Herr Staatssekretär Wacker, ich habe mich über Ihre Argumentation etwas gewundert. Es ist natürlich klar, dass man den Zeugen Jehovas mit solchen Argumenten, wie Sie sie vorgetragen haben, dass sie sich in ihren Sitten und Gebräuchen nicht an die Kirchen anlehnten, nicht den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verweigern kann. Es ist doch der Inhalt der Glaubensfreiheit, dass man glauben kann, was man möchte. Da muss man sich nach niemandem richten. Da wundert es mich nicht, dass Sie zu einer solchen Entscheidung kommen.
Das systematische Argument für die Verweigerung der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, dass sie ihre Mitglieder dazu anhalten, nicht wählen zu gehen.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Eben!)
Wenn diese Religionsgemeinschaft damit erfolgreich wäre, würde das die Grundlagen der Demokratie systematisch untergraben
und das Wichtigste an der Demokratie, nämlich Wahlen, unmöglich machen. Dann könnte der Staat nicht mehr existieren.
Das entscheidende Argument, warum man das einmal durchfechten muss bis zum Bundesverfassungsgericht, ist, dass der Staat Religionsgemeinschaften, die ihre Mitglieder dazu aufrufen, nicht zu wählen, solche Privilegien nicht zuerkennen darf. Das darf auf jeden Fall nicht sein. Nur darum kann es gehen.
Herr Kollege Kretschmann, um das ganz klar zu sagen: Das ist genau der Punkt, der natürlich auch uns aufregt. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.
Das entspricht natürlich nicht den demokratischen Gepflogenheiten unserer Gesellschaft, weil wir von allen gesellschaft
lichen Gruppen erwarten, aktiv an der demokratischen Gesellschaft teilzunehmen, sich aktiv an den Wahlen zu beteiligen bzw. sich auch dafür zu engagieren.
Aber ich sage noch einmal: Diese Entscheidung ist keine isolierte Einzelentscheidung des Landes Baden-Württemberg. Zweitens ist es keine Entscheidung, mit der wir sozusagen die Speerspitze gegenüber anderen Bundesländern darstellen. Denn die meisten Bundesländer haben gerade aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aufgrund des Berliner Urteils diese Entscheidung gefällt. Das Bundesverfassungsgericht – da bitte ich Sie ganz herzlich, bevor Sie sich in dieser Frage positionieren, hier höchstrichterlichen Rat einzuholen – sagt präzise,
dass im Grunde auch bei einem Aufruf, nicht zur Wahl zu gehen, noch nicht die Rechtstreue gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat infrage zu stellen ist. Die Hürden werden hier, gerade in Abwägung mit dem Prinzip der Religionsfreiheit in unserer Verfassung, seitens des höchsten Gerichts in Deutschland durchaus sehr hoch gesetzt.
Deswegen wäre es ein hohes Prozessrisiko seitens des Landes Baden-Württemberg, wenn wir diesen Weg nicht gehen würden. Seien Sie sicher, dass auch andere Bundesländer mit einer ähnlichen Regierungskonstellation wie Baden-Württemberg die gleiche juristische Prüfung vorgenommen haben. Wir befinden uns hier nicht in einem isolierten Rechtszustand, sondern im Konvoi aller Bundesländer. Wir müssen diesen Weg gehen. Deswegen haben wir uns meines Erachtens dieser bundesrichterlichen Vorgabe auch diesbezüglich zu beugen.
Herr Staatssekretär, Sie hatten zunächst gesagt, dass Sie die Entscheidung vertagt hätten, das Gespräch mit den Kirchen suchten und auch die rechtlichen Möglichkeiten noch einmal prüften. Das steht aus meiner Sicht im Widerspruch zu dem, was Sie jetzt gerade gesagt haben. Sie haben gerade behauptet, es gebe keine rechtlichen Möglichkeiten, anders zu reagieren. Deshalb frage ich mich jetzt: Warum ist die Entscheidung nicht schon gestern gefallen, wenn das tatsächlich der Fall ist?
Es ist nicht so, dass Baden-Württemberg damit die Speerspitze wäre. Es gibt da noch andere Länder. Berlin hat sehr lange rechtlich gefochten – auch nach 2001; das wissen Sie –, und das ging noch weitere vier Jahre, bis das durchgefochten war. Dabei ist auch die Frage, auf welcher Grundlage das Gericht diese Entscheidung gefällt hat. Auch das Land RheinlandPfalz behält sich hier den gerichtlichen Weg vor.
Ich stelle die Frage: Gibt es die Möglichkeit, hier den gerichtlichen Weg tatsächlich zu beschreiten? Da sehe ich einen Widerspruch in Ihren Ausführungen. Wie geht es denn jetzt eigentlich weiter?
Wir haben im Kabinett natürlich über diese Frage gesprochen. Wir haben zunächst einmal festgestellt, dass eine umfassende Rechtsprüfung vollzo
gen wurde, wir aber gleichzeitig das Ziel verfolgen, bezüglich der Bewertung einen Konsens mit den anderen anerkannten Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg zu erzielen. Deswegen werden wir das Gespräch auch mit den vier Kirchen in Baden-Württemberg führen.
Wir weisen darauf hin, dass wir diesen Weg sehr gern vermeiden würden, wenn wir es könnten. Aber es ist eine Frage der Güterabwägung, ob es ratsam ist, entweder selbst diese politische Entscheidung jetzt herbeizuführen, nachdem die meis ten anderen Bundesländer nach umfassender Rechtsprüfung diesen Schritt gegangen sind, oder ob wir uns in Kürze dazu verklagen lassen sollten, was am Ende zum gleichen Ergebnis führen würde. Insofern ist es auch eine Frage der Vernunft, politisch damit umzugehen. Deshalb haben wir diesen Vorschlag auf Anerkennung im Ministerrat eingebracht.
Herr Staatssekretär, trügt mich meine Kenntnis, dass es in den Vorverfahren besonders viele Zweifel an der Verfassungstreue der Zeugen Jehovas gab, die gerade aus unserem Land, aus Baden-Württemberg, genährt wurden? Wie viele Länder haben sich denn überhaupt zur Frage der Verfassungstreue geäußert? Waren wir dabei?
Es haben sich, wie gesagt, alle 16 Bundesländer in dem gemeinsamen Abstimmungs- und Erörterungsverfahren dazu positioniert. Es gab seitens dreier Bundesländer hinsichtlich der Verfassungstreue Bedenken, die ursprünglich eingebracht wurden, einmal vom Bundesland Bayern, dann vom Bundesland Thüringen und dann vom Bundesland Baden-Württemberg. Wir haben in Baden-Württemberg auf die Einzelfälle hingewiesen, die Ihnen bekannt sind und bei denen es zu sehr bedauerlichen Einzelschicksalen kam. Aber nach rechtlicher Prüfung – und damit schließt sich mein Argumentationskreis – ist dies im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend, um es rechtlich stichhaltig ins Feld führen zu können.
Wir haben uns also anfangs dieser Position durchaus bemächtigt, indem wir gemeinsam mit Bayern und Thüringen die Bedenken eingebracht haben.
Herr Staatssekretär, was besteht denn für ein Prozessrisiko, wenn Sie mit den Fakten, die wir haben, diese Frage bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten? Selbst dann, wenn wir verlieren, ist es ja nicht schlechter als jetzt, wo Sie es genehmigen wollen. Worin besteht da das Risiko?
Weil nach unserer Rechtsauffassung und eingehender Erörterung in den Kreisen, die ich eben erwähnt habe, der Sachverhalt im Grunde ziemlich eindeutig ist, dass wir am Ende dazu verpflichtet werden, die se Anerkennung auch zu vollziehen. Insofern ist meines Erachtens eine weitere Überlegung hinfällig.
Wir nehmen natürlich gern noch einmal eine abschließende Prüfung vor, gern auch im Abstimmungsprozess mit den Kirchen, aber wir sind der Auffassung, dass wir am Ende keine Möglichkeit haben, diese Anerkennung zu verweigern, so gern wir es auch täten.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für besser, wenn ein Gericht Sie dazu zwingt, diese Anerkennung auszusprechen, als wenn Sie es freiwillig tun?
(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ja! – Zurufe: Sehr gut!)
Dieselbe Frage hat Herr Kollege Kretschmann sinngemäß gestellt. Insofern verweise ich auf meine Antwort von eben, Herr Kollege.
Ich finde es schon merkwürdig, dass man in ein Abstimmungsverfahren geht, dessen Ende man schon kennt – das nur einmal so nebenher.
Ich frage mich, warum ein solches Abstimmungsverfahren mit den Kirchen notwendig ist, wenn man schon vorher sagt, es gebe keine Möglichkeiten, in irgendeiner Weise rechtlich dagegen vorzugehen.