Protocol of the Session on October 16, 2002

Ich möchte Ihnen in der ersten Runde noch eines sagen: Wir wissen alle, dass Aussiedlerjugendliche signifikant beteiligt sind an schweren Straftaten und Gewalttaten,

(Abg. Junginger SPD: So ist es!)

auch an Sexualstraftaten. Bislang wird nahezu nichts zur Integration dieser Aussiedlerdeutschen getan. Wer da noch nicht angesetzt hat, darf sich hier nicht hinstellen und sagen: Mit tiefgreifenderen, schwerwiegenderen Maßnahmen bekommen wir das Problem in den Griff.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Abg. Capezzuto SPD: Setz noch einen drauf, Tho- mas!)

Ich versuche mein Bestes.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP/DVPFraktion, wie der Kollege Theurer immer so schön sagt, hat eine Aktuelle Debatte zum Thema „Für einen besseren Schutz vor gefährlichen Sexual- und Gewaltverbrechern“ beantragt.

(Abg. Drexler SPD: Populistisch!)

Die erste Frage, die sich bei dieser Formulierung stellt, lautet: Wer hat denn irgendwelche Einwände gegen einen Schutz vor Sexualstraftätern und Gewaltverbrechern?

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Niemand in diesem Haus!

(Abg. Theurer FDP/DVP: Das hört man gern! Sehr gut!)

Das ist die erste Feststellung, die es zu treffen gilt.

(Beifall bei den Grünen)

Herr Kollege Theurer und Herr Kollege Reinhart, auch wir sind für den bestmöglichen Schutz unserer Bevölkerung vor diesen Gewaltstraftätern,

(Abg. Theurer FDP/DVP: Also stimmen Sie zu!)

aber, Herr Kollege Theurer und Herr Kollege Reinhart, im Rahmen unserer Verfassung. Deswegen will ich Ihnen vorweg einmal aufzählen, welche Maßnahmen in der Vergangenheit, und zwar nur in den letzten zwei bis drei Jahren, von Gesetzgeberseite aus ergriffen worden sind, um diesen bestmöglichen Schutz im Rahmen der Verfassung zu gewährleisten.

Da gibt es zunächst einmal das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998. Da hat man mehrere Dinge beschlossen und in Gesetzesform umgesetzt.

Erstens: Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wurde auf weitere Fälle ausgedehnt und verschärft.

Ein zweiter Punkt war die Anwendung der Führungsaufsicht. Was passiert denn mit den entlassenen Gefangenen, die ihre Strafen verbüßt haben? Entlässt man die einfach in die Freiheit, oder welche Nachsorge, welche Nachbetreuung gesteht man ihnen zu? Das war ein zweiter Punkt, den man ausgedehnt hat.

Ein dritter Punkt waren die Strafrahmen. Wenn Sie jetzt schärfere Gesetze, schärfere Strafen für Sexualstraftäter und Gewaltstraftäter fordern, dann muss ich Ihnen sagen: Wir haben die Strafen schon mehrfach verschärft, und mehrfach hat auch die rot-grüne Bundesregierung in diesem Bereich gehandelt.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, dem Thema StraftäterUnterbringungsgesetz. Im März des vergangenen Jahres, kurz vor der letzten Landtagswahl, wurde im Landtag dieses Gesetzesvorhaben rucki, zucki durchgezogen. Wenn man sich nun die Praxis dieses Gesetzes anschaut, muss man doch zunächst einmal feststellen: Gesetze haben nur dann

Sinn, wenn sie in den konkreten Fällen, für die sie Anwendung finden sollen, auch greifen. Der Kollege Bebber hat es ja in seinen Ausführungen schon vorweggenommen: Das Gesetz hat bis jetzt in keinem einzigen Fall gegriffen, bei dem es um die nachsorgende Unterbringung von Sexualstraftätern gegangen ist. Sie können bisher keinen einzigen Fall nachweisen.

Herr Minister, ich werfe Ihnen vor: Wenn Sie mit einem solchen Gesetzesvorhaben, das Sie jetzt auch noch wiederholt in den Bundesrat einspeisen, dieses Thema immer wieder hochkochen, aber gleichzeitig nicht erwähnen, dass die Zahl der Sexualstraftaten im Land zurückgeht, dann machen Sie populistische Politik, und diese tragen wir nicht mit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Punkt, den ich erwähnen möchte: Wir haben mit dem Innenminister dieses Hauses, der dieser Debatte heute leider nicht beiwohnt, über die verlängerte Speicherung von Daten von Straftätern debattiert. Dieses Haus hat in seiner Mehrheit beschlossen, Sexualstraftäter bis zu 20 Jahre lang in Dateien zu erfassen. Nicht nur wir haben datenschutzrechtliche Probleme angemeldet; auch Datenschützer in der gesamten Republik und Verfassungsrechtler haben das getan. Nichtsdestotrotz hat die rot-grüne Bundesregierung – der Kollege Reinhart und auch der Kollege Theurer haben es erwähnt – ein am 27. August in Kraft getretenes Gesetz zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung auf Bundesebene verabschiedet – eine richtige und auch von unserer Fraktion der Grünen mitgetragene Maßnahme.

Ich sage Ihnen noch ganz kurz in dieser ersten Runde, warum nur dies und nicht mehr möglich ist. Ich meine, trotz aller Scheußlichkeit von Sexualstraftaten und auch von Gewaltstraftaten, über die wir hier ja auch reden müssen – es gibt auch Mord, es gibt Raubmord, es gibt nicht nur Sexualstraftaten –, können wir...

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Oelmayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Reinhart?

... – gleich! – als Gesetzgeber in Bund und Land immer nur im Rahmen der Verfassung agieren.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Dies hat die Bundesregierung getan. Man hat eine Anhörung mit Verfassungsrechtlern durchgeführt, um genau die Frage zu prüfen: Was macht man denn mit Straftätern, bei denen man sich nicht sicher sein kann, dass sie nicht neue Straftaten begehen, wenn sie nach verbüßter Strafe in die Freiheit entlassen werden? Was kann man in diesem Fall tun? Alle namhaften Verfassungsrechtler sind zur Auffassung gekommen: Gesetzesvorhaben wie das auf Erweiterung der Sicherungsverwahrung zum Beispiel können immer nur für die Zukunft gelten, weil in unserem Grundgesetz einfach ein Doppelbestrafungsverbot steht, und das zu Recht. Darüber können Sie sich nicht einfach hinwegsetzen. Das können Sie nur dann tun, wenn Sie eine verfassungsändernde Mehrheit haben. Wenn Sie die bekommen, kön

nen wir wieder darüber reden. Bis dahin gilt für uns die Verfassung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Oelmayer, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage.

Herr Kollege Dr. Reinhart.

Herr Kollege Oelmayer, Sie haben eben dargestellt, dass es in diesem Land keinen einzigen Fall gibt bzw. gegeben habe, der unter das baden-württembergische Unterbringungsgesetz zu subsumieren sei. Ist Ihnen entgangen, dass in Baden-Württemberg derzeit vier Antragsverfahren genau über diese Frage bei den Strafvollstreckungskammern anhängig sind, oder ist Ihnen das bislang nicht präsent gewesen?

Herr Kollege Dr. Reinhart, da haben Sie meinen Ausführungen nicht zugehört. Ich habe dargetan, dass bisher kein einziger Straftäter nach dem Straftäter-Unterbringungsgesetz weiterhin in Haft verblieben ist bzw. in die Sicherungsverwahrung – eine noch viel härtere Maßnahme – überführt worden ist. Ich gestehe Ihnen zu, dass Antragsverfahren laufen. Diejenigen aber, die bisher entschieden worden sind, sind negativ entschieden worden, weil sich die Gerichte eben auch an der Verfassung orientiert haben. Deswegen bin ich ja der Meinung, dass auch die Justiz hier korrektiv eingreifen wird. Insofern geht Ihre Frage natürlich ins Leere.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Oelmayer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abg. Blenke?

Wenn sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.

Das lässt sich kaum verhindern.

Es wird so sein. Dann darf ich doch geschwind in der ersten Runde zum Ende kommen. Ich habe nämlich noch zwei wichtige Punkte, die ich gern angesprochen hätte, Herr Kollege Blenke. Das können wir nachher gern auch noch bilateral erörtern.

Zwei wichtige Punkte: Eine seriöse Rechts- und Justizpolitik, meine Damen und Herren, wie ich sie mir auch im Land vom Justizminister dieses Landes erwartet hätte, hätte bedeutet, dass wir zunächst einmal hinsichtlich der Maßnahmen, die wir in den vergangenen Jahren ergriffen haben – von dem Gesetzesvorhaben 1998 im Bund über die Frage nachträglicher Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des Landesgesetzes bis hin zur Entwicklung der Zahl der Fälle von Sexualstraftaten und sonstigen gefährlichen Straftaten –, eine ordentliche Bestandsaufnahme bekommen, dass uns der Justizminister dieses Hauses dartut, wie die Entwicklungen im Land sind, und dass wir auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme über mögliche Maßnahmen

diskutieren müssen. Dies ist der Justizminister bis zum heutigen Tag jedenfalls schuldig geblieben. Er hat bisher mit wenigen – Gott sei Dank mit wenigen – Fällen argumentiert, die alle im Einzelfall schlimm für die Betroffenen sind – das wird doch überhaupt nicht in Abrede gestellt –, und ist den Beweis für die Notwendigkeit der strafrechtlichen Verschärfung, die er fordert, schuldig geblieben.

Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte – auch der wurde vom Kollegen Bebber schon genannt –: Wenn wir über die Frage reden, ob wir Menschen in Sicherungsverwahrung unterbringen, nachdem es im Strafvollzug offensichtlich nicht gelungen ist – wenn es also so ist, wie Sie sagen –, diese Menschen auf den rechten Weg zu bringen, dann haben wir die Pflicht und die Schuldigkeit – da ist die Landesregierung verantwortlich –, im Strafvollzug alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Menschen zu helfen. Denn auch die Täterarbeit ist letztendlich Opferschutz, und nur dann wird es uns gelingen, die Sexualstraftaten und auch die sonstigen schweren Straftaten im Rahmen unserer verfassungsrechtlichen Ordnung zurückzuführen und einzudämmen. Da ist die Landesregierung bisher wirklich jede Aktion und jede Initiative schuldig geblieben. Insofern richtet sich die von Ihnen beantragte Aktuelle Debatte eigentlich, muss man sagen, gegen Sie selber, weil Sie nicht dafür Sorge tragen, den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung im Land zu gewährleisten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kernfrage, um die es heute bei dieser Debatte geht, um die es geht, wenn wir nach einem Handlungsbedarf fragen und zu Recht fragen, ist doch die: Darf man einen Menschen, der entweder mehrere schwere Delikte oder ein besonders schweres Delikt begangen hat und bei dem uns die Leute, die ihn im Vollzug behandeln, die mit ihm zu tun haben, und außerdem zwei unabhängige Gutachter sagen, das werde in Sichtweite wieder passieren, einfach vor die Mauer stellen, wenn die Strafe abgelaufen ist? Das ist die Kernfrage, die übrigens diejenigen, die damit direkt zu tun haben, durchaus auch einmal abends noch persönlich beschäftigt. Kann man das machen, wenn man weiß, dass wieder etwas passieren wird? Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Frage zu stellen heißt sie beantworten.