Ich hätte nur schwer erklären können, dass man in die Verhandlungen mit der Türkei eintritt, Kroatien jedoch, ein Land, das kulturgeschichtlich ohne Wenn und Aber dazugehört, dessen Bevölkerung von 5 Millionen Menschen auf den Beitritt wartet und das die Herausforderungen des Beitritts angenommen hat, das sich anstrengt, das tüchtig darangeht, die Anforderungen des Beitritts auch umzusetzen, wiederum in die Warteschleife gesetzt worden wäre. Das hätte ich nicht verstanden. Es war eine gute Entscheidung an jenem Montagabend in Brüssel.
Ich sage aber genauso ganz deutlich in Richtung Rumänien und Bulgarien: Wenn dort gewisse Anforderungen in Sachen Korruption, Administration und Rechtspolitik nicht präzise umgesetzt werden, dann gilt nicht das Beitrittsdatum 1. Januar 2008, sondern dann muss der Prozess um ein Jahr verlängert werden, und es wird eben 2009. Das in aller Offenheit zu sagen muss unter Freunden möglich sein.
Sie werden sich anstrengen, und wir müssen dann entscheiden, ob ihr Beitritt möglich ist. Aber insgesamt – abschließend – gehören Länder wie Rumänien, Bulgarien und Kroatien aus meiner Sicht zu dem, was ich mir unter einer europäischen Union vorstellen kann.
Das Zweite: Unglücklicherweise ist die Vertiefung nicht so geglückt, wie wir alle uns sie gewünscht haben. Unser früherer Ministerpräsident Erwin Teufel hat an dem Verfassungsvertrag ja mit ganz großer Leidenschaft mitgearbeitet. Wir sind ihm zu großem Dank dafür verpflichtet, dass er insbesondere das Stichwort Subsidiarität auf die europäische Ebene gebracht und dort auch gewichtet hat. Das heißt, ohne Erwin Teufel wäre der Verfassungsvertrag nicht das geworden, was er jetzt geworden ist.
Schlimm ist, dass es nun so gekommen ist, wie es nicht hätte kommen sollen. Schlimm ist, dass die Bevölkerung – möglicherweise wegen einer innerstaatlichen Abrechnung – nicht erkannt hat, dass genau die Verbesserungen, die sie ständig fordert, mit dem europäischen Verfassungsvertrag verwirklicht worden wären: erstens mehr Transparenz – da
mit man sieht, was sich hinter den verschlossenen Türen der Kommission abspielt –, zweitens mehr Rechte des Europäischen Parlaments – der Volksvertretung –, drittens ein Frühwarnsystem unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgedankens und viertens, was genauso wichtig ist, eine gerechtere Abstimmungsgewichtung, die mit dem Verfassungsvertrag hätte Einzug halten können.
Jetzt sind wir auf den Stand des Nizza-Vertrags zurückgeworfen worden. Das Ganze ist ein Rückschritt. Das haben die Menschen in Frankreich und in den Niederlanden so wohl nicht vor Augen gehabt. Deswegen ist die Abstimmung in dieser Weise in die Hosen gegangen.
Im Moment kann man nichts anderes tun, als breit und öffentlich für eine Verfassung zu werben. Die österreichische Ratspräsidentschaft wird diesen Kommunikationsprozess evaluieren. Man kann nicht einfach an den Referenden vorbeigehen. Ich könnte mir vorstellen, dass am Schluss – in zwei Jahren – tatsächlich doch eine gesamteuropäische Abstimmung stattfinden könnte, um die Legitimation dafür zu erhalten, dass man auch in Frankreich und in den Niederlanden ein neues Votum für diesen Verfassungsvertrag hinbekommt.
Zur Vertiefung gehört natürlich auch die tägliche Hausarbeit. Wenn wir den Finanzplan nicht auf die Beine kriegen, dann sieht es mit der weiteren europäischen Entwicklung mau aus. Die Kolleginnen und Kollegen haben es angesprochen: Da klafft eine Lücke von Milliarden Euro. Was die Kommission vorgeschlagen hat – 1,24 % –, würde eine Bruttoleistung des deutschen Steuerzahlers von 31 Milliarden € bedeuten. Das ist nicht machbar; das ist nicht zu schultern. Auch ein Nachfolger von Herrn Eichel kann das nicht machen.
Aber 1,0 % heißt natürlich, dass möglicherweise in auch von uns als wichtig erachtete Programme eingegriffen werden muss. Dann gilt es abzuwägen, wo und an welcher Stelle. Denn da geht es in der Tat um 40 oder 50 Milliarden €.
Ich habe schon als Agrarminister darauf hingewiesen, dass es natürlich schade wäre, wenn ausgerechnet die zweite Säule der Agrarpolitik, jener Bereich, der unsere Kulturlandschaft erhält und auf den wir gerade im süddeutschen Raum so dringend angewiesen sind,
Aber die Entscheidung ist da. Schauen Sie, auf der Basis von 1,24 % hätte man gern die Forschungsprogramme von jetzt, glaube ich, 35 auf 70 Milliarden € erhöht. Also: Man muss sich schon entscheiden. Da ist es ganz wichtig, dass wir auch den Lissabon-Prozess mitverfolgen, um dann die konkrete Finanzplanung in der Politik umsetzen zu können. Es liegt eine neue Studie zu dieser Finanzplanung vor.
Man muss immer wieder die kritische Frage stellen, ob einzelne Elemente europäischer Strukturpolitik wirklich die Wertschöpfung bringen, die sie vielleicht einmal erbracht
haben. Also, die Forderung nach Renationalisierung steht im Raum, und eine Überprüfung dieser Ausgaben im Sinne der Themenfelder ist jetzt insbesondere im Lichte des schwierigen Finanzplans angebracht.
Schließlich ein Drittes: Reformen sind angesagt. Der Lissabon-Prozess ist nichts anderes als die Überschrift für Reformen auf der europäischen Ebene, und da sieht es ja nicht anders aus als in den einzelnen Nationalstaaten.
In Sachen Dienstleistungsrichtlinie, Herr Kollege Walter, müssen wir jetzt aufpassen, dass wir nicht schwarz-weiß weitermachen. Zunächst einmal ist die Dienstleistungsrichtlinie nichts anderes als die Umsetzung der eigentlichen Grundlagen der Europäischen Union, nämlich der Freizügigkeit. Diese ist uns für unsere Exportprodukte, wenn ich es recht sehe, hochwillkommen. Also, die Freizügigkeit bei Waren, die wir aus Baden-Württemberg exportieren – –
Nein, im Moment rede ich nur von einem Produkt. Das eine ist vielleicht eine Maschine, das andere ist eine Dienstleistung, die angeboten wird.
Beim Warenexport halten wir die Freizügigkeit ganz hoch, weil wir am Export sehr gut verdienen, und zwar nicht nur in Deutschland insgesamt, sondern erst recht in BadenWürttemberg. Wir wollen also, dass uns alle unsere Waren abkaufen. Bei der Dienstleistung aber verweigern wir uns, weil wir glauben, dann finde Sozialdumping statt.
Jetzt gibt es aber eine Mittellinie, und deshalb sollten wir in der Diskussion sorgsam vorgehen. Es gibt eine Mittellinie, die gefunden worden ist, der neuerliche Kompromiss, der von den Konservativen eingebracht worden ist. Deswegen kam es am 4. Oktober zum Aufschub. Sie können nicht Abstand nehmen vom Prinzip des Herkunftslandes. Das geht nicht. Aber Sie können ein Zweites tun: Sie können vorgeben, was an Qualität, an Sozialstandards abverlangt werden soll, insbesondere in speziellen Bereichen wie dem Gesundheitswesen und dem Sozialwesen. Das ist sogar ausdrücklich ausgeführt. Wenn Sie diese Unterscheidung treffen, dann ist es ohne weiteres möglich, im Rahmen der Gesamtordnung auch eine Dienstleistungsrichtlinie – auch der BDI spricht von 600 000 Arbeitsplätzen, 100 000 allein in Deutschland – umzusetzen.
Mir geht es nur darum, dass wir diese Geschichte, weil sie wichtig ist, weil sie in die Grundsätze hineinpasst und von anderen Partnern auch abverlangt wird, in Deutschland nicht unter dem Stichwort der Ängstlichkeit und der – wie soll ich sagen? – Schwarz-Weiß-Malerei diskutieren, sondern dass wir fein säuberlich herausarbeiten, was tatsächlich auch in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse sein muss.
Im Bereich der Reformen ist es ganz, ganz wichtig – und das erwartet die Bevölkerung zuallererst –, dass dereguliert wird. Baden-Württemberg kann sich wirklich auf die Schulter klopfen. Das EU-Graubuch war eine gute Sache. Ver
heugen hat es ausdrücklich gelobt und legt es auch seinen Überlegungen zugrunde. Für die europäischen Parlamentarier haben wir eine Aufgliederung vorgenommen, damit sie genau wissen, was im Graubuch welcher Generaldirektion zuzuordnen ist. Das war ein erster Schritt.
Verheugen wiederum antwortet jetzt mit 60 ersten Vorschlägen, und wir sind dabei, zu bewerten, was diese Vorschläge konkret für das Land bedeuten können. Wenn das Ergebnis dieser Bewertung vorliegt, bin ich gern bereit, im Ständigen Ausschuss darüber zu berichten. Denn nur dann, wenn man sieht, was es konkret ausmacht, kann man sagen: Es wird eine Deregulierung, eine Entbürokratisierung, von der die Bevölkerung zustimmend Kenntnis nimmt, oder es ist nur Makulatur.
Es scheint mir ganz, ganz wichtig zu sein, dass das so geschieht; denn Europa hat in der Tat zuallererst unter dem Stichwort „zu viel Bürokratie“ einen schalen Beigeschmack.
Herr Kollege Walter, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu – gegen den Kollegen Rückert; er ist jetzt weg –: 20 000 Mitarbeiter auf der europäischen Ebene sind sehr wenig. Das muss man auch einmal sagen. Das ist gerade das, was die Stadtverwaltung Köln hat.
Die Aussage, es wäre ein Moloch, der da in Brüssel sei, der undurchschaubar sei und immer größer werde, stimmt so einfach nicht. Deshalb ist es gut, dass in der nächsten Woche zwei Ausschüsse den Weg nach Brüssel suchen und dort konkret mit der Kommission Kontakt aufnehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wollte jetzt nur noch eines sagen: Gehen Sie davon aus, dass wir ganz engagiert Europapolitik betreiben und vor allem kommunizieren. Ob mit oder ohne Europaausschuss: Ich lade das Parlament dazu ganz herzlich ein.
Erstens zur SPD: Lieber ist der Europabericht kurz und die Europapolitik der Landesregierung gut als andersherum.
(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Abg. Rust SPD: Keine Alternative! – Abg. Wintruff SPD: Wir haben einen Rechtsanspruch! – Abg. Blenke CDU: Das war eine gute Aussage! – Abg. Walter GRÜ- NE: Gibt es eigentlich deine besten Sprüche schon als Buch? – Abg. Fleischer CDU: An dieser Aussa- ge kann man doch nichts kritisieren!)
Zweitens zu dem, was Herr Walter und jetzt auch der Herr Minister gesagt haben: Es ist richtig, dass in Brüssel relativ wenig Beamte beschäftigt sind. Aber wir müssen natürlich beim Thema Bürokratie sehen, wie viele Beamte bei uns im Land mit der Brüsseler Bürokratie beschäftigt sind. Da gilt es abzubauen.