Protocol of the Session on October 16, 2002

(Zuruf der Abg. Birgit Kipfer SPD)

Vor fünf Jahren hat Bayern dieses Thema bereits im Bundesrat aufgegriffen. Mittlerweile sind andere Länder hinzugekommen. Am Wochenende fand eine Konferenz mit Teilnehmern aus acht Bundesländern statt. Ich erachte für richtig, was dort gefordert wurde – unter Federführung unseres Landes und von Ihnen, Herr Justizminister. Man wird über den Bundesrat erneut initiativ werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Heute wird ja eine neue Bundesjustizministerin ernannt. Frau Herta Däubler-Gmelin war nicht einsichtig,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Na, na, na! – Abg. Theurer FDP/DVP: Deshalb wird sie abgelöst!)

und man hat die Entwürfe von CDU/CSU damals im Bundestag scheitern lassen – nur aus parteipolitischen, aber nicht aus sachlichen Gründen. Das war der Fehler, den wir hier ansprechen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Oelmayer GRÜNE: Herr Kollege Rein- hart, was halten Sie von verfassungsrechtlichen Gründen?)

Lieber Herr Kollege Oelmayer, Sie wissen, dass ich Sie mit Ihrer Ausbildung als Jurist sehr schätze.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Aber? – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Umso eher stelle ich Ihnen deshalb aber die Frage – gerade unter dem Aspekt des Verfassungsrechts –: Was halten Sie davon, wenn in Haft befindliche Täter, in deren Urteil bisher kein Vorbehalt steht, in die Freiheit entlassen werden und dann rückfällig werden? Welche Antwort geben Sie den Bürgern, wenn sie Sie dann fragen: Wie konnte das passieren?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Das ist im Grunde genommen auch das Anliegen des Justizministers. Ich will bewusst sagen: Auch die Überlegung, Ersttäter mit heranzuziehen, ist berechtigt, denn es gibt – und das ist zu bedauern; man sollte das auch nicht parteipolitisch instrumentalisieren –

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Ja! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Wer tut das denn?)

leider Menschen bzw. Täter, die nicht therapierbar sind.

Jetzt komme ich zum Verfassungsrecht: Natürlich haben Sie in der ersten Perspektive Recht. Es ist eine Überlegung von unglaublicher Tragweite, wenn der Schuldausspruch erfüllt und damit die Schuld des Täters eigentlich durch Strafe gesühnt ist, einen weiter gehenden Freiheitsentzug zu verordnen. Aber ich will bewusst sagen: Es geht bei dieser Überlegung genau darum, dass beim Schutzgut der Sicherungsverwahrung nicht mehr die Schuld des Täters im Mittelpunkt steht, sondern das Sicherheitsbedürfnis der gesamten Bevölkerung.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Dies muss bei einer Kollision von Verfassungsgütern als höherrangig berücksichtigt werden.

Ich glaube, Herr Kollege Oelmayer, wir sollten dieses Thema deshalb ernst nehmen. Die Vorschläge dieser acht Landesjustizminister sind gut. Baden-Württemberg ist federführend und hat wegweisende Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht. Baden-Württemberg hat auch jetzt Vorschläge unterbreitet, die unterstützenswert sind. Ich fordere Sie dazu auf, dass wir nicht nur in der Landesgesetzgebung, sondern auch mit einer Bundesgesetzgebung die Grundlagen für die Sicherungsverwahrung schaffen, weil wir dann eine einheitliche Gesetzesgrundlage – auch des Bundes – hätten und damit nicht überlegen müssten: Steht jetzt die Abgrenzung mit genereller Prävention oder mit repressiver Betrach

tung im Mittelpunkt? Stattdessen hätten wir eine sichere Gesetzesgrundlage auf Basis dieser Bundesratsinitiative.

Sie können etwas dafür tun. Überzeugen Sie Ihre Parteifreunde.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Bravo!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bebber.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema eignet sich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Herr Reinhart, deshalb wäre es auch besser gewesen, wenn Sie wahrheitsgemäß berichtet hätten, was im Bund passiert ist.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Es war eben nicht die Justizministerin Frau Däubler-Gmelin, die das einfach abgelehnt hat, weil sie das nicht wollte, sondern es waren Verfassungsrechtler, die im Rahmen des bundesrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens angehört worden sind und ihre Bedenken vorgetragen haben. Sie haben selbst gesagt: Wenn jemand, der eine Tat begangen hat, für die Allgemeinheit gefährlich ist, dann muss man die Allgemeinheit schützen. Das heißt, Sie haben selbst mit dem Argument der Gefahrenabwehr belegt, was getan werden muss, um diese Sexual- und Gewaltstraftaten zu verhindern. Genau dies ist nicht Aufgabe des Bundesgesetzgebers, sondern Aufgabe des Landesgesetzgebers. Der Justizminister dieses Landes hat das Gesetz für die nachträgliche Unterbringung genau mit dieser Argumentation vor knapp zwei Jahren gegenüber dem Landtag begründet: Wir können das machen, weil Gefahrenabwehr Sache des Landesgesetzgebers ist

(Abg. Rech CDU: Das habt ihr doch bestritten!)

und nicht Sache des Bundesgesetzgebers.

(Zuruf des Abg. Blenke CDU)

Entschuldigung! Man kann diese Problematik jetzt nicht nach Berlin abschieben, und man kann nicht Schwarzer-Peter-Spiel betreiben und sagen: Berlin ist zuständig, und die sollen etwas tun.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU – Abg. Dr. Caroli SPD: Reiner Populismus!)

Herr Reinhart, wir sind uns doch einig, dass wir alles Erdenkliche tun müssen, um solche Sexual- und Gewaltstraftaten zu verhindern, noch besser zu verhindern als bisher schon.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Gut!)

Wenn wir uns insoweit einig sind, dann können wir uns doch beide anstrengen und fragen: Welche Maßnahmen müssen wir ergreifen, um wirksam gegen diese Straftaten vorgehen zu können, um ein taugliches Instrumentarium zu

haben? Wir halten das jetzt vorgeschlagene konservative Instrumentarium gerade nicht für tauglich. Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, warum wir dieser Überzeugung sind.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Es wird schwer, das denen zu erklären!)

Sie fordern härtere Strafen. Herr Justizminister, Sie sagen: „Heranwachsende müssen nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden, damit auch in diesen Fällen eine nachträgliche Unterbringung angeordnet werden kann.“ Nur: Wir haben einen konkreten Fall eines Rückfalltäters. Sie wissen genau, dass da die Problematik nicht darin bestand, dass er nach Jugendstrafrecht verurteilt worden ist und deshalb nicht nachträglich untergebracht werden konnte, sondern dass der Gutachter bezüglich dieses Täters Prognosen gestellt hat, nach denen Sie diesen Täter nie und nimmer in nachträgliche Unterbringung gebracht hätten. Also genau dieses Instrumentarium hätte in diesem konkreten Fall versagt. Das kann doch dann nicht die Begründung für die Einführung dieser Unterbringung sein, wenn man sieht, dass in einem konkreten Fall dieses Instrumentarium überhaupt nicht wirksam geworden ist.

Sie haben vor knapp zwei Jahren das Gesetz für die nachträgliche Unterbringung im Land eingeführt. Wir haben unsere Bedenken dagegen geäußert, weil wir der Meinung waren: In der Praxis wird das nicht funktionieren. Herr Justizminister, Sie haben damals ausgeführt, die Gesetzesverabschiedung sei äußerst dringend, weil Sie mit mindestens drei bis vier potenziellen Tätern pro Jahr rechneten, die von dieser neuen gesetzlichen Regelung betroffen wären. Inzwischen sind knapp zwei Jahre vergangen. Bisher ist nach diesem neuen Landesunterbringungsgesetz noch kein einziger Täter, noch kein einziger Strafentlassener in Unterbringung gebracht worden. Kein einziger Fall! Im Gegenteil, Sie haben Anträge stellen lassen, die zum Teil in erster Instanz und in einem Fall auch in zweiter Instanz abgelehnt worden sind. Herr Reinhart, da ist genau so argumentiert worden, dass in der Strafhaft eben nicht zusätzliche, neue Fakten aufgetreten sind, nach denen eine solche Unterbringung gerechtfertigt wäre. Allein die Tatsache, dass jemand die Tat begangen hat und abgeurteilt ist, darf bei der nachträglichen Unterbringung nicht berücksichtigt werden. Sie sehen, dass es doch sehr problematisch ist, wie Sie hier argumentieren, wenn Sie sagen, auch für Ersttäter solle eine solche nachträgliche Unterbringung eingeführt werden,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist doch gerade der Grund!)

wenn eine nachträgliche Unterbringung schon bei den bisherigen Mehrfachtätern nicht gegriffen hat. Mit welchem guten Argument wollen Sie uns davon überzeugen, dass das bei Ersttätern besser funktioniert?

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen in Bezug auf die Jugendlichen: Warnschussarrest. Eine härtere Gangart gegenüber Jugendlichen – das sagen uns alle Fachleute; selbst in Amerika ist diesbezüglich mittlerweile die Einsicht gewachsen – führt gerade nicht dazu, dass sie keine Straftaten mehr begehen. Diese härtere Gangart nach dem Motto „short, sharp and shock“ ist von

den Amerikanern untersucht worden. Der erst in jüngster Zeit erschienene Sherman-Report hat die Schlussfolgerung gezogen, dass zur Verhinderung jugendlicher Straftaten diese Methode nutzlos und untauglich ist. Wir können doch nicht einfach all das, was Fachleute uns sagen, beiseite schieben und sagen: Wir machen es aber trotzdem. Dann greifen nämlich die verfassungsrechtlichen Bedenken sofort durch, weil Sie, bevor Sie Freiheitsentzug anordnen, natürlich die weniger einschneidenden Methoden anwenden müssen. Wenn Sie von der Wissenschaft und von der Fachwelt gesagt bekommen, dass dieser Freiheitsentzug, den Sie wollen, in der Praxis nicht erfolgreich sei, dann ist er auch verfassungswidrig.

(Abg. Junginger SPD: Genau!)

Sie müssen sich also etwas anderes einfallen lassen. Ich sage Ihnen, was man unserer Meinung nach machen könnte.

Man könnte zum Beispiel im Vorfeld von Kriminalität tätig werden. Keiner begeht sofort schwere Sexualstraftaten oder Gewalttaten; die kriminelle „große Karriere“ beginnt erst nach und nach. Das weiß man alles. Wenn zum Beispiel in der Jugendstrafanstalt Adelsheim die personelle und räumliche Situation so ist, dass zwangsläufig diejenigen, die dort entlassen werden, gerüstet sind für schlimmere Straftaten, dann ist das ein gewaltiger Vorwurf an die Landesregierung. Dann muss nämlich dieser Strafvollzug so gestaltet werden, dass die jungen Leute dort nicht krimineller herauskommen, als sie hineingegangen sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wenn alle Gutachter sagen: „Wir können keine hundertprozentig sichere Prognose stellen, und wir sind überlastet“, und wenn der Deutsche Psychotherapeutenverband sagt: „In Baden-Württembergs Gefängnissen besteht ein Mangel an Sachverständigen“, dann ist es die erste Aufgabe der Landesregierung, diesen Mangel zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass die Strafgefangenen ordentlich therapiert und versorgt werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich möchte Ihnen in der ersten Runde noch eines sagen: Wir wissen alle, dass Aussiedlerjugendliche signifikant beteiligt sind an schweren Straftaten und Gewalttaten,