Ich habe das mal zur Auffrischung Ihres historischen Gedächtnisses mitgebracht. Selbst Otto Braun, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Preußen hat in einer persönlichen Erklärung Hindenburg den Wählern in warmen Worten empfohlen. Man sollte sich bei dieser Gelegenheit auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass es Hindenburg war, der Hitler die größte politische Klatsche seit dem Scheitern des Hitler-Putsches verpasst hat,
als er nach einem Treffen mit Hitler am 13. August 1932 erklärte, er könne es vor Gott, seinem Gewissen und seinem Vaterland nicht vereinbaren, einer Partei die gesamte Regierungsgewalt zu übertragen, die einseitig gegen Andersdenkende eingestellt wäre.
Das war zwei Wochen, nachdem die NSDAP 37 Prozent erzielt hatte. Und noch rund zwei Monate vor der Machtübertragung ließ Hindenburg Ende November 1932 Hitler ausrichten – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: Der Reichspräsident glaubt,
es vor dem deutschen Volke nicht vertreten zu können, dem Führer einer Partei seine präsidialen Vollmachten zu geben, die immer erneut ihre Ausschließlichkeit betont hat. Der Herr Reichspräsident muss unter diesen Umständen befürchten, dass ein von Ihnen
Es gehört – das gehört eben auch dazu – zur Tragik Hindenburgs, dass ausgerechnet er, der alte Monarchist, am Ende trotz seiner Verachtung für Hitler glaubte, nicht mehr länger gegen die Mehrheit des Reichstags durchhalten zu können und so darauf verfiel, den Vorsitzenden der stärksten Partei, aber eben auch den gefährlichsten Feind der Demokratie, zum Reichskanzler zu machen.
Was folgte war ein beispielloses Versagen Hindenburgs und der alten Eliten – das steht völlig außer Frage –, die alle von Hitler gnadenlos an die Wand gespielt wurden.
Trotzdem gilt für uns, mit einer Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste werden wir den Leistungen, aber auch dem Scheitern Hindenburgs nicht gerecht. Ehrenbürgerlisten und Straßennamen sind nach unserer Auffassung, genauso wie nach der Auffassung von Walter Momper, Annette Fugmann-Heesing oder Alex Lubawinski nicht zuletzt auch historische Zeugnisse, die nicht von jeder Generation neu überprüft und an den jeweiligen Zeitgeist angepasst werden sollten.
Aus diesem Grund lehnen wir die Streichung von Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste ab. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Man kann sich die Gespenster, die in einer Stadt wohnen, nicht aussuchen. Man kann aber entscheiden, welche man ehrt und welche nicht. Geschichte ist eben auch vor allem, wie sie geschrieben wird.
Ich freue mich, dass wir heute als Koalition den Antrag zur Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste von Berlin einbringen. Hindenburg ist nicht schlicht problematisch, weil er Hitler ins Amt gebracht hat. Hindenburg war lange vor seiner Rolle bei der Machtergreifung eine mehr als problematische Persönlichkeit. Hindenburg führte im Ersten Weltkrieg die Oberste Heeresleitung, und er hätte den Ersten Weltkrieg gerne verlängert. Noch mehr Menschen hätten den makaber sogenannten Ehrentod auf dem Schlachtfeld finden sollen. Aber dazu sollte es nicht kommen. Der Krieg war verloren, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollten.
Nach dem Ende des Krieges wurde Hindenburg im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Kriegsgeschehnissen befragt. Er konstruierte damals gemeinsam und gezielt mit den weiteren Mitgliedern der Obersten Heeresleitung die auch heute noch weit verbreitete antisemitistische Verschwörungstheorie, die Dolchstoßlegende, wonach das deutsche Heer – und ich zitiere – „im Felde unbesiegt“ geblieben wäre. Hindenburg war also einer der ersten Deutschen, die so gerne betonen, welche Kriege sie eigentlich gewonnen hätten. Um aus einem Stück des „Neo Magazin Royale“ die Deutschen zu zitieren, mit Ihrer Erlaubnis: Wir haben zwei Weltkriege angefangen und hätten beide fast gewonnen.
Nach seiner Zeit als Militär zog es ihn in die Politik. Hindenburg war Vertreter des antirepublikanischen Reichsblocks und trat für diesen als Reichspräsident an. In dieser Funktion hebelte er immer wieder das Parlament aus. Dass er ausgesprochener Monarchist war und das Parlament verachtete, mag in diesem Zuge nicht überraschen. Hindenburgs Wiederwahl verdankt er allen mehr oder weniger demokratischen Parteien, die einen Monarchisten stützten, um damit Hitler zu verhindern – keine Pointe.
Ich möchte hier heute keine Geschichtsstunde halten. Die Machtergreifung Hitlers und die Folgen eben jener sind jedem von Ihnen geläufig oder können nachgelesen werden. Hindenburg wusste zu jedem Zeitpunkt, was er tut. Er wurde nicht trotz des Grauens und des Todes, das er als Militär und Politiker zu verantworten hatte, zum Ehrenbürger unserer Stadt, sondern gerade deswegen. Die NSDAP sah den Großteil seiner Rolle und seines Verdienstes in der Möglichmachung ihres Handelns. Der Faschismus wurde möglich gemacht von Hindenburg, von Appeasement-Politik, von allen, die zuschauten, die wegschauten, die später behaupteten, man hätte nichts gehört, nichts gesehen und keiner hätte je etwas geahnt. Hindenburg steht sowohl für sich allein als auch exemplarisch für Deutschland vor, während und nach dem Erstarken der NSDAP.
Hindenburg war ein monarchistischer Kriegstreiber. Er verkörperte die Boshaftigkeit, die gefühlte Überlegenheit der Deutschen, die sich gerade nach dem Ersten Weltkrieg Bahn brach. Er hatte weder konkret noch ideologisch ein Problem damit, sich zum Steigbügelhalter der Faschisten zu machen. Wer wissen will, wohin radikaler Nationalismus und Antiparlamentarismus führen, kann es an Hindenburg beispielhaft sehen.
Wir stehen heute wie an jedem Tag vor der Frage, wie wir mit diesen Geschichten, mit unserer Geschichte umgehen. Geschichten wie die von Hindenburg gibt es viele, denn Hindenburg war mit seiner Ideologie keine Ausnahme. Doch die Schuldzuweisung der Machtergreifung der Faschisten an Hindenburg ist in sich wieder eine Schuldabwehr, eine Verschleierung der schlimmen Wahrheiten: Nicht Hindenburg allein hat durch die Ernennung Hitlers den Faschismus in Deutschland möglich gemacht. Es waren viele, viele, die den deutschen Faschismus möglich machten, und viele, die ihn über Jahre hinweg trugen. Hindenburg die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, ist lange überfällig, wie so vieles an Aufarbeitungsarbeit, die Deutschland, Berlin und wir alle zu leisten haben. Aber jeder Schritt zur Entmystifizierung des Grauens und dem, wie es möglich gemacht wurde, jedes Eingeständnis historischer Fehler und Schuld ist einer auf dem richtigen Weg.
Dazu gehört es auch, anzuerkennen dass es Berlin seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht geschafft hat, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und sich von Hindenburg zu distanzieren. Die Grünen haben 2002 einen Antrag eingebracht, mit dem 70 Jahre nach Eintragung Hindenburg aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen werden sollte. Es gab damals keine Mehrheit. Nun sind wieder 17 Jahre vergangen. Das ist nichts, worauf wir stolz sein könnten, aber es ist gut und richtig, endlich Tatsachen zu schaffen und ein lange währendes Unrecht zu beenden. – Vielen Dank!
Geschichte ist ein Theaterstück mit nur einer Uraufführung, aber zahlreichen Textbüchern, die erst nach der Darbietung geschrieben werden.
Genau diese Darbietung erleben wir heute. Wir haben, das ist in dieser Frage auch vollkommen unstrittig, mit Paul Hindenburg sicherlich über einen Grenzfall auf der Ehrenbürgerliste zu reden. Wir haben auf der Ehrenbürgerliste auch andere Persönlichkeiten, über die man reden könnte. Aber gerade wenn man die geschichtlichen Ereignisse einer Stadt in ihrer Gesamtheit erhalten will, da bin ich ganz bei dem Kollegen Juhnke, muss man eben auch aushalten, dass eine Ehrenbürgerliste gewisse Widersprüche in sich trägt, im Übrigen, wie es die Stadt Hamburg tut. In Hamburg ist das auch fünfmal debattiert worden. Da haben die Sozialdemokraten klar gesagt, auch die Grünen: Natürlich bleibt er auf der Liste. Also es ist keinesfalls etwas Revanchistisches, wie Sie es darstellen wollen, wenn man sagt, Paul Hindenburg soll auf der Liste bleiben. Hamburg tut es genauso, um das ganz klar zu sagen, mit den Sozialdemokraten in Hamburg.
Natürlich kann ich vom Jahr 2019 aus mit Blick auf 1933 und auf das dunkle Kapitel zwischen 1939 und 1945, das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, immer zu Schlussfolgerungen kommen, die Paul von Hindenburg 1933 bei seiner Entscheidung natürlich noch nicht im Kopf haben konnte, einer fatalen Fehlentscheidung, wie wir heute wissen.
Aber man bedenke auch die Verhältnisse der Weimarer Republik in den Jahren davor: Präsidialregierungen ohne Rückhalt im Volk, Regieren mit Notverordnungen, Möglichkeiten eines Putsches, die Reichswehr stand schon in den Startlöchern. Man soll sich keiner Illusion hingeben, dass die Reichswehr eine demokratisch gesinnte Einrichtung gewesen wäre. Auch da waren sehr viele darunter, die mit der NSDAP sympathisierten. Das muss man ganz klar sagen, wenn man an diese Entscheidung denkt.
Am Ende, das ist vielleicht auch eine Lehre für die deutsche Geschichte, gab es eben keine stabilen Regierungen der Mitte mehr. Ich bin als Liberaler überzeugt davon, dass ein Land aus der Mitte heraus reagiert werden sollte. Am Ende stand aber Hindenburg auch vor der fatalen Frage: Reichswehr, Putsch, weiter Notverordnung, Präsidialkabinette oder diesen Demagogen Hitler zu ernennen,
dem er in herzlicher Abneigung verbunden war, in der Hoffnung, er möge sich entzaubern und im Regieren auch abschleifen. Das war eine fatale Einschätzung. Das wissen wir heute. Aber bei den furchtbaren Alternativen, die es damals gab, und bei der Reichspräsidentenwahl 1932, auch darauf darf ich verweisen, standen als Alternative in der Stichwahl neben Paul von Hindenburg Adolf Hitler und Ernst Thälmann. Und es glaubt doch keiner, dass mit den anderen beiden ein demokratischeres System möglich gewesen wäre, um das ganz klar zu sagen.
Vielen Dank, Herr Kollege! Zugegebenermaßen hätte ich die Frage auch den anderen Vorrednern stellen können, ich stelle sie aber jetzt Ihnen. – Was ist eigentlich die besondere Leistung Paul von Hindenburgs für die Stadt Berlin, die es rechtfertigt, ihn auf der Ehrenbürgerliste zu haben?
Die Frage einer Zusammensetzung der Ehrenbürgerliste kann man breit oder eng diskutieren, ich sagte es schon. Wenn man ganz herausgehobene Leistungen für die Stadtgesellschaft als Maßstab nimmt und Personen ohne jeden Fehl und Tadel haben möchte, dann wird man am Ende hier draußen bei den Bildern noch 10 oder 15 Personen hängen haben, mehr nicht. Das muss man ganz klar sagen. Denn gerade wenn ich auf Biografien blicke und auch darauf, dass Menschen eben in ihrem Leben manchmal Licht- und Schattenseiten haben, dann muss ich bei herausragenden Verdiensten immer auch berücksichtigen, was möglicherweise dagegen spricht, was Verdienste relativiert. Und dann müsste man, wenn man diese Debatte so führen würde – ich will sie so nicht führen, aber um auf die Frage einzugehen –, auch bei manchem Bundeskanzler, manchem Bundespräsidenten fragen: Was ist denn mit der Zeit zwischen 1939 und 1945? Da gab es auch bei einigen, höflich formuliert, nicht ganz so sonnige Phasen. Man könnte auch fragen:
Was hat z. B. Stalins Stadtkommandant Bersarin 2003 wieder auf die Ehrenbürgerliste kommen lassen von RotRot, was hat der so Herausragendes geleistet im Vergleich zu dem, was ihm vorgeworfen wird? Auch diese Frage könnte man stellen, wenn man so debattieren würde.
Man könnte auch fragen: Was hat denn z. B. eine Anna Seghers, eine hervorragende Schriftstellerin, aber eben auch Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR, auf der Liste zu suchen, die den Rauswurf von Wolf Biermann, den wir ja gerade wegen seiner Verdienste gegen die SED-Diktatur zum Ehrenbürger gemacht haben, begrüßt und geradezu gesagt hat, er soll doch gehen, wir brauchen ihn nicht? Auch da könnte man fragen, was diese Leute auf der Ehrenbürgerliste zu suchen haben, wenn man so debattiert.
Dann bleibt eben am Ende, wenn man es sehr eng fassen will, eine Liste übrig, auf der dann vielleicht noch MarieElisabeth Lüders oder Louise Schroeder sind, diese beiden herausragenden Frauen, oder Heinz Berggruen, gern auch Inge Deutschkron und Margot Friedländer. Aber das wäre dann eine sehr begrenzte Liste, wenn wir Leute ohne jeden Fehl und Tadel mit herausragenden Verdiensten oder jedenfalls ohne Schattenseiten der Biografie draufnehmen würden. Deswegen plädiere ich ausdrücklich für eine breite Ehrenbürgerliste, die geschichtlichen Diskurs aushält, die Debatten aushält und die eben nicht verengt und nicht relativiert. Um das ganz klar zu sagen.