Protocol of the Session on July 20, 2000

Es ist bezeichnend, dass die Opposition im Landtag diese Veranstaltung plant und durchführt, die Landesregierung aber offensichtlich ihren „Schlaf des Gerechten“ weiterführt.

(Abg. Schmiedel SPD: Oi! Der Schlaf des Gerech- ten! – Beifall und Lachen des Abg. Brechtken SPD)

Sehen Sie, das ist doch der eigentliche Anlass: Sie haben gemerkt, dass es in der Bundeswehr inzwischen natürlich eine intensive Debatte darüber gibt. Deshalb hat man dieses Register heute gezogen. Denn eines wissen auch Sie, Herr Kollege Haasis: Vor Jahresende wird es keine Standortentscheidung geben. Sie wissen zudem, dass die Bundesregierung zugesichert hat, mit allen Landesregierungen zu sprechen und zu verhandeln, bevor Standortschließungen kommen. Deswegen ist Ihre Debatte heute nur einer einzigen Sorge entsprungen: der, dass die Klientel Bundeswehr nicht genügend von Ihnen bedient werden kann. Das ist der eigentliche Anlass.

(Beifall bei den Republikanern)

Jetzt zum Thema.

(Abg. Haasis CDU: Natürlich wollen wir der Bun- deswehr helfen! Das ist doch wohl klar!)

Ja, selbstverständlich, das will jeder, mit Ausnahme der Grünen. Also, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Das ist aber kein Anlass für eine Aktuelle Debatte.

Die Ausgangslage ist von einigen hier angesprochen, aber meiner Meinung nach völlig unzureichend dargestellt worden. Wir haben den Kabinettsbeschluss vom 21. Juni 2000. Herr Salomon, Sie haben noch nicht mitbekommen, dass das Papier der Weizsäcker-Kommission Schnee von gestern ist.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das habe ich schon mitbekommen!)

Der Bundesminister der Verteidigung hat eine klare Entscheidung in diesem Eckpfeilerpapier getroffen. Deswegen ist der Rückgriff auf die Diskussion, die davor gelaufen ist, völlig uninteressant.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Aber das Weizsäcker-Papier wird kommen!)

Das war ein Papier. Sie können auch von zehn Jahre alten Papieren sprechen. Das interessiert uns im Moment nicht.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Nein, das Papier ist wieder aktuell!)

Uns interessiert die klare Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung, für die Zukunft einen Streitkräfteumfang vorzusehen, der auf einer interessanten Überlegung beruht, nämlich auf der Überlegung, nicht das im Grundgesetz vorgesehene Ziel – nämlich das der Landesverteidigung, wie es in Artikel 87 a des Grundgesetzes steht – zur Grundlage für die Bemessung des Streitkräfteumfangs zu machen, sondern allein die Zusagen an die NATO und die EU. Sie können es im Papier nachlesen. Das ist hochinteressant.

Da wird nämlich von der Verpflichtung ausgegangen, entweder eine große Operation mit 50 000 Mann für den Zeitraum eines Jahres oder aber zwei mittlere Operationen mit jeweils bis zu 10 000 Mann über mehrere Monate hinweg stellen zu können. Das heißt, man geht bei dieser Berechnung davon aus, dass bei 30 Monaten je fünf Kontingente pro Operation zur Verfügung stehen müssten. Dann benötigt man 150 000 Mann Einsatzkräfte. Das ist die Basis. Dann rechnet man im Bundesministerium der Verteidigung noch 105 000 Soldaten dazu, die der militärischen Grundorganisation zugeordnet werden. Daraus ergibt sich der jetzt vorgesehene Streitkräfteumfang von 255 000 Soldatinnen und Soldaten.

Jetzt frage ich mich natürlich an dieser Stelle: Was ist eigentlich der Zweck unserer Streitkräfte? Für mich bleibt nach wie vor das verbindlich, was im Grundgesetz steht. Da steht drin, dass zunächst einmal die Landesverteidigung der Maßstab der Dinge ist.

(Beifall bei den Republikanern)

Deswegen sagen wir heute: Das, was uns hier als große Reform versprochen wird, basiert bereits auf einer völlig falschen Grundlage.

Jetzt gehen Sie mal zu der Truppe, fragen Sie mal Soldaten, sprechen Sie mal mit dem Bundeswehr-Verband. Sie bekommen dort eine klare Aussage. Ich weiß das von den Kameraden, mit denen ich nach wie vor in engem Kontakt bin, die mir immer wieder klar sagen: Streitkräfte brauchen wir zur Landesverteidigung, aber nicht primär zur Krisenintervention. Das sollte hier bei dieser Gelegenheit einmal deutlich gesagt werden.

(Beifall bei den Republikanern)

Ein Wort noch zu den Standorten. Die Standorte sollen ja neben der Tatsache, dass man sie natürlich für die Organisation braucht, mehrere Funktionen erfüllen. Sie sollen die heimatnahe Einberufung sicherstellen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir die Wehrpflicht noch in entsprechend beschränktem Umfang beibehalten, dann ist vor allen Dingen darauf zu achten, dass unsere Soldaten, die hier in Baden-Württemberg einberufen werden, eben nicht Hunderte von Kilometern zum nächsten Standort fahren müssen. Wir wollen die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft. Das setzt voraus, dass auch die jetzt schon entstandenen Verflechtungen und Bindungen zwischen den Standorten und den Garnisonskommunen aufrechterhalten werden.

(Beifall bei den Republikanern)

Ein letzter Satz: Dass natürlich die Bundeswehr auch Wirtschaftsfaktor ist, dass die Ausgaben an den Garnisonsorten wichtig sind, die Aufträge, die Nachfrage, ist unstreitig. Aber eines, meine Damen und Herren, muss auch klar sein: Wir müssen bei der Entscheidung darüber, was künftig für unsere Landesverteidigung an Strukturen zur Verfügung steht, die Maßstäbe im Auge behalten. Da kann es nicht sein, dass zunächst die rein finanzpolitische oder die rein ökonomische Sichtweise dominiert und dann eventuell im zweiten Schritt erst gefragt wird, was wir militärisch brauchen. Umgekehrt muss die Entscheidung laufen; dann wird sie richtig.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Behringer.

(Abg. Herrmann CDU: Jetzt spricht ein Mann der Praxis! Oberstabsfeldwebel! – Abg. Deuschle REP: Der rechte Flügel!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat diese Aktuelle Debatte beantragt, weil wir in Sorge um die weitere Entwicklung der Bundeswehr sind. Standorte in BadenWürttemberg laufen Gefahr, geschlossen zu werden. Soldaten, Garnisonsbürgermeister, Landkreise, ja unsere Bevölkerung sind verunsichert, sind beunruhigt, sind betroffen von den beabsichtigten Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung.

Diese Bundesregierung hat nun ein Konzept für die Zukunft vorgelegt, das keine gesicherte finanzielle Grundlage hat. So werden zum Beispiel innerhalb von vier Jahren

Mittel von 20 Milliarden DM gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung der ehemaligen Bundesregierung eingespart. Damit kann weder der Umbau der Bundeswehr gestaltet noch finanziert werden, noch können durch diese Sparpläne die eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Bündnis und EU erfüllt werden. Es geht um Glaubwürdigkeit, es geht um Planungssicherheit für Soldaten und Soldatinnen und für die zivilen Mitarbeiter, es geht um Sicherheit der Familien, Planungssicherheit für die Bundeswehrstandorte, Herr Brechtken.

Der Verteidigungsminister hat nun beschlossen, 70 000 Soldaten einzusparen. Die zivile Verwaltung soll um 50 000 Stellen abgespeckt werden. Meine Damen und Herren, nach unserer Kenntnis stehen die Verlegung der Wehrbereichsverwaltung in Stuttgart, die Defusion des Wehrbereichskommandos in Sigmaringen, die Auflösung des Luftwaffenkommandos in Meßstetten zur Disposition, obwohl der Verteidigungsminister vor kurzem in Stetten am kalten Markt erklärt hat, es würden keine Standorte geschlossen, beispielsweise Meßstetten sei gesichert.

Baden-Württemberg, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann auf keinen Standort verzichten.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben damals bei der letzten Strukturreform erheblich mehr Federn lassen müssen, Herr Brechtken, als andere Standorte.

(Abg. Brechtken SPD: Da habt ihr euch nicht durchsetzen können!)

Wenn Sie jetzt Bayern ansprechen, dann muss man auch erkennen, dass damals die Sicherheitslage, Herr Schmiedel, eine andere war als die im Jahre 2000. Damals schrieben wir das Jahr 1990, jetzt haben wir das Jahr 2000, und die Situation ist halt eine andere.

(Beifall bei der CDU)

Aufgrund der damaligen Vorleistungen hoffen wir jetzt, dass es mit Unterstützung der SPD – ihr regiert ja in Bonn,

(Zuruf von der SPD: In Berlin!)

in Berlin – zu keinen Standortschließungen kommt.

Meine Damen und Herren, unsere Bundeswehrstandorte in Baden-Württemberg sind von der Qualität her die besten von allen Bundesländern. So haben wir zum Beispiel in Stetten am kalten Markt den am modernsten eingerichteten Standort mit Truppenübungsplatz. Im Landkreis Sigmaringen sind 6 000 Soldaten stationiert, daneben in Meßstetten über 1 000 Soldaten. Der Landkreis Sigmaringen ist der strukturschwächste und dünnst besiedelte Kreis unseres Bundeslandes, das Schlusslicht bei der Wirtschaftskraft, bei der Kaufkraft.

(Zuruf von der SPD: Wer ist denn dort der Abge- ordnete?)

Unsere Garnisonen stellen für diese Region einen ganz erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Es wäre verheerend, wenn einer dieser Standorte geschlossen werden würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Brechtken hat vorhin gesagt: Wir sitzen alle in einem Boot. Das ist richtig.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das nennt sich Marine!)

Wir appellieren an die SPD. Ein Appell an die Grünen hat wohl wenig Sinn, weil sie mit der Bundeswehr und mit der Wehrpflicht nichts am Hut haben. Deswegen appelliere ich an die SPD, ihr Gewicht in Berlin in die Waagschale zu werfen,

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

zu helfen, dass unsere Standorte in Baden-Württemberg erhalten bleiben. Meine Damen und Herren, unsere Bundeswehr kann sich auf die Christlich-Demokratische Union verlassen.

(Zuruf von der SPD: Jawohl! – Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer Debatte zur Bundeswehr denke ich am heutigen Tag, dem 20. Juli, zuerst an die gute Tradition, an die die Bundeswehr anknüpfen konnte, nämlich an den Widerstand von Männern und Frauen im Dritten Reich gegen das Unrechtsregime, einen Widerstand, der in der mutigen Tat unseres Landsmanns Claus Graf Schenk von Stauffenberg mündete, der am 20. Juli für seine Überzeugung sein Leben lassen musste.

Die Landesregierungen, meine Damen und Herren, von Baden-Württemberg standen und stehen zur Bundeswehr von Anfang an, seit ihrer Gründung im Jahre 1955 und durch alle politischen Streitfragen hindurch vom NATOBeitritt bis zur Nachrüstung.