der nicht mehr Erwerbstätigen dramatisch zu.

Daher glaube ich, dass wir die Potenziale der Älteren schon nutzen müssen. Ich sage mit leicht kritischem Unterton: Wer den Menschen vormacht, man könne von der Verlängerung der Lebensarbeitszeit wieder zurückgehen, streut den Menschen Sand in die Augen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Vielmehr muss es darum gehen, genau diejenigen zu unterstützen, die zu dieser Sandwichgeneration gehören. Auch da verstehe ich Ihre Kritik an der schwarz-gelben Koalition im Moment überhaupt nicht. Denn ein zentraler Kern der Entlas tungen ist doch die Entlastung genau dieser Sandwichgeneration in den Bereichen Kinder und Familie.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es ist der richtige Weg, dass wir dafür zumindest einmal die materielle Grundlage legen.