Protocol of the Session on June 29, 2006

Deswegen haben wir damit auch eine große Verantwortung übernommen. Ich erinnere an das Konsultationsverfahren, das dann das Konnexitätsprinzip wirklich in die Praxis umsetzt.

Aber Einfluss auf den Gang der Dinge kann überhaupt nur jemand haben, der sie durchschaut. Deswegen waren Transparenz und eine klare Zuständigkeit der Verantwortlichkeiten das absolute Grundprinzip, mit dem man an die Reform herangehen musste. An dem, was die Leute nicht mehr durchschauen, können sie nicht teilnehmen. Sie wenden sich dann von der Politik ab, weil zum Schluss Blockadesituationen auftreten, wo jeder die Schuld auf den anderen schiebt, wenn etwas nicht gelingt.

Nehmen wir einmal den Umweltbereich. Es gab einen Vorschlag von Ministerpräsident Müller und mir, im Umweltbereich alle Kompetenzbereiche, die anlagebezogen sind, also direkt etwas mit der Wirtschaft zu tun haben, auf die Bundesebene zu verlagern, dafür alle ortsbezogenen, regionenbezogenen Teile der Umweltpolitik auf die Länder zu verlagern, wie den Naturschutz, die Landespflege und Ähnliches mehr. Das war nicht durchsetzbar, weil der Bund selber niemals wirklich Angebote gemacht hatte – außer Jagd, Freizeitlärm und Notariatswesen. Noch nicht einmal bei der Jagd traut man den Ländern zu, dass es dort auch Freiheit und Differenzen gibt, sodass wir jetzt die makabere Situation haben, dass das Jagdrecht mit Ausnahme der Zuständigkeit für den Jagdschein bei den Ländern liegt. Der Jagdschein hat es geschafft, in die deutsche Verfassung zu gelangen. Das muss man sich wirklich einmal vorstellen!

Deswegen gibt es aus den Reihen der Fachpolitiker, auch aus meiner Fraktion, im Umweltbereich Kritik an diesen Abweichungsrechten. Wir werden in den nächsten zehn Jahren sehen, ob sich diese Abweichungsrechte bewähren oder nicht. Damit betreten wir ja Neuland.

Insofern kann man zufrieden sein mit dem, was erreicht worden ist, vor allem wenn man es mit der ersten Verfassungskommission nach der deutschen Einheit vergleicht, die fast überhaupt nichts erreicht hat. Daran gemessen sieht man den großen Erfolg, den wir jetzt erzielt haben, nämlich dass die Hälfte der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bund durch eine Änderung des Artikels 84 des Grundgesetzes weggefallen ist und wir dadurch viele Blockadesituationen aufgelöst und mehr Transparenz erreicht haben.

Jetzt kommt die zweite, auch sehr wichtige Runde. Denn was nützten die Kompetenzen, wenn das Geld fehlt? Wir müssen uns also in der zweiten Runde auf ein noch schwierigeres Terrain begeben: die Änderung der Finanzbeziehungen, einen fairen Finanzausgleich, der den Kompetenzänderungen auch wirklich folgt; und schließlich hängt damit ja auch das Problem der Neugliederung der Länder zusammen.

Herr Kollege Schüle, ich muss Sie und die Union jetzt allerdings warnen, solche Reden zu führen, wie Sie das eben getan haben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Die Angst vor einem Wettbewerbsföderalismus besteht ganz generell bei allen neuen Bundesländern,

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja! Auch bei den unionsge- führten!)

auch bei den unionsgeführten.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das bestreitet nie- mand!)

Das kam in der Föderalismuskommission ganz deutlich zum Ausdruck. Ich halte diese Angst jedoch für unberechtigt, wenn man unter „Wettbewerb“ den Wettbewerb um die besten Ideen versteht – also das, was man Neudeutsch „Best Practice“ nennt. Wenn man also – um noch einmal so einen scheußlichen Anglizismus zu verwenden – den internen Benchmark

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen)

angewendet, dann macht das Sinn. Ziel ist, dass eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse durch die beste Praxis in einem Bundesland entsteht, die andere, logischerweise angepasst an ihre jeweiligen regionalen Verhältnisse, übernehmen werden. Denn ein so kompliziertes Gemeinwesen wie die Bundesrepublik Deutschland kann nur so gesteuert werden. In vielen Bereichen kann man eben nicht mehr „durchregieren“, sondern muss sich von einer gelebten Praxis aus von unten mit guten Ideen nach der Decke strecken.

Aber wenn Sie, Kollege Schüle, jetzt zu dem Begriff Wettbewerb auch noch den Begriff Konkurrenz hinzunehmen, dann werden wir scheitern. Es ist nicht unsere Absicht, andere Bundesländer niederzukonkurrieren. Das kann niemals Sinn und Zweck der Politik in einem einheitlichen Bundesstaat sein, sondern unsere Absicht ist, durch gute Praxis gute Beispiele zu geben, denen andere folgen können. Nur mit einer solchen Tonlage sind Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat möglich.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD und Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Deswegen hat auch Ministerpräsident Teufel das Wort „Wettbewerbsföderalismus“ absichtlich in der Kommission nie verwendet, weil das eben diese Ängste hervorgerufen hat. Deswegen bitte ich, da jetzt nicht – wie es schon der Ministerpräsident getan hat – mit einem solchen napoleonischen Gestus zu kommen oder sich auf württembergische Fürsten zu berufen.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Natürlich hat Napoleon hier eine riesige Flurbereinigung gemacht. Aber die Zeiten, in denen ein Usurpator von oben agiert hat, sind wohl Gott sei Dank vorbei.

(Beifall und Heiterkeit bei den Grünen und Abge- ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Heute braucht man dazu demokratische Mehrheiten.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

Deswegen würde ich für die schwierigen Finanzverhandlungen eine Tonlage empfehlen, aus der deutlich wird: Wenn wir den Mut haben, Kompetenzen nach unten zu delegieren, zum Beispiel, wie der Kollege Drexler gesagt hat, bei den Steuern, die uns ohnehin zustehen – da muss man natürlich in manchen Bereichen einen Steuertausch machen,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die Kfz-Steuer, richtig!)

zum Beispiel müsste man die Kfz-Steuer gegen die Versicherungsteuer tauschen, weil die Kfz-Steuer natürlich eher bundeseinheitlich geregelt sein muss; das einmal als kurze Einfügung –, wenn wir endlich auch als Eigenstaat nicht nur über unser Personal, sondern auch über die Einnahmeseite bestimmen wollen, dann brauchen wir ein Klima des Vertrauens zwischen Nehmer- und Geberländern; nur dann werden wir Erfolg haben. Deswegen bitte ich darum, bei diesen Debatten die Tonlage des tagespolitischen Kampfes herauszunehmen und Reden zu führen, die auf einen Konsens hin orientiert sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Kretschmann in einem Punkt ausdrücklich zu:

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Nur in einem?)

Wir brauchen weder eine Rückorientierung auf einen Grafen Eberhard oder einen Herzog noch einen „NesenbachNapoleon“, sondern es ist tatsächlich so, dass wir hier im Landtag von Baden-Württemberg über alle Fraktionen hinweg eine große Übereinstimmung in der Bewertung der Fö

deralismusreform haben. Wenn wir jetzt, am Vortag einer Verabschiedung im Deutschen Bundestag, wie sie angekündigt ist, die Frage stellen: „Stehen wir jetzt vor einem historischen Moment?“, so müssen wir, glaube ich, eine ganz nüchterne Bewertung vornehmen und fragen: Wo sind die Vorteile und wo sind die Nachteile dieser Reform?

Wenn man dann ins Detail einsteigt, findet man eine ganze Reihe von Punkten, wo es offenbar tatsächlich gelungen ist, die Kompetenzen zu entflechten und klarer zuzuordnen. Das ist vorteilhaft. Vor allem die viel beklagte Blockade zwischen Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits wird doch in vielen Bereichen aufgehoben, auch wenn da die Zahlen noch ein bisschen auseinander gehen. Die einen sprechen davon, dass statt der früher 60 % zustimmungspflichtigen Gesetze nur noch 35 bis 40 % zustimmungspflichtig seien; andere gehen davon aus, dass es in Zukunft sogar nur noch 25 % sind. Ich glaube, es ist müßig, darüber jetzt zu philosophieren. Klar ist, dass die Zustimmungspflicht abnimmt. Das bedeutet, dass wir, die Länder, die Landesregierung, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Bundesrat aufgeben, damit der Bund in vielen Bereichen schneller handeln kann und Reformblockaden aufgehoben werden. Umgekehrt war es natürlich auch richtig und wichtig, dass dann im Gegenzug die Kompetenzen der Länder gestärkt und damit auch die Rechte der Landtage erweitert werden.

Insofern begrüßen wir die Vorschläge der Föderalismusreform, tragen sie in der Landesregierung und im Landtag mit und halten sie für einen kleinen, aber wichtigen Schritt in die richtige Richtung. In der Bewertung würden wir sagen, es gibt ein leichtes Chancenplus, auch wenn es noch erhebliche Bedenken gibt und auch wenn man bei bestimmten Punkten sagen muss, es hätte weiter gehen müssen, es hätte weiter gehen können. Das heißt, es sind realistische Verbesserungen, aber es ist nicht der große Wurf erzielt worden.

Das bedeutet ganz klar: Wir tragen das mit, weil wir das wollen. Es waren ja auch führende FDP-Politiker aus dem Land Baden-Württemberg, die frühzeitig eine Föderalismusreform eingefordert haben und konkrete Vorschläge dazu entwickelt haben. Das Stichwort Wettbewerbsföderalismus ist ein Thema, das zum Beispiel die Friedrich-Naumann-Stiftung als einer der Ersten in der Bundesrepublik Deutschland zum Thema gemacht hat. Ich meine, dass in einer Welt – wenn man das philosophisch betrachtet –, die sich sehr stark verändert und in der man nicht genau voraussagen kann, wie sich die Zukunft entwickelt, gerade das Prinzip, das Friedrich August von Hayek wissenschaftlich klar formuliert hat, vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, von Versuch und Irrtum, der richtige Weg ist, weil wir nicht genau wissen, welche Lösungen die Antwort auf die Zukunftsfragen sind. Insofern plädieren wir für mehr Mut, was Wettbewerbsföderalismus angeht, vor allem in den entscheidenden Fragen, die jetzt noch nicht angepackt wurden.

Ich freue mich, dass hier auch eine große Einigkeit zwischen den Fraktionen besteht – sowohl bei den die Regierung tragenden als auch bei denen der Opposition –, dass als nächster großer Punkt die Finanzreform kommen muss. Das ist ja auch der Punkt, bei dem sich beispielsweise die FDP-Bundestagsfraktion sehr schwer tut, weil das jetzt bei

der Veränderung nicht mit dabei ist. Ich meine, wir brauchen als Land Baden-Württemberg dringend Freunde und Verbündete im Deutschen Bundestag, weil die Geberländer, die Nettozahlerländer, in der Bundesrepublik Deutschland allein nicht durchkommen werden mit den Veränderungen, die beim Länderfinanzausgleich dringend erforderlich sind. Es kann ja nicht sein, dass, wie es im vergangenen Jahr der Fall war, bei geschätzten Steuermehreinnahmen von rund 300 Millionen € zum Schluss nur etwa 24 Millionen € bei uns verbleiben. Das ist doch kein Leistungsanreiz.

Ich sage an dieser Stelle – und davon sind wir zutiefst überzeugt –: Wenn hier keine Änderung kommt, dann wird dies auf Dauer das politische Gefüge der Bundesrepublik Deutschland erschüttern. Dann wird es auch den Zusammenhalt der Bundesrepublik Deutschland erschüttern. Da braucht man nicht nach Italien zu schauen, wo der Streit zwischen Mezzogiorno und Norditalien zu schweren Erschütterungen des Parteienspektrums geführt hat, sondern da kann man auch auf den Zukunftsforscher Matthias Horx verweisen, der die Befürchtung geäußert hat, dass auch in Deutschland divergierende Interessen kommen, wenn es nicht gelingt, Nettozahlerländer hier stärker zu berücksichtigen, damit diejenigen, die das Geld erwirtschaften, dieses nicht in Verteilungssystemen abgeben müssen und dann nicht den ihnen gebührenden Anteil davon haben.

Wir fordern also als FDP ganz klar eine Reform des Länderfinanzausgleichs. Es muss jetzt die Finanzreform kommen

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Wollt ihr eine Reform oder eine Abschaffung? – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Reform!)

mit einer echten Steuerautonomie über die Grunderwerbsteuer hinaus.

Wichtig ist uns auch ein echtes Neuverschuldungsverbot. Von den 16 Bundesländern können 11 ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen; das bedeutet, er ist teilweise nicht mehr verfassungsgemäß. Das heißt, wir sind hier in einer echten Finanzkrise. Ich möchte darauf in der zweiten Runde noch eingehen. Wir müssen uns jetzt mit dem Blick nach vorne ganz klar auf die Notwendigkeit einer echten Reform des Länderfinanzausgleichs konzentrieren, der wieder mehr Geld bei den Nettozahlerländern belässt und klare Anreize dafür schafft, die eigenen Haushalte in Ordnung zu bringen, Wirtschaftsförderung vor Ort zu betreiben, schlanke Institutionen aufzubauen. Das ist jetzt das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Stächele.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Genugtuung in allen Gesichtern, auch beim Kollegen Theurer. Ich denke, wir haben allen Grund, zu sagen: Das, was jetzt erreicht worden ist, ist gut. Natürlich gibt es auf die Frage, lieber Kollege Kretschmann, immer ein Ja und ein Nein. Aber wir sind Realisten genug, um zu wissen: Keiner kann in die Verhandlungen hi

neingehen und mit der kompletten Verwirklichung seiner Konzepte wieder herauskommen.

Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit vielen Bundespolitikern zu sprechen. Wenn man auf dieses Thema kommt, hat man den Eindruck, dass die Bundespolitiker das Gefühl haben, die Länder hätten nicht schlecht abgeschnitten. Das bestätigt, dass wir als Länder und wir als Land Baden-Württemberg durchaus erfolgreich mitgewirkt haben.

Ich will auch ausdrücklich dafür danken, dass dies in einer Gemeinschaftsaktion des Parlaments möglich war. Kollege Drexler war beteiligt, Kollege Kretschmann war beteiligt. Wir wollen auch unserem früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel danken, der von vornherein bei dieser Diskussion den Grund gelegt hat. Er hat den Gedanken der Subsidiarität – das war sein Gedanke – eingebracht und in seiner beispielhaften Hartnäckigkeit dafür Sorge getragen, dass dies auch die Verhandlungen durchzogen hat; das war ganz wichtig.

Ich habe den Eindruck, dass das, was jetzt zum Stehen kommt – ich gehe davon aus, dass das morgen stimmig wird mit einer Zweidrittelmehrheit –, auch gut in unsere neuen Vorsätze für die Parlamentsarbeit hier in Baden-Württemberg passt. Denn uns kann ja recht sein, wenn die alleinige Zuständigkeit für bestimmte Bereiche dazukommt, weil wir dann in der Tat, zum Beispiel im Hochschulbereich, Programme bezüglich ihrer Inhalte und deren Priorisierung hier besprechen können. Es war ja ein Grundgedanke dieser Reform, dass man sagt: Entflechtung muss her. Es blickt ja keiner mehr durch.

Übrigens war ich als Agrarminister bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ immer hin- und hergerissen. Im Grunde gibt es nur einen wichtigen Grund für deren Erhalt: Das ist die Komplementärfinanzierung mit der EU. Ansonsten müsste unsere Forderung der Renationalisierung der Agrarpolitik, wenn das zu Ende gedacht würde, in der Tat mit einer Aufgabe der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ beginnen. Auch diese Themen bleiben auf der Tagesordnung.