Protocol of the Session on July 20, 2000

Die Landesregierungen, meine Damen und Herren, von Baden-Württemberg standen und stehen zur Bundeswehr von Anfang an, seit ihrer Gründung im Jahre 1955 und durch alle politischen Streitfragen hindurch vom NATOBeitritt bis zur Nachrüstung.

Wir haben die Bundeswehr nicht erst entdeckt, als in den Neunzigerjahren Standorte geschlossen werden sollten. Wir danken den Soldaten für ihren Friedensdienst, wir danken den Angehörigen für die großen Opfer, die sie mit ihrem häufigen Wohnortwechsel und der Mitsorge um ihre Männer und Söhne erbringen. Die derzeitigen Sorgen der Soldaten, der Zivilbeschäftigten und der Standortgemeinden sind auch unsere Sorgen.

Im Grunde ist es erfreulich – das haben mehrere Vorredner gesagt, und das möchte ich ausdrücklich bestätigen –, dass durch den Zusammenbruch des Kommunismus und der Sowjetunion im Jahre 1989 eine Zeitenwende in Europa und auch eine völlig veränderte Sicherheitslage für die Bundesrepublik Deutschland entstanden ist, die auch eine Reduzierung der Truppenstärke der Bundeswehr ermöglicht. Das hat natürlich Folgen für die Standorte, auch für die Standorte in Baden-Württemberg.

Ich möchte aus meiner Sicht ein paar Bemerkungen zum derzeitigen Stand der Bundeswehrreform und zum Ziel dieser Debatte machen, über das wir uns hoffentlich über alle Fraktionen hinweg einig sind.

(Ministerpräsident Teufel)

Es gibt das Eckpfeilerpapier von Bundesverteidigungsminister Scharping und die Beschlüsse der Bundesregierung zum Bundeshaushalt 2001. Beide bieten nun erstmals eine konkrete Grundlage für die anstehende Bundeswehrreform. Kernelemente sind neben der militärstrategischen Neuorientierung und der grundlegenden Modernisierung der Bundeswehr eine Reduzierung der Truppenstärke von 320 000 auf 277 000 Soldaten und eine Reduzierung des Zivilpersonals von 120 000 auf 80 000 Mitarbeiter. Fest steht: Ein Personalabbau in diesem Umfang – ich sage es noch einmal – wird gravierende Folgen für alle Bundeswehrstandorte haben. Nach unseren Berechnungen wird die von Herrn Scharping bereits angekündigte Überprüfung und weitgehende Schließung von 166 so genannten Kleinststandorten mit Belegstärken unter 50 Personen bestenfalls ein Zehntel der beabsichtigten Stelleneinsparungen bringen.

Der Reformprozess tritt jetzt in die Phase der so genannten Feinausplanung. Vorhin ist darüber diskutiert worden, dass dies erst im nächsten Jahr der Fall sei und deswegen diese Debatte im Augenblick nicht aktuell sei.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ich habe gar nichts anderes gesagt!)

Herr Kollege Salomon und auch andere haben das gesagt. Der Bundesverteidigungsminister hat angekündigt – hoffentlich kommt es auch so –, dass bis Ende dieses Jahres jeder Bundeswehrangehörige und jeder Bürgermeister einer Standortgemeinde genau wisse, wohin der Weg in die Zukunft führt. Das ist die Aussage des Bundesverteidigungsministers.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Darauf stütze ich mich. Ich halte das auch für richtig. Deswegen ist Ihre Vermutung falsch; jedenfalls widerspricht sie der Aussage des Bundesverteidigungsministers.

Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen und Monaten wird sich auch die Zukunft der baden-württembergischen Standorte entscheiden. Für uns steht außerordentlich viel auf dem Spiel. Warum? Weil die meisten unserer großen Standorte im strukturschwachen ländlichen Raum liegen.

Verehrter Herr Kollege Brechtken, Sie sollten – nur deshalb habe ich vorhin einen Zwischenruf gemacht – nicht kleinreden, was wir in der großen Koalition gemeinsam zu diesem Thema zustande gebracht hatten. Die letzte Reduzierung, die Sie kritisiert haben, fand während der großen Koalition statt. Sie erinnern sich sicher an mehrere Debatten im Kabinett, an denen Sie ganz persönlich teilgenommen haben.

(Abg. Haas CDU: Das weiß er auch!)

Wir haben damals gesagt: Wir wollen alle Standorte in den Städten aufgeben, weil sie dort nicht zwingend notwendig sind. Wir wollten dafür alle Standorte im dünn besiedelten ländlichen Raum halten können. Das ist uns weitestgehend gelungen.

(Beifall des Abg. Haasis CDU)

Ich sage dazu nur: Keiner hat dabei solche Verdienste wie der damalige Bevollmächtigte des Landes beim Bund, Staatssekretär Wabro, der Dutzende von Gesprächen geführt hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir haben sämtliche Standorte im Neckar-Odenwald-Kreis halten können, wir haben sämtliche Standorte im MainTauber-Kreis halten können, wir haben die Standorte von Müllheim über Immendingen bis nach Pfullendorf halten können. Wir haben Sigmaringen stärken können, indem wir als einziges Land bereit waren, ein Wehrbereichskommando zu verlegen, nämlich das von Stuttgart nach Sigmaringen. Dies war unsere Politik.

Im Grunde sind am Ende zwei Wünsche übrig geblieben. Wenn ich die noch erfüllt bekommen hätte, wäre das für Baden-Württemberg eine voll befriedigende Lösung gewesen. Das waren die Standorte Bad Mergentheim und Nagold. Es war Sünd und Schad, dass diese beiden Standorte – übrigens mit besten Kasernen und mit bester Infrastruktur – aufgegeben wurden. Gleiches gilt auch für Neuhausen ob Eck, aber dort lag es am Flughafen, den die Bundeswehr nicht mehr gebraucht hat. Das war bedauerlich.

Meine Damen und Herren, wir haben damals außerordentlich viel erreicht. Man muss also schon zu Laien reden, Herr Kollege Brechtken, wenn man die Zahl der Bundeswehrsoldaten in Bayern und in Baden-Württemberg vergleicht. Ich wundere mich übrigens darüber, dass Sie nur Bayern zum Vergleich herangezogen haben. Sie hätten einen genauso eindrucksvollen Vergleich zwischen Hessen und Baden-Württemberg, zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg oder zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg machen können. Warum denn? Weil von Schleswig-Holstein bis Bayern bei einer Strategie der Vorwärtsverteidigung natürlich sehr viel mehr Truppen, sehr viel mehr Soldaten entlang der Zonengrenze oder entlang der tschechischen Grenze stationiert gewesen sind. Deswegen sind die Ausgangssituationen in den einzelnen Ländern natürlich völlig unterschiedlich.

(Abg. Brechtken SPD: Dann hätte man dort mehr abbauen müssen, weil sich die Gefechtslage geän- dert hat! Das ist genau der Punkt! Das ist doch un- logisch!)

Das ist aber der einzige Blick zurück. Also, warum machen Sie das, was Sie in der großen Koalition mit erreicht und mitgetragen haben, eigentlich schlecht?

(Beifall bei der CDU)

Natürlich können Sie jetzt sagen, man müsse in Bayern mehr abbauen. Aber wenn Sie absolut sehr viel mehr Soldaten haben, ist doch klar, dass nicht der völlig gleiche Abbau erfolgt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Brechtken?

Meine Damen und Herren, wäre es denn nicht vernünftig, vorwärts zu schauen? Von mir aus war es der letzte Blick zurück, und der steht auch überhaupt nicht in meinem Konzept. Ich wollte vielmehr nach vorne blicken. Es geht nämlich jetzt um die neue Standortplanung und um das, was wir jetzt erreichen wollen.

(Abg. Schmiedel SPD: Nur wer seine Vergangen- heit kennt, kennt auch die Zukunft!)

Aber da Sie den Blick zurückgeworfen und ein Stück weit eigene Nestbeschmutzung betrieben haben, wollte ich das doch klarstellen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Brechtken?

Ja, gerne. Aber dann wäre ich dankbar, wenn ich das Konzept im Zusammenhang darstellen könnte.

Bitte schön, Herr Abg. Brechtken.

Herr Ministerpräsident, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich erstens voll dazu stehe, was wir in der großen Koalition gemeinsam erreicht haben – das war nicht mein Problem, sondern ich habe nur auf die einleitende Bemerkung des Kollegen Haasis geantwortet –, und dass es in der Tat so ist, dass die Bayern gerade angesichts der Veränderungen seit Ende des letzten Jahrzehnts im Hinblick auf die Vorneverteidigung überdurchschnittlich viel erreicht haben im Vergleich zu dem, was ich vorhin an Zahlen genannt habe, und dass es genau der Punkt ist, dass wir in besonderer Weise aufpassen müssen, dass es nicht erneut passiert, dass wir unsere Interessen gegenüber den Bayern nicht wahrnehmen?

Oh Herr Kollege Brechtken, vielleicht gehen Sie ein bisschen mehr in die Tiefe. Dann werden Sie feststellen, dass die ganze Veränderung der NATO-Strategie danach – zwischen diesem Datum, als wir die erste Standorteplanung hatten, und dem heutigen Tag – erfolgt ist, erst danach und nicht davor. Das würden Sie feststellen.

(Abg. Brechtken SPD: Okay!)

Jetzt noch einmal: Es steht jetzt außerordentlich viel für Baden-Württemberg auf dem Spiel, weil wir keinen Spielraum mehr haben. Wir haben alle Standorte aufgegeben, die man auch gerne behalten hätte, aber auf die man verzichten konnte. Jetzt ginge es ans Eingemachte. Wenn auch nur ein Standort in Baden-Württemberg geschlossen wird, wird es ein Standort im dünn besiedelten ländlichen Raum sein, und das wird dann außerordentliche Folgen für die Struktur der betreffenden Standortgemeinde haben. Deswegen kämpfen wir jetzt wirklich um jeden einzelnen Standort.

Die Bundeswehr – auch darauf hat beispielsweise der Kollege Glück hingewiesen, aber auch andere, etwa der Kollege Haasis – ist oft der größte Arbeitgeber an einem Ort. Die gemeindliche Infrastruktur ist weitgehend von der Bundeswehr abhängig. Kindergartenplätze wurden ge

schaffen – natürlich auch bezogen auf die Angehörigen der Bundeswehrsoldaten in diesen Gemeinden. Gleiches gilt für die Kläranlagenplanung. In Stetten am kalten Markt habe ich mir das einmal angeschaut. Die stehen auf einmal mit einer viel zu großen Kläranlage da, wenn die Franzosen abziehen und auch die Bundeswehr nennenswert reduzieren würde. Einzelhandel, Gastronomie, Handwerk – die gesamte Infrastruktur ist auf eine größere Einwohnerzahl ausgelegt.

Beispiele, aber wirklich nur Beispiele, die den Ernst der Situation belegen: Immendingen hat bei 5 800 Einwohnern nur 832 Arbeitsplätze am Ort, ein Drittel davon sind zivile Beschäftigte bei der Bundeswehr.

Stetten am kalten Markt hat bei 5 600 Einwohnern nur 1 300 Arbeitsplätze, darunter 38 % zivile Arbeitsplätze bei der Bundeswehr. 38 %!

Ummendorf: Bei 4 000 Einwohnern gibt es 753 Arbeitsplätze, darunter 20 % zivile Arbeitsplätze bei der Bundeswehr.

Das zeigt nur pars pro toto, welche Bedeutung die Bundeswehr für diese Gemeinden im ländlichen Raum hat. Die jährlichen Lohn- und Gehaltssummen der Soldaten und Zivilbeschäftigten belaufen sich im Bereich der Standortverwaltung in Münsingen auf 50 Millionen DM, in Ellwangen auf 90 Millionen DM, in Sigmaringen auf 108 Millionen DM und in Külsheim auf 110 Millionen DM. Ein Wegfall dieser Kaufkraft hätte schlimme Auswirkungen für die örtliche Wirtschaft und Infrastruktur.

Allein die jährlichen Bauinvestitionen der Bundeswehr im Wehrbereich V Baden-Württemberg, von denen viele kleine Handwerksbetriebe in Baden-Württemberg leben, belaufen sich auf 215 Millionen DM jährlich.

Damit möchte ich umschreiben, welche Bedeutung die Bundeswehr für die Wirtschaftskraft einer betroffenen Gemeinde hat. Die Debatte findet deshalb heute zum absolut richtigen Zeitpunkt statt,

(Beifall des Abg. Haas CDU – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Haasis: So ist es!)

nämlich unmittelbar bevor von der Bundesregierung die Entscheidung über einzelne Standorte der Bundeswehr getroffen wird.

Die Debatte bietet Gelegenheit für ein Zeichen der Solidarität gegenüber unseren Garnisonsgemeinden: Wir lassen euch in dieser Zeit der Unsicherheit nicht im Stich.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Debatte ist ein Signal an die Bundesregierung: Neben der Landesregierung setzt sich auch der Landtag von Baden-Württemberg entschlossen und – so hoffe ich – auch geschlossen gegen weitere Reduzierungen der baden-württembergischen Standorte zur Wehr.