Protocol of the Session on May 13, 2009

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Dieses Wahlrecht wird und muss dadurch begrenzt werden, dass das Wohl des behinderten Kindes im Vordergrund steht.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Dieses Kindeswohl muss im Mittelpunkt aller Entscheidungen stehen. Deshalb muss auch jede Entscheidung, ob ein behindertes Kind in der allgemeinbildenden Regelschule oder in einer Sonderschule beschult werden soll, im Einzelfall getroffen und von Experten begutachtet werden.

Diese Forderung nach individueller Begutachtung schließt noch eine andere Forderung von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, von vornherein aus. Sie wollen ganze Gruppen von Sonderschulen abschaffen. Das ist ein Unding. Es gibt z. B. auch Kinder mit Sprachbehinderungen, die mit ein paar Stunden Sonderpädagogik in der Woche nicht auskommen. Es gibt Kinder, die den schützenden Raum einer Sonderschule, die intensive Förderung, die dort möglich ist, brauchen,

(Beifall bei der FDP/DVP)

eine Förderung, die aber immer darauf abzielt, den Besuch einer allgemeinbildenden Regelschule so schnell wie möglich wieder zu ermöglichen. Ich kann nur davor warnen: Niemand sollte damit anfangen, unsere Sonderschulen im Land schlechtzureden.

Wir Liberalen halten an dem baden-württembergischen Sonderschulsystem fest. Da gibt es kein Vertun. Wir alle haben den Bildungsbericht zur sonderpädagogischen Förderung auf den Tisch bekommen. Dieser umfangreiche und sehr beeindruckende Bericht belegt mit vielen Daten: Baden-Württemberg hat ein hoch differenziertes und sehr erfolgreiches Sonderschulsystem, das auf jeden Fall erhalten werden muss,

(Beifall bei der FDP/DVP)

zum Wohl der Kinder, die mehr und eine intensivere Förderung benötigen.

Aber wir wünschen uns eines – da kehre ich zum Anfang meiner Ausführungen zurück –: Wir wünschen uns neben den erfolgreichen Formen der Kooperation zwischen allgemeinbildenden Schulen und Sonderschulen, die es in unserem Land in beeindruckender Zahl gibt, die Möglichkeit, behinderte und nicht behinderte Kinder zieldifferent zu unterrichten, das heißt in einer gemeinsamen Klasse, aber nach unterschiedlichen Bildungsplänen. Bisher war das in unserem Land nur in Schulversuchen möglich. Die Freie Waldorfschule Emmendingen war ein solcher Schulversuch.

Wir halten diese Unterrichtsform deshalb für so notwendig, weil auf diese Weise noch mehr behinderte Kinder als bisher in einer allgemeinbildenden Regelschule beschult werden können. Andere Bundesländer sind hier schon weiter. Dazu müssen natürlich die Rahmenbedingungen gegeben sein, und zwar die räumlichen Voraussetzungen, kleine Lerngruppen und auch Lehrer mit einer entsprechenden Ausbildung.

Beim Thema Inklusion geht es natürlich auch um die Rechte und Bildungschancen der nicht behinderten Kinder, die mit behinderten Kindern zusammen in einer Klasse unterrichtet werden. Es geht darum, das Vertrauensverhältnis von Eltern und Schule zu bewahren, das darauf beruht, dass alle Kinder, die in einer Schule zusammen unterrichtet werden – behinderte und nicht behinderte –, die für sie nötige Unterstützung und Förderung bekommen.

Ihr Antrag, verehrte Kollegen von der SPD, greift dieses Thema der Inklusion auf und macht konkrete Vorschläge zur Umsetzung. Wir sehen so wie Sie in vielen Punkten Entwicklungsbedarf. Ich möchte Sie dennoch bitten, sich unserem Änderungsantrag anzuschließen.

Wir wollen die Möglichkeiten der sonderpädagogischen Förderung und das Wahlrecht der Eltern in unserem Land erweitern und ausbauen, aber wir wollen dies mit der nötigen Sorgfalt tun, unter Einbeziehung der Erfahrungen anderer Bundesländer und natürlich auch mit Blick auf das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Was bedeutet dieses Übereinkommen für unser Bildungssys tem, und was müssen wir gegebenenfalls ändern? Da sind noch manche Fragen offen. Deshalb sollten wir uns heute noch nicht auf Details festlegen, sondern mit Sorgfalt – und, wenn Sie wollen, gern gemeinsam – unser Bildungssystem weiterentwickeln, damit das, meine Damen und Herren, was wir in unseren Sonntagsreden ja alle gemeinsam immer wieder gern fordern, noch mehr Realität wird: eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an unserer Gesellschaft, auch der Menschen mit Behinderungen, und zwar mitten in unserer Gesellschaft.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vom Kultusminister angekün

digten Änderungen bei der Sonderschulpflicht in BadenWürttemberg sind ein erster Schritt, aber weitere Schritte müssen folgen. Seit Jahren drängt die SPD auf ein echtes verbindliches Wahlrecht der Eltern. Bislang haben die Regierung, der Kultusminister und auch die Koalition einschließlich der Fraktion der FDP/DVP sämtliche Initiativen unsererseits in diese Richtung abgelehnt. Ihre Ankündigung, Bildungskonferenzen einzurichten, die Empfehlungen abgeben – Sie haben es gerade nochmals deutlich gemacht, Frau Arnold –, bedeutet eben kein echtes Elternwahlrecht. Deswegen werden wir Ihren Änderungsantrag Drucksache 14/4471 ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Die Eltern haben, wenn sie ein behindertes Kind gemeinsam mit nicht behinderten Kindern unterrichten lassen wollen, einen Hürdenlauf zu erleiden. Viele Eltern schicken ihr Kind nicht freiwillig auf Sonderschulen, sondern es gibt eine Pflicht für die Kinder, dort hinzugehen. Sie werden dort eingewiesen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Stimmt doch gar nicht!)

Nun ist zwar Bewegung aufgekommen, aber der Kultusminis ter ist hier nicht Handelnder, sondern Getriebener. Letztendlich haben die Eltern in Emmendingen einiges erreicht; meine Kollegin Wonnay wird nachher noch Näheres dazu sagen. Elternverbände haben sich schon seit Langem massiv für inklusive Maßnahmen eingesetzt. Ich nenne hier stellvertretend auch die Lebenshilfe. Letztendlich ist der Kultusminister nun Getriebener durch die Ratifizierung des Artikels 24 der UNKonvention. Darin enthalten ist – meine Damen und Herren, das ist etwas qualitativ deutlich Entscheidendes –: Es besteht eine Pflicht für den Staat, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten.

Inklusive Bildung, meine Damen und Herren, ist somit ein Menschenrecht wie das Recht auf Leben oder das Recht auf Freiheit. Es darf nicht davon abhängig sein, ob eine Regierung einsichtig ist oder uneinsichtig ist. Es darf nicht länger an irgendwelche Voraussetzungen wie gerade eben beschrieben gebunden sein, und es darf nicht unter einem Ressourcenvorbehalt stehen, sondern es muss tatsächlich vom Staat umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt – ich will es noch einmal deutlich sagen –: Der Staat hat die Verpflichtung, Ressourcen für ein inklusives System für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit Behinderungen und Kindern ohne Behinderungen zu sichern. Eine „graue Integration“ oder eine „graue Inklusion“, wie wir sie immer wieder erleben, wird von uns nicht akzeptiert. Die Landesregierung – das steht im Widerspruch zu dem, was jetzt verkündet wird – hat die wenigen integrativen Schulentwicklungsprojekte, die noch bestanden, Stück für Stück abgeschafft. Das war letztendlich auch der Auslöser für die Entwicklung in Emmendingen. Das sind bisher alles erfolgreiche Modelle gewesen; es kann also niemand behaupten, dass eine gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit Behinderungen und Kindern ohne Behinderungen nicht erfolgreich wäre.

Dies haben wir übrigens auch in den fünf Schulversuchen zur Zeit der Großen Koalition eindeutig belegt. Außenklassen, wie

sie nun von Ihnen favorisiert werden, sind kein adäquater Ersatz für eine tatsächlich inklusive Unterrichtung. Sie sind mehr oder weniger zufällig bzw. hängen davon ab, wie die Lehrkräfte agieren wollen.

Das Elternwahlrecht, meine Damen und Herren, ist natürlich eng verbunden mit der Unterstützung durch Sonderpädagogen. Es geht also darum, an der allgemeinbildenden Schule die Voraussetzungen für eine Inklusion zu schaffen. Der Sonderpädagoge geht zum Kind und nicht mehr das Kind zum Sonderpädagogen.

Wir halten dafür allerdings einige Rahmenbedingungen für notwendig.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Siehste!)

So sind wir der festen Überzeugung, dass eine Inklusionsklasse nicht mehr als 20 Kinder haben darf und dabei nicht mehr als fünf behinderte Kinder. Außerdem brauchen wir das Zweiklassenlehrerprinzip.

In vielen Ländern, meine Damen und Herren, ist das, was ich gerade beschrieben habe, eine Selbstverständlichkeit. Behinderte Kinder lernen gemeinsam mit nicht behinderten Kindern. Denken Sie z. B. an die skandinavischen Länder. Dort hat die sozialstaatliche Tradition zu dieser Regelung geführt. Chancengleichheit findet dort tatsächlich statt. Oder nehmen Sie Italien. Auch Italien hat bei dieser Frage einen gesellschaftlichen Konsens. Nur in Deutschland hat die Schule eine andere Tradition, ausgehend von einer Stände- oder Klassengesellschaft. Bis heute gibt es massive Kräfte und Leute, die auf ihre Privilegien abheben und sich gegenüber den anderen Schularten abschotten.

Wer die UN-Konvention ernst nimmt, muss das Schulsystem umbauen. Ein wirklich inklusives Bildungssystem ist für alle Kinder geeignet. Dass dieser Prozess nicht von heute auf morgen umzusetzen ist, ist auch mir klar. Wir werden einen Zeitraum von etwa zehn Jahren brauchen, dann werden die meis ten behinderten Kinder eine Regelschule besuchen.

Die SPD will die Sonderschulen nicht abschaffen. Aber eine solche Regelung, wie ich sie gerade dargestellt habe, wird natürlich Auswirkungen auf die Sonderschulen haben. Deren Zahl wird kleiner werden. Die Sonderpädagogen – ich sage es noch einmal – arbeiten dann an der Regelschule. Nicht das Kind geht zum Lehrer, sondern der Lehrer geht zum Kind.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Da machen Sie es sich aber ziemlich einfach, Herr Zeller!)

Das gilt übrigens auch für den Kindergartenbereich.

Deswegen, meine Damen und Herren, fordern wir, dass das Schulgesetz endlich im Sinne des Artikels 24 der UN-Konvention novelliert wird. Das begehrt auch unser Antrag. Das wollen wir letztendlich verankert haben. Bedauerlicherweise hat die Landesregierung Abschnitt I unseres Antrags überhaupt nicht beantwortet. Aber wir werden Gelegenheit haben, darüber im Schulausschuss noch intensiver zu sprechen.

Meine Damen und Herren, jetzt geht es nicht mehr darum, ein bisschen „rumzufummeln“ und ein bisschen zu korrigieren. Jetzt geht es wirklich darum, den entscheidenden Schritt zu

tun, das Elternwahlrecht einzuführen und das, was Artikel 24 der UN-Konvention vorschreibt, auch tatsächlich umzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Wonnay.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen ungewöhnlichen Antrag für eine ungewöhnliche Schule begründen. Die integrative Waldorfschule in Emmendingen schreibt seit 13 Jahren eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte bei der Integration von Kindern mit Behinderungen. Das verdient unser aller Anerkennung und Respekt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Die Schule, die vor 13 Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, die ich seit 13 Jahren begleite – liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns gerade an dieser Stelle nicht an dem beliebten Spiel beteiligen: Wer hat denn das Engagement für die integrative Waldorfschule erfunden? –, hat es verdient, dass sie ohne Wenn und Aber Unterstützung findet.

In diesen vergangenen Jahren wurde aufbauend eine herausragende Integrationsleistung betrieben, die ganz hohe Akzeptanz und Anerkennung findet, nicht nur in Emmendingen, sondern auch in der gesamten Region. Davon kündet die Resolution der Stadt Emmendingen für den Erhalt und die Fortführung dieser wichtigen Arbeit. Davon kündet aber auch der gemeinsame Einsatz von uns drei Wahlkreisabgeordneten – Marcel Schwehr von der CDU-Fraktion, Dieter Ehret von der FDP/DVP-Fraktion und mir selbst – über Jahre hinweg. Wir haben uns in vielen Briefen und in vielen Gesprächen für die Fortführung dieser erfolgreichen Arbeit eingesetzt.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen – das kann ich Ihnen am heutigen Tag nicht ersparen –, in den vergangenen Jahren wurde auch dafür gesorgt, dass diese Erfolgsgeschichte ein Stück weit zur Leidensgeschichte wurde.

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)