Protocol of the Session on October 18, 2018

(Dr. Turgut Altug)

Sie können fortsetzen. Der Senator ist jetzt im Raum. Sie haben das Wort, Herr Krestel!

Willkommen, Herr Senator! Es ist mir eine Freude, Sie hier in diesem Raum zu sehen. – Damit sind wir auch schon mitten im Problem. Eine große Anzahl der Richterinnen und Richter wurde zu Beginn der Neunzigerjahre eingestellt. Daher weisen viel zu viele ein ähnliches Lebensalter auf und werden auch ziemlich zu gleicher Zeit – zumindest nach der momentan geltenden Gesetzeslage – in Pension gehen.

Der Antrag der FDP will unter anderem dieses Problem entzerren, weil wir mit der von uns beantragten Gesetzesänderung zu individuelleren Pensionierungsterminen kommen werden. Das ist unter anderem auch notwendig, wenn wir vermeiden wollen, dass uns mehrere Spezialkammern beim Landgericht Berlin bzw. auch in der Berufungsinstanz beim Kammergericht, um nur einmal zwei Beispiele zu benennen, komplett wegbrechen könnten. Wir müssen auch die Qualität der Rechtsprechung in unserem Bundesland Berlin sichern. Dazu gehört es eben auch, dass zwischen den Fachanwälten und den Richtern in den Punkten Erfahrung und Wissen Waffengleichheit herrscht. Das Wort Waffengleichheit können Sie da gerne in Anführungsstriche setzen. Weiterhin befinden wir uns wie mittlerweile in fast sämtlichen Berufsfeldern im Konkurrenzkampf um die besten Bewerber und Köpfe.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Da stehen wir sehr gut da!]

Na, das sehe ich nicht ganz so wie Sie, Herr Schlüsselburg. – Dieses Problem ist nämlich in Berlin sogar besonders virulent. Wir stehen hier in direkter Konkurrenz zu anderen Bundesländern wie z. B. Brandenburg, insbesondere aber zu den wesentlich attraktiver bezahlenden Bundesministerien.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir leisten daher mit dieser Gesetzesänderung einen Beitrag, die richterliche Tätigkeit im Land Berlin attraktiver zu machen, so wie es im Übrigen, natürlich nur für sich, z. B. Baden-Württemberg längst getan hat.

Letztlich haben wir heute hier die Gelegenheit, abseits von irgendwelchen Gesinnungsstreitigkeiten auf einem wichtigen Politikfeld, der Sicherung der Qualität unserer Rechtsprechung, schlicht mal das Notwendige und das Richtige zu tun. Daher bitte ich um die Unterstützung des gesamten Hauses. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Kohlmeier das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Krestel! Ihre Begründung im Antrag selbst und auch Ihre Begründung, die Sie gerade hier vorne abgegeben haben, hat mich bisher nicht überzeugt, dem Anliegen zu folgen – aus drei Gründen. Erstens: Ich sehe keine Notwendigkeit, dass wir bei den Richterstellen entsprechend Platz schaffen oder nachjustieren müssen, dass die Richter auf den Stellen bleiben, weil wir keine Bewerber finden. Wir haben anders als im öffentlichen Dienst eine hervorragende Bewerberlage. Das wissen Sie möglicherweise nicht, weil Sie nicht im Richterwahlausschuss sind. Aber die Mitglieder im Richterwahlausschuss wissen, dass wir eine exzellente Bewerberlage haben, dass viele Personen sich für den Justizdienst in Berlin bewerben und dass es im Übrigen auch ausgezeichnete Kandidaten mit überdurchschnittlichen Prädikatsexamen und überdurchschnittlichen außerjuristischen Tätigkeiten sind. Insofern ist der Ansatzpunkt von Ihnen völlig falsch, dass wir hier keinen finden würden.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zweitens: Ich sehe das Problem, dass, wenn Richter ihre Stelle bis zum 68. Lebensjahr besetzen, wir keine Neuanfänger einstellen können im Land Berlin, weil die Richterstellen einfach nicht vorhanden sind, weil die dann durch die Richter entsprechend besetzt werden. Und es erschließt sich mir im Übrigen auch nicht, dass Sie darauf rekurrieren, dass es eine Gleichstellung zwischen Richtern und Beamten geben soll, und zwar, dass es einen zwanzigprozentigen Zuschlag geben soll. Da gibt es nämlich einen erheblichen Unterschied zwischen Richtern und Beamten. Bei den Beamten wollen wir, dass Beamte ihre Dienstzeit verlängern, und die sollen dafür selbstverständlich entlohnt werden, weil wir im öffentlichen Dienst keinen finden. Nun habe ich Ihnen gerade dargestellt, dass es bei der Richterschaft etwas anderes ist. Das Problem ist hier, dass es keine Ermessensentscheidung ist, ob der Richter seinen Dienst verlängert oder nicht, anders als bei den Beamten. Der Richter hat einen gebundenen Anspruch darauf, dass er diese Stelle weiter ausüben kann, unabhängig davon, wie der Richter entsprechend tätig ist oder ob er nicht tätig ist und ob er auf dieser Stelle gebraucht wird. Und dafür wollen Sie, dafür habe ich tatsächlich relativ wenig Verständnis, dem Richter auch noch 20 Prozent mehr geben mit dem Argument, dass der arme Richter, der im Übrigen als R2-Richter 5 000 bis 6 000 Euro im Monat hat, noch mal 20 Prozent obendrauf bekommen soll, damit er mit einem Pflichtanspruch tatsächlich länger bleibt.

[Holger Krestel (FDP): Der hat ja auch eine entsprechende Ausbildung!]

Lieber Kollege Krestel, das überzeugt mich überhaupt nicht. Sie haben die Möglichkeit, das im Ausschuss noch mal darzulegen, oder aber möglicherweise nach dem, was Sie von mir gehört haben, Ihren Antrag noch mal nachzubessern. Wenn der Antrag so bleibt, sehe ich jedenfalls für meine Fraktion wenig Möglichkeiten, dem hier über die Hürde zu verhelfen, eine Mehrheit zu bekommen. Sie haben mich bisher weiterhin nicht überzeugt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Rissmann das Wort.

[Holger Krestel (FDP): Sie halten die gleiche Rede noch mal?]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten ja gestern nach dem Rechtsausschuss eine informelle Sprecherrunde, bei der ich mitgenommen habe, dass auch die Koalition durchaus offen ist, sich über das grundsätzliche Anliegen, das die FDP formuliert, Gedanken zu machen. Das sollten wir in der Tat tun, weil es gewisse Dinge einzustellen gibt in solche Überlegungen. Ich frage mich nämlich z. B., ob es wirklich sinnvoll ist, dass man diese Änderung, so wie Sie sich das vorstellen, als gebundene Entscheidung ausgestaltet, es also allein vom Antrag des Richters oder der Richterin abhängig macht. Kann man das überhaupt anders ausgestalten vor dem Hintergrund der richterlichen Unabhängigkeit, und wenn ja, wie könnte man das ausgestalten? Das sind Fragen, auf die man mal zwei, drei Minuten verwenden muss. Das kann man im Rechtsausschuss dann tun.

Grundsätzlich ist es so, dass unsere Stadt wächst. Grundsätzlich ist es so, dass die Pensionierungslöcher auch im Bereich des richterlichen Dienstes ankommen. Grundsätzlich möchte auch ich nicht, dass wir unsere Einstellungserwartungen und -voraussetzungen für den richterlichen Dienst weiter absenken, was ja bereits geschehen ist. Insofern kann das ein Instrument sein, das sinnvoll ist. Allerdings muss man auch auf der anderen Seite im Blick behalten, dass sich solche Entwicklungen auch wieder mal ändern können. Und wenn man dann eine gesetzliche Lage hat, die es allein davon abhängig macht, dass ein vor der Pension stehender Richter durch seinen bloßen Antrag zwingend dazu führt, dass er zwei oder drei Jahre weiterbeschäftigt wird, dann sind das auch Planungsrisiken und Haushaltsrisiken. Das können wir in Ruhe mal besprechen, wie man das vernünftige Anliegen, erfahrene Kräfte aus dem richterlichen Dienst für unseren Landesdienst zu behalten, in Ausgleich bringen kann mit einer vernünftigen Personal- und Haushaltsplanung. – Ich bin

jetzt auch schon fertig, lieber Herr Krestel. Aber ich kann hier noch stehenbleiben, damit Sie Ihre Frage stellen können.

Dann hat der Kollege Krestel die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage.

Herr Kollege Rissmann! Sind Sie mit mir der Meinung, dass es, wenn sich die gesellschaftliche Lage grundsätzlich ändert, auch die Möglichkeit gibt, die gesetzliche Lage wieder zu verändern?

Mein lieber Kollege Krestel! Auch wenn man das nicht unbedingt sieht, bin ich ja etwas jünger als Sie, das heißt, ich verfüge nicht über so viel Lebenserfahrung wie Sie. Meine überschaubare Lebenserfahrung sagt mir, es ist immer einfach, Dinge positiv zu schaffen. Es ist ungleich schwerer, Dinge wieder abzubauen. Darum sollte man sich dies immer gut überlegen, wenn man Ansprüche mal formuliert hat, denn diese zurückzufahren ist dann in praxi nicht so leicht, wie es theoretisch wohl möglich ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Schlüsselburg das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Herr Krestel! Alle rechtspolitischen Sprecher haben Post vom Richterbund, Landesverband Berlin, bekommen. Und Sie haben das zum Anlass genommen, um aus dem Anliegen einen Gesetzesantrag zu machen. Das ist natürlich Ihr gutes Recht, aber auf diesen Ursachen- und Wirkungszusammenhang wollte ich an der Stelle hingewiesen haben.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Ich denke, wir werden heute, wie Sie gesagt haben, die Entscheidung noch nicht treffen, sondern wir werden den Gesetzesantrag in den Ausschuss verweisen und dort über einige Punkte zu reden haben.

[Sebastian Czaja (FDP): Wir nehmen das ernst!]

Es ist schon angemerkt worden, dass die Rechtsauffassung des Richterbundes, auch meine Rechtsauffassung, ggf. die von anderen Fraktionen dahin geht, dass es aufgrund von Artikel 97 des Grundgesetzes und der speziellen verfassungsrechtlichen Stellung der richterlichen

(Sven Kohlmeier)

Unabhängigkeit tatsächlich nur einen gebundenen Anspruch für den hier in Rede stehenden Antrag auf Verlängerung geben kann. Wenn das so sein sollte – wir können uns das noch mal genauer angucken –, dann haben wir als Linksfraktion tatsächlich ein Problem mit dem Regelungsgehalt des Antrages.

Im Unterschied zu Ihnen sitze ich im Richterwahlausschuss, und wir nehmen dort teilweise in Akkordzeit und in langen Sitzungen Einstellungen in Größenordnungen vor. Wir haben viele Leute, hochqualifizierte Juristen, die bereits im Richterdienst in Brandenburg sind, die unbedingt nach Berlin wollen. So sieht das Wettbewerbsverhältnis zumindest an dieser Stelle zwischen Berlin und Brandenburg aus. Das Problem haben wir nicht. Wir haben sehr viele Doppelprädikatexamenskandidaten, die Richterinnen und Richter in unserem Land werden sollen, nicht wenige sogar mit zwei großen Prädikaten.

Wir haben also einen anderen sachlichen Hintergrund, als wir es im anderen Bereich des öffentlichen Dienstes haben. Wenn wir einen anderen Sachgrund und im Übrigen auch eine andere Rechtsgrundlage haben – ich habe die richterliche Unabhängigkeit des Grundgesetzes angesprochen –, dann gibt es eventuell eben auch einen begründeten Sachgrund, eine bestimmte Gruppe im öffentlichen Dienst anders zu behandeln als eine andere Gruppe. Darüber werden wir im Ausschuss zu reden haben.

Wenn – das sage ich an dieser Stelle für meine Fraktion, um die Tür nicht ganz zuzumachen – es eine rechtssichere, verfassungskonforme Möglichkeit gäbe, bereichsspezifisch ohne gebundenen Anspruch Richterinnen und Richtern, die das möchten, die Verlängerung zu gewähren, dann sind wir auch offen, darüber zu sprechen. Wenn das verfassungsrechtlich nicht geht, sind bei uns an der Stelle tatsächlich der Spielraum und auch die Notwendigkeit, diese Regelung vorzunehmen, nicht gegeben.

Um noch das letzte Argument kurz anzusprechen, das Sie genannt haben, Herr Krestel, Spezialkammern am Landgericht oder am Kammergericht: Da kommen in der Regel keine R1-Richter drauf, sondern das sind Beförderungsangelegenheiten. Haben wir im Richterwahlausschuss auch regelmäßig einige davon zu laufen. Auch da, glaube ich, haben wir an der Stelle kein Problem, dass die entsprechend nachwachsen. Ich freue mich auf die Beratung im Rechtsausschuss. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Vallendar das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP fordert mit ihrem Antrag die Möglichkeit für Richter des Landes Berlin, den Eintritt in den Ruhestand auf das 68. Lebensjahr verlängern zu können. Der Richterberuf ist eine Berufung. Der Richterberuf ist auch im hohen Alter noch gut ausführbar. Gerade Weisheit und Lebenserfahrung sind eine wichtige Komponente im Beruf des Richters. Als Beispiel kann man den Supreme Court in den USA nehmen. Dort sind die Richter im wahrsten Sinne des Wortes auf Lebenszeit berufen, und zwar wirklich auf Lebenszeit. Die FDP bleibt also insofern dahinter weit zurück, indem sie ja nur drei Jahre ermöglicht.

[Heiterkeit bei Holger Krestel (FDP)]

Da wäre sogar noch mehr denkbar. Ich weiß auch, dass in meinem Familien- und Bekanntenkreis durchaus Richter im Ruhestand sind, die mittlerweile juristische Kommentare schreiben, um sich irgendwie noch beschäftigen zu können. Es ist eine Form der Altersdiskriminierung – das muss man ganz deutlich sagen –,

[Beifall bei der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP)]

wenn man es jemandem nicht ermöglicht, seinen Beruf, den er sein Leben lang ausgeübt hat, weiterzumachen, obwohl er es gerne möchte. Deswegen sind diese festgeschriebenen Altersgrenzen durchaus problematisch zu betrachten.

Das einzige Gegenargument – das hörten wir eben auch – sind natürlich die Beförderungsstellen. Aber das Land Berlin braucht Richter. Wir haben einen demografischen Wandel. Ja, ich sehe, dass wir im Richterwahlausschuss auch immer mehr Neueinstellungen vornehmen und die auch immer erforderlich sind. Es ist auch gut, dass das Bewerberfeld so stark ist. Dennoch ist das Land Berlin, gerade was die Planstellen für die Richterinnen und Richter angeht, immer noch nicht ausreichend ausgestattet. Gerade das Verwaltungsgericht und die Strafgerichte sind immer noch chronisch unterbesetzt. Frau Oberstaatsanwältin Petra Leister der Staatsanwaltschaft Berlin, Leiterin der Abteilung Organisierte Kriminalität, äußerte bei einer Anhörung im Innenausschuss am 24. September 2018 Folgendes – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Auf der Seite des Gerichts ist es für uns auch wichtig, wir kommen häufig dazu, hochkarätige Taten anzuklagen, aber es gibt keine Kapazitäten aufseiten des Gerichts, diese Fälle zu verhandeln, weil diese Verhandlungen nun mal – die Verteidiger wurden schon erwähnt – so lange dauern, dass schlicht die Kammern überlastet sind. Das heißt, für uns wäre wichtig, dass natürlich sowohl die erweiterten Schöffengerichte als auch die Landgerichte so ausgestattet sind, dass zeitnah Verhandlungen möglich sind …

(Sebastian Schlüsselburg)

Das heißt also, wir haben hier ein signifikantes Defizit, auch gerade bei den Land- und höheren Gerichten. Das Land Berlin könnte also von Richtern mit großer Erfahrung durchaus profitieren. Auch die Pensionslasten, die ja für das Land Berlin so oder so anfallen, werden durch eine solche Regelung abgefedert, weil die Richter ja weiter mithelfen können, Fallzahlen der offenen Verfahren an den Gerichten zu senken.

Es bleibt weiter noch zu überlegen, ob man auch andere Berufsfelder für eine solche Regelung in Betracht ziehen könnte. Wichtig dabei ist immer die Freiwilligkeit. Ermöglichen wir also den Richterinnen und Richtern des Landes Berlin, selbstbestimmt zu entscheiden, wann sie in den Ruhestand eintreten wollen. Wir sind also dem Antrag der FDP gegenüber aufgeschlossen und warten dann ab, was in der Ausschussberatung dabei herauskommt. – Vielen herzlichen Dank!