Protocol of the Session on November 14, 2019

Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Kollege! Mich verstört Ihr Argument, eine Ehrenbürgerliste sei so etwas wie ein zeithistorisches Dokument. Deswegen würde mich interessieren, ob Sie denn die bereits erfolgte Streichung von Adolf Hitler, Josef Goebbels oder Hermann Göring von eben dieser Liste auch für falsch halten.

Die Ehrenbürgerliste ist ein zeithistorisches Dokument im Rahmen des Vertretbaren. Die genannten Personen waren unstrittig und nach allen Paragrafen des Strafrechts Verbrecher in jeder Hinsicht, und diese gehören natürlich nicht auf eine Liste.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Die Fehlentscheidung von Hindenburg ist fatal für die deutsche Geschichte, auch das wissen wir, falsch im Sinne der getroffenen Entscheidung war sie jedenfalls damals im rechtlichen Sinne nicht. Deswegen hätte man Hindenburg für diese Entscheidung nicht belangen können. Aber die anderen haben sich im Laufe des Kriegshandelns sehr deutlich delegitimiert. Deswegen ist es auch richtig, dass alle anderen Genannten gestrichen wurden, das ist ja gar keine Frage. Wenn wir vergleichbare Personen auf der Ehrenbürgerliste hätten, gehörten die auch runter. Aber diese Debatte führen wir heute nicht, weil das nach dem Zweiten Weltkrieg schon ausführlich debattiert wurde. Kollege Juhnke hat darauf verwiesen, dass sich damals Gedanken gemacht wurden. Man hat sehr sorgfältig abgewogen, gerade diese schlimmen Personen, die Kriegsverbrecher, von der Liste gestrichen. Das ist ja auch richtig so, ohne jeden Zweifel.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Und schließlich, um noch mal darauf zu kommen, wie wir denn auch mit unserer Geschichte umgehen wollen. Wir werden am Ende mit einer Ehrenbürgerliste, die eben auch die Überlebenden von Holocaust und Schoah auf dieser Liste hat – – Übrigens, Frau Dr. Kitschun, Frau Deutschkron und Frau Friedländer hätte man schon Jahrzehnte zuvor auf die Ehrenbürgerliste setzen können, das hätte auch gern die SPD beantragen können; mir war das zu spät, Frauen draufzusetzen, die fast 100 sind. Zum Glück haben sie es noch erlebt, aber auch das hätte man in diesem Hause längst erledigen können. Das ist jedenfalls nicht an der FDP oder der CDU gescheitert. Das hätten auch andere gern beantragen können, das muss man an der Stelle auch mal sagen.

Wir müssen uns an der Stelle dann auch ein Stück weit ehrlich machen. Wir müssen mit den Widersprüchen auf dieser Liste leben. Und wir haben eben auch kein Tabula rasa gemacht bei der Zusammenführung der beiden Ehrenbürgerlisten. Ich erwähnte es schon. Man hat eben auch gesagt: Es gibt gewisse Widersprüche und gewisse Biografien, die man vielleicht auch nicht eins zu eins in eine Demokratie überführen kann, aber die jedenfalls auch irgendwo Verdienste um die Stadt erworben haben und die eben auch für den Lebensweg und für das Staatsverständnis im Ostteil der Stadt stehen. Und das hat ja irgendwo auch eine befriedende Wirkung. Jeder von uns wird aus unterschiedlicher Perspektive Zumutungen auf dieser Liste finden, das muss jeder für sich persönlich definieren. Aber Geschichte ist eben nun auch mal das

Aushalten von Zumutungen, weil man rückblickend das nicht mehr verändern kann.

Deswegen will ich an der Stelle auch, gerade weil wir beim Thema nicht relativieren, dann doch gern noch mal darauf hinweisen, dass mich dieser immer wieder vorgetragene und deswegen nicht richtiger werdende Begriff des deutschen Faschismus wirklich nervt. Faschismus ist das, was wir in Italien hatten unter Mussolini oder in Spanien unter Franco, aber eben nicht das, was wir in Deutschland unter Hitler hatten.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Das hieß Nationalsozialismus. Auch wenn da Sozialismus vorkommt, ich kann es Ihnen nicht ersparen, es war Nationalsozialismus, und der hatte unter anderem den Genozid an den Juden zur Folge. Das gab es in Italien und Spanien in diesem Maße eben nicht. Und deswegen ist Nationalsozialismus schlimmer als Faschismus. Aber dann benennen wir das auch zutreffend so für Deutschland, und relativieren Sie nicht! Die linke Seite relativiert immer, wenn es um Begriffe wie Sozialismus geht. Das geht nicht!

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Abschließend gesagt: Geschichte kann man nicht ausradieren, wie Sie es wollen. Man muss mit Widersprüchen leben, sie einordnen und mit ihnen umgehen. Auf die Löschtaste zu drücken, funktioniert nur beim Computer. Machen Sie die Ehrenbürgerliste nicht zum Kampfinstrument der politischen Korrektheit. Das wird nicht funktionieren. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Vielen Dank! – Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Nerstheimer gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Kollegen!

[Ralf Wieland (SPD): Frau Präsidentin!]

In der deutschen Grammatik ist die Maskulinumform teilweise für alle ansprechend. Aber das geht jetzt von meiner Zeit hier ab, und ich habe halt nur drei Minuten.

[Ralf Wieland (SPD): Das ist eine Unverschämtheit! Das ist mangelnder Respekt vor diesem Stuhl!]

Paul von Hindenburg soll die Ehrenbürgerschaft entzogen werden. Das passt natürlich in dieses Land, wo ein Denkmal, der letzte Held im Görlitzer Park, errichtet wird

für Mörder, die mit ihren Drogen unsere Kinder auf Raten umbringen und die Gastfreundschaft des deutschen Volkes mit Füßen treten. Übrigens interessant: Die Figur stellt keinen Europäer dar. Man könnte glauben, wir leben in einem Irrenhaus, in dem die Patienten die Herrschaft übernommen haben.

Aber einen richtigen Helden will man entehren: Generalfeldmarschall und Reichspräsident, der Held von Tannenberg. Er zerschlug als Oberkommandierender der 8. Armee mit seinen Männern die russische NarevArmee. Das war der einzige Zeitpunkt im ersten Weltkrieg, dass ein feindlicher Soldat seinen Fuß auf deutschen Boden setzte. Er war der Träger des „Pour le mérite“, des „Pour le mérite“ mit Eichenlaub, des Großkreuzes, des Eisernen Kreuzes und des nach ihm benannten Hindenburg-Sterns. Dieser Mann hat viel für Deutschland geleistet. Sicher hat er in seinem Leben auch Fehlentscheidungen getroffen. Davor ist niemand gefeit. Aber aus dem Rückblick von Jahrzehnten ist es immer sehr leicht zu kritisieren, denn wir haben das Wissen um die Folgen. Er musste aus der damaligen Situation heraus entscheiden. Aber in Preußen galt schon immer der Grundsatz: Wer einen gefallenen Soldaten um seine Ehren und Orden betrügt, ist ein ehrloser, vaterlandsloser Geselle. Gott mit uns!

Auch der fraktionslose Abgeordnete Wild hat gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt hier ebenfalls bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Immer wieder begegnen uns Wichtigtuer, die sich darin gefallen, den Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime heute, wo es ungefährlich ist, nachzuholen. Dem Historiker Sebastian Haffner wird man wohl nicht vorwerfen können, rechts zu sein. Im Gegenteil, er unterstützte 1969 im Bundestagswahlkampf die SPD. Im Gegensatz zu allen, die ich hier sehe, hat er Deutschlands dunkelste Zeit persönlich miterlebt. Seinem Urteil kann man also vertrauen.

Der Reichspräsident Paul von Hindenburg war, so Haffner, die einzige Chance, welche die fragile Weimarer Republik je hatte. Er war es nämlich, der die bis dahin republikfeindliche Rechte, die DNVP, und teilweise die DVP, mit der Republik versöhnte. Beide hingen bis dahin der Monarchie an und wollten sie restaurieren.

Hindenburg macht man heute zum Vorwurf, er habe Hitler mit der Regierungsbildung beauftragt. Gewiss, das ist unverzeihlich. Aber, was hätte er tun sollen?

[Carsten Schatz (LINKE): Der Arme!]

(Stefan Förster)

Die republik- und demokratiefeindlichen Parteien

NSDAP und KPD besaßen im Reichstag die Mehrheit.

[Oh! von der LINKEN]

Die Alternative dazu wäre ein Militärputsch gewesen, wie ihn Hitlers Vorgänger als Reichskanzler, General Kurt von Schleicher, ins Auge gefasst hatte, oder eine Restaurierung der Monarchie.

Ich frage mich, warum Regierende Bürgermeister wie Ernst Reuter und Willy Brandt in ihrer Zeit als Regierende Bürgermeister nicht auf den Gedanken gekommen sind, Hindenburg die Ehrenbürgerschaft zu entziehen. Herr Müller! Sind Sie wirklich der Meinung, ihren beiden verdienstvollen Vorgängern hier ein historisches Versagen vorwerfen zu müssen? Ausgerechnet Sie, der die SPD in den Umfragen auf 20 Prozent heruntergewirtschaftet hat? Was Sie hier veranstalten, ist ja nicht nur, Hindenburg die Ehrenbürgerschaft zu entziehen, sondern Sie verabreichen Ernst Reuter und Willy Brandt eine schallende moralische Ohrfeige.

Die Linke, deren Vorgänger PDS und SED durch eine Zwangsvereinigung von KPD und SPD im Unrechtsstaat DDR entstand, deren organische Vorgänger die KPD war, hat in den Zwanziger- und Dreißigerjahren daran mitgewirkt, die Weimarer Republik zu zerschlagen. Sie hat dabei mehrfach mit den Nationalsozialisten gestimmt. Das fing 1928 an, als die Kommunisten und Nazis im Reichstag gemeinsam das Gesetz zur Einführung einer Arbeitslosenversicherung ablehnten, und führte bis zum BVG-Streik der Nazis und Kommunisten 1932.

Die SED, die sich mehrfach umbenannte, die Kommunisten, sind nach dem Urteil des ersten SPD-Vorsitzenden der Bundesrepublik, Kurt Schumacher, rotlackierte Nazis. Diesem Urteil schließe ich mich an. Niemand in diesem Hohen Hause braucht von Ihnen einen historischen Nachhilfeunterricht. Zuerst fest an die eigenen Nase fassen, bevor man woanders reinredet. Stellen Sie sich Ihrer eigenen Vergangenheit! Da haben Sie genug zu tun. – Danke!

[Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Zu dem Antrag wird die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5:

Gesetz zur Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in Berliner Landesrecht

Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 23. Oktober 2019 Drucksache 18/2263

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/2021

Zweite Lesung

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/2021-1

Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage und rufe auf die Überschrift, die Einleitung, sowie die Artikel 1 bis 4 der Gesetzesvorlage und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch höre ich dazu nicht. – In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke und hier der Kollege Zillich. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht heute um die landesgesetzliche Ausgestaltung und Umsetzung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Für uns ist gleichwohl die Debatte um die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse an sich keineswegs beendet. Darauf will ich mich zunächst beziehen.

Was ist die Schuldenbremse? – Die Schuldenbremse ist zunächst einmal die Selbstbeschneidung oder Beschneidung des Haushaltsgesetzgebers zugunsten einer vermeintlich höheren ökonomischen Idee.

[Christian Gräff (CDU): Nee!]