Das ist das Übliche, was ich von Ihnen kenne. Das hilft uns aber auch nicht weiter in der Sache, und das unterstreicht auch nicht die Ernsthaftigkeit Ihres Anliegens.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Juhnke! Als Historikerin bin ich etwas überrascht, wenn Sie der Meinung sind, dass das, was die Zeitzeugen 1948 ein Stück weit nach ihrem Gefühl überlegt haben – in einer sicherlich schwierigen Zeit, in ihrer Alltagssituation –, für uns bleibend und bindend sein soll. Wo es doch so ist, dass natürlich seitdem viele Quellen zugänglich geworden sind, die historische Wissenschaft entsprechend ausführliche Biographien vorgelegt hat, die wir uns natürlich gerne noch einmal näher anschauen können in der Ausschussarbeit, die aber, wenn man sie intensiv studiert, einfach zu einer anderen Erkenntnis kommen, als Sie das hier vorgelegt haben.
Vielleicht noch einen Blick auf Ihre Bundesebene: Ihre frühere Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, war da schon weiter als Sie.
Sie hat den Traditionserlass der Bundeswehr überarbeiten lassen. Sie wagte sich an die Umbenennung von Kasernen, auch Kasernen nach Kriegshelden wie Hindenburg.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Thorsten Weiß (AfD): Frau von der Leyen ist ganz schlecht!]
Die Berliner Ehrenbürgerwürde ist zuletzt im letzten Jahr an Inge Deutschkron und Margot Friedländer vergeben worden. Zwei beeindruckende Frauen, die die Shoah überlebten. Beide haben nach dem Krieg einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus geleistet, und beiden gebührt dafür unsere Anerkennung und unser Dank.
Bei Paul von Hindenburg sieht das anders aus. Am 12. Februar 1933, zwei Wochen, nachdem er Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, schrieb er in einem Brief an seine Tochter. Ich zitiere:
Aber Hindenburg tat noch mehr. Bereits Anfang Februar 1933 ermöglichte er mit der Unterzeichnung einer Notverordnung massive Eingriffe in die Grundrechte, insbesondere Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit. Diese Notverordnung führte drei Wochen vor der Reichstagswahl Anfang März 1933 zu einer massiven Behinderung des Wahlkampfs der Opposition.
Ungestraft und mit staatlicher Rückendeckung verübten Nationalsozialisten ungezählte Übergriffe auf Kommunistinnen und Kommunisten und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Der Terror richtete sich vorrangig auch gegen Abgeordnete jüdischen Glaubens.
Ende Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, folgte eine weitere von Hindenburg unterzeichnete Notverordnung, die die verfassungsmäßigen Grundrechte außer Kraft setzte. Neueren geschichtswissenschaftlichen Forschungen zufolge war Hindenburg während dieser Zeit im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Ganz bewusst entschied er sich für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und die Machtübertragung an die Nationalsozialisten.
Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung, die diese Stadt vergibt. Geehrt werden Persönlichkeiten, die sich in herausragender Weise um das Wohl der Bürger und das Ansehen der Stadt verdient gemacht haben. Hindenburg erhielt seine Ehrenbürgerwürde bezeichnenderweise am Geburtstags Adolf Hitlers, dem 20. April 1933. Auf Antrag der NSDAP-Fraktion sollten die beiden – ich zitiere – „besten Deutschen“ – Zitat Ende – aufgrund ihrer – Zitat – „Verdienste um die nationale Wiedergeburt Berlins“ – Zitat Ende – zu Ehrenbürgern ernannt werden. Mit einem dreifachen „Sieg Heil“ bekräftigte die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung von NSDAP und DNVP diesen Beschluss.
Hindenburg hat die demokratische Staatsordnung der Weimarer Republik stark geschädigt. Aktiv hat er die Etablierung der totalitären Diktatur befördert, indem er Hitler zum Reichskanzler ernannte, die Notverordnungen unterzeichnete, die Grundrechte aufhob und den Reichstag entmachtete. Mit diesem Tun hat sich Hindenburg weder um das Wohl der Berlinerinnen und Berliner noch um das Ansehen der Stadt verdient gemacht, im Gegenteil. Wir beantragen deshalb als Koalition, Paul von Hindenburg von der Berliner Ehrenbürgerliste zu streichen. – Vielen Dank!
[Torsten Schneider (SPD): Der wird es jetzt vermeiden, über Hindenburg zu reden, sondern er wird über andere reden!]
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag von SPD, Linken und Grünen zur Streichung Paul von Hindenburgs von der Ehrenbürgerliste Berlins gleicht den beiden Anträgen, die bereits 2002 von den Grünen und 2014 von der Linken in dieses Haus eingebracht worden waren
und jeweils mit guten Gründen von der Mehrheit abgelehnt wurden. Herr Juhnke hat darauf hingewiesen. Was hat sich seither geändert? – Sicherlich nicht die historische Bewertung Hindenburgs. Was sich aber seither geändert hat, ist die Haltung der SPD. 2003 hieß es noch, die SPD-Fraktion habe sich ernsthaft und intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und sehe keine Veranlassung, die Ehrenbürgerliste zu bereinigen. Es wäre ein Fehler, bestimmte Vorgänge aus dem geschichtlichen Bewusstsein zu streichen. Walter Momper, der damalige
[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]
Noch im Juni 2014 erklärte Axel Lubawinski für die SPD-Fraktion – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Ich halte nichts davon, dank der Gnade der späten Geburt, mit einem dicken Radiergummi durch Deutschland zu gehen und alle Namen zu löschen, die heute nicht mehr in unser Weltbild passen. Das ist geschichtsvergessen.
Herr Müller! Sie haben 2003 als Fraktionsvorsitzender und dann 2015 als Regierender Bürgermeister die hier von mir skizzierte Haltung Ihrer Fraktion mitgetragen und die Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste abgelehnt. Was hat sich eigentlich in der Sache geändert?
[Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie mal was zu Hin- denburg! Sie vermeiden eine Position! Das ist feige!]
Das würde ich wirklich gerne einmal von Ihnen hören. Warum opfern Sie eine Entscheidung, die durch Ihre Fraktion 2003 nach ernsthafter und intensiver Auseinandersetzung, wie es hieß, getroffen und 2014 bestätigt wurde, heute der Koalitionsräson
und stimmen einem Antrag zu, den Sie noch vor Kurzem abgelehnt haben, liebe Kollegen von der SPD? – Der Eindruck drängt sich auf, dass die SPD auch in der Geschichtspolitik völlig kopflos geworden ist und auch hier ihren Kompass komplett verloren hat.
Denn wenn Sie diesen Kompass noch hätten, liebe Kollegen von der SPD, wüssten Sie nämlich zum Beispiel auch, dass Hindenburg im April 1932 der gemeinsame Kandidat der demokratischen Parteien, auch Ihrer Partei, der SPD, gegen Hitler und Thälmann war und nur so Hitler zu diesem Zeitpunkt noch gestoppt werden konnte. „Schlagt Hitler, wählt Hindenburg“, titelte damals der „Vorwärts“.
Ich habe das mal zur Auffrischung Ihres historischen Gedächtnisses mitgebracht. Selbst Otto Braun, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Preußen hat in einer persönlichen Erklärung Hindenburg den Wählern in warmen Worten empfohlen. Man sollte sich bei dieser Gelegenheit auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass es Hindenburg war, der Hitler die größte politische Klatsche seit dem Scheitern des Hitler-Putsches verpasst hat,